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review 2019-03-05 09:30
Stark, Kumpel, bist du's?
Kill City Blues - Richard Kadrey

Sandman Slim“ soll verfilmt werden. Mein Kumpel Stark auf der Leinwand. Eine seltsame Vorstellung. Die Pläne für eine Verfilmung reichen weit zurück. In einem Interview von 2012 sprach der Autor Richard Kadrey bereits konkret darüber. Diese Realisierung kam offenbar nicht zustande, denn laut aktuelleren Berichten kaufte Studio 8 die Rechte an der Reihe 2016. 2018 wurde öffentlich, dass Chad Stahelski Regie führen und Kerry Williamson die Drehbuchadaption schreiben soll. Über Schauspieler_innen ist noch nichts bekannt. Kadrey selbst weigert sich, Ideen vorzuschlagen. Er habe die äußerliche Erscheinung seines Helden bewusst vage gehalten, damit seine Leser_innen sich ihr eigenes Bild machen können. Einen Schauspieler zu nennen, würde diesen Effekt ruinieren. Aus demselben Grund kommt es für mich nicht in Frage, mir eine Verfilmung anzusehen. Ich bleibe lieber bei den Büchern. Mittlerweile bin ich beim fünften Band „Kill City Blues“ angekommen.

 

Ruhestand – hach, was wäre das schön. Leider ist das für James Stark aka Sandman Slim – Ex-Höllengladiator, Ex-Himmelssöldner und Ex-Luzifer – einfach nicht drin. Er rettete die Welt, doch die Gerüchte über die Macht des Qomrama Om Ya verbreiteten sich in Windeseile und jetzt ist jeder dahergelaufene Möchtegernschurke scharf auf das Ding. Diese Leute meinen es ernst. Wieder einmal wird Stark zur Zielscheibe und beschließt, zu verhindern, dass das Qomrama Om Ya in falsche Hände gerät. Er beginnt, eigene Nachforschungen anzustellen. Nach einigen Wochen ohne Ergebnis hat er die Nase gestrichen voll und tut, was er am besten kann: kräftig auf den Busch klopfen und schauen, was hervorkriecht. Während einer seiner… Erkundungsmissionen fällt ein Name. Kill City. Ausgerechnet. Die verlassene Mall voller primitiver, feindlicher Sub-Rosa-Clans und Monster ist nicht gerade ein Ausflugsziel, das Stark freiwillig gewählt hätte. Aber nun ja, was tut man nicht alles, um die Welt zu schützen?

 

„Kill City Blues“ braucht eine Weile, um in Fahrt zu kommen. Deshalb teile ich diesen fünften Band der Sandman Slim“-Reihe in zwei Hälften unterschiedlicher Qualität. Die erste Hälfte gestaltete sich ziemlich verwirrend und chaotisch. Ich stieg nicht dahinter, welche Parteien das Qomrama Om Ya aus welchen Gründen besitzen wollen und Stark deshalb bedrohen. Ich fand die Situation unübersichtlich. Meine visuelle Assoziation war eine – zugegeben sehr brutale – Kabbelei unter Hühnern. Ich glaube, hätte nicht irgendwer angefangen, auf Stark zu schießen, hätte er sich mit Freuden zurückgelehnt und die Show genossen. Da er Kugeln aber nun mal ziemlich persönlich nimmt, mischt er sich in die Suche ein. Es schockierte mich, wie zahm und zivilisiert er dabei zuerst vorgeht. Meine Befürchtung, Kadrey könne seinen Biss verloren haben, die ich aus dem letzten Band „Devil Said Bang“ mitbrachte, potenzierten sich. Stark fragt herum. Er fragt! Er ist beinahe nett! Niemand stirbt! Ich kramte bereits mental ein schwarzes Kleid heraus, um angemessen um meinen Kumpel zu trauern, der einfach nicht mehr derselbe war. Die Mühe hätte ich mir sparen können, denn in der zweiten Hälfte von „Kill City Blues“ dreht Kadrey auf und legt eine Kehrtwende hin, die mir einen erleichterten Seufzer entlockte. Plötzlich war Stark wieder Stark. Es fühlte sich an, als hätte sich der Autor endlich auf den Kern der Reihe und das Wesen seines Protagonisten besonnen. Halleluja! Stark ist zwar wesentlich intelligenter, als er auf den ersten Blick erscheint, was mich immer wieder überrascht, aber weder ist er ein Stratege noch ein netter Kerl. Er ist unvernünftig und impulsiv. Er ist jemand, der so lange mit einem Knüppel auf den sprichwörtlichen Busch einprügelt, bis alles, was herausfällt, um Gnade winselt. Genau das macht er in der zweiten Hälfte von „Kill City Blues“. Er findet zu seiner alten Form zurück. Trotzdem gibt es Hinweise auf eine charakterliche Weiterentwicklung, die ich sehr begrüße. Stark arbeitet in Kill City erstmals in einem größeren Team. Das war interessant, obwohl ich ihn dennoch für einen Einzelgänger halte, der die Vorteile einer Gruppe nicht nutzt und handelt, als wäre er allein. In diesem Zusammenhang muss ich zähneknirschend zugeben, dass mir Candy in diesem Band besser gefiel. Sie benimmt sich weniger waghalsig und ich glaubte ihr, dass sie sich ernsthafte Sorgen um Stark macht. Eventuell erlaube ich ihr, die Frau in seinem Leben zu bleiben. Außerdem habe ich den Eindruck, dass Stark langsam zu einer inneren Balance zwischen den beiden Seiten seiner Persönlichkeit findet. Ich gönne ihm das sehr, denn er braucht diesen Frieden. Er muss beide Seiten akzeptieren lernen; gegen eine anzukämpfen, macht ihn nur unglücklich. Beide sind ein Teil von ihm, er wird niemals ein ruhiges oder gewaltfreies Leben führen, was er Stück für Stück einzusehen scheint. Sein verändertes Verhältnis zu Kasbian ist meiner Meinung nach Ausdruck dessen. Nach all der Zeit, in der sie widerwillige Mitbewohner waren, stecken sie in „Kill City Blues“ zum ersten Mal vorsichtig die Grenzen ihrer Beziehung ab. Werden sie am Ende vielleicht doch noch Freunde?

