logo
Wrong email address or username
Wrong email address or username
Incorrect verification code
back to top
Search tags: christentum
Load new posts () and activity
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2017-12-20 12:12
Väterchen Frost und die wilde Maid
The Bear and the Nightingale: A Novel - Katherine Arden

Die texanische Autorin Katherine Arden besitzt einen Abschluss in französischer und russischer Literatur. Als man sie fragte, warum sie diese akademische Laufbahn einschlug, antwortete sie, ihr größter Antrieb sei ihre Liebe zum Reisen gewesen. In der High-School verbrachte sie ein Jahr in Frankreich und lebte vor ihrem Studium ein weiteres Jahr in Moskau. Fremdsprachen und die Möglichkeit, in eine andere Kultur einzutauchen, faszinieren sie. Angesichts dieses Hintergrundes war es naheliegend, als Schauplatz ihres ersten Romans „The Bear and the Nightingale“, Auftakt der „Winternight Trilogy“, Russland im 14. Jahrhundert zu wählen. Ich erhielt das Buch als Rezensionsexemplar via Netgalley.

 

Vasja ist nicht wie ihre Geschwister, ihr Vater oder die Menschen in ihrem ländlichen Haushalt. Sie besitzt die seltene Gabe, die Hausgeister, die ihr Volk seit Jahrhunderten schützen, zu sehen. Sie wächst in dem Wissen auf, dass all die Legenden und Märchen, die am Feuer in dunklen, kalten Nächten erzählt werden, wahr sind. Die Jahre vergehen. Aus einem ungestümen, frechen Mädchen wird eine junge Frau wilder Schönheit, die ihre Freiheit ebenso liebt wie ihre Familie. Besorgt beobachtet Vasja den zunehmenden Einfluss der orthodoxen Kirche, die Angst schürt und den Glauben an die Wächter ihrer Heimat erstickt. Die Macht der Geister schwindet. Tief im Wald regt sich das Böse. Der Bär erwacht aus seinem Schlummer. Nur sein Bruder, der Winterkönig Morozko, kann ihn erneut in Schlaf versetzen und das Land vor seiner Niedertracht bewahren. Doch auch Morozko ist nicht mehr, wer er einst war. Er braucht die Hilfe einer wilden Maid, um seinem Bruder Einhalt zu gebieten. Eine Maid, mit Wind in ihren Haaren und Magie in ihrem Herzen – Vasja.

 

Ich liebe den aktuellen Trend der Urban Fantasy, zu ihren Wurzeln zurückzukehren und wieder richtige Märchen zu erzählen, statt die millionste Variante der Vampir- oder Werwolf-Romanze aufzukochen. Es ist großartig, weil es so viele Möglichkeiten eröffnet. „The Bear and the Nightingale“ ist ein Märchen. Es verbindet das Übernatürliche erfrischend natürlich mit der historischen Realität des Settings, indem es sich ausschließlich auf die russische Folklore und Mythologie stützt. Im 14. Jahrhundert war an das Russland, das wir heute kennen, noch nicht zu denken. Katherine Arden entführt ihre Leser_innen in eine Zeit, in der sich das Wort „Zar“ noch auf den byzantinischen Imperator in Konstantinopel bezog und orthodoxes Christentum und heidnische Gebräuche parallel existierten. Es war völlig normal, gleichermaßen vor Ikonen zu beten und die zahlreichen Hausgeister mit verschiedenen Gaben gütig zu stimmen. Ich wusste vor der Lektüre nicht, wie vielseitig, komplex und spezifisch die russische Folklore ist. Im vorchristlichen Glaubenssystem finden sich für jede Kleinigkeit schützende Entitäten, die fest mit dem Alltag der Menschen verbunden waren und ganz selbstverständlich geehrt wurden, besonders fernab der Städte. Die Kirche sah sich von diesem Brauchtum bedroht, ein Umstand, den Katherine Arden anhand der Schwierigkeiten, mit denen ihre magisch talentierte Protagonistin Vasja konfrontiert ist, subtil und überzeugend illustriert. Der christliche Anspruch auf ein religiöses Monopol stört das Gleichgewicht des Lebens auf dem Land, das die Autorin wunderbar atmosphärisch in all seinen der rauen Natur unterworfenen Facetten porträtiert. Sie öffnet die Tür für ein uraltes Übel. Vasja ist die einzige, die die Gefahr erkennt, vermag jedoch nicht zu intervenieren, weil sie als Hexe verschrien ist und ihr niemand Glauben schenkt. Als starke, unabhängige Frau eckt sie pausenlos an, da sie ihrer Zeit weit voraus ist und daher keinen Platz in einer Gesellschaft findet, die ihr lediglich die Wahl zwischen Ehe oder Konvent lässt. Männer fühlen sich von ihrer Wildheit angezogen, schätzen diese allerdings nicht als kostenbaren Zug ihrer Persönlichkeit, sondern als Herausforderung. Sie wollen Vasja dominieren, zähmen oder gar brechen. Die potentiellen Prinzen enttäuschen. Dadurch hat sie keine andere Option, als das Konzept der Märchenprinzessin hinter sich zu lassen und selbst zur Heldin zu werden, die sich übernatürlichen Mächten mutig entgegenstellt, um ihre Heimat zu retten. Die Finesse, mit der Katherine Arden die Heldenrolle ihres Romans an die Vorlage russischer Märchen – in denen weibliche Heldinnen keine Seltenheit sind – für ein westliches Publikum verdaulich anpasst, ist beeindruckend und lässt nicht erkennen, dass es sich um einen Erstling handelt. Wäre ihr Schreibstil noch ein wenig blumiger und greifbarer, hätte ich mich sogar zu einer 5-Sterne-Bewertung hinreißen lassen. Zwar harmonisiert die schnörkellose Schlichtheit ihrer Beschreibungen mit der Charakterisierung ihrer Protagonistin, doch da sie in „The Bear and the Nightingale“ auf eine actiongetriebene Handlung verzichtet und stattdessen ein ruhiges, gelassenes Tempo verfolgt, hätte mir ein Müh mehr Üppigkeit durchaus zugesagt. In einem Märchen darf es eben gern ein bisschen mehr sein.

