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review 2018-08-22 10:48
Auster mit Rasierklingen
No Dominion - Charlie Huston

Charlie Huston, Autor der „Joe Pitt“-Romane, wusste früh, dass er seinen vampyrischen Detektiv nicht auf ewig begleiten würde. Obwohl er mit dem Gedanken spielte, die Reihe ohne festgelegten Abschluss zu konzipieren, langweilte ihn die Idee bereits, bevor er mit dem Schreiben begonnen hatte. Nach dem zweiten Band „No Dominion“ beschloss er, dass „Joe Pitt“ überschaubare fünf Bände umfassen sollte. Dadurch musste er harte Entscheidungen für seinen Protagonisten treffen, intensivierte aber auch seine Schreiberfahrung. Mich motiviert die Aussicht auf einen Abschluss, die Reihe konsequenter als bisher zu verfolgen.

 

Eigentlich möchte Joe Pitt nur in Ruhe gelassen werden. Leider ist er als unabhängiger Vampyr in Manhattan gezwungen, Aufträge der konkurrierenden Clans anzunehmen, um seinen Geldbeutel und Blutvorrat aufzustocken. Seit dieser schmutzigen Geschichte mit der Kleinen erlebt Joe allerdings eine Durststrecke. Ihm gehen die Ideen aus, also wendet er sich an seinen alten Freund Terry, Anführer der Society. Terry bietet ihm einen dubiosen Job an. Es kursiert eine neue Droge. Dass es überhaupt einen Stoff gibt, der nicht sofort vom Vyrus aus dem System gespült wird, ist überraschend genug, doch dieses Zeug hat es in sich. Falsch dosiert verwandelt es Vampyre in rasende Berserker. Joe soll herausfinden, wer die Droge herstellt. Bemüht, schnell Antworten zu finden, stößt er bald auf eine Spur. Diese führt tief in die Hood, in das Territorium von DJ Grave Digga. Sieht so aus, als wäre diese Sache deutlich größer, als er angenommen hatte. Aber Joe wäre nicht Joe, würde ihn das davon abhalten, einigen Leuten kräftig auf die Füße zu treten…

 

Joe Pitt ist eine der krassesten Romanfiguren, die ich kenne. Obwohl es über vier Jahre her ist, dass ich den ersten Band „Stadt aus Blut“ (damals noch auf Deutsch) gelesen habe, rangiert er noch immer unter den Top 10. Man muss kein Genie sein, um zu begreifen, dass sich Joe als Antiheld qualifiziert, meiner Ansicht nach ist er jedoch ein ungewöhnlich extremes Exemplar. Charlie Huston versucht gar nicht erst, ihn als Sympathieträger zu verkaufen. Er poträtiert ihn als durchschnittlichen Typen, der von seinem gewalttätigen Umfeld geprägt ist und Konflikte diesem entsprechend löst. Mein Verhältnis zu Joe ist schwierig. Zwar habe ich eine Schwäche für ihn, weil er in meinen Augen der Inbegriff eines verlorenen Jungen ist, den ich gern retten würde, aber er ist auch schroff, destruktiv, abweisend und gibt trotz seiner Rolle als Ich-Erzähler wenig von sich preis. Er ist verschlossen wie eine Auster und mit Rasierklingen gespickt. Ich kam kaum an ihn heran. Er verströmt eine greifbare, einschüchternde Aura der Gewaltbereitschaft, die sich in einigen sehr brutalen Szenen in „No Dominion“ Bahn bricht und die die gesamte Handlung begleitet. Das Gewaltpotential der Geschichte brodelt permanent knapp unter der Oberfläche, was allerdings nicht ausschließlich Joe geschuldet ist. Die angespannte Situation der Clans dominiert das Buch. Im zweiten Band verdeutlicht Charlie Huston, wie sensibel das Patt zwischen ihnen ist; bereits eine Kleinigkeit reicht aus, um das prekäre Gleichgewicht zu stören. Das Auftauchen einer neuen Droge ist nun wahrlich keine Lappalie. Die Droge dient Charlie Huston als Gelegenheit, die Wirkungsweise des Vyrus näher zu beleuchten. Es handelt sich dabei um eine bemerkenswert ausgefuchste parasitäre Lebensform mit sehr spezifischem Verhalten. Es gefiel mir, dass Huston sich nicht auf der etablierten Faktenlage ausruht und seinen wissenschaftlich-pragmatischen Ansatz des Vampyrismus in „No Dominion“ weiterentwickelt, weshalb ich mich gezwungen sah, meine Genre-Zuordnung zu überdenken und die Reihe als Science-Fiction einzustufen. Auf der Suche nach den Verantwortlichen gerät Joe zwischen die Fronten der Clans, wird manipuliert, getäuscht, belogen und muss einsehen, dass er ihrem Netz nicht entkommen kann. Egal, wie sehr er sich anstrengt, als Vampyr in Manhattan kann er nicht unabhängig existieren. Die Clans lassen das nicht zu. Seine Nachforschungen führen ihn erneut in das Revier der Enklave, deren Anführer Daniel ein gesondertes Interesse an Joe hat. Es ist offensichtlich, dass sie eine spezielle Beziehung und eine gemeinsame Vergangenheit haben, aber natürlich offenbart Joe keine Details. Ich verstehe nicht, was zwischen ihnen läuft. Daniel glaubt, es sei Joes Bestimmung, als Teil der Enklave zu leben, zu fasten, das Vyrus nahezu auszuhungern und dadurch eine neue Bewusstseinsebene zu erreichen. Ich finde Daniels spirituelle Herangehensweise an das Vyrus faszinierend, weil sie Hustons rationalem Ansatz einen Hauch übernatürlicher Mystik verleiht. Ist das Vyrus vielleicht doch mehr als ein Parasit? Ist es ein Weg zur Erleuchtung?

