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review 2018-02-20 07:48
Es hat nicht sein sollen
His Dark Materials: Northern Lights, The Subtle Knife And The Amber Spyglass - Philip Pullman

„His Dark Materials“ von Philip Pullman ist einer der Kinderbuchklassiker unserer Zeit. Die Trilogie gewann zahlreiche bedeutende Preise, wurde für Film, Fernsehen und die Bühne adaptiert und erzielte in den USA ähnliche Verkaufszahlen wie „Harry Potter“. Die drei Bände „Northern Lights“, „The Subtle Knife“ und „The Amber Spyglass” wurden von 1995 bis 2000 veröffentlicht. Obwohl die Geschichte somit über 20 Jahre alt ist und zeitlich genau in meine Kindheit fällt, wuchs ich nicht mit ihr auf. Ich entschied, die Lektüre als Erwachsene nachzuholen und erwarb diesen wunderschönen Sammelband.

 

In einem Paralleluniversum, in einer Welt, die der unseren ähnlich und doch ganz anders ist, wächst Lyra unter den Gelehrten des Jordan College in Oxford auf. Stets begleitet von Pantalaimon, ihrem Seelengefährten und Dæmon, verbringt sie ihre Kindheit unbeschwert in den verwinkelten alten Gemäuern. Mit ihrem besten Freund, dem Küchenjungen Roger, erlebt sie so manches Abenteuer in den verstaubten Gängen und auf den erhabenen Dächern des Colleges. Ihr mangelt es an nichts. Lyra ist glücklich. Doch ein Schatten droht, ihr Glück zu verdunkeln. Besorgte Gerüchte erreichen Oxford. Ängstlich flüstert man von den Gobblern, die durch das Land ziehen und wahllos Kinder rauben. Lyra schwört, sich niemals stehlen zu lassen und plant bereits ihren heroischen Kampf gegen die Entführer. Es trifft jedoch nicht sie, sondern Roger. Wild entschlossen, ihren besten Freund zurückzubringen, schließt sie sich den Gyptern an, dem fahrenden Volk, das auf den Flüssen Englands zuhause ist und ebenfalls Kinder an die Gobbler verlor. Es ist der Beginn einer fantastischen Reise, während derer Lyra Freundschaft mit Panzerbären, Hexen und mutigen Abenteurern schließt, die Grenzen ihres Universums hinter sich lässt und das Zünglein an der Waage eines gewaltigen Krieges um das Schicksal aller Welten sein wird.

 

Ich bin der einsamste Mensch der Welt. Ich glaube, ich bin die einzige Person auf diesem Planeten, die „His Dark Materials“ nicht bezaubernd fand. Vielleicht stimmt etwas nicht mit mir. Ich bin fest davon ausgegangen, dass ich die Geschichte mögen würde, ich hatte überhaupt keine Zweifel daran. Pustekuchen. Was ist da nur schiefgegangen? Ich bin erschüttert. Ich verstehe nicht, wieso ich keinen Zugang zu der Trilogie fand, obwohl ich mich anstrengte und abrackerte, immer wieder Anlauf nahm, mir der Rhythmus der Geschichte jedoch verschlossen blieb, sodass ich nie in ihr ankam. Mir fehlte der magische Sog, der so viele Kinderbücher auszeichnet. Ich konnte mich mental nicht in Philip Pullmans Multiversum hineindenken und war nicht fähig, Beziehungen zu den Figuren aufzubauen. Stattdessen erschien mir das gesamte Werk langatmig und zäh wie eine alte Schuhsohle. Es kam mir vor, als hätte sich Pullman nicht entscheiden können, ob er nun ein abenteuerliches Kinderbuch oder eine theologisch-philosophische Abhandlung schreiben wollte. Der Autor wurde für den angeblich anti-religiösen Ton der Romane scharf kritisiert, besonders von der katholischen Kirche in den USA. Wie irgendjemand auf die Idee kommen kann, „His Dark Materials“ als anti-religiös zu bezeichnen, entzieht sich meinem Verständnis. Natürlich ist es ein kontroverses Werk, das sich von den Lehren der christlichen Kirche distanziert, demzufolge lautet der richtige Begriff allerdings anti-institutionell, keinesfalls anti-religiös. Pullman bespricht zahlreiche religiöse Motive und betont die schlichte Schönheit des Glaubens, wird er nicht vom Klerus gesteuert und beschnitten. Intellektuell und theoretisch weiß ich diese Herangehensweise als faszinierend zu schätzen – praktisch und emotional blieb sie mir leider völlig suspekt. Ich konnte mit dem Auftauchen von Engeln, einer göttlichen Vaterfigur und der Verarbeitung des biblischen Sündenfalls überhaupt nichts anfangen. Es war mir alles zu viel, zu gewichtig und zu symbolisch. Ich vermisste Leichtigkeit, Spannung und Witz, war von der verbissenen, künstlichen, geballten Kritik der Geschichte abgeschreckt. Ich quälte mich mühsam durch die Lektüre und sah nur selten einen Lichtblick. Beispielsweise mochte ich das Konzept der Dæmons als ausgelagertes, externes Stück der Seele eines jeden Menschen, hätte dieses aber ohne die Einleitung meiner Ausgabe wohl nicht oder erst spät verstanden. Auch sympathisierte ich mit vielen Figuren, war von ihrer jeweiligen Rolle in der Geschichte jedoch nicht begeistert. Der Panzerbär Iorek Byrnison und der Aeronaut Lee Scoresby sind tolle, liebenswerte Charaktere, doch ihre Beziehung zur Protagonistin Lyra, die ich ohnehin nicht mochte, konnte ich nicht nachvollziehen. Es war wie verhext: ich entdeckte in „His Dark Materials“ einiges, was mir für sich genommen gefiel, nur im Rahmen der Geschichte überzeugten mich diese Elemente nicht und halfen mir nicht, mich durch diesen dicken Wälzer zu kämpfen.

