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review 2019-08-10 14:09
Großartiger Faktenroman
Das Verschwinden des Josef Mengele - Olivier Guez

Nach dem Zweiten Weltkrieg - im Jahr 1949 - flüchtet Josef Mengele nach Argentinien. Der berüchtigte Arzt vom Konzentrationslager Auschwitz ist für grausame Experimente bekannt. In Argentinien schafft er sich eine neue Existenz - die weitab von seiner Geschichte in Deutschland liegt.

Der Name Josef Mengele ist mit grausamen Verstümmelungen und Experimenten verbunden. Auf seine Person strahlt ein Todesschein wie direkt aus der Hölle empor. Jahrelang war ungewiss, was aus dem gefürchteten Lagerarzt geworden ist. Erst 1979 wurden Mengeles Überreste in Brasilien entdeckt. 

In diesem Tatsachenroman schildert Olivier Guez das Leben von Josef Mengele nach seiner berüchtigten Karriere im KZ. Guez folgt dem Arzt nach Argentinien, weist ihn mit falschen Papieren in ein neues Leben ein, lässt Mengele die Unterstützung von Diktator Perón angedeihen, und veranschaulicht, wie ihn die Paranoia Jahre später nach Brasilien treibt. 

Meiner Meinung nach ist "Das Verschwinden des Josef Mengele" exzellent gelungen. Olivier Guez schreibt in Romanform ohne dabei die notwendige Distanz zur Hauptfigur zu verlieren. Im nüchternen Ton erzählt er von Mengeles Stationen, Ereignissen in Südamerika, und wie der alte Nazi nach und nach den Boden unter den Füßen verliert. 

Dabei spart Guez auch nicht Mengeles Unterstützer aus. Etliche Nazis haben sich nach dem Krieg in Südamerika verschanzt, wo sie ihr braunes Gedankengut im engsten Kreis pflegten. Gleichzeitig wurden sie von Freunden, Familien und Verwandten aus Deutschland unterstützt, obwohl weltweit gefahndet wurde.

Der Roman hält, was der Titel verspricht. Autor Guez konzentriert sich auf das Verschwinden Mengeles nach dem Krieg. Ich hätte mir ebenso einen kurzen Einblick in seine Untaten während des Zweiten Weltkriegs gewünscht. Zwar werden kleinere Episoden erwähnt, dennoch war mir dieser Teil zu ungenau, weil es meiner Meinung nach nicht das Ausmaß seiner Verbrechen erfasst.

Der emotionslose, tatsachenbetonte Stil passt meiner Ansicht nach exzellent zum Thema. Jede Identifikationsmöglichkeit mit der Hauptfigur hätte unpassend gewirkt, und Mengeles Geschichte einer Tragödie gleichgesetzt. Schockiert war ich über all die Gelegenheiten, bei denen Mengele den Behörden aufgrund von Unachtsamkeit entgangen ist. Ich hätte nicht gedacht, dass es häufig relativ knapp gewesen ist.

Gleichzeitig bleibt Guez bei den Fakten, und schmückt Mengeles Treiben nicht unnötig aus. Es gab seinerzeit Gerüchte, dass der Lagerarzt in Saus und Braus das Leben genießt, und mit jungen Damen als Beiwerk berauschenden Champagner schlürft. Der Autor räumt damit auf, und zeichnet dramaturgisch den sozialen Verfall dieser Figur. Dabei setzt er ihm treibender Paranoia aus, die Mengele rastlos hinter verschlossenen Fenstern sitzen lässt.

Alles in allem ist „Das Verschwinden des Josef Mengele“ ein großartiger Faktenroman, der nüchtern erzählt, wie es dem Todesengel von Auschwitz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ergangen ist. Für zeitgeschichtlich Interessierte ist dieses (Hör-) Buch definitiv empfehlenswert.

