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review 2025-04-04 10:33
Der 4. August, ein vielfacher Jahrestag
Frau im Mond - Pierre Jarawan

Die Zwillinge Lilit und Lina el Shami wachsen bei ihrem Großvater Maroun in Montréal (Kanada) auf. Vor drei Generationen sind ihre libanesischen Vorfahren ausgewandert. Als die Schwestern eine alte Postkarte von ihrer Großmutter Anoush finden, beginnen sie, sich für ihre Herkunft zu interessieren. Fragen tauchen plötzlich auf: Warum haben es dem Großvater Raketen angetan? Was hat es mit dieser Frau im Mond, die im Text der Postkarte erwähnt wird, auf sich? Lilit startet eine Recherche und folgt den Spuren bis nach Beirut (Libanon)…

 

„Frau im Mond“ ist ein Roman von Pierre Jarawan.

 

Die Struktur ist, wie bei Jarawan gewohnt, verschachtelt und sehr durchdacht: Der Roman besteht aus drei Teilen, benannt nach den Stufen einer Rakete. Die 50 Kapitel sind nummeriert, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, um einen Countdown nachzuahmen. Die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte. Erzählt wird vorwiegend in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lilit, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern mit zahlreichen zeitlichen Sprüngen.

 

Das Personal des Romans ist unerwartet umfangreich. Der Fokus liegt allerdings auf Lilit und ihrer Familie. Die Figuren machen einen lebensnahen Eindruck und verfügen über psychologische Tiefe.

 

Auf der inhaltlichen Ebene hat der Roman zwei Schwerpunkte: Zum einen ist er ein unterhaltsames Familienepos, zum anderen eine interessante Auseinandersetzung mit zwei historischen bedeutsamen Ereignissen im Libanon: der Start einer Weltraumrakete im Jahr 1966 und die Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020.

 

Auf den fast 500 Seiten werden die Themen geschickt miteinander verknüpft. Die Handlung ist sowohl schlüssig als auch kurzweilig. Sie hält Überraschungen bereit.

 

Die sorgfältige und fundierte Recherche des Autors wird immer wieder deutlich, nicht erst in der ausführlichen und interessanten Danksagung. Löblicherweise hat er zudem eine Nachbemerkung verfasst, die die Geschichte um weitere historische Details ergänzt. Ein tolles Extra sind außerdem die beiden Fotos am Ende des Buches, die der Autor selbst angefertigt hat.

 

Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich das Buch überzeugt, wenn auch nicht so sehr begeistert wie die beiden ersten Romane des Autors. Die Dialoge wirken lebhaft und authentisch. Die Beschreibungen sind anschaulich und atmosphärisch. Erneut stellt Jarawan sein erzählerisches Können unter Beweis.

 

Die Covergestaltung wirkt auf mich aufgrund des Designs, das an eine Collage erinnert, etwas unruhig. Sie passt aber genauso wie der Titel gut zur Geschichte.

 

Mein Fazit:
Zum dritten Mal ist Pierre Jarawan ein äußerst lesenswerter Roman gelungen, der zugleich aufklärt und hervorragend unterhält. Auch „Frau im Mond“ wird mir noch lange in positiver Erinnerung bleiben. Große Empfehlung!

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review 2022-11-08 20:34
Deckname: Hornclaw
Frau mit Messer - Gu Byeong-mo

Ihr Deckname ist Hornclaw. Sie ist Mitte 60 und gehört noch lange nicht zum alten Eisen. Die Auftragskillerin denkt nicht daran, ihren Job an den Nagel zu hängen. Doch das Alter lässt sie milde werden, was sie in Schwierigkeiten bringt…

 

„Frau mit Messer“ ist ein Roman von Gu Byeong-Mo.

 

Meine Meinung:
Der Roman umfasst elf Kapitel, die sich in mehrere Abschnitte gliedern. Erzählt wird chronologisch im Präsens aus der Perspektive von Hornclaw, jedoch unterbrochen von Rückblicken.

 

In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman überzeugt. Der Schreibstil ist unaufgeregt, aber fesselnd, schnörkellos und gradlinig, aber auch intensiv und atmosphärisch.

 

Was den Inhalt angeht, ist vor allem die Protagonistin an sich ein reizvolles Element. Eine interessante Figur, die sowohl speziell als auch authentisch wirkt.