 

„No Dominion“ ist kein typischer Vampirroman. Wer auf melancholische Romantik mit spitzen Zähnen, alabasterfarbener Haut und diesem unwiderstehlichen Kitzel der Gefahr hofft: Finger weg von diesem Buch. In der „Joe Pitt“-Reihe spielt Vampyrismus lediglich eine untergeordnete Rolle. Primär handelt sie von blutigen, hässlichen Gangrivalitäten, die das Leben des Protagonisten ungewollt verkomplizieren. Joe definiert sich nicht über seine Existenz als Vampyr. Dieser Typ, der er jetzt ist – der war er schon, bevor er sich infizierte. Durch das Vyrus wurden lediglich die Karten neu gemischt.
Ich mochte die kompromisslose Härte in „No Dominion“ und das komplexe Verhältnis der Clans, das jeder Zeit eskalieren könnte. Meiner Meinung nach muss sich Charlie Huston in den Folgebänden allerdings vorsehen, dass er seinen Protagonisten nicht allzu unnahbar präsentiert. Ich hatte während der Lektüre oft das Gefühl, dass Joe meine Anwesenheit nur widerwillig akzeptierte und deshalb kaum Persönliches preisgab. Diese Ablehnung darf nicht zu weit führen. Von mir aus kann Joe ein gewalttätiger Mistkerl bleiben – aber er darf Hustons Leser_innen nicht ausschließen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/08/22/charlie-huston-no-dominion
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review 2018-01-24 12:37
Selbstliebe ist harte Arbeit
Bodies: Schlachtfelder der Schönheit - Susie Orbach

Susie Orbach ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Psychoanalyse und der Psychotherapie. Als Expertin für Essstörungen und das enge Verhältnis von Körper und Selbstwertgefühl führt sie seit Jahrzehnten eine Praxis in London, gründete 1976 das „Women’s Therapy Centre“, veröffentlichte mehrere Bücher (darunter der Bestseller „Anti-Diät-Buch“) und behandelte Prinzessin Diana wegen ihrer Bulimie. Sie ist eine engagierte Feministin, die unermüdlich die Prozesse unserer Gesellschaft demaskiert, die unser Körpergefühl zielgerichtet unterminieren, Unsicherheiten bewusst provozieren, aus selbigen profitieren und uns in einen Krieg gegen den eigenen Körper treiben. Sie trug entscheidend zur feministischen Debatte bei, in der das Empfinden von Körperlichkeit heute mehr denn je als essenzieller Faktor für die Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit angesehen wird.