Source: zeit-fuer-neue-genres.blogspot.com
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review 2019-03-27 08:54
Atheist auf Götterjagd
AERA - Die Rückkehr der Götter - Markus Heitz

2012, als sich alle Welt wegen des Mayakalenders in die Hose machte, beschäftigte sich der Fantastik-Autor Markus Heitz mit den damit verbundenen Vorhersagen. Er fand heraus, dass dort keineswegs die Rede vom Weltuntergang war. Vielmehr versprachen die Prophezeiungen Veränderung. Er grübelte, was in unserer modernen Zeit als gravierende Veränderung durchgehen könnte. Eine Idee nahm Gestalt an: eine reelle Manifestation antiker Götter. Doch sein Zeitplan ließ es nicht zu, sie sofort umzusetzen. Erst 2015 hatte Heitz genug Luft, um sich diesem Gedankenspiel zu widmen. Dann sollte es schnell gehen. Er entschied, „AERA: Die Rückkehr der Götter in 10 E-Book-Episoden zu veröffentlichen und die Printausgabe hintenanzustellen. Da ich Printausgaben jedoch bevorzuge, wartete ich auf das Taschenbuch und las die irre Geschichte 2018 am Stück.

 

Die Welt erbebt im Angesicht göttlicher Präsenz. Sieben Jahre ist es her, seit die antiken Götter zurückkehrten und die Menschheit ins Chaos stürzten. Sie eroberten die Moderne im Sturm, lösten Kriege aus und demonstrierten ihre uneingeschränkte Macht. Im Jahr 2019 hat sich die Lage beruhigt. Eine neue Ordnung ist entstanden. Doch einige Zweifler gibt es noch immer. Malleus Borreau blieb Atheist. Er glaubt nicht, dass es sich bei den Entitäten, denen aufopferungsvoll gehuldigt wird, wahrhaft um Götter handelt. Sein Misstrauen stigmatisiert ihn als Außenseiter und ist das Geheimnis seines beruflichen Erfolgs. Als Ermittler bei Interpol untersucht er Verbrechen, die mit den Göttern in Zusammenhang stehen. Sein neuster Fall bringt jedoch sogar seine ehernen Überzeugungen ins Wanken. Auf der ganzen Welt verschwinden religiöse Artefakte. Leichen bezeugen die Skrupellosigkeit der Diebe und an den Tatorten taucht ein rätselhaftes Symbol auf. Ein Symbol, das Malleus schon einmal gesehen hat und das ihm noch immer Albträume beschert…

 

Betrachten wir die moderne Welt. Gesellschaft, Politik, Wirtschaft. Technischer Fortschritt. Ist die Menschheit auf das Unmögliche vorbereitet? Sind wir bereit, Glaube und Mythologie Gewissheit werden zu lassen? Laut Markus Heitz sind wir es nicht. Nach der Lektüre von „AERA: Die Rückkehr der Götter“ bin ich überzeugt, dass wir dankbar sein können, dass seine Vision fiktiv ist. Im sensiblen Gefüge unserer Gesellschaft ist einfach kein Platz für Omnipotenz. Die Götter vergangener Religionen sind den Menschen zu ähnlich: aggressiv, rachsüchtig, destruktiv. Sie brächten das Schlechteste in uns zum Vorschein. Der Glaube war schon immer eine beliebte Ausrede für entsetzliche Gräuel. Meiner Meinung nach würde sich diese Tendenz durch die physische Anwesenheit von Zeus und Konsorten potenzieren. Heitz teilt diese Ansicht offenbar, denn die Ermittlungen seines Protagonisten Malleus Borreau, die selten die Götter selbst, sondern meist Menschen betreffen, belegen, mit welch kalter Leidenschaft wir uns im Namen des Glaubens gegenseitig Schreckliches antun. Die episodische Konzeption von „AERA“ ist deutlich spürbar: die Leser_innen begleiten Malleus auf seinen Reisen von Fall zu Fall quer über den Erdball, die durch die übergreifende Handlungslinie der gestohlenen Artefakte lose verbunden sind. Auf diese Weise erlaubte mir Heitz, zahlreiche Facetten seiner beeindruckend realistisch ausgearbeiteten alternativen Realität zu erleben. Meinetwegen hätte er gern konkrete politische, soziale und ökonomische Implikationen illustrieren und stärker auf die positiven Aspekte göttlicher Präsenz eingehen können, ich möchte ihm die Schwerpunktentscheidung, sich auf die Abbildung von Vielfalt zu konzentrieren und dafür auf Detailreichtum zu verzichten, jedoch nicht ankreiden. Ich kann nachvollziehen, dass Malleus‘ Wahrnehmung im Fokus steht, weil er eine überaus interessante Position in der Geschichte einnimmt. Er verkörpert einen grundsätzlich blasphemischen Gedanken: die Annahme, dass nicht alles, was Götter tun, rechtmäßig oder automatisch legitim ist. Auch sie können Verbrechen begehen, die Schwierigkeit besteht nur darin, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Heitz deutet somit an, dass wir in einer Welt leben, in der sich selbst das Göttliche dem Irdischen beugen muss – eine faszinierende Theorie. Das Problem daran war für mich, dass er eine Hauptfigur entwickeln musste, die dieser Theorie gerecht wird. Ich empfand Malleus als vollkommen überzeichnet. Alle Eigenschaften, die ihn als guten Ermittler charakterisieren, erschienen mir übertrieben. Er wirkte allen, sogar den Göttern und mir als Leserin, soweit überlegen, dass ich ihn unglaubwürdig fand und keine Chance hatte, seine Fälle selbstständig zu lösen. Malleus‘ arrogante, sexistisch gefärbte Superiorität stand daher zwischen uns, sodass ich nicht fähig war, Sympathie für ihn aufzubauen. Seine atheistische Einstellung konnte ich ebenfalls nicht nachempfinden. Würde Heitz‘ Gedankenspiel aus „AERA“ Wirklichkeit, ich würde voll drauf einsteigen. Ich würde mir einen Kult aussuchen und dessen glühendste Anhängerin werden.