 

„The Bear and the Nightingale“ bereitete mir unheimlich viel Freude. Bezaubert von der speziellen Aura des Buches, die bewusst an ein russisches Märchen erinnert, flog ich durch die Seiten und wollte mich gar nicht mehr von Vasja trennen. Ich versank in dieser Welt eisiger Winde, tiefen Schnees, geheimnisvoller Wälder und uralter Magie und merkte gar nicht, wie viel mir Katherine Arden beiläufig über die russische Kultur beibrachte. Ich habe das Gefühl, die berühmte „russische Seele“ jetzt wesentlich besser zu verstehen, weil ich ihre Wurzeln besuchen durfte.
Es war die richtige Entscheidung, an „The Bear and the Nightingale“ zu glauben. Ich bereue nicht, auch die Fortsetzung „The Girl in the Tower“ bei Netgalley angefragt zu haben und freue mich jetzt, direkt weiterlesen zu können. Welche Abenteuer Vasja auch immer erwarten mögen – ich bin an ihrer Seite.

 

Vielen Dank an den Verlag Ebury Publishing und Netgalley für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/12/20/katherine-arden-the-bear-and-the-nightingale
Like Reblog Comment
review 2016-04-02 11:54
"ungläubiges" Staunen
Ungläubiges Staunen: Über das Christentum - Navid Kermani

Ich hatte ehrlich gesagt gar keine keine Erwartungen an dieses Buch. Ich habe sonst nichts von Navid Kermani gelesen und Rezensionen zu diesem Buch kannte ich auch keine :)

Ich habe das Buch in die Hand genommen, weil ich das Cover schön fand, und der Klappentext hat mich neugierig gemacht.

Im Grunde genommen ist der Titel Programm. :) Kermani beschreibt seine Begegnung mit zentralen christlichen Kunstwerken – und ich muss sagen, es ist interessant, diese nicht-christliche „Außensicht“ zu lesen.

Vor allem, wenn man wie ich katholisch aufgewachsen ist, sind die Motive vertraut. :) Und dann sieht man mit dem Autor die Bilder plötzlich komplett neu. Kermani betrachtet die Kunstwerke sehr persönlich und emotional; die theologische Deutung kommt dabei zur Sprache, tritt aber in den Hintergrund, und gerade das finde ich reizvoll.