 

Absurd unrealistische Schönheitsideale vom klassischen Sixpack bis zur berüchtigten „Thigh Gap“, Essstörungen, Body-Shaming, Fat-Shaming und die vollkommene Fixierung auf oberflächliche Äußerlichkeiten sind längst keine Ammenmärchen des feministischen Untergrunds mehr. Diese und viele weitere körperbezogene Phänomene sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie sind bekannt. Wir sind entsetzt, lesen wir vom Selbstmord eines jungen Mädchens, die von den diskriminierenden Facebook-Kommentaren ihrer Mitschüler_innen bezüglich der Breite ihrer Hüften in den Tod getrieben wurde. Wir schütteln den Kopf, sehen das soziale Netzwerk in der Pflicht, verlangen, dass diese Kommentare strenger kontrolliert werden. Wir regen uns auf – und rennen dann ins Fitnessstudio, um zur „bestmöglichsten Version unserer selbst“ zu werden. Wir treiben Sport bis zur Erschöpfung, wir halten Diät, wir verzichten, nehmen Appetitzügler, kaufen formende Unterwäsche, die unsere Organe einquetscht, verlassen uns auf überteuerte, fragwürdige Pharmazie und Kosmetikartikel und glauben der Industrie jede noch so paradoxe Lüge. Hilft das alles nicht, tritt die Schönheitschirurgie auf den Plan. Schönheit, die theoretisch im Auge des Betrachters liegen sollte, ist ein globales Milliarden-Geschäft.

 

In „Bodies: Schlachtfelder der Schönheit“ untersucht Susie Orbach die Auswirkungen des weltweiten Schönheitswahns und postuliert eine Theorie, inwiefern das zwanghafte Streben nach dem perfekten Körper ihrer Meinung nach ein gestörtes, ungesundes Körpergefühl verursacht. Anhand verschiedener Fallbeispiele und Studienergebnisse zeigt sie die extremen Spielarten des modernen Körperkults, analysiert entwicklungspsychologische Faktoren und hinterfragt Einflüsse und Verantwortlichkeit von Schönheitschirurgie, Werbe-, Diät- und Pharmaindustrie. Sie nennt das Problem mutig beim Namen: Körperhass. Die totale Ablehnung des eigenen, physischen Ichs, dessen Individualität nicht als Stärke, sondern als Makel angesehen wird, den es in aller Konsequenz auszumerzen gilt. Der Körper als Dauerbaustelle.

 

Ich fand „Bodies“ definitiv sehr interessant. Dieses Sachbuch zwingt die Leser_innen nahezu, sich selbst zu hinterfragen und das Verhältnis zum eigenen Körper auf den Prüfstand zu stellen. Ich konnte nicht verhindern, mich zu fragen, warum ich eigentlich Joggen gehe, obwohl mir das Laufen an sich keinen Spaß macht, wieso ich esse, ohne Hunger zu haben und inwieweit mein Blick in den Spiegel von gesellschaftlichen ästhetischen Idealvorstellungen getrübt ist. Wessen Gedanken treiben mich an? Meine eigenen? Oder sind es die Ideen profitorientierter Wirtschaftsunternehmen? Bin ich fähig, mich selbst so zu akzeptieren, wie ich bin? Lebe ich in Frieden mit und in meinem Körper? Bin ich in der Lage, mich selbst „schön“ zu finden? Diese Fragen sind zweifellos unangenehm. Ich kann mir vorstellen, dass es Leser_innen gibt, die Susie Orbachs Ausführungen als Angriff werten und sich in die Defensive gedrängt fühlen, weil sie soziokulturelle Prozesse kritisiert, die uns alle betreffen. Mit dem rasanten Fortschreiten von Globalisierung und Digitalisierung wird es immer schwieriger, sich dem Einfluss einer ganzen Armee von Industriezweigen, die uns vorbeten, wie wir auszusehen und unseren Körper zu behandeln haben, zu entziehen. Treibe Sport, verzichte auf Kohlenhydrate, lass deine Nase richten – tu etwas für dich, denn du trägst die Verantwortung für dein Projekt „Körper“.