 

„AERA: Die Rückkehr der Götter“ ist deutlich weniger fantastisch, als es auf den ersten Blick wirkt. Die Ausgangssituation erscheint skurril – doch die Konsequenzen, die Markus Heitz porträtiert, sind absolut vorstellbar. Die Lektüre war spannend, ich wünschte nur, ich hätte gemeinsam mit dem Protagonisten Malleus Borreau ermitteln dürfen, statt ihm lediglich dabei zuzusehen. Dennoch erlaubten mir seine Fälle, das Verhältnis von Menschlichkeit und Göttlichkeit aus einer sehr modernen Perspektive zu analysieren. Unsere Spezies kam dabei nicht gut weg. Man darf uns gar nicht erst in die Nähe von göttlicher Macht lassen, denn uns fällt garantiert eine Möglichkeit ein, diese für den eigenen Vorteil zu missbrauchen. Für mich ergab „AERA“ ein ernüchterndes Fazit: die Menschheit könnte mit dem Weltuntergang vermutlich besser umgehen als mit Göttern, die auf Erden wandeln.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/03/27/markus-heitz-aera-die-rueckkehr-der-goetter
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review 2019-02-03 18:31
Abschied und Tod einmal anders
Bevor wir verschwinden. Roman - David Fuchs

Dieser Debutroman von David Fuchs hat mich vordergründig nicht großartig berührt, mich fast gar nicht zu Tränen gerührt und trotzdem bin ich gerade aus diesem Grund am Ende der Geschichte sehr bewegt. Warum?

 

Es geht ums Sterben, aber nicht um eine herzzerreißende Story, sondern um das alltägliche Sterben aus der Sicht eines Mediziners, recht sachlich, manchmal auch ekelhaft und grausam, aber nie respektlos den Sterbenden gegenüber, sondern immer sehr wertschätzend. Das ist nun eben auch eine Sicht, ein für mich recht innovativer Zugang, wie man mit dem Tod von Mitmenschen verantwortungsvoll umgehen, sich auf seine eigene Art abgrenzen, die Trauer und das Sterben so bewältigen kann. Kein Wunder, der Autor ist Arzt auf der Onkologie im Linzer Universitätskrankenhaus und kann wahrscheinlich, wie viele in seiner Branche nicht anders, sonst würde er verrückt werden in seinem Job.

 

In diesem Roman wird das Ganze aber nicht so wie in vielen Ärztestories von der Außensicht betrachtet, sondern der Leser bekommt aus Innensicht einen Einblick in die Abgrenzungsstrategien eines Mediziners.

