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review 2017-11-14 10:13
Überbewertet
American Gods - Neil Gaiman

Mein erstes Date mit Neil Gaiman wollte ich ursprünglich mit „Neverwhere“ bestreiten. Jahrelang schlich ich um den populären Fantasy-Autor, der eng mit Terry Pratchett befreundet war, herum. Ich hatte Respekt vor seinem Ruf und traute mich einfach nicht, ihn kennenzulernen. Dann sahen der Lieblingsmensch und ich den Trailer zur Amazon-Serie „American Gods“. Ich wusste, dass es sich dabei um die Verfilmung von Gaimans gleichnamigen Roman handelt und als der Lieblingsmensch äußerte, dass er der Serie eine Chance geben wollte, entschied ich spontan, zuerst das Buch lesen zu wollen. Mein erstes Date mit Gaiman sollte nicht länger „Neverwhere“ sein. Es sollte „American Gods“ sein.

 

Nach 3 trostlosen Jahren im Gefängnis wünscht sich Shadow nur noch eines: er möchte nach Hause, zu seiner Ehefrau Laura. Als ihn der Gefängnisdirektor in sein Büro bestellt, ahnt er, dass ihn schlechte Nachrichten erwarten. Betäubt lauscht er den Worten des Direktors, der ihm mitteilt, dass Laura bei einem schrecklichen Autounfall ums Leben kam. Er wird verfrüht entlassen, um an ihrer Beerdigung teilnehmen zu können. Von einem surrealen Gefühl der Unwirklichkeit begleitet besteigt er ein Flugzeug, das ihn an einen Ort bringen soll, der nicht länger sein Zuhause ist. Neben ihm sitzt ein gut gekleideter älterer Herr. Er stellt sich als Mr. Wednesday vor. Obwohl sie sich gerade erst kennenlernen, weiß er Dinge über Shadow, die er unmöglich wissen kann und bietet ihm einen Job an. Shadow findet ihn seltsam, doch er hat kein Leben, zu dem er zurückkehren könnte. Er hat nichts zu verlieren. Er schlägt ein, unwissend, dass er schon bald in einen kosmischen Sturm hineingezogen werden wird. Um sich zu schützen, muss Shadow den Funken wiederfinden, der mit Laura starb: seinen Glauben.

 

Warum schreibt ein Brite ein Buch über die Götter der Vereinigten Staaten von Amerika, nachdem er zum Zeitpunkt dessen Erscheinens bereits selbst seit 9 Jahren in den USA lebte? Welche Mission verfolgt er? Welche Botschaft möchte er vermitteln? Ich denke nicht, dass ich „American Gods“ durchschaut habe, denn ich finde keine Antworten auf diese Fragen. Neil Gaiman wollte mir mit diesem Roman etwas sagen, dessen bin ich fest überzeugt. Er schrieb „American Gods“ nicht ausschließlich zur Unterhaltung seiner Leser_innen. Grübele ich über seine Motivation nach, taucht in meinem Kopf das Wort „Identität“ auf, doch es schwebt frei in meinen Gedanken herum, ohne Anker, ohne Begründung, ohne Erklärung. Ich vermute, dass es in der Tiefe dieses Buches um die Identität der USA geht, aber ich kann meinen Finger nicht darauflegen, welche Aussage Gaiman diesbezüglich tätigt. Ich empfand „American Gods“ als irritierend und verwirrend, weil ich all die kryptischen Untertöne der Geschichte nicht zu deuten wusste. Ich hatte das Gefühl, enorm viel zu verpassen und gar nicht allen Details die nötige Aufmerksamkeit schenken zu können. Ich fand nicht in den Rhythmus des Buches und musste mich nach jeder Lesepause wieder neu einfinden. Ich denke, worauf Neil Gaiman abzielte, ist ein Roman mehrerer sich überlappender Ebenen. Leider schätze ich, dass ich dessen Kern, die Ebene, die alle anderen verbindet, nicht begriffen habe. Daher begleitet mich seit der Lektüre ein Gefühl diffuser Ratlosigkeit, obwohl ich den offensichtlichen Grundgedanken der Geschichte durchaus interessant fand. Der sympathische Protagonist Shadow, dessen Funktion und Rolle undurchsichtig bleiben, gerät zwischen die Fronten eines Krieges der Götter um den Glauben des amerikanischen Volkes. Anhand von ergreifend geschilderten Einzelschicksalen, die betonen, dass Glaube und Leid Partner sind, erfahren die Leser_innen, dass die alten Götter von Siedlern verschiedener Epochen in die Neue Welt gebracht wurden. Der Glaube der Menschen belebte sie; Opfer, die in ihren Namen erbracht wurden, verliehen ihnen Macht und Substanz. Unglücklicherweise vergaßen die Gläubigen über die Jahrhunderte jedoch die Gebräuche ihrer alten Heimat, womit auch ihre Götter Macht einbüßten oder sogar ganz verschwanden. Nun kämpfen die Götter um die letzten religiösen Almosen, die die USA auszugeben bereit ist; erschleichen und ergaunern sich unbewusste Anbetungen und Preisungen. Aus allmächtigen Wesen wurden verblasste, bedauernswerte Bittsteller, die von der Schnelllebigkeit der Moderne überholt werden. Auf diese Weise beleuchtet Neil Gaiman die Beziehung zwischen Göttern und Menschen von einem spannenden Blickwinkel aus: die wahre Macht liegt nicht bei den Göttern. Sie liegt bei den Gläubigen. Was ist ein Gott ohne Anhänger_innen? Überflüssig. Ihre tragische Abhängigkeit von den Menschen zwingt sie, die Konfrontation zu suchen, weil die USA einfach nicht genug Raum für alle bieten. Ein Land abenteuerlicher geografischer Weite – doch spirituell ein Stecknadelkopf.