 

„Kill City Blues“ stimmt mich optimistisch. Der fünfte Band der Sandman Slim“-Reihe knüpft insgesamt zwar noch nicht an die Qualität der ersten drei Bände an, aber ich denke, Richard Kadrey ist auf dem Weg dahin. In der zweiten Hälfte des Buches lockert er die Zügel für Stark, sodass dieser endlich wieder der unbequeme Bastard sein darf, den ich liebe. Er erlaubt ihm sogar einen abenteuerlichen Kurztrip in die Hölle, den ich atemlos verfolgte. Ich hoffe, dass der Autor nun nicht länger versucht, aus Stark etwas zu machen, was er nicht. Die Handlung von „Kill City Blues“ deutet an, dass er auf einen inhaltlichen Abschluss und die nächste Stufe im Leben seines Protagonisten zusteuert. Wenn es nach mir geht, kann dieser Übergang gar nicht schnell genug stattfinden. Schluss mit alten Göttern und der Frage, wer die Hölle regiert – auf zu Neuem!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/03/05/richard-kadrey-kill-city-blues
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review 2018-08-22 10:48
Auster mit Rasierklingen
No Dominion - Charlie Huston

Charlie Huston, Autor der „Joe Pitt“-Romane, wusste früh, dass er seinen vampyrischen Detektiv nicht auf ewig begleiten würde. Obwohl er mit dem Gedanken spielte, die Reihe ohne festgelegten Abschluss zu konzipieren, langweilte ihn die Idee bereits, bevor er mit dem Schreiben begonnen hatte. Nach dem zweiten Band „No Dominion“ beschloss er, dass „Joe Pitt“ überschaubare fünf Bände umfassen sollte. Dadurch musste er harte Entscheidungen für seinen Protagonisten treffen, intensivierte aber auch seine Schreiberfahrung. Mich motiviert die Aussicht auf einen Abschluss, die Reihe konsequenter als bisher zu verfolgen.

 

Eigentlich möchte Joe Pitt nur in Ruhe gelassen werden. Leider ist er als unabhängiger Vampyr in Manhattan gezwungen, Aufträge der konkurrierenden Clans anzunehmen, um seinen Geldbeutel und Blutvorrat aufzustocken. Seit dieser schmutzigen Geschichte mit der Kleinen erlebt Joe allerdings eine Durststrecke. Ihm gehen die Ideen aus, also wendet er sich an seinen alten Freund Terry, Anführer der Society. Terry bietet ihm einen dubiosen Job an. Es kursiert eine neue Droge. Dass es überhaupt einen Stoff gibt, der nicht sofort vom Vyrus aus dem System gespült wird, ist überraschend genug, doch dieses Zeug hat es in sich. Falsch dosiert verwandelt es Vampyre in rasende Berserker. Joe soll herausfinden, wer die Droge herstellt. Bemüht, schnell Antworten zu finden, stößt er bald auf eine Spur. Diese führt tief in die Hood, in das Territorium von DJ Grave Digga. Sieht so aus, als wäre diese Sache deutlich größer, als er angenommen hatte. Aber Joe wäre nicht Joe, würde ihn das davon abhalten, einigen Leuten kräftig auf die Füße zu treten…

 