 

Die Geschichte ist eine Mischung aus Porträt, Spannungsroman und Gesellschaftspanorama. Gut gefallen hat mir, dass hier viele tiefgreifende Fragen aufgeworfen werden. Zum Beispiel: Wer verdient es zu sterben, wer zu leben? Was ist moralisch verwerflich? Woran krankt die Welt? Somit ist der Roman facettenreicher und tiefgründiger als vermutet und regt zum Nachdenken an.

 

Auf den knapp 300 Seiten bleibt auch der Nervenkitzel nicht außen vor, tritt allerdings stellenweise in den Hintergrund. Nur wenige Passagen jedoch sind für meinen Geschmack zu langatmig geworden.

 

Das knallige, moderne Cover sticht hervor und ist durchaus passend. Der prägnante Titel ist ebenfalls nicht die schlechteste Wahl.

 

Mein Fazit:
Wer eine ungewöhnliche Geschichte zum Thema Auftragsmord lesen möchte, ist mit „Frau mit Messer“ von Gu Byeong-Mo sehr gut bedient. Eine empfehlenswerte Lektüre für alle, für die es nicht immer der 08/15-Krimi sein muss.

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review SPOILER ALERT! 2021-03-16 22:25
Die rote Frau von Alex Beer
Die rote Frau: Ein Fall für August Emmerich - Kriminalroman (Die Kriminalinspektor-Emmerich-Reihe, Band 2) - Alex Beer

3 Monate sind Emmerich und sein Assistent nun bei der Abteilung Leib und Leben - und dort nur glorifizierte Sekretäre. Zumindest bis der neue Chef der Abteilung die beiden dazu verdammt, den Fluch, der auf einer Schauspielerin zu liegen scheint, zu beseitigen, während sich die Kollegen auf den Mord an einem Politiker und Wohltäter konzentrieren. Dieser Fall erhält für Emmerich eine besondere Brisanz, als einer seiner Wohnheimkollegen als Täter verhaftet wird...

Dieser zweite Teil der Emmerich-Reihe gefiel mir noch bedeutend mehr als der erste, was wohl daran liegt, dass Beer nicht viel Zeit mehr mit der Vorstellung der Protagonisten verschwenden muss, sondern gleich in medias res geht.

Der Einblick in die junge Republik ist um einiges schärfer als noch im ersten Teil, die Not größer und spürbarer - sei es Emmerichs Wohnstätte, sei es die Situation um seine Wahlfamilie, seien es auch die Ereignisse rund um den Fall, der die 2 Philosophien "Verbesserung der Not für die Notleidenden (und dadurch für alle)" vs "Verbesserung der Not, indem man Unerwünschte... ja... krepieren lässt und sich auf die konzentriert, die das Volk als ganzes weiterbringen" schließlich gegenüber stellt. Im Wissen, was darauf geschichtlich gefolgt ist, eine sehr interessante und brisante Auseinandersetzung.

Kurzum, ein spannender, durchaus vielschichtiger Roman. Gelungen!

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review 2019-11-13 10:41
Ziehen Sie nach Stepford - vergessen Sie Feminismus!
The Stepford Wives - Ira Levin

„The Stepford Wives“ von Ira Levin erschien 1972. Damit fiel die Veröffentlichung zufällig (?) in das Jahr, in dem das Equal Rights Amendment vom US-Senat angenommen wurde. Dieser Verfassungszusatz sollte die Gleichstellung der Geschlechter in den USA vorantreiben und Frauen weitreichende Rechte zusichern, stieß in den Bundesstaaten jedoch auf erbitterten Widerstand. Gegner_innen des ERA beriefen sich auf traditionelle Geschlechterrollen, prophezeiten, dass Frauen zum Militärdienst gezwungen und schützende Gesetze, die zum Beispiel Unterhaltsansprüche regelten, null und nichtig würden. Phyllis Schlafly, eine der Schlüsselfiguren der Oppositionsbewegung, behauptete, der Zusatz sei lediglich ein Vorteil für junge Karrierefrauen, der die Sicherheit von Hausfrauen im mittleren Alter, die keinen Beruf erlernt hatten, hingegen bedrohte. In diesem Kontext war „The Stepford Wives“ beinahe prophetisch, denn darin geht es um eben jene Hausfrauen, die Schlafly gefährdet sah.

