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review 2018-03-01 12:26
Ein Fall für Monsieur Le Floch
Commissaire Le Floch und das Geheimnis der Weißmäntel - Jean-François Parot,Michael von Killisch-Horn

„Commissaire Le Floch und Das Geheimnis der Weißmäntel“ von Jean-François Parot ist eine weitere Station in meiner andauernden Suche nach meiner Heimat im Genre der historischen Romane. Der Reihenauftakt, der in Frankreich bereits 2000 veröffentlicht wurde, wurde mir vom Newsletter der Random House Gruppe schmackhaft gemacht. Die Mischung aus Setting, einer delikaten Staatsaffäre und einer Mordermittlung weckte meine Neugier. Außerdem habe ich bisher nur sehr wenig Erfahrung mit französischen Schriftsteller_innen; ich konnte also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich fragte das Buch beim Bloggerportal an und erhielt ein Rezensionsexemplar.

 

1759 wird der junge Notariatsgehilfe Nicolas Le Floch von heute auf morgen nach Paris beordert. Er soll sich bei Polizeipräfekt Gabriel de Sartine melden, um eine Ausbildung als Gesetzeshüter zu beginnen. Sartine teilt ihn dem grimmigen, schroffen Kommissar Lardin zu, der sich den Anweisungen des Polizeichefs widerwillig beugt. So beginnt Nicolas‘ neues Leben in der pulsierenden französischen Metropole. Er arbeitet und lernt fleißig und besitzt zu viel Anstand und Respekt, um die regelmäßigen Fragen des Polizeipräfekten zu den Gewohnheiten seines Mentors Lardin in Zweifel zu ziehen. 1761, zwei Jahre später, verstirbt unerwartet Nicolas‘ Vormund. Er eilt in seine bretonische Heimat, um an den Trauerfeierlichkeiten teilzunehmen. Bei seiner Rückkehr nach Paris erwartet ihn eine unerfreuliche Überraschung: Lardin ist verschwunden und Sartine eröffnet ihm, dass der gealterte Kommissar in eine weitreichende Korruptionsaffäre verwickelt ist, die sogar König Ludwig XV. bedroht. Nicolas soll Lardin finden. Unerschrocken stürzt er sich in die Ermittlungen, während auf den Straßen der Stadt der Karneval tobt. Wird er den abtrünnigen Lardin aufspüren und so einen internationalen Skandal verhindern können?

 

„Commissaire Le Floch und Das Geheimnis der Weißmäntel“ war für mich ein gewagtes Experiment. Mit einem historischen Krimi bewegte ich mich weit außerhalb meiner Wohlfühlzone, denn ich habe bekanntermaßen so meine Schwierigkeiten mit historischen Romanen und Krimis stehen normalerweise erst gar nicht auf meiner Lektüreliste, weil ich sie zu langweilig finde. Es freut mich daher umso mehr, dass ich dieses Experiment als Erfolg verbuchen kann. Obwohl alle äußeren Faktoren dagegensprachen, gefiel mir der Auftakt der Reihe „Nicolas Le Floch“ überraschend gut. Ich fühlte mich in den Händen des Autors Jean-François Parot sehr gut aufgehoben; der studierte Historiker und anerkannte Experte für das 18. Jahrhundert vermittelte mir eine verblüffend präzise, atmosphärische und realistische Vision der Lebensumstände in Paris in der turbulenten Epoche der Aufklärung. Die Lektüre war eine überzeugende mentale Zeitreise, die mich trotz des etwas umständlichen Schreibstils mühelos mitten in die Straßen der französischen Hauptstadt beförderte. Die verzwickt konstruierte Rahmenhandlung des Kriminalfalls portioniert die schiere Fülle geschichtlicher Fakten, Hintergründe und Tatsachen in mundgerechte Häppchen, die dazu einladen, mithilfe des neuen Wissens munter mitzurätseln. Ich habe nicht erwartet, beim Einschlafen tatsächlich darüber nachzugrübeln, wie die verschiedenen Ebenen des Falls interagieren. Es gelang mir jedoch nicht, das Puzzle zusammenzusetzen, da mich die vielen geschichtsträchtigen Namen und teilweise konträr verlaufenden Interessen verwirrten und ablenkten. Für meinen Geschmack hätte Parot den politischen Aspekten der komplizierten Korruptionsaffäre, die sich rasant mit einer Mordermittlung verbindet, außerdem deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken können, wenngleich ich verstehe, dass sein Kernanliegen, den Pariser Kosmos im Jahr 1761 detailliert abzubilden, besser innerhalb privat-bürgerlicher Grenzen umzusetzen war. Er eröffnete sich so die Möglichkeit, die alles beherrschenden Standesunterschiede der Bevölkerungsschichten explizit herauszuarbeiten und – was ich herrlich sympathisch fand – besonderes Augenmerk auf die Beschreibung des Essens als kulturelle Facette zu legen. Schade, dass der Protagonist dieser bunten, lebendigen Kulisse nicht gerecht wurde. Nicolas mutete wie eine erwachsene Variante Oliver Twists an: konturlos, einseitig und modellhaft. Er trägt keinen Funken Verschlagenheit, Verlogenheit oder generell Schlechtigkeit in sich, verhält sich stets tugendhaft, gesetzestreu und regelkonform. Ich fand ihn sowohl menschlich, als auch als Ermittler unglaubwürdig, denn niemand kommt ohne Ecken und Kanten aus, schon gar kein Polizist, der sich gegenüber perfiden, kriminellen Komplotten behaupten muss. Sein sympathischer, aber tadelloser Charakter bedingt eine Profillosigkeit, die ihn neben der puren Vitalität des Settings verblassen lässt. Ich stelle es ungern fest, doch die Figur des Nicolas Le Floch ist meiner Ansicht nach bedauerlicherweise zu schwach, um „Das Geheimnis der Weißmäntel“ entscheidend zu prägen.