Like Reblog Comment
review 2015-04-25 17:18
Eine Geschichte über Glaube, Liebe und Familie - so amerikanisch wie Apple Pie
Vivian Versus The Apocalypse - Katie Coyle

„Vivian versus the Apocalypse“ habe ich dem Rolling Stone zu verdanken. Genauer gesagt, der Young Adult Bestenliste des Rolling Stone. Ohne diese Zusammenstellung fabelhafter Jugendbücher wäre ich wohl nicht darauf gestoßen, denn ich hatte weder vom Buch selbst noch von der Autorin Katie Coyle vorher gehört. Die Entstehungsgeschichte des Buches erscheint mir ein bisschen wie ein Märchen: eine junge Amerikanerin voller Zukunftsängste bewirbt sich aufgrund eines Posts auf Neil Gaimans tumblr-Seite auf den Young Writers Prize des britischen Verlags Hot Key Books. Sie sendet eine Kurzgeschichte ein, die schon seit Jahren in ihrer Schublade lag; von der sie aber wusste, dass ihr Wesen viel größer ist, als ein paar Seiten erfassen könnten. Aus der Kurzgeschichte strickte sie einen ganzen Roman – und gewann. So kam es, dass eine amerikanische Autorin in Großbritannien ihr Debüt veröffentliche, das inhaltlich so amerikanisch ist wie Apple Pie.

 

Vivian Apple glaubte nie an die Lehren der Church of America. Selbst dann nicht, als ihre Eltern konvertierten. Sie glaubte nicht daran, dass Gott Amerika aufgegeben habe und auch nicht, dass die Rapture – die Entzückung – kurz bevor stehe, die alle wahren Gläubigen in den Himmel erheben würde, während Zweifler und Sünder auf ewig verdammt auf der Erde zurück bleiben würden. Vivian glaubte nicht. Bis sie am Morgen der Rapture von einer Party heim kommt und das Haus leer vorfindet. Ihre Eltern sind verschwunden und alles, was blieb, sind zwei Löcher in der Decke ihres Schlafzimmers. Plötzlich ist sie eine Waise. Doch sind ihre Eltern tatsächlich aufgestiegen? Was steckt wirklich hinter der Church of America? Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Harp und dem warmherzigen Peter wagt Vivian einen Roadtrip quer durch Amerika, auf der Suche nach der letzten Familie, die sie noch hat und auf der Suche nach der Wahrheit.

 

Ich finde, „Vivian versus the Apocalypse“ steht zurecht auf der YA-Bestenliste des Rolling Stone. Es überzeugte mich voll und ganz. Katie Coyle bewies mit diesem Roman einen kritischen, unvoreingenommenen Blick auf die amerikanische Seele, den ich in dieser Art bisher noch nicht erleben durfte. Ihre Auseinandersetzung mit dem amerikanischem Glauben durch die Church of America ist nicht nur äußerst differenziert, sondern auch überaus ehrlich. Es ist, als hätte sie – selbst US-Bürgerin – sich zwei entscheidende Fragen gestellt. Wie glauben wir? Wie ist das amerikanische Christentum charakterisiert? Möchte man „Vivian versus the Apocalypse“ als eine Antwort auf diese Fragen verstehen, kann diese nur lauten: kapitalorientiert, heuchlerisch und größenwahnsinnig. Nach den Lehren der Church of America sind die Amerikaner Gottes besondere Lieblinge und der Kapitalismus die einzig wahre Art, ihn zu ehren. Dass diese Ansichten nur schwer mit dem ursprünglichen christlichen Glauben vereinbar sind, spielt keine Rolle, denn passend zum neuen Glauben gibt es auch einen neuen Propheten, der eine neue Bibel geschrieben hat: Beaton Frick. Nahezu das ganze Land huldigt ihm und verteidigt seine Dogmen verbissen und notfalls mit Gewalt, vom Präsidenten bis zu den Eltern der Protagonistin und Ich-Erzählerin Vivian Apple. Die LeserInnen lernen Vivians Eltern (fast) nicht persönlich kennen, doch durch Vivians Erzählungen und durch die Wahrheiten, die sie im Laufe der Geschichte aufdeckt, erhielt ich trotzdem einen Eindruck ihrer Beziehung. Ich empfand diese als seltsam, weil es sich für mich anfühlte, als hätte Vivian nie richtig dazu gehört. Normalerweise sollte eine Familie eine Einheit bilden, aber im Fall der Apples konnte ich keine besondere emotionale Bindung der Eltern zu ihrem Kind erkennen; als wäre Vivian eher ein Eindringling in ihre Beziehung, als hätten sie sie nie wirklich hineingelassen. Im Nachhinein erklärte diese seltsame Beziehung ihre Entscheidung, sich ganz dem Frick’schen Glauben hinzugeben und ihre Tochter bewusst allein zurückzulassen. So negativ diese Erfahrung für Vivian war, war sie vermutlich doch das Beste, was ihr als Persönlichkeit passieren konnte. Nicht nur entwickelt sie sich während des Roadtrips unglaublich und wächst wahrhaft über sich hinaus, sie erkennt auch, was eine Familie eigentlich ausmacht: für einander da zu sein.