 

Laut Orbach werden wir pro Woche schätzungsweise zwischen 2000 und 5000 Mal mit Bildern digital manipulierter, retuschierter Körper konfrontiert. Ich finde das enorm viel und darüber hinaus empörend. Bis zu 5000 Mal wird mir also vor Augen gehalten, wie ich nicht aussehe, niemals aussehen werde und auch gar nicht aussehen kann. Menschen, die sich ausschließlich für mein Geld interessieren, belästigen mich mit unrealistischen Illusionen, die mir ein schlechtes Gewissen einreden sollen. Unsicherheit wird zielgerichtet in meinen Kopf verpflanzt. Das ist unverschämt. Das Schlimme daran ist, dass ich, obwohl ich für diese systematische Manipulation bereits sensibilisiert bin, mich immer wieder bewusst daran erinnern muss, dass ich nicht „falsch“ oder unzureichend bin, nur weil ich nicht einem willkürlich gesetzten Ideal entspreche. Selbstliebe ist harte Arbeit.

 

Orbach sieht jedoch nicht nur äußere Einflüsse als entscheidende Faktoren hinsichtlich der Ausbildung eines gestörten Körpergefühls. „Bodies“ ist kein gift- und gallespuckender, hysterischer Feldzug gegen die Industrie, obwohl die Autorin die Ausbeutung des Körpers und das Verschwinden der Körpervielfalt selbstverständlich anprangert. Sie beleuchtet verschiedene, teilweise interagierende Ursachen und beruft sich auf Studien, die nahelegen, dass das Empfinden von Körperlichkeit bereits im frühesten Kindesalter determiniert wird und maßgeblich von der physischen Interaktion mit den Eltern abhängt. Babys, die eine Form von Vernachlässigung ihrer psychischen Bedürfnisse erleben – werden sie beispielsweise nicht getröstet, wenn sie weinen – modifizieren ihre eigene Psyche und die damit verbundenen Neuralbahnen, um zu gefallen, weil sie annehmen (soweit man in diesem Entwicklungsstadium davon sprechen kann), dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Sie stellen die Aspekte ihres Ichs in den Vordergrund, die positive Resonanz erhalten, um ihr Bestreben nach Anerkennung zu befriedigen, während andere Aspekte unterentwickelt bleiben. Ist diese psychische, neurale Struktur erst einmal gefestigt, kann sie sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzen, wodurch sich ein fragiles Körpergefühl einstellen kann, da allem misstraut wird, das aus der betreffenden Person selbst kommt.
Ich habe meine Eltern gefragt: soweit sie sich erinnern, haben sie mich als Baby nie schreien lassen.

 

Die Psychotherapeutin berichtet von einer Patientin, die seit ihrer Jugend an wiederkehrender Bulimie litt. Im Laufe der Behandlung stellte sich heraus, dass besagte Patientin nie viel von ihrer Mutter berührt worden war, stattdessen jedoch Gefühle von Trauer, Entsetzen, Schmerz, Scham, Angst und Unsicherheit übermittelt bekam. Sie lebte in einem „falschen“ Körper, in dem sie sich nie ganz wohlfühlte, weil ihre Mutter die Ausbildung ihres „wahren“ Körpers beschnitten hatte.
Dieser Fall ist ein hervorragendes Beispiel dafür, warum „Bodies“ von mir trotz seines höchst informativen Charakters lediglich 4 Sterne erhält. Die Schilderung von Orbachs Beziehung und Interaktion mit dieser Patientin empfand ich als schwer nachvollziehbar, ja beinahe esoterisch. Nun möchte ich ihre Erlebnisse als Therapeutin selbstverständlich nicht in Frage stellen, aber die intensive Bindung zwischen ihnen, in der Orbach die unterschwelligen, unbewussten Gefühle ihrer Patientin, die ihr von ihrer Mutter vermittelt worden waren, körperlich wahrnahm, ist zweifellos schwer zu glauben.

 

Darüber hinaus war mir nicht immer klar, wo genau Susie Orbach die Grenze zwischen Psyche und Körper zieht. Mir erscheint der Übergang fließend und ich könnte nicht determinieren, wann sich ein gestörtes Körpergefühl tatsächlich aus einer gestörten Beziehung zum eigenen Körper speist und wann es Ausdruck eines psychischen Traumas ist. Ich habe ihre Ausführung nicht völlig verstanden, weil sie sich teilweise abstrakt ausdrückt und oft weit ausholt, um einen bestimmten Punkt zu erörtern. Ich bin nicht sicher, ob sie überhaupt einen Unterschied zwischen psychischer und physischer Existenz sieht oder ob diese ihrer Meinung nach nicht zu trennen sind.