 

„Commissaire Le Floch und Das Geheimnis der Weißmäntel“ ist ein faszinierender historischer Krimi, der Fakten und Fiktion geschickt verblendet und dessen größte Stärke in der hervorragenden, atmosphärischen Darstellung des Settings liegt. Jean-François Parot bewies seine exzellente Expertise und zeichnete für mich ein schlüssiges, authentisches Bild von Paris im 18. Jahrhundert, das Kriminalfall und Protagonist des Reihenauftakts mit Leichtigkeit überstrahlt. Dadurch ist das Buch zwar eher interessant als spannend, entpuppte sich allerdings nichtsdestotrotz als lohnende Lektüre. Ich kann mir durchaus vorstellen, der Fortsetzung „Commissaire Le Floch und Der Brunnen der Toten“ eine Chance zu geben. In einer Epoche, in der ganz Europa politisch in Aufruhr war, gibt es sicher noch einige Geheimnisse, die Kommissar Le Floch aufklären kann.

 

Vielen Dank an den Verlag Blessing und das Bloggerportal von Random House für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/03/01/jean-francois-parot-commissaire-le-floch-und-das-geheimnis-der-weissmaentel
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review 2017-11-14 10:13
Überbewertet
American Gods - Neil Gaiman

Mein erstes Date mit Neil Gaiman wollte ich ursprünglich mit „Neverwhere“ bestreiten. Jahrelang schlich ich um den populären Fantasy-Autor, der eng mit Terry Pratchett befreundet war, herum. Ich hatte Respekt vor seinem Ruf und traute mich einfach nicht, ihn kennenzulernen. Dann sahen der Lieblingsmensch und ich den Trailer zur Amazon-Serie „American Gods“. Ich wusste, dass es sich dabei um die Verfilmung von Gaimans gleichnamigen Roman handelt und als der Lieblingsmensch äußerte, dass er der Serie eine Chance geben wollte, entschied ich spontan, zuerst das Buch lesen zu wollen. Mein erstes Date mit Gaiman sollte nicht länger „Neverwhere“ sein. Es sollte „American Gods“ sein.

 

Nach 3 trostlosen Jahren im Gefängnis wünscht sich Shadow nur noch eines: er möchte nach Hause, zu seiner Ehefrau Laura. Als ihn der Gefängnisdirektor in sein Büro bestellt, ahnt er, dass ihn schlechte Nachrichten erwarten. Betäubt lauscht er den Worten des Direktors, der ihm mitteilt, dass Laura bei einem schrecklichen Autounfall ums Leben kam. Er wird verfrüht entlassen, um an ihrer Beerdigung teilnehmen zu können. Von einem surrealen Gefühl der Unwirklichkeit begleitet besteigt er ein Flugzeug, das ihn an einen Ort bringen soll, der nicht länger sein Zuhause ist. Neben ihm sitzt ein gut gekleideter älterer Herr. Er stellt sich als Mr. Wednesday vor. Obwohl sie sich gerade erst kennenlernen, weiß er Dinge über Shadow, die er unmöglich wissen kann und bietet ihm einen Job an. Shadow findet ihn seltsam, doch er hat kein Leben, zu dem er zurückkehren könnte. Er hat nichts zu verlieren. Er schlägt ein, unwissend, dass er schon bald in einen kosmischen Sturm hineingezogen werden wird. Um sich zu schützen, muss Shadow den Funken wiederfinden, der mit Laura starb: seinen Glauben.