 

Der Protagonist Benjamin absolviert sein Praktikum auf der Onkologie als angehender Arzt und trifft zufällig auf seine Jugendliebe Ambros, die er fünf Jahre nicht mehr gesehen hat. Dieser ist dem Tod geweiht und hat keine Chance mehr, sein Körper ist von Metastasen zerfressen. Nach und nach nähern sich die beiden wieder ein bisschen an, währenddessen wird in den Zimmern auf der Station bei den Mitpatienten gelitten und gestorben. Der Krankenhausalltag und die tägliche Routine rollen wie ein Uhrwerk ab, aber nicht Ermergencyroom- oder Greys Anatomy-mäßig sondern ganz realistisch und lapidar: Resolute Schwestern, der Kampf um das Delegieren von Aufgaben zwischen Pflege- und medizinischem Personal, röchelnde Zimmernachbarn, recht verantwortungsvolle Oberärzte, Eiter, Blut und Behandlungen, Routine und auch ein bisschen Mitgefühl … alles ganz normale Tätigkeiten auf der Onkologie.

Zwischendurch werden zwar ziemlich grausliche Tierversuche an Schweinen durchgeführt, die ein Tierschützer sicher respektlos finden wird, die aber wahrscheinlich auch oftmals den Alltag im Studium eines Humanmediziners darstellen, insbesondere in der Forschung.

 

In Rückblenden wird die homosexuelle Beziehung der beiden Freunde ein bisschen aufgerollt, aber gemäß dem Stil des Romans nicht paukenschlagend mit einem Outing, sondern einfach, ganz nebenbei, lapidar und selbstverständlich, genauso leise wie vieles in diesem Roman.

 

Ambros hat ein recht kurioses Hobby, beziehungsweise ein finales Projekt. Er fertigt Polaroids seiner Mitpatienten vor deren Tod an, damit sie ohne einen Nachweis ihrer Existenz nicht komplett verschwinden. Dieser Kunstgriff, der auch titelgebend für den Roman fungierte, wirft existenzielle Fragen auf: Was wird von uns bleiben? Wie wichtig ist es, dass sich jemand an uns erinnert, wenn wir nicht mehr existieren?

 

Das letzte Kapitel hat mir schlussendlich dann doch Tränen der Rührung in die Augen getrieben, weil es irgendwie so minimalistisch und wundervoll war. Nach dem Tod von Ambros geht Benjamin in die Pathologie und wäscht die Leiche seines Freundes ganz liebevoll – eine herzergreifende Szene und auch ganz symptomatisch für dieses leise, hintergründige Buch über das Sterben.

 

Fazit: Auf jeden Fall eine absolute Leseempfehlung von mir für diesen Debutroman. Mich wundert es nicht, dass er für den österreichischen Buchpreis 2018 nominiert war.

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review 2018-03-06 10:26
Die Cop Buddies der High Fantasy
The Fifth Ward: First Watch - Dale Lucas

Eine Mischung aus „Herr der Ringe“ und „Lethal Weapon“ – so beschreibt Dale Lucas seinen Roman „First Watch“. Der Auftakt der Reihe „The Fifth Ward“ vereint die Action eines Cop Buddy – Films mit den klassisch-epischen Elementen eines High Fantasy – Schmökers. Ich verrate euch ein Geheimnis: ich liebe die Lethal Weapon“-Filme. Riggs und Murtaugh sind für mich der Inbegriff des cineastischen Ermittler-Duos, das ich seit meiner Kindheit feiere. Ich konnte nicht widerstehen, ihre HF-Äquivalente kennenzulernen und stürzte mich mit Freuden auf „First Watch“.

 

Sich der Stadtwache Yenaras anzuschließen, um aus dem Gefängnis freizukommen, schien Rem eine brillante Idee zu sein. Schließlich wollte er keinesfalls noch länger hinter Gittern versauern und brauchte dringend einen Job. Doch als er seinen Partner kennenlernt, beschleicht ihn das Gefühl, dass seine spontane Entscheidung vielleicht nicht ganz so raffiniert war. Der polternde, übellaunige Zwerg Torvald ist alles andere als begeistert, sich um den Frischling kümmern zu müssen. Widerwillig schleppt er Rem in die Straßen der multikulturellen Metropole, in der Orks mit Drogen dealen, Magier_innen ihren dubiosen Geschäften nachgehen und die Präfekten der Bezirke offen ihre Feindseligkeit für einander ausleben. Unter der grimmigen Führung Torvalds erlebt Rem einen turbulenten ersten Tag, dessen trauriger Höhepunkt ihn am Ende ihrer Schicht erwartet. Unter einer Brücke wird eine Leiche entdeckt. Torvald genügt ein Blick, um festzustellen, dass es sich bei dem Toten um seinen Stammpartner Freygaf handelt. Er wurde ermordet. Wer würde ein Mitglied der Stadtwache heimtückisch umbringen und warum? In welche schmutzigen Geheimnisse war Freygaf verwickelt? Hängt sein Tod mit dem Verschwinden mehrerer Töchter und Söhne aus wohlhabenden Familien zusammen? Torvald schwört, Freygafs Mörder aufzuspüren und Rache zu nehmen. Rem hat keine andere Wahl, als seinen Partner bei seiner Jagd zu unterstützen. Mitgehangen, mitgefangen.