 

Nichtsdestotrotz stimme ich ihrer These, dass sich die moderne Auffassung vom Thema Körperlichkeit ändern muss, uneingeschränkt zu. Der Druck, einem bestimmten Ideal entsprechen zu müssen, ist unkontrolliert mutiert und bringt uns in eine Lage, in der wir oft kein Maß mehr finden. Wir sind verunsichert und haben verlernt, die Signale unserer Körper zu deuten. Das Bestreben, äußerlich perfekt zu sein, stürzt uns in ein tiefes psychisches Ungleichgewicht, das uns veranlasst, unsere Körper hyperkritisch zu beurteilen. Wir wollen jede noch so kleine Körperfunktion kontrollieren und können das reine Erleben nicht mehr genießen.

 

Öffentliche Körper-Toleranz ist maximal ein erster Schritt; eine wahrhafte Veränderung kann nur dann ihr Potential entfalten, wenn sie an den Stellen greift, die von unserem instabilen Verhältnis zum Körper profitieren: in der Industrie. Leider habe ich keine Hoffnungen, dass die entsprechenden Industriezweige für das Allgemeinwohl auf haufenweise Geld verzichten. Was bleibt also übrig? Ich denke, die einzige Waffe gegen den Einfluss des globalen Schönheitswahns ist der eigene Geist. Wir müssen bewusst entscheiden, uns so zu akzeptieren, wie wir sind und die Manipulationsversuche zu ignorieren. Damit möchte ich nicht sagen, dass niemand mehr Sport treiben oder eine Schönheitsoperation vornehmen lassen sollte, aber ich halte es für wichtig, eine ganz individuelle Balance zu finden, statt sich in einen Krieg gegen den eigenen Körper drängen zu lassen.

 

Ich habe durch „Bodies: Schlachtfelder der Schönheit“ sehr viel gelernt und ich bin dankbar, dass Menschen wie Susie Orbach versuchen, unser Bewusstsein für den gesellschaftlichen Umgang mit Körperlichkeit zu schärfen. Ich schätze ihre Arbeit sehr und kann dieses Sachbuch guten Gewissens empfehlen.
Abschließend möchte ich nur noch eines sagen: überprüft eure Gedanken, während ihr den Spiegel blickt. Tötet die fiese Stimme, die euch zuflüstert, dass ihr nicht genügt, dass ihr zu dick, zu krumm, zu hässlich seid. Sie lügt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/01/24/susie-orbach-bodies-schlachtfelder-der-schoenheit
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review 2017-12-13 11:01
Er ging Zigarettenholen
Frankenstein - Mary Shelley

„Frankenstein“ (Untertitel: „The Modern Prometheus“) von Mary Shelley ist meiner Meinung nach Pflichtlektüre, interessiert man sich für Fantastik- und Science-Fiction-Literatur. 1818 anonym erstveröffentlicht, entwickelte es sich zu Shelleys bekanntestem Werk, das die Pop-Kultur wie kein zweites prägte. Die damals 18-jährige Autorin wurde von einem Albtraum inspiriert, der sie 1816 heimsuchte, während sie in Begleitung ihres Ehemannes Percy Bysshe Shelley und ihrer Stiefschwester Claire Clairmont Lord Byron in Genf besuchte. Bis heute ist umstritten, welche Einflüsse Mary Shelleys Traum auslösten, es scheint jedoch sicher, dass der in der Gruppe diskutierte Galvanismus ein entscheidender Faktor war. Für mich spielt es letztendlich keine Rolle, warum Shelley die Geschichte des Wissenschaftlers Victor Frankenstein niederschrieb – ich freue mich einfach, dass ich sie 200 Jahre später lesen kann.