 

Warum schreibt ein Brite ein Buch über die Götter der Vereinigten Staaten von Amerika, nachdem er zum Zeitpunkt dessen Erscheinens bereits selbst seit 9 Jahren in den USA lebte? Welche Mission verfolgt er? Welche Botschaft möchte er vermitteln? Ich denke nicht, dass ich „American Gods“ durchschaut habe, denn ich finde keine Antworten auf diese Fragen. Neil Gaiman wollte mir mit diesem Roman etwas sagen, dessen bin ich fest überzeugt. Er schrieb „American Gods“ nicht ausschließlich zur Unterhaltung seiner Leser_innen. Grübele ich über seine Motivation nach, taucht in meinem Kopf das Wort „Identität“ auf, doch es schwebt frei in meinen Gedanken herum, ohne Anker, ohne Begründung, ohne Erklärung. Ich vermute, dass es in der Tiefe dieses Buches um die Identität der USA geht, aber ich kann meinen Finger nicht darauflegen, welche Aussage Gaiman diesbezüglich tätigt. Ich empfand „American Gods“ als irritierend und verwirrend, weil ich all die kryptischen Untertöne der Geschichte nicht zu deuten wusste. Ich hatte das Gefühl, enorm viel zu verpassen und gar nicht allen Details die nötige Aufmerksamkeit schenken zu können. Ich fand nicht in den Rhythmus des Buches und musste mich nach jeder Lesepause wieder neu einfinden. Ich denke, worauf Neil Gaiman abzielte, ist ein Roman mehrerer sich überlappender Ebenen. Leider schätze ich, dass ich dessen Kern, die Ebene, die alle anderen verbindet, nicht begriffen habe. Daher begleitet mich seit der Lektüre ein Gefühl diffuser Ratlosigkeit, obwohl ich den offensichtlichen Grundgedanken der Geschichte durchaus interessant fand. Der sympathische Protagonist Shadow, dessen Funktion und Rolle undurchsichtig bleiben, gerät zwischen die Fronten eines Krieges der Götter um den Glauben des amerikanischen Volkes. Anhand von ergreifend geschilderten Einzelschicksalen, die betonen, dass Glaube und Leid Partner sind, erfahren die Leser_innen, dass die alten Götter von Siedlern verschiedener Epochen in die Neue Welt gebracht wurden. Der Glaube der Menschen belebte sie; Opfer, die in ihren Namen erbracht wurden, verliehen ihnen Macht und Substanz. Unglücklicherweise vergaßen die Gläubigen über die Jahrhunderte jedoch die Gebräuche ihrer alten Heimat, womit auch ihre Götter Macht einbüßten oder sogar ganz verschwanden. Nun kämpfen die Götter um die letzten religiösen Almosen, die die USA auszugeben bereit ist; erschleichen und ergaunern sich unbewusste Anbetungen und Preisungen. Aus allmächtigen Wesen wurden verblasste, bedauernswerte Bittsteller, die von der Schnelllebigkeit der Moderne überholt werden. Auf diese Weise beleuchtet Neil Gaiman die Beziehung zwischen Göttern und Menschen von einem spannenden Blickwinkel aus: die wahre Macht liegt nicht bei den Göttern. Sie liegt bei den Gläubigen. Was ist ein Gott ohne Anhänger_innen? Überflüssig. Ihre tragische Abhängigkeit von den Menschen zwingt sie, die Konfrontation zu suchen, weil die USA einfach nicht genug Raum für alle bieten. Ein Land abenteuerlicher geografischer Weite – doch spirituell ein Stecknadelkopf.

 

Meiner Ansicht nach ist „American Gods“ überbewertet. Es ist ein faszinierendes Buch, das eine ungewöhnliche Geschichte erzählt, aber das Meisterwerk, das mir von zahlreichen Lobpreisungen versprochen wurde, kann ich darin nicht erkennen. Das Konzept der vom Glauben abhängigen Götter war mir bereits durch niemand geringeren als Terry Pratchett bekannt, der sich weitaus früher mit diesem fesselnden Gedankenspiel auseinandersetzte. Neil Gaiman versäumte es, mir nachvollziehbar den größeren Rahmen seines Romans zu vermitteln, sodass ich für all die leisen Untertöne und Bedeutungen zwischen den Zeilen taub und blind blieb. Wahrscheinlich gingen viele Anspielungen unbeachtet an mir vorbei. Ich weiß einfach nicht, was er mir sagen wollte und wartete während der gesamten Lektüre auf die große Erleuchtung, die sich niemals einstellte. Ich empfinde ein Schulterzucken. Vielleicht habe ich mit der Serie mehr Glück. Vielleicht helfen mir bewegte Bilder, zu verstehen, worauf er hinauswollte. Vielleicht hätte ich aber auch meinem Entschluss, zuerst „Neverwhere“ zu lesen, treu bleiben sollen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/11/14/neil-gaiman-american-gods
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