 

Meiner Meinung nach hat „First Watch“ eindeutig mehr mit „Lethal Weapon“ gemeinsam als mit „Herr der Ringe“. Mal davon abgesehen, dass ich nicht glaube, dass J.R.R. Tolkien diese Entwicklung der von ihm mitbegründeten High Fantasy vorausgesehen hätte, ist „episch“ nicht die Formulierung, die ich nutzen würde, um den Reihenauftakt zu beschreiben. Für dieses Attribut ist der Horizont der Geschichte meinem Empfinden nach zu eng. Ich meine das nicht negativ, denn heutzutage muss High Fantasy nicht zwangsläufig gigantische Dimensionen abbilden oder gewaltige Geschichten von Heldenmut erzählen. Ein kleinerer Rahmen ist für mich völlig in Ordnung und wie ich in der Einleitung bereits erwähnte, liebe ich „Lethal Weapon“, sodass es mich überhaupt nicht stört, dass die Parallelen zwischen der Filmreihe und diesem Buch prägnanter sind als die Gemeinsamkeiten mit Tolkiens weltberühmtem Epos. Natürlich greift „First Watch“ gewisse klassische Elemente des Genres auf; der multikulturelle, brodelnde Schmelztiegel Yenara wird von den üblichen Verdächtigen bevölkert. Orks, Elfen, Zwerge, Magier_innen und Menschen, die in jedem Kontext ein besonderes Talent für kriminelle Energie aufweisen – sie alle sind in den aufregenden, bis zum Bersten mit Leben gefüllten Straßen zu finden. Ich hatte das Gefühl, erfreulich viel von der Stadt zu sehen, weil unsere beiden sympathischen Helden Rem und Torvald ausschließlich zu Fuß unterwegs sind und dadurch beiläufig ein verlässliches Gesamtbild des Settings vermitteln. Trotz dessen hätte ich mir eine Karte gewünscht, um Aufbau, Organisation und Aufteilung der Metropole in Bezirke besser visualisieren zu können. Die Idee, ein High Fantasy – Setting bürokratisch aufzuziehen und umfangreiche Regeln und Gesetze zum Zusammenleben der einzelnen Völker zu formulieren, fand ich sowohl naheliegend als auch amüsant. Dale Lucas scheint sich genau überlegt zu haben, wie er die Dynamik der Stadt gestalten möchte und das beeindruckte mich definitiv. Die Handlung hingegen überzeugte mich nur mäßig. Ich fand „First Watch“ inhaltlich wenig substanziell, weil die Ermittlungen des ungleichen Duos zu lange feststecken und kaum Fortschritte verzeichnen. Stattdessen erlebte ich zahlreiche Prügeleien, die meist von Torvald provoziert werden. Der wehrhafte Zwerg wirkt im ersten Band von „The Fifth Ward“ plump konstruiert, ihm fehlt wahre Tiefe und daher auch Individualität. Eine tragische Vorgeschichte soll seine übertriebene Gewaltbereitschaft relativieren und bei den Leser_innen Mitgefühl wecken. Ich kann ihn mit vier Worten charakterisieren: harte Schale, weicher Kern. Dem gegenüber steht der unerfahrene Rem, dessen Biografie Dale Lucas bisher nur andeutet. Ihre oberflächliche Gegensätzlichkeit erschien mir affektiert und stereotyp, wodurch sie den Verlauf ihrer Beziehung bereits vorzeichnet. Insgesamt fand ich „First Watch“ recht vorhersehbar. Lediglich das Ende entpuppte sich als echte Überraschung, weil die Auflösung des Falls wesentlich komplexer und intelligenter geriet, als ich der Geschichte und Dale Lucas zugetraut hätte.