 

Von Kindesbeinen an wird Victor Frankenstein von seinem unstillbaren Verlangen nach Erkenntnissen getrieben. Sein Wissensdurst ist grenzenlos. Er trachtet danach, die Geheimnisse von Leben und Tod zu entschlüsseln. Als Student in Ingolstadt profitiert er von den jüngsten Ergebnissen der modernen Forschung des 19. Jahrhunderts. Erfüllt von fieberhaftem Ehrgeiz gelingt ihm, wozu nur Gott fähig sein sollte: die Belebung toten Fleisches. Berauscht erschafft Frankenstein die unheilige Kopie eines Menschen. Doch seine Schöpfung entpuppt sich als abstoßend, monströs. Angewidert von der Frucht seiner Arbeit wendet sich Frankenstein ab. Die Ablehnung seines pervertierten Kindes wird ihm zum Verhängnis, denn das Monster weigert sich, seine Zurückweisung zu akzeptieren. Verbunden durch gegenseitigen Hass beginnen Schöpfer und Schöpfung einen tödlichen Tanz, der sie bis ans Ende der Welt führt.

 

„Frankenstein“ von Mary Shelley gilt als der erste Science-Fiction-Roman der Geschichte. Es ist immer schwierig, einen Klassiker, der so großen Einfluss auf Literatur und Kultur hatte, zu rezensieren. Oberflächlich scheint „Frankenstein“ lediglich der Unterhaltung zu dienen; erst in der Tiefe offenbaren sich zahlreiche elementare Themen, die sich um die zentrale Schöpfungsgeschichte des namenlosen Monsters herumranken. Dadurch entsteht eine verblüffende Ambiguität, die eine gradlinige Einteilung in Gut und Böse strikt verweigert. Die psychologisch konsequente, realistische Konstruktion der Protagonisten erlaubt der Geschichte, weit über diese engen Dimensionen hinauszuwachsen. „Frankenstein“ enthüllt sich als Tragödie dunkelster Couleur, die unausweichlich fatal enden muss. Ich war in vielerlei Hinsicht von der Lektüre überrascht. Am meisten erstaunte mich, dass ich Victor Frankenstein seinem Monster vorzog. Ich bin vom Gegenteil ausgegangen. Ein Grund ist sicher die Ich-Perspektive des ehrgeizigen Wissenschaftlers, doch diese Erklärung genügt nicht, um meine Schwierigkeiten mit dem Monster zu determinieren. Obwohl ich den Status der Kreatur als einsame, enttäuschte und verlassene Schöpfung anerkenne und objektiv Mitgefühl empfinde, stieß mich ihre aggressiv-explosive Seite ab. Das Monster ist kein rehäugiger, sanfter Galan, es wird von Zorn und Rachsucht beherrscht. Selbstverständlich sind diese Gefühle gerechtfertigt, aber die Verbissenheit, mit der es eine tödliche Fehde mit Frankenstein provoziert, erschien mir kleingeistig, selbstzerstörerisch und seines intellektuellen Potentials nicht würdig. Anstatt die Zurückweisung seines Schöpfers als Chance zu interpretieren und seine miserable Existenz eigenständig zu verbessern, reagiert es jähzornig und gewalttätig, wenn seine plumpen, ungelenken Versuche, Kontakt mit der Gesellschaft aufzunehmen, scheitern und versteift sich auf die widerwärtig egoistische und gewissenlose Idee, Frankenstein schulde ihm eine Gefährtin. Als dieser ablehnt, gewinnt der obsessive Hass des Monsters auf seinen Schöpfer die Oberhand. Aufgrund dieser Negativentwicklung war ich nicht in der Lage, mich dem Monster emotional zu nähern. Das heißt jedoch nicht, dass ich Victor Frankenstein als Opfer betrachte. Von Arroganz geblendet und frei von Demut schwingt er sich eigennützig zum Schöpfer auf, leugnet seine menschliche Fehlbarkeit, die ihm erst der erschreckende Anblick seiner Schöpfung vor Augen führt. Er bereut, dass er keinen Menschen nach seinem Abbild formen konnte. Er bereut nicht, sich überhaupt an der Schöpfung vergangen zu haben. Er ist sich bis zum Ende keiner Schuld bewusst, spricht sich von jeglicher Verantwortung frei und weigert sich, sein Versagen hinsichtlich seiner bizarren Elternrolle einzugestehen. Mit seiner gleichgültigen Grausamkeit verdammt er das Monster und sich selbst unwiderruflich. Die Sünde, seine Schöpfung im Stich zu lassen, ist unverzeihlich. Victor Frankenstein ist ein Vater, der Zigarettenholen ging und nie zurückkehrte.