 

„Vivian versus the Apocalypse“ hat mir sehr gut gefallen, denn die Autorin Katie Coyle stellt sich darin unerschrocken den ganz großen Fragen des Lebens. Es ist gefühlsbetont, spannend und nachdenklich; zeigt, was fehlgeleiteter Glaube anrichten kann und betont, wie wichtig es ist, selbst herauszufinden, was es bedeutet, ein guter Mensch zu sein und nicht blind den Doktrinen anderer zu folgen. Trotz einiger actionreicher Szenen ist dieser Roman im Großen und Ganzen sanft und ruhig; Coyle schreibt nicht überhastet, sondern setzt auf leises, aber bedeutungsvolles Erkennen. Ihre mutige Protagonistin Vivian ist eine Art moderner Prometheus, bestrebt, den Amerikanern die Wahrheit zu offenbaren. Ihre Reise ist mit diesem Buch allerdings noch nicht abgeschlossen – es gibt einen zweiten Band „Vivian versus America“, den ich nun auch auf jeden Fall lesen möchte.
Ich denke, dass „Vivian versus the Apocalypse“ von LeserInnen jeder Altersklasse gelesen werden kann, obwohl es ein YA-Roman ist. Glaube, Liebe, Familie – das sind Themen, die uns alle beschäftigen, unabhängig vom Alter.

Like Reblog Comment
review 2014-07-03 09:39
Die Geschichte eines Fanatikers
Gottes Kleiner Krieger: Roman - Kiran Na... Gottes Kleiner Krieger: Roman - Kiran Nagarkar,Giovanni Bandini,Ditte Bandini

Habt ihr euch schon einmal gefragt, wie ein Mensch zu einem religiösen Extremisten werden kann? Spätestens seit dem 11. September 2001 ist religiös motivierter Terrorismus und der radikale Glaubenskrieg tief und schmerzhaft im öffentlichen Bewusstsein verankert. Wir erleben die Konsequenzen tagtäglich: verschärfte Sicherheitskontrollen an Flughäfen, Überwachung und Kriege in weiten Teilen der Welt. Tatsächlich ist die Anzahl der Kriege auf der Welt aktuell so hoch wie schon seit 1945 nicht mehr. Al-Qaida, die radikal-islamische Hamas, Boko Haram. In regelmäßigen Abständen werden uns die Namen dieser Gruppierungen um die Ohren gehauen. Doch was für Menschen engagieren sich in solchen Netzwerken? Wie ticken sie? Und wie betätigen sich die scheinbar friedlichen Glaubenskämpfer, die eben nicht in den Nachrichten landen?

 

Kiran Nagarkars Roman „Gottes Kleiner Krieger“ beantwortet diese Fragen mit der Lebensgeschichte des Inders Zia Khan. Von Kindesbeinen an ist er überzeugt, der nächste Erlöser und Prophet des Islam zu sein. Als Sohn eines erfolgreichen Architekten wächst er behütet auf, steht jedoch in ständiger Konkurrenz zu seinem älteren Bruder Amanat. Als die Firma seines Vaters Konkurs anmelden muss und Zafar Khan die Lizenz entzogen wird, muss die Familie in ein ärmeres Viertel in Bombay umziehen. Dank einer besonderen mathematischen Begabung wird Zia allerdings auf ein englisches Internat geschickt. Dort beginnt die abenteuerliche Geschichte seines Lebens. Zia studiert in Cambridge Wirtschaftswissenschaften, jagt Salman Rushdie, wird in den Bergen Afghanistans zum Terroristen, lechzt nach Vergebung und schließt sich einem christlichen Trappistenorden an. Während all der Zeit hält er Kontakt zu seinem Bruder, doch auch dieser kann ihn nicht von seinen Kreuzzügen abbringen. Denn Zia ist überzeugt, Gottes kleiner Krieger zu sein.

