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review 2017-08-20 05:26
Guter Roman aber nicht grandios
Die Vertreibung aus der Hölle - Robert Menasse

Der Roman von Robert Menasse beginnnt in einer grosssartigen Ausgangskonstellation: Bei einem 25-jährigen Klassentreffen konfrontiert der Schüler Viktor - mittlerweile habilitierter Historiker - seine Lehrer mit ihrer Nazivergangenheit, indem er von den jeweiligen Mitgliedern des Lehrkörpers die NSDAP Mitgliedernummern vorliest. Das das gemütliche Beisammensein natürlich auf Grund dieser Aktion beendet ist, versteht sich von selbst. Dann erzählt der Autor aber bedauerlicherweise nicht diese Geschichte, die ich sehr gerne gehört hätte,  sondern eine völlig andere. In zwei unterschiedlichen Handlungssträngen wird zuerst eine Lebensgeschichte aus Portugal und Amsterdam konzipiert, die sich als jene von Viktors Vorfahren herausstellt, und weiters wird das gesamte Leben von Viktor bis zum Klassentreffen aufgerollt.

Dabei wird es stilistisch sehr mühsam. Der Switch zwischen den beiden Handlungssträngen ist mitunter derart abrupt, und wird auch nahezu jedesmal beim Wechsel angewandt, dass man sich als Leser oft gar nicht auskennt. Zuerst dachte ich noch an einen Fehler bzw. ein Stilmittel des Verlages, der einfach die Zeilenumbrüche nicht ausreichend zwischen Vergangenheit und Gegenwart gesetzt hat. Aber dann wurde es klar, dass dies vom Autor beabsichtigt war, denn einmal wurde die Gegenwart nur durch zwei Zeilen eingeschoben (S.86) und ein anderes Mal ging der Satz direkt ansatzlos vom Amsterdam des 17. Jahrhunderts über und wurde in der Jetztzeit beendet (S.479).
Was das bringen und wie dieses mühsame Stilmittel den Inhalt unterstützen bzw. vorantreiben soll, ist mir komplett schleierhaft, offensichtlich dürfte es die Analogie der Lebensbiografien in der Familie demonstrieren, die aber nicht wirklich vorhanden sind. Mich hat es nur genervt, da es so sinnentleert appliziert wird.

Ansonsten kann er ja sehr gut erzählen der Herr Menasse und präsentiert uns eine gute Geschichte vor allem von Viktors Ahnen aus Lissabon und Amsterdam im 17. Jahrhundert, aber auch das triste Wien der 60er bis 70er Jahre wird sehr punktgenau charakterisiert und seziert. Einige philosophische und reale Auseinandersetzungen in der linken Studentenszene sind auch sehr spannend zu lesen. Insbesondere die Opferung von Viktors Ruf in der Bewegung durch Renate als "Der Mann - das Schwein" schlechthin - stellvertretend für alle Männer.

Am Ende im Finale verpufft sowohl die Geschichte des Rabbis, der irgendwie zu plötzlich stirbt um seine Probleme zu lösen, als auch jene Nazi Story Viktors mit den Lehrern, die sich als Fake,  als Finte herausstellt.

Fazit: 3,5 Sterne aufgerundet auf 4 erstens wegen der Erzählkraft des Romans - obwohl ich perönlich eine völlig andere Geschichte vom Autor hören wollte - wegen der Leserquälung ohne Ziel, Sinn und Verstand beim Switch zwischen den Handlungssträngen und wegen des unausgegorenen Endes. Ein ganz gutes Buch - möglicherweise eines der besten des Autors - das kann ich nicht beurteilen, denn dies ist mein erster Robert Menasse. Ehrlich gesagt, gefällt mir das von seiner Schwester Vienna wesentlich besser. (Nachtrag auch sie ist stilistisch ein bisschen eigen und übt sich in der Leserverwirrung, was ihr bei mir die 5 Sterne gekostet hat ;-).

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review 2017-07-25 11:07
Ein ganzes Universum des Verbrechens
Neid: Thriller (Opcop-Gruppe, Band 3) - Arne Dahl

Der schwedische Autor Arne Dahl heißt eigentlich Jan Lennert Arnald. Ich vermute, dass er ein weiches Pseudonym nutzt, weil er seine schriftstellerische Tätigkeit von seiner Arbeit als Literaturwissenschaftler für die Schwedische Akademie, die jährlich den Nobelpreis für Literatur vergibt, trennen will. Aktuell gehört Arnald nicht zum Nobelkomitee und ich konnte leider nicht herausfinden, ob er in der Vergangenheit mit der Auswahl der Preisträger betraut war, aber die Vorstellung ist schon ziemlich cool.
Sein Pseudonym Arne Dahl, das meiner Ansicht nach übrigens wesentlich einprägsamer ist als Jan Lennert Arnald, kenne ich als Autor der politischen Thriller-Reihe „Opcop“, auf die mich mein Vater 2015 aufmerksam machte. Vom dritten Band „Neid“ erwartete ich erneut eine spannende, extrem intelligente Handlung voller politischer Implikationen.