 

Mary Shelley war ihrer Zeit weit voraus. Nicht nur literarisch, als Begründerin eines komplett neuen Genres, sondern auch gesellschaftsphilosophisch. „Frankenstein“ ist eine anregende Diskussion des Rechts auf Leben, der Position des Individuums in der Gesellschaft und des Grabens zwischen Schöpfer und Schöpfung. Obwohl Mary Shelley keine überragende Autorin war, kaschierte sie ihre Schwächen elegant und wirkungsvoll, indem sie sich hinter ihrer Geschichte völlig zurücknahm und ihren Figuren bescheiden das Rampenlicht überließ. Für mich war die Lektüre interessant und wertvoll, weil sie mir die ursprüngliche Form der Legende des Victor Frankenstein fernab von verfälschten Verfilmungen näherbrachte, die Erzählung, die der historische Beginn der Science-Fiction war. Ich hoffe, dass Mary Shelley im Jenseits beobachten kann, wie viel sie für die (weibliche) Literatur getan hat und sich daran erfreut, dass ihr Roman, der einst einem Albtraum entsprang, 200 Jahre nach seinem Erscheinen noch immer gelesen wird.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/12/13/mary-shelley-frankenstein
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review 2017-11-15 11:04
Ein Held mit Brüsten
Bloody Bones - Laurell K. Hamilton

In Großbritannien und den USA weckt der Titel des fünften „Anita Blake“-Bandes, „Bloody Bones“, vermutlich ganz bestimmte Assoziationen. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass deutsche Leser_innen hingegen keine Ahnung haben, welche Anspielung sich darin versteckt. Im englischsprachigen Raum ist Bloody Bones als Kinderschreck bekannt, der nahe Gewässern lebt und unartige Kinder ertränkt. Die Legende variiert natürlich. Alternativ lebt das Monster in einem Schrank unter der Treppe; in neueren Versionen treibt es in Abflussrohren sein Unwesen. Obwohl ich das Buch schon einmal auf Deutsch gelesen habe, erinnerte ich mich nicht an diese Sagengestalt. Insgesamt war meine Erinnerung an Band 5 vollkommen verschwunden, sodass ich „Bloody Bones“ gänzlich unbelastet beginnen konnte.

 

Jeder andere Animator hätte den Auftrag, einen ganzen Friedhof voller 200 Jahre alten Leichen zu erwecken, um einen Streit über die Besitzverhältnisse des Landes beizulegen, ablehnen müssen. Doch Anita Blake ist nicht wie ihre Kolleg_innen. Ist das Opfer mächtig genug, könnte sie es schaffen. Sie ist neugierig; will wissen, ob sie den Auftrag meistern kann, ohne menschliches Blut zu vergießen. Sie sagt zu und kurz darauf sitzt sie, begleitet von Larry, bereits in einem Helikopter, der sie nach Branson, Missouri bringen soll. Dort angekommen, bekommt sie es allerdings nicht nur mit gierigen Anwälten und der dubiosen Familie Bouvier zu tun, sondern auch mit einer rätselhaften Mordserie. Alle Opfer sind jung und nahezu blutleer. Für Anita ist der Fall klar: der Täter ist ein Vampir. Sie ahnt nicht, dass sich in den Wäldern rund um Branson noch ein ganz anderes Wesen verbirgt. Ein Wesen, das schlimmer und gefährlicher ist als ein Nest skrupelloser Vampire…

 