 

Als Joanna und Walter Eberhart mit ihren Kindern nach Stepford zogen, hofften sie, ein neues Leben fernab vom Trubel der großen Stadt beginnen zu können. Stepford ist ein malerisches Idyll ruhiger Straßen und freundlicher Nachbarn, ein Paradies des gehobenen Mittelstandes. Doch während sich die Kinder schnell einleben und Walter Anschluss in der exklusiven Men’s Association findet, wird Joanna das Gefühl nicht los, dass sich hinter der lächelnden Fassade des Örtchens ein schmutziges Geheimnis verbirgt. Es sind die Frauen. Sie sind nett und höflich, aber sie scheinen neben der obsessiven Erfüllung ihrer Haushaltspflichten keine Interessen zu haben. Sie sind zu perfekt. Irgendetwas stimmt nicht in Stepford und Joanna muss herausfinden, was vor sich geht – bevor es zu spät ist.

 

„The Stepford Wives“ ist ein feines Kleinod feministischer Literatur, das vermutlich viel zu oft übersehen, vergessen oder missverstanden wird. Es ist ein knackiger, pointierter Klassiker der Science-Fiction, der vollkommen auf das Wesentliche destilliert ist und demzufolge darauf schließen lässt, dass Ira Levin unglaublich selbstkritisch gewesen sein muss. Ich bestaune die Ökonomie dieses Buches, das sicher zahllose Überarbeitungen durchlief, um kein einziges überflüssiges Wort zu enthalten. Jede Szene ist bewusst integriert, schmückendes Beiwerk sucht man vergeblich. Dennoch liest es sich leicht, flüssig und keineswegs konstruiert, weshalb man beinahe Gefahr läuft, es als belanglos abzustempeln. Beinahe. Denn oh, hinter Levins präzisem Schreibstil verbirgt sich eine beklemmende Geschichte, die lupenreine feministische Kritik an den traditionellen Genderrollen übt. Die Protagonistin Joanna Eberhart ist eine ganz normale Hausfrau und Mutter. Sie führt eine glückliche Ehe, pflegt ein paar Hobbys und erfüllt ihre Pflichten zuverlässig. Doch kaum, dass sie mit ihrer Familie in der US-amerikanischen Vorstadtidylle Stepfords angekommen ist, muss sie feststellen, dass sie ungenügend ist. Ihre überdurchschnittlich attraktiven Nachbarinnen leben ein Maß an Perfektion vor, mit dem sie nicht konkurrieren kann: sie absolvieren Haushaltsaufgaben mit unmenschlicher, pedantischer Disziplin und zeigen keinerlei Interesse an sozialen Kontakten oder einer individuellen Freizeitgestaltung, wodurch sich bei Joanna und den Leser_innen schnell das Bewusstsein einschleicht, dass es in Stepford nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Diese Ahnung entwickelt sich bald zur Gewissheit; Levin verband geschickt diskrete Hinweise und drastische Vorkommnisse, um seine Leserschaft zu befähigen, eigene Schlüsse zu ziehen und zu erkennen, dass Joanna in Gefahr schwebt. Das leise Ticken einer Uhr, eines Countdowns für die Protagonistin begleitet die Geschichte von „The Stepford Wives“ unaufdringlich, sodass beispielsweise die subtile, graduelle Verschiebung in Joannas Beziehung zu ihrem Ehemann Walter zuerst gar nicht auffällt. Langsam verbringt er immer mehr Zeit in der nebulösen „Men’s Association“ und strahlt zunehmend eine vage Unzufriedenheit aus, die er niemals konkret benennt. Wieder ist es den Leser_innen überlassen, sich den Einfluss dieses „Männer-Clubs“ auszumalen. Spannung entsteht in „The Stepford Wives“ durch die eigene Fantasie, durch Andeutungen und Vermutungen, nicht durch klare Aussagen des Autors. Dennoch lässt Levins Inszenierung keine Zweifel daran aufkommen, dass alle verdächtigen Anhaltspunkte in der „Men’s Association“ zusammenlaufen. Ohne den Fokus von den unnatürlich agierenden Hausfrauen abzulenken, offenbarte er auf diese Weise unmissverständlich, wer das wahre Ziel seiner überspitzten Satire ist: ihre Ehemänner. Die Idee einer Stadt voller perfekter Gattinnen, die überholten, sexistischen und stereotypen Männerfantasien entsprechen, ist wohl kaum einem weiblichen Hirn entsprungen.