 

Am Ende einer enttäuschenden Kinderbuch-Lektüre stellt sich natürlich immer die Frage, ob die Geschichte auf mich anders gewirkt hätte, hätte ich sie gelesen, als ich noch zur Zielgruppe gehörte. Im Fall von „His Dark Materials“ glaube ich das nicht. Ich wäre zwar nicht in der Lage gewesen, die vielen kritischen Nuancen der Trilogie zu benennen, aber ich hätte wahrgenommen, dass da etwas zwischen mir und der Geschichte steht. Ich bezweifle stark, dass ich im Alter zwischen 6 und 11 Jahren Spaß mit Lyras Abenteuern gehabt hätte, weil sie eben einfach nicht abenteuerlich genug geschrieben sind. Ein Kinderbuch, das lediglich von Erwachsenen verstanden werden kann, verfehlt meiner Meinung nach das Ziel. Nun gut. Es hat nicht sein sollen. Das ist sehr schade und ich bin immer noch völlig perplex, wie sich diese Lektüre für mich gestaltete, doch damit muss ich jetzt leben. Es ist ja nicht meine erste unpopuläre Buchmeinung, die ich in Zukunft beständig verteidigen muss. Ich habe Übung darin, der einsamste Mensch der Welt zu sein.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/02/20/philip-pullman-his-dark-materials
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review 2017-12-20 12:12
Väterchen Frost und die wilde Maid
The Bear and the Nightingale: A Novel - Katherine Arden

Die texanische Autorin Katherine Arden besitzt einen Abschluss in französischer und russischer Literatur. Als man sie fragte, warum sie diese akademische Laufbahn einschlug, antwortete sie, ihr größter Antrieb sei ihre Liebe zum Reisen gewesen. In der High-School verbrachte sie ein Jahr in Frankreich und lebte vor ihrem Studium ein weiteres Jahr in Moskau. Fremdsprachen und die Möglichkeit, in eine andere Kultur einzutauchen, faszinieren sie. Angesichts dieses Hintergrundes war es naheliegend, als Schauplatz ihres ersten Romans „The Bear and the Nightingale“, Auftakt der „Winternight Trilogy“, Russland im 14. Jahrhundert zu wählen. Ich erhielt das Buch als Rezensionsexemplar via Netgalley.

 

Vasja ist nicht wie ihre Geschwister, ihr Vater oder die Menschen in ihrem ländlichen Haushalt. Sie besitzt die seltene Gabe, die Hausgeister, die ihr Volk seit Jahrhunderten schützen, zu sehen. Sie wächst in dem Wissen auf, dass all die Legenden und Märchen, die am Feuer in dunklen, kalten Nächten erzählt werden, wahr sind. Die Jahre vergehen. Aus einem ungestümen, frechen Mädchen wird eine junge Frau wilder Schönheit, die ihre Freiheit ebenso liebt wie ihre Familie. Besorgt beobachtet Vasja den zunehmenden Einfluss der orthodoxen Kirche, die Angst schürt und den Glauben an die Wächter ihrer Heimat erstickt. Die Macht der Geister schwindet. Tief im Wald regt sich das Böse. Der Bär erwacht aus seinem Schlummer. Nur sein Bruder, der Winterkönig Morozko, kann ihn erneut in Schlaf versetzen und das Land vor seiner Niedertracht bewahren. Doch auch Morozko ist nicht mehr, wer er einst war. Er braucht die Hilfe einer wilden Maid, um seinem Bruder Einhalt zu gebieten. Eine Maid, mit Wind in ihren Haaren und Magie in ihrem Herzen – Vasja.