 

Einem dänischen Wissenschaftler wird in Stockholm auf offener Straße die Kehle durchgeschnitten. Der Mord gleicht einer Hinrichtung, brutal, provokant und inszeniert. Der wichtigste Zeuge floh unbemerkt vom Tatort: ein rumänischer Bettler, der das Smartphone des Toten an sich nahm und jetzt im Besitz hochsensibler Daten ist, die ihn ebenfalls das Leben kosten könnten. Leider will der europäischen Operativeinheit Opcop niemand verraten, an welchem geheimen, brisanten Projekt der Wissenschaftler zuletzt arbeitete. Der verschwundene Rumäne ist ihre beste Spur, da Opcop bereits mit Hochdruck gegen die Bettlermafia und den europäischen Menschenhandel ermittelt.
Währenddessen wird die französische EU-Parlamentarierin Marianne Baillard mit kompromittierenden Fotos erpresst und bedroht. Sie plant, einen Gesetzesentwurf auf den Weg zu bringen, der ganz Europa verändern würde. Wer würde über Leichen gehen, um sie aufzuhalten?
Irgendwie sind beide Fälle miteinander verbunden. Nun liegt es bei der Opcop-Gruppe, herauszufinden, welche Parallelen bestehen, bevor weitere Menschen sterben.

 

Ich lese politische Thriller sehr gerne, insgesamt aber eher selten, weil die behandelten Themen meist viel Aufmerksamkeit erfordern und recht bedrückend sind. Wenn ich dann schon in der Stimmung bin und zu einem Buch dieser Sparte greife, sollte es mindestens so gut sein wie „Neid“ von Arne Dahl. Sein politisch-wirtschaftliches Verständnis ist unerreicht. Seine Kenntnis krimineller Machenschaften auf internationaler Ebene ist beeindruckend und beunruhigend. Er versäumt nie, mir das wahre Wesen der Welt vor Augen zu führen und mich die Prozesse hinter den Kulissen der realen, globalen Politik zu lehren. Ich bewundere ihn zutiefst, weil seine Romane stets in der Wirklichkeit verankert sind. Namen wie Viktor Orbán, Geert Wilders und Nicolas Sarkozy sind aus den Nachrichten bekannt. „Neid“ bietet meinem Empfinden nach weniger handfeste Action als die Vorgänger „Gier“ und „Zorn“, ist jedoch nicht minder spannend. Der beschriebene Fall ist äußerst verschachtelt; ich musste mir die verschiedenen Komponenten mental wiederholt vorbeten, um zu verstehen, wie alles zusammenhängt. Die komplexe Kombination unterschiedlicher Themen öffnet ein ganzes Universum des Verbrechens, das bei der Diskriminierung und Vertreibung der Roma beginnt, Menschenrechtsverletzungen wie Menschenhandel als Lappalie betrachtet und es sich schlussendlich im komplizierten Feld der Umweltpolitik bequem macht. Die geballte kriminelle Energie, die dieser Thriller darstellt, die Bereitschaft, Menschen schlimmstenfalls wie Vieh, bestenfalls wie Schachfiguren zu behandeln, überzeugte mich erneut davon, dass ich in der Politik niemals bestehen könnte. Zu wissen, wie schlecht unsere Welt ist und nur sehr wenig dagegen unternehmen zu können, würde mich enttäuschen, desillusionieren, zerstören. Meine Güte, es gibt da draußen Menschen, die dafür bezahlt werden, rechts-konservative Parteien dahingehend zu beraten, wie sie rechtsradikale Wähler_innen erreichen und für sich gewinnen können. Natürlich sollte mich das nicht überraschen, aber ich komme einfach nicht darüber hinweg. Es ist schockierend widerwärtig. Ich könnte so nicht leben. Ich könnte nicht leben wie Marianne Baillard, die bis zur totalen Erschöpfung gegen die Schattenspieler, die die EU klammheimlich übernommen haben, kämpft und doch nur minimale Unterstützung erhält. Sie tut das Richtige und wie wird es ihr gedankt? Mit Erpressung und Drohungen. In „Neid“ ist die Französin die bescheidene Heldin neben der Opcop-Gruppe, deren Mitglieder ohnehin einmalig und ehrfurchtgebietend klug sind. Durch sie vermittelt Arne Dahl ein scharfsinniges Bild der EU. Aus ihren Worten, die mich tief berührten, hörte ich die Stimme des Autors heraus, der mit schmerzhafter Klarheit erfasst, was die EU heutzutage ist und wie sie eigentlich sein sollte. Wie konnte aus einem Friedensprojekt für ein besseres, grenzübergreifendes Miteinander ein Sklavenschiff der Wirtschaft werden?

 

Falls ihr euch in die Gefilde politischer Thriller wagen möchtet, kann ich euch nur wärmstens empfehlen, es mit Arne Dahls „Opcop“-Reihe zu versuchen. Greift nicht zu Fitzek. Dahl ist meiner Meinung nach einfach besser. Er erforscht die Schattenseiten der Gesellschaft, ohne zu verwirren, sich in seinen eigenen Handlungsfäden zu verheddern oder allzu viel Wissen vorauszusetzen, leistet fundierte, solide Recherchearbeit, integriert zahlreiche, individuelle, sympathische Figuren, an denen sich die Leser_innen orientieren können und konzipiert darüber hinaus nervenaufreibende Spannungsbögen, die an die Seiten fesseln. Er liefert das berühmte Gesamtpaket. Mich stimulierte „Neid“ wieder einmal intensiv; ich habe über viele Punkte gegrübelt und kam letztendlich zu einem Ergebnis: solange es Menschen wie Arne Dahl gibt, die die Schlechtigkeit unserer Welt erkennen und mutig darüber schreiben, ist der Traum eines vereinten, gerechten, friedlichen Europa noch nicht ausgeträumt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/07/25/arne-dahl-neid
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