 

Ihr mögt das Cop Buddy – Schema à la „Alter Haudegen trifft jungen, unerfahren Frischling und muss mit ihm einen sehr persönlichen Fall lösen“? Dann seid ihr mit „First Watch“ von Dale Lucas gut beraten, ihr solltet allerdings nicht erwarten, dass der Autor das Rad neu erfindet. Nein, dieser Reihenauftakt erzählt dieselbe Geschichte, die wir längst aus zahlreichen Filmen kennen und verpasst ihr mit dem High Fantasy – Charakter des Settings lediglich einen frischen Anstrich. Das ist per se natürlich nicht schlecht, wenn man Lust auf eine Erzählung dieser Art hat. Wie so oft kommt es auf das Timing an. Ich hatte durchaus Spaß mit der locker-luftigen Lektüre und werde „The Fifth Ward“ weiterverfolgen. Ich lauere nämlich darauf, dass Torvald irgendwann den einen berühmten Satz sagt: „Ich bin zu alt für diesen Sch***“.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/03/06/dale-lucas-first-watch
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review 2017-11-14 10:13
Überbewertet
American Gods - Neil Gaiman

Mein erstes Date mit Neil Gaiman wollte ich ursprünglich mit „Neverwhere“ bestreiten. Jahrelang schlich ich um den populären Fantasy-Autor, der eng mit Terry Pratchett befreundet war, herum. Ich hatte Respekt vor seinem Ruf und traute mich einfach nicht, ihn kennenzulernen. Dann sahen der Lieblingsmensch und ich den Trailer zur Amazon-Serie „American Gods“. Ich wusste, dass es sich dabei um die Verfilmung von Gaimans gleichnamigen Roman handelt und als der Lieblingsmensch äußerte, dass er der Serie eine Chance geben wollte, entschied ich spontan, zuerst das Buch lesen zu wollen. Mein erstes Date mit Gaiman sollte nicht länger „Neverwhere“ sein. Es sollte „American Gods“ sein.

 

Nach 3 trostlosen Jahren im Gefängnis wünscht sich Shadow nur noch eines: er möchte nach Hause, zu seiner Ehefrau Laura. Als ihn der Gefängnisdirektor in sein Büro bestellt, ahnt er, dass ihn schlechte Nachrichten erwarten. Betäubt lauscht er den Worten des Direktors, der ihm mitteilt, dass Laura bei einem schrecklichen Autounfall ums Leben kam. Er wird verfrüht entlassen, um an ihrer Beerdigung teilnehmen zu können. Von einem surrealen Gefühl der Unwirklichkeit begleitet besteigt er ein Flugzeug, das ihn an einen Ort bringen soll, der nicht länger sein Zuhause ist. Neben ihm sitzt ein gut gekleideter älterer Herr. Er stellt sich als Mr. Wednesday vor. Obwohl sie sich gerade erst kennenlernen, weiß er Dinge über Shadow, die er unmöglich wissen kann und bietet ihm einen Job an. Shadow findet ihn seltsam, doch er hat kein Leben, zu dem er zurückkehren könnte. Er hat nichts zu verlieren. Er schlägt ein, unwissend, dass er schon bald in einen kosmischen Sturm hineingezogen werden wird. Um sich zu schützen, muss Shadow den Funken wiederfinden, der mit Laura starb: seinen Glauben.

 