Joe Pitt ist eine der krassesten Romanfiguren, die ich kenne. Obwohl es über vier Jahre her ist, dass ich den ersten Band „Stadt aus Blut“ (damals noch auf Deutsch) gelesen habe, rangiert er noch immer unter den Top 10. Man muss kein Genie sein, um zu begreifen, dass sich Joe als Antiheld qualifiziert, meiner Ansicht nach ist er jedoch ein ungewöhnlich extremes Exemplar. Charlie Huston versucht gar nicht erst, ihn als Sympathieträger zu verkaufen. Er poträtiert ihn als durchschnittlichen Typen, der von seinem gewalttätigen Umfeld geprägt ist und Konflikte diesem entsprechend löst. Mein Verhältnis zu Joe ist schwierig. Zwar habe ich eine Schwäche für ihn, weil er in meinen Augen der Inbegriff eines verlorenen Jungen ist, den ich gern retten würde, aber er ist auch schroff, destruktiv, abweisend und gibt trotz seiner Rolle als Ich-Erzähler wenig von sich preis. Er ist verschlossen wie eine Auster und mit Rasierklingen gespickt. Ich kam kaum an ihn heran. Er verströmt eine greifbare, einschüchternde Aura der Gewaltbereitschaft, die sich in einigen sehr brutalen Szenen in „No Dominion“ Bahn bricht und die die gesamte Handlung begleitet. Das Gewaltpotential der Geschichte brodelt permanent knapp unter der Oberfläche, was allerdings nicht ausschließlich Joe geschuldet ist. Die angespannte Situation der Clans dominiert das Buch. Im zweiten Band verdeutlicht Charlie Huston, wie sensibel das Patt zwischen ihnen ist; bereits eine Kleinigkeit reicht aus, um das prekäre Gleichgewicht zu stören. Das Auftauchen einer neuen Droge ist nun wahrlich keine Lappalie. Die Droge dient Charlie Huston als Gelegenheit, die Wirkungsweise des Vyrus näher zu beleuchten. Es handelt sich dabei um eine bemerkenswert ausgefuchste parasitäre Lebensform mit sehr spezifischem Verhalten. Es gefiel mir, dass Huston sich nicht auf der etablierten Faktenlage ausruht und seinen wissenschaftlich-pragmatischen Ansatz des Vampyrismus in „No Dominion“ weiterentwickelt, weshalb ich mich gezwungen sah, meine Genre-Zuordnung zu überdenken und die Reihe als Science-Fiction einzustufen. Auf der Suche nach den Verantwortlichen gerät Joe zwischen die Fronten der Clans, wird manipuliert, getäuscht, belogen und muss einsehen, dass er ihrem Netz nicht entkommen kann. Egal, wie sehr er sich anstrengt, als Vampyr in Manhattan kann er nicht unabhängig existieren. Die Clans lassen das nicht zu. Seine Nachforschungen führen ihn erneut in das Revier der Enklave, deren Anführer Daniel ein gesondertes Interesse an Joe hat. Es ist offensichtlich, dass sie eine spezielle Beziehung und eine gemeinsame Vergangenheit haben, aber natürlich offenbart Joe keine Details. Ich verstehe nicht, was zwischen ihnen läuft. Daniel glaubt, es sei Joes Bestimmung, als Teil der Enklave zu leben, zu fasten, das Vyrus nahezu auszuhungern und dadurch eine neue Bewusstseinsebene zu erreichen. Ich finde Daniels spirituelle Herangehensweise an das Vyrus faszinierend, weil sie Hustons rationalem Ansatz einen Hauch übernatürlicher Mystik verleiht. Ist das Vyrus vielleicht doch mehr als ein Parasit? Ist es ein Weg zur Erleuchtung?

 

„No Dominion“ ist kein typischer Vampirroman. Wer auf melancholische Romantik mit spitzen Zähnen, alabasterfarbener Haut und diesem unwiderstehlichen Kitzel der Gefahr hofft: Finger weg von diesem Buch. In der „Joe Pitt“-Reihe spielt Vampyrismus lediglich eine untergeordnete Rolle. Primär handelt sie von blutigen, hässlichen Gangrivalitäten, die das Leben des Protagonisten ungewollt verkomplizieren. Joe definiert sich nicht über seine Existenz als Vampyr. Dieser Typ, der er jetzt ist – der war er schon, bevor er sich infizierte. Durch das Vyrus wurden lediglich die Karten neu gemischt.
Ich mochte die kompromisslose Härte in „No Dominion“ und das komplexe Verhältnis der Clans, das jeder Zeit eskalieren könnte. Meiner Meinung nach muss sich Charlie Huston in den Folgebänden allerdings vorsehen, dass er seinen Protagonisten nicht allzu unnahbar präsentiert. Ich hatte während der Lektüre oft das Gefühl, dass Joe meine Anwesenheit nur widerwillig akzeptierte und deshalb kaum Persönliches preisgab. Diese Ablehnung darf nicht zu weit führen. Von mir aus kann Joe ein gewalttätiger Mistkerl bleiben – aber er darf Hustons Leser_innen nicht ausschließen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/08/22/charlie-huston-no-dominion
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