 

Ich liebe den aktuellen Trend der Urban Fantasy, zu ihren Wurzeln zurückzukehren und wieder richtige Märchen zu erzählen, statt die millionste Variante der Vampir- oder Werwolf-Romanze aufzukochen. Es ist großartig, weil es so viele Möglichkeiten eröffnet. „The Bear and the Nightingale“ ist ein Märchen. Es verbindet das Übernatürliche erfrischend natürlich mit der historischen Realität des Settings, indem es sich ausschließlich auf die russische Folklore und Mythologie stützt. Im 14. Jahrhundert war an das Russland, das wir heute kennen, noch nicht zu denken. Katherine Arden entführt ihre Leser_innen in eine Zeit, in der sich das Wort „Zar“ noch auf den byzantinischen Imperator in Konstantinopel bezog und orthodoxes Christentum und heidnische Gebräuche parallel existierten. Es war völlig normal, gleichermaßen vor Ikonen zu beten und die zahlreichen Hausgeister mit verschiedenen Gaben gütig zu stimmen. Ich wusste vor der Lektüre nicht, wie vielseitig, komplex und spezifisch die russische Folklore ist. Im vorchristlichen Glaubenssystem finden sich für jede Kleinigkeit schützende Entitäten, die fest mit dem Alltag der Menschen verbunden waren und ganz selbstverständlich geehrt wurden, besonders fernab der Städte. Die Kirche sah sich von diesem Brauchtum bedroht, ein Umstand, den Katherine Arden anhand der Schwierigkeiten, mit denen ihre magisch talentierte Protagonistin Vasja konfrontiert ist, subtil und überzeugend illustriert. Der christliche Anspruch auf ein religiöses Monopol stört das Gleichgewicht des Lebens auf dem Land, das die Autorin wunderbar atmosphärisch in all seinen der rauen Natur unterworfenen Facetten porträtiert. Sie öffnet die Tür für ein uraltes Übel. Vasja ist die einzige, die die Gefahr erkennt, vermag jedoch nicht zu intervenieren, weil sie als Hexe verschrien ist und ihr niemand Glauben schenkt. Als starke, unabhängige Frau eckt sie pausenlos an, da sie ihrer Zeit weit voraus ist und daher keinen Platz in einer Gesellschaft findet, die ihr lediglich die Wahl zwischen Ehe oder Konvent lässt. Männer fühlen sich von ihrer Wildheit angezogen, schätzen diese allerdings nicht als kostenbaren Zug ihrer Persönlichkeit, sondern als Herausforderung. Sie wollen Vasja dominieren, zähmen oder gar brechen. Die potentiellen Prinzen enttäuschen. Dadurch hat sie keine andere Option, als das Konzept der Märchenprinzessin hinter sich zu lassen und selbst zur Heldin zu werden, die sich übernatürlichen Mächten mutig entgegenstellt, um ihre Heimat zu retten. Die Finesse, mit der Katherine Arden die Heldenrolle ihres Romans an die Vorlage russischer Märchen – in denen weibliche Heldinnen keine Seltenheit sind – für ein westliches Publikum verdaulich anpasst, ist beeindruckend und lässt nicht erkennen, dass es sich um einen Erstling handelt. Wäre ihr Schreibstil noch ein wenig blumiger und greifbarer, hätte ich mich sogar zu einer 5-Sterne-Bewertung hinreißen lassen. Zwar harmonisiert die schnörkellose Schlichtheit ihrer Beschreibungen mit der Charakterisierung ihrer Protagonistin, doch da sie in „The Bear and the Nightingale“ auf eine actiongetriebene Handlung verzichtet und stattdessen ein ruhiges, gelassenes Tempo verfolgt, hätte mir ein Müh mehr Üppigkeit durchaus zugesagt. In einem Märchen darf es eben gern ein bisschen mehr sein.

 

„The Bear and the Nightingale“ bereitete mir unheimlich viel Freude. Bezaubert von der speziellen Aura des Buches, die bewusst an ein russisches Märchen erinnert, flog ich durch die Seiten und wollte mich gar nicht mehr von Vasja trennen. Ich versank in dieser Welt eisiger Winde, tiefen Schnees, geheimnisvoller Wälder und uralter Magie und merkte gar nicht, wie viel mir Katherine Arden beiläufig über die russische Kultur beibrachte. Ich habe das Gefühl, die berühmte „russische Seele“ jetzt wesentlich besser zu verstehen, weil ich ihre Wurzeln besuchen durfte.
Es war die richtige Entscheidung, an „The Bear and the Nightingale“ zu glauben. Ich bereue nicht, auch die Fortsetzung „The Girl in the Tower“ bei Netgalley angefragt zu haben und freue mich jetzt, direkt weiterlesen zu können. Welche Abenteuer Vasja auch immer erwarten mögen – ich bin an ihrer Seite.

 

Vielen Dank an den Verlag Ebury Publishing und Netgalley für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/12/20/katherine-arden-the-bear-and-the-nightingale
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