Zia Khan ist das beste Negativbeispiel für einen religiös überzeugten Menschen, das man sich nur vorstellen kann. Schon als Kind ist er aggressiv und extrem; das Konzept des Fanatismus zieht sich durch sein gesamtes Leben. Kiran Nagarkars Roman hat mich schockiert und aufgewühlt, er gewährte mir einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt eines überzeugten Gläubigen. Nagarkars Erzählstil steht dabei in krassem Gegensatz zu seinem Protagonisten: ruhig und ausgeglichen schildert er die heiß brennende Überzeugung, die Zia sein ganzes Leben begleitet.
Zia ist ein Einzelgänger, meist wird er respektiert und bewundert, aber nie wahrhaft geliebt, von seiner Familie einmal abgesehen. Alle Menschen, die versuchen, eine echte Bindung zu ihm aufzubauen, hält er auf Abstand; er bleibt innerlich stets für sich selbst und lässt niemanden rein. Im Nachhinein betrachtet überrascht es mich daher nicht, dass auch ich mich nie mit Zia identifizieren konnte. Er ist ein so sturer, verstockter, intoleranter und idealistischer Charakter, dass ich nie die Chance erhalten habe, mich ihm wahrhaft anzunähern. Umso wichtiger ist die Rolle, die Zias Bruder Amanat einnimmt: er erdet die Geschichte, setzt sie in ein realistisches Verhältnis. Amanat macht den LeserInnen erst deutlich, wie abstrakt und surreal Zias Ziele und Pläne sind. Während Zia immer etwas ober- oder außerhalb der Realität zu schweben scheint und seine Entscheidungen oft so weit hergeholt wirken, rackert sich Amanat sein Leben lang mühsam ab; ein Kampf gegen Windmühlen. All sein Tun ist trotz dessen dem Erschaffen gewidmet, wohingegen man Zia kurz als Zerstörer betiteln kann. Ich bin davon überzeugt, einige soziopathische Züge (dissoziale Persönlichkeitsstörung) an ihm entdeckt zu haben. Er ist von allumfassendem Egoismus geleitet, obwohl er beharrlich behauptet, seine Motivation läge darin, andere zu retten und zu bekehren. Das ist schlicht nicht wahr, Zia belügt sich selbst. Es geht ihm nie um das große Ganze, zeitlebens ist sein einziges Anliegen sein eigenes Seelenheil. Dabei schreckt er vor nichts zurück; er ist ein Terrorist, ein Mörder, ein Folterer, Extremist und Radikaler. Auch in diesem Punkt beeindruckte mich Kiran Nagarkar, denn er widerstand der Versuchung all diese Eigenschaften auszuschlachten. „Gottes Kleiner Krieger“ ist vieles, aber niemals voyeuristisch.

 

Dieser Roman vermittelte mir einen intensiven Eindruck einer Welt, die ich wohl nie völlig verstehen werde. Kiran Nagarkar hat mir viel über die Bedeutung des Glaubens für einige Menschen beigebracht und ganz nebenbei meine Kenntnisse in Weltgeschichte von unten aufgefrischt. In gewisser Weise war es für mich das Gegenbuch zu „Schiffbruch mit Tiger“ von Yann Martel.
Es ist schwer, für dieses Buch eine Empfehlung auszusprechen, da es thematisch äußerst speziell ist. In meinen Augen müssen interessierte LeserInnen den festen Vorsatz haben, sich auf Zias krasses Leben einzulassen und sich dabei nicht von seinem Fanatismus abschrecken zu lassen. Zia ist keine sympathische, austauschbare Figur, er ist ein höchst individueller, komplexer Charakter und seine Geschichte ist auf schockierende Weise außergewöhnlich. Überlegt euch gut, ob so ein Buch euren Geschmack trifft, bevor ihr zu „Gottes Kleiner Krieger“ greift.
Schließen möchte ich mit einem Zitat von Amanat, welches das Buch in meinen Augen punktgenau beschreibt:

 

„Auch Du bist […] Deiner Religion treu geblieben: der Religion des Extremismus.“
(„Gottes Kleiner Krieger“, S. 651)

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2014/07/03/kiran-nagarkar-gottes-kleiner-krieger
More posts
Your Dashboard view:
Need help?