Vor rund zwei Jahren habe ich einen Artikel gelesen, der die Rolle der weiblichen Heldin in der Urban Fantasy aus der Gender-Perspektive heraus analysiert. Die These lautete, dass die Entscheidungen der Heldin festlegen, ob sie sich wahrhaft als Heldin mit weiblichem Gender qualifiziert oder ob sie eher als „Held mit Brüsten“ kategorisiert werden muss. Anita Blake ist ein Held mit Brüsten, das schlussfolgerte der Artikel einwandfrei und „Bloody Bones“ belegt diesen Ansatz zweifellos. Im fünften Band benimmt sich Anita äußerst maskulin, ist unfähig, Verantwortung abzugeben, Vertrauen zu schenken und zeigt extremes, teilweise aggressives Konkurrenzverhalten. Sie ging mir auf die Nerven, weil ihre Tendenzen zum obsessiven Kontrollfreak stark zu Tage treten. Sie muss alles selbst machen, kann nichts delegieren und reagiert wütend, stößt sie an Grenzen. Den armen Larry würde sie, wenn sie könnte, sogar auf die Toilette begleiten, da sie ihm nicht zutraut, sich selbst zu schützen. Selbstverständlich verfügt Larry weder über ihr Wissen, noch über ihre Erfahrung, aber sie ist nicht seine Mutter und hat kein Recht, ihn wie ein Kind zu behandeln und ihm Vorschriften zu machen, so sehr sie sich auch um seine Sicherheit sorgen mag. Er ist ein erwachsener Mann, verflixt noch mal. Durch ihr Verhalten stellt sie seine Kompetenz, seine Fähigkeiten und seine Autorität in Frage, was insofern paradox ist, dass sie selbst es nicht erträgt, wird mit ihr ebenso umgesprungen. In Branson, Missouri ist Anita kaum mehr als eine Zivilistin. Sie möchte der Polizei bei den Ermittlungen in der Mordserie helfen, hat jedoch keinerlei Handhabe, als ihr Ablehnung entgegenschlägt. Außerhalb von St. Louis besitzt sie keinen offiziellen Status, was sie verständlicherweise als frustrierend empfindet. Auf diese Weise unterstreicht Laurell K. Hamilton elegant die Notwendigkeit eines potentiellen Gesetzes, das Vampirhenkern die Befugnisse der Bundespolizei verleihen würde. Noch wird dieses Gesetz allerdings lediglich diskutiert, weshalb Anita in „Bloody Bones“ ordentlich tricksen muss, um in die Ermittlung involviert zu werden. Ich fand den Fall verworren und unübersichtlich, da wieder einmal mehrere Antagonisten vorgestellt werden und ich nur mit Mühe auseinanderhalten konnte, wer sich jetzt welcher Missetaten schuldig machte. Das unausweichliche Vampirchaos überstrahlt sowohl die Ausgangssituation der Erweckung eines ganzen Friedhofs, als auch die Etablierung einer neuen Spezies, die dadurch beiläufig und enttäuschend unspektakulär daherkam. Es wirkte, als hätte Hamilton während des Schreibprozesses den Fokus der Geschichte verschoben, damit die Vampire und somit auch Anitas Verbindung zu Jean-Claude erneut im Mittelpunkt stehen, was meiner Ansicht nach unnötig war. Ich sehe zwar ein, dass die Veränderung der Beziehung zwischen Anita und Jean-Claude für die übergreifende Handlung bedeutsam ist, doch meiner Meinung nach hätte sie dieses Element nicht zwangsläufig in „Bloody Bones“ hineinquetschen müssen. Es hätte Zeit gehabt. Ich hätte eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Erweckungsszenario und der damit einhergehenden Eingliederung besagter neuer Spezies definitiv bevorzugt.

 

Ich hatte leider nur mäßig Spaß an der Lektüre des fünften „Anita Blake“ – Bandes „Bloody Bones“. Einerseits fand ich das unglücklich wirre Handlungskonstrukt langatmig und gestreckt, andererseits manifestieren sich Anitas negative Eigenschaften so dominant, dass sich die Distanz zwischen uns, die sich bereits im letzten Band „The Lunatic Cafe“ aufzubauen begann, weiter vertiefte. Ich gebe es ungern zu, aber Anita ist in „Bloody Bones“ keine Sympathieträgerin – sie ist eine nervige, kontrollsüchtige, waffenschwingende Irre. Zum Glück weiß ich, dass diese Facetten lediglich einen Aspekt ihrer Persönlichkeit darstellen und bessere Zeiten nahen. Diese werden mich daran erinnern, warum ich sie trotz oder gerade aufgrund ihrer Fehler gernhabe, weshalb ich nicht einmal ansatzweise darüber nachdenke, die Reihe abzubrechen. Einfach durchhalten und diesen durchschnittlich überzeugenden Band erneut vergessen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/11/15/laurell-k-hamilton-bloody-bones
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