 

1972 griff „The Stepford Wives“ den Zeitgeist auf. Ob Ira Levin ahnte, dass sein Roman bis heute relevant sein würde, bleibt Spekulation. Das Buch wird niemals an Aktualität einbüßen, solange traditionelle Genderrollen verteidigt und unterstützt werden. Es ist brillant. Levin erzielte mit minimalen Mitteln maximale Wirkung, weil er Implikationen konkreten Erklärungen vorzog. Indem er die Handlung absichtlich auf blinden Flecken und wohlplatzierten Anspielungen aufbaute, erhöhte er das unheimliche Potential seiner Geschichte. Diese akkurate, kontrollierte Konstruktion erforderte Disziplin und ein exaktes Gespür für subtile Manipulationen, aber auch den Mut, sich auf die Vorstellungskraft der Leser_innen zu verlassen. Dafür bewundere ich Levin zutiefst. Schade ist lediglich, dass „The Stepford Wives“ bei Verfechter_innen klassischer Geschlechterrollen vermutlich nicht auf fruchtbaren Boden fallen wird. Nur, wer Emanzipation offen gegenübersteht, wird erkennen, dass Stepford kein Paradies ist, sondern ein Albtraum.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/11/13/ira-levin-the-stepford-wives
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text 2019-05-08 10:11
Gegen Vergewaltigungsmythen & Victim Blaming
All the Rage - Courtney Summers

Die kanadische Young Adult – Autorin Courtney Summers ist dafür bekannt, über schwierige Protagonistinnen zu schreiben, die schwierige Erlebnisse verarbeiten. Ihre Hauptfiguren werden eingangs oft als unsympathisch eingeschätzt. Das ist kein Zufall. Summers bemüht sich, realistische weibliche Charaktere zu konstruieren, die die gesellschaftliche Auffassung in Frage stellen, Mädchen müssten stets nett und liebenswürdig sein, um Empathie und Aufmerksamkeit zu verdienen. Sie zeigt bewusst komplexe Persönlichkeiten, keine Stereotypen und das schließt eben auch unangenehme Facetten ein. Mit „All the Rage“ übt Summers Kritik an der Rape Culture, die junge Frauen viel zu oft allein lässt.

 

Rote Lippen, rote Nägel. Ein Markenzeichen. Eine Rüstung, hinter der sich Romy Grey versteckt, weil ihr niemand glauben wollte. Seit sie öffentlich bezeugte, was ihr der Sohn der Sheriffs Kellan Turner antat, ist sie in der Kleinstadt Grebe als Lügnerin und Flittchen verschrien. Alle hassen sie, ihre Freunde wandten sich ab. Verletzt, zornig und der ständigen Beleidigungen müde ist ihr einziger Lichtblick ihr Job in einem kleinen Diner außerhalb des Orts. Hier kennt sie niemand, hier kann sie atmen. Doch eines Abends sitzt Penny an einem ihrer Tische – ihre ehemals beste Freundin, die sie zu dem Date überredete, das ihr Leben ruinierte. Die sie fallen ließ. Romy traut ihren Ohren kaum, als Penny ihr vorschlägt, Kellan anzuzeigen. Angeblich belästigte er auch andere Mädchen. Romy ist unfähig, zu reagieren. Einen Tag später wird Penny vermisst. Romy ahnt, dass ihr etwas Furchtbares zugestoßen ist. Sie muss sich entscheiden: wird sie schweigen oder wird sie kämpfen für all die jungen Frauen, die die Gesellschaft im Stich lässt?

 