Warum schreibt ein Brite ein Buch über die Götter der Vereinigten Staaten von Amerika, nachdem er zum Zeitpunkt dessen Erscheinens bereits selbst seit 9 Jahren in den USA lebte? Welche Mission verfolgt er? Welche Botschaft möchte er vermitteln? Ich denke nicht, dass ich „American Gods“ durchschaut habe, denn ich finde keine Antworten auf diese Fragen. Neil Gaiman wollte mir mit diesem Roman etwas sagen, dessen bin ich fest überzeugt. Er schrieb „American Gods“ nicht ausschließlich zur Unterhaltung seiner Leser_innen. Grübele ich über seine Motivation nach, taucht in meinem Kopf das Wort „Identität“ auf, doch es schwebt frei in meinen Gedanken herum, ohne Anker, ohne Begründung, ohne Erklärung. Ich vermute, dass es in der Tiefe dieses Buches um die Identität der USA geht, aber ich kann meinen Finger nicht darauflegen, welche Aussage Gaiman diesbezüglich tätigt. Ich empfand „American Gods“ als irritierend und verwirrend, weil ich all die kryptischen Untertöne der Geschichte nicht zu deuten wusste. Ich hatte das Gefühl, enorm viel zu verpassen und gar nicht allen Details die nötige Aufmerksamkeit schenken zu können. Ich fand nicht in den Rhythmus des Buches und musste mich nach jeder Lesepause wieder neu einfinden. Ich denke, worauf Neil Gaiman abzielte, ist ein Roman mehrerer sich überlappender Ebenen. Leider schätze ich, dass ich dessen Kern, die Ebene, die alle anderen verbindet, nicht begriffen habe. Daher begleitet mich seit der Lektüre ein Gefühl diffuser Ratlosigkeit, obwohl ich den offensichtlichen Grundgedanken der Geschichte durchaus interessant fand. Der sympathische Protagonist Shadow, dessen Funktion und Rolle undurchsichtig bleiben, gerät zwischen die Fronten eines Krieges der Götter um den Glauben des amerikanischen Volkes. Anhand von ergreifend geschilderten Einzelschicksalen, die betonen, dass Glaube und Leid Partner sind, erfahren die Leser_innen, dass die alten Götter von Siedlern verschiedener Epochen in die Neue Welt gebracht wurden. Der Glaube der Menschen belebte sie; Opfer, die in ihren Namen erbracht wurden, verliehen ihnen Macht und Substanz. Unglücklicherweise vergaßen die Gläubigen über die Jahrhunderte jedoch die Gebräuche ihrer alten Heimat, womit auch ihre Götter Macht einbüßten oder sogar ganz verschwanden. Nun kämpfen die Götter um die letzten religiösen Almosen, die die USA auszugeben bereit ist; erschleichen und ergaunern sich unbewusste Anbetungen und Preisungen. Aus allmächtigen Wesen wurden verblasste, bedauernswerte Bittsteller, die von der Schnelllebigkeit der Moderne überholt werden. Auf diese Weise beleuchtet Neil Gaiman die Beziehung zwischen Göttern und Menschen von einem spannenden Blickwinkel aus: die wahre Macht liegt nicht bei den Göttern. Sie liegt bei den Gläubigen. Was ist ein Gott ohne Anhänger_innen? Überflüssig. Ihre tragische Abhängigkeit von den Menschen zwingt sie, die Konfrontation zu suchen, weil die USA einfach nicht genug Raum für alle bieten. Ein Land abenteuerlicher geografischer Weite – doch spirituell ein Stecknadelkopf.

 

Meiner Ansicht nach ist „American Gods“ überbewertet. Es ist ein faszinierendes Buch, das eine ungewöhnliche Geschichte erzählt, aber das Meisterwerk, das mir von zahlreichen Lobpreisungen versprochen wurde, kann ich darin nicht erkennen. Das Konzept der vom Glauben abhängigen Götter war mir bereits durch niemand geringeren als Terry Pratchett bekannt, der sich weitaus früher mit diesem fesselnden Gedankenspiel auseinandersetzte. Neil Gaiman versäumte es, mir nachvollziehbar den größeren Rahmen seines Romans zu vermitteln, sodass ich für all die leisen Untertöne und Bedeutungen zwischen den Zeilen taub und blind blieb. Wahrscheinlich gingen viele Anspielungen unbeachtet an mir vorbei. Ich weiß einfach nicht, was er mir sagen wollte und wartete während der gesamten Lektüre auf die große Erleuchtung, die sich niemals einstellte. Ich empfinde ein Schulterzucken. Vielleicht habe ich mit der Serie mehr Glück. Vielleicht helfen mir bewegte Bilder, zu verstehen, worauf er hinauswollte. Vielleicht hätte ich aber auch meinem Entschluss, zuerst „Neverwhere“ zu lesen, treu bleiben sollen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/11/14/neil-gaiman-american-gods
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