 

Meiner Ansicht nach ist „American Gods“ überbewertet. Es ist ein faszinierendes Buch, das eine ungewöhnliche Geschichte erzählt, aber das Meisterwerk, das mir von zahlreichen Lobpreisungen versprochen wurde, kann ich darin nicht erkennen. Das Konzept der vom Glauben abhängigen Götter war mir bereits durch niemand geringeren als Terry Pratchett bekannt, der sich weitaus früher mit diesem fesselnden Gedankenspiel auseinandersetzte. Neil Gaiman versäumte es, mir nachvollziehbar den größeren Rahmen seines Romans zu vermitteln, sodass ich für all die leisen Untertöne und Bedeutungen zwischen den Zeilen taub und blind blieb. Wahrscheinlich gingen viele Anspielungen unbeachtet an mir vorbei. Ich weiß einfach nicht, was er mir sagen wollte und wartete während der gesamten Lektüre auf die große Erleuchtung, die sich niemals einstellte. Ich empfinde ein Schulterzucken. Vielleicht habe ich mit der Serie mehr Glück. Vielleicht helfen mir bewegte Bilder, zu verstehen, worauf er hinauswollte. Vielleicht hätte ich aber auch meinem Entschluss, zuerst „Neverwhere“ zu lesen, treu bleiben sollen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/11/14/neil-gaiman-american-gods
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review 2013-08-07 07:10
Liebe über den Wolken
Die statistische Wahrscheinlichkeit von Liebe auf den ersten Blick - Jennifer E. Smith,Ingo Herzke

Hadley könnte sich wirklich etwas Schöneres vorstellen, als auf der Hochzeit ihres Vaters Brautjungfer zu spielen. Dass sie dann allerdings ihr Flugzeug verpasst und erst einmal auf dem überfüllten New Yorker Flughafen festsitzt, hat sie dann doch nicht gewollt. Und genauso wenig hatte sie vor, sich ausgerechnet hier unsterblich zu verlieben: in den Jungen mit den verwuschelten Haaren und dem Puderzucker auf dem Hemd, der wie sie nach London muss. Hadley bleibt genau eine Fluglänge Zeit, um sein Herz zu gewinnen.

 