Die aktuelle #metoo-Debatte, die leider schon wieder an Momentum einbüßt, entlarvte unseren schockierend ignoranten Umgang mit sexualisierter Gewalt. Im Kontext der Diskussion wurden äußerst hässliche Aussagen getätigt, die zeigen, dass Victim Blaming und Vergewaltigungsmythen noch immer reflexartige Reaktionen sind. Vielleicht sollten diese Menschen, die Überzeugungen wie „Sie wollte es“ vertreten, „All the Rage“ von Courtney Summers lesen. Dieser bestürzend realistische Young Adult – Roman beschreibt einen Albtraum, der tragischerweise für jede Frau Wirklichkeit werden könnte: die Protagonistin Romy überlebt eine Vergewaltigung, findet den Mut, öffentlich darüber zu sprechen und wird als Lügnerin abgestempelt. Niemand glaubt ihr, außer ihren Eltern. Stattdessen wird sie in ihrer Kleinstadt Grebe geächtet, gedemütigt und drangsaliert, weil niemand wahrhaben möchte, dass der Täter, der Sohn des Sheriffs, fähig wäre, sich so zu verhalten. Das Kleinstadt-Setting potenziert Romys fatale Situation, denn in einem Ort, in dem sich alle seit Generationen kennen, erreicht die harsche Verurteilung, die Romy erfährt, ein destruktives, unnachgiebiges Niveau, das in einer Großstadt vermutlich nicht möglich wäre. Ich war schockiert, wie vorstellbar bösartig vor allem Romys ehemalige Freunde mit ihr umgehen. Die Affäre entwickelt eine giftige Eigendynamik; die Grenzen des Akzeptablen mutieren unkontrolliert, bis wahrscheinlich niemand mehr nachvollziehen kann, wann es okay wurde, Romy so grausam zu behandeln. Folglich muss die Ich-Erzählerin nicht nur das Trauma ihrer Vergewaltigung verarbeiten, sondern auch die brutalen Mobbingattacken ihrer Peiniger_innen. Courtney Summers spielt mit der Chronologie von „All the Rage“, um Romys Kampf mit vergangenen und gegenwärtigen Erlebnissen zu unterstreichen. Faktische zeitliche Abläufe sind weniger relevant als ihre subjektive Wahrnehmung, in der natürlich besonders der unverzeihliche Übergriff dauerhaft präsent ist. Gleiches gilt für den Täter, der zwar nicht persönlich in Erscheinung tritt, aber als Schatten im Hintergrund Romys Handlungen beeinflusst. Dennoch lässt sie nicht zu, dass er oder seine Tat sie definieren. Ich fand Romy bewundernswert stark und überhaupt nicht unsympathisch. Selbstverständlich ist sie verstört, beschämt und unsagbar zornig. In ihr kocht eine explosive Mischung schmutziger Gedanken und Gefühle. Wer kann es ihr verübeln? Sie verabscheut die Opferrolle, in die sie gedrängt wird und entwirft einige teils sehr ungesunde Bewältigungsmechanismen, doch ich hatte stets das Gefühl, dass sie sich mit eisernem Griff und purer Willenskraft an ihrer Identität festklammert. Romy ist immer noch Romy. Verändert haben sich alle anderen, die sie angreifen, beleidigen und fertigmachen. Sie ist bereit, sich ihren seelischen Wunden zu stellen und neue Verletzungen in Kauf zu nehmen – zuerst für Penny, die ihre Sorge eigentlich nicht einmal verdient, später allerdings ebenso für alle anderen Frauen, denen sie ähnlichen Kummer eventuell ersparen kann.

 

Die Tatsache, dass sich Vergewaltigungsmythen und Victim Blaming in unserer Gesellschaft noch immer halten, ist ein Armutszeugnis. Es macht mich stinkwütend. Ich bin es leid, unqualifizierte Meinungen zu hören oder zu lesen, die die verabscheuungswürdige Realität einer Vergewaltigung verkennen. Niemand möchte vergewaltigt werden. Niemals. Es geht dabei nicht um Lustgewinn. Es geht um Macht und Dominanz. Deshalb spricht man von sexualisierter Gewalt. Die Betroffenen erfahren ein Trauma, das sie zwingt, die Scherben ihrer Persönlichkeit aufzukehren und neu zusammenzusetzen. Bücher wie „All the Rage“ von Courtney Summers sind ein kleiner Hoffnungsschimmer in dem widerwärtigen Dickicht falscher Annahmen und Beschuldigungen. Die Autorin rüttelt auf, indem sie einfach die Wahrheit in all ihrer hässlichen Pracht zeigt. Das mag unbequem sein und einige Leser_innen unangenehm treffen, aber ganz offensichtlich ist es notwendig. Es wird Zeit, dass wir aufwachen und endlich begreifen, dass eine Vergewaltigung kein Kavaliersdelikt ist. Es ist ein Verbrechen – und manchmal vielleicht schlimmer als Mord.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/05/08/courtney-summers-all-the-rage
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