Die berühmte Liebe auf den ersten Blick. Gibt es sie? Oder ist sie ein Mythos? Die siebzehnjährige Hadley jedenfalls hat mit der Liebe nichts am Hut als sie am New Yorker Flughafen ihre Maschine verpasst und auf die nächste warten muss. Vor einiger Zeit hat ihr Freund mit ihr Schluss gemacht, und der Vater hat die Familie vor einigen Jahren verlassen um auf einem anderen Kontinent mit einer neuen Frau zu leben.
Entsprechend unzufrieden, wütend und geradezu verstockt lernt man Handley dann auch kennen.
Mir ist es anfangs schwer gefallen, mit ihr warm zu werden. Einfach weil ich ihre Einstellung für eine Siebzehnjährige als richtiggehend ungesund empfunden habe. Für welchen Teenager ist das Thema “Liebe” schon ausschließlich negativ behaftet? Zudem müsste sie in ihrem Alter eigentlich wissen, dass an der Trennung der Eltern sicher nicht nur eine Partei die Schuld trägt, und dass sich in solch einer Situation nicht alles um die Kinder dreht. Etwas weniger Egoismus hätte ihr in meinen Augen gut zu Gesicht gestanden.
Glücklicherweise lernt sie dann jedoch Oliver kennen, für den sie -zu ihrem eigenen Erstaunen- vom ersten Moment an Feuer fängt. Den beiden bleibt allerdings  zunächst nur die Warte- und Flugzeit um sich besser kennenzulernen und einander näher zu kommen. Ein paar Stunden also nur.
Es ist sehr schön zu verfolgen, wie sich Hadley in dieser Zeit langsam, nach und nach, immer mehr öffnet.Wie ihre ablehnende Haltung gegenüber allem, was nur entfernt mit Gefühlen zu tun hat, sich allmählich wandelt. Dies geschieht einzig durch die Gespräche mit Oliver, der einige Dinge genauso sieht wie Hadley, andere wieder nicht, und der zudem manchen Spass auf Lager hat. So einen nett-verrückten Kerl muss man einfach mögen, auch als Leser.
Ganz kann er Hadley aber doch nicht mit dem Thema veröhnen. Ihr Groll gegenüber ihrem Vater wird sie trotz Oliver nicht ganz los. Das ist in diesem Moment gut so. Denn dadurch, dass sie auch jetzt nicht alles nur noch durch die rosarote Brille sieht, wird dem drohenden Kitsch Einhalt geboten. Übrig bleibt eine sehr schöne, gefühlvoll beschriebene Zeit auf dem Flughafen und im Flugzeug, die ich gerne mit Hadley und Oliver verbracht habe. Hier und da gibt es zwar durchaus romantische Szenen, aber auch die fallen angenehm kitschfrei aus.Teenagermäßig sehnsuchtsvoll darf aber bei einem Buch für diese Altersklasse aber ruhig mal zugehen.
Auf dem Flughafen in London verlieren die beiden sich aus den Augen, und jeder fährt zu seiner Familienfeier.
Mir hat es gefallen, dass sich mit Hadleys Gefühlen für Oliver auch ihre Sichtweise auf die Hochzeit und ihren Vater verändert hat. Obendrein schlagen ihr auf der Hochzeit auch noch pure Herzlichkeit und Verständnis entgegen.
Diesen “Bruch” finde ich ganz klug. So dreht sich die Story nicht nur um Hadleys und Olivers Liebe, sondern wendet sich auch der Liebe anderer Charaktere zu und zeigt auf, welche Gesichter sie noch haben kann. Beispielsweise zwischen Hadleys Vater und seiner Frau, aber auch zwischen Kindern und ihren Eltern. In diesem Teil der Geschichte fällt Hadleys Schilderung zwar deutlich sensibler aus, trotzdem tropft der Kitsch nicht zwischen den Seiten hervor. Es kann aber leicht passieren, dass es den Leser zu Tränen rührt ;)
Wie es mit Hadley und Oliver weitergeht bzw wie sich die Geschichte entwickeln wird, ist zwar leicht zu erahnen, aber immerhin werden ihnen noch einige Steine in den Weg gelegt. So wird es nicht langweilig, sondern ist mal turbulent, mal spannend und auch mal traurig. Ein Verlauf also, der bei Laune hält.

 

Deshalb konnte ich das Buch -einmal angefangen- auch nicht mehr aus der Hand legen und habe es in einem Rutsch gelesen. Ich wollte einfach wissen, ob sie einander noch kriegen. Und wenn ja, wie das ablaufen würde. Hadleys jugendliche Erzählweise mit dem oft bissigen Humor hat mir das Lesen zusätzlich erleichtert.

 

Ich muss sagen, mir gefällt die Aufmachung des Buches sehr. Der Schutzumschlag hat eine rauhe Struktur und wirkt beim Anschauen und Darüberstreichen fast wie ein Stoff. Zudem glänzt er. Das Motiv selbst ist kaum mehr als ein Schatten, eine Andeutung, die Hadley auf ihrem Platz am Fenster im Flugzeug zeigt, einen Kaffeebecher in der Hand. Das Buch selber ist in exakt dem gleichen Stil gehalten. Ein Lesebändchen gibt es natürlich auch!

 

Fazit: Mir hat “Die statistische Wahrscheinlichkeit von Liebe auf den ersten Blick” prima gefallen. Eine sehr schöne, gefühlvolle Liebesgeschichte, die insbesondere durch die begrenzte Zeit der beiden Hauptcharaktere reizvoll ist. Zudem ist Hadleys allmählicher Sinneswandelt gut und glaubhaft dargestellt, was zu einer Schilderung der Hochzeit führt, die man anfangs niemals so erwartet hätte.

Source: leserattz.wordpress.com/2012/03/10/rezension-die-statistische-wahrscheinlichkeit-von-liebe-auf-den-ersten-blick-jennifer-smith
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