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review 2019-10-29 09:51
Irgendwas ist wohl immer
The Masked City - Genevieve Cogman

Die Reihe „The Invisible Library” von Genevieve Cogman ist das Ergebnis einer wilden Mischung literarischer Einflüsse. Die Idee einer interdimensionalen Bibliothek borgte sich die Autorin von Terry Pratchett, Neil Gaiman und aus dem französischen Rollenspiel „In Nomine Satanis“. Die Magie ist von Ursula K. Le Guins „Erdsee“-Saga inspiriert, die Drachen durch die chinesische Mythologie und „Sherlock Holmes“ prägte sie ebenfalls. Das Konzept von Ordnung und Chaos hingegen ist eine Exploration dessen, was ihr in Michael Moorcocks „Elric“-Romanen begegnete. Das Ranking, das die Unsichtbare Bibliothek verwendet, um alternative Welten hinsichtlich Ordnung oder Chaos zu klassifizieren, spielt im zweiten Band „The Masked City“ eine entscheidende Rolle.

 

Endlich fand Irene eine Heimat. Sie ist nun dauerhaft in einem alternativen viktorianischen London als Agentin der Unsichtbaren Bibliothek stationiert. Keine Reisen durch die Welten mehr, ausschließlich Aufträge mit überschaubarem Risiko. Irene ist zufrieden. Doch die Idylle ihres neuen Lebens währt nur kurz. Ihr Lehrling Kai wird von den Fae entführt. Kais Onkel, der König der Drachen, wertet den Zwischenfall als offene Kriegserklärung. Wutschnaubend beauftragt er Irene, seinen Neffen zurückzubringen. Sollte sie scheitern, wird er die Welt, aus der Kai verschleppt wurde, restlos zerstören, um ein Exempel zu statuieren. Irene findet heraus, dass Kai in eine hochgradig vom Chaos infizierte Welt gebracht wurde, in ein alternatives Venedig der Masken und Illusionen, in der der Karneval niemals endet. Irgendwie muss sie dort hingelangen, obwohl die zur Neutralität verpflichtete Bibliothek es Mitgliedern untersagt, sich in das Ringen der Mächte der Ordnung und des Chaos einzumischen. Auf sich allein gestellt bricht Irene zu einer verzweifelten Rettungsmission auf, die alles aufs Spiel setzt: Kai, ihren Job und ihr Leben.

 

Ich werde mich der weitreichenden Begeisterung für „The Invisible Library“ vermutlich niemals anschließen können. Ich fürchte, es wird immer Punkte geben, an denen ich mich störe, obwohl die Romane durchaus unterhaltsam sind. Im zweiten Band „The Masked City“ konnte ich meine Kritik am grundlegenden Konzept der Unsichtbaren Bibliothek zwar vernachlässigen, weil sie lediglich am Rande auftritt und die Protagonistin Irene dieses Mal keinen Auftrag erfüllen muss, aber dafür wurde ich mit Genevieve Cogmans Wechselspiel zwischen Ordnung und Chaos konfrontiert, mit dem ich einfach nicht warm wurde. Alle Welten ihres Multiversums befinden sich irgendwo auf einer gedachten Skala zwischen der Ordnung der Drachen und dem Chaos der Fae. Drachen und Fae sind dementsprechend Gegenspieler, in deren Mitte sich die Bibliothek nach Kräften bemüht, die Schweiz zu imitieren. „The Masked City“ soll einen tieferen Einblick in ihre Rivalität gewähren, für mich warf diese Fortsetzung allerdings eher neue Fragen auf, statt sie zu beantworten. Ich habe keine genaue Vorstellung davon, was Ordnung und Chaos für Cogman bedeuten. Welche Elemente zählen zur Ordnung, welche zum Chaos? Welche Auswirkungen hat die Anwesenheit der Fae auf eine Welt, beeinflussen sie sie absichtlich und wenn ja, heißt das, dass sie aus dem Nichts zum Beispiel auch fiktive Fabelwesen auftauchen lassen können? Ich finde die Entwürfe beider Extreme bisher äußerst schwammig und habe Schwierigkeiten, mit ihnen konkrete Merkmale zu verknüpfen. Das alternative Venedig, in das Irenes Lehrling Kai entführt wird, hätte mir helfen sollen, zumindest das Chaos besser zu verstehen, da Cogman sich in dessen Darstellung jedoch lieblos auf Flüsse, Gondeln und Masken beschränkte und keine greifbare, individuelle Atmosphäre heraufbeschwor, funktionierte das leider nicht. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso sie so zugeknöpft blieb, schließlich lädt ein verzaubertes Venedig nachdrücklich dazu ein, in Beschreibungen des Settings zu schwelgen. Vielleicht lag ihre Zurückhaltung an Irene, die das Chaos prinzipiell unterkühlt betrachtet und sich aufgrund ihrer pragmatischen Art nicht an seinen Wundern erfreuen kann. Ist es schlimm, dass ich sie nicht besonders mag? Die Protagonistin ist mir zu verkopft, zu verbissen und versucht meinem Empfinden nach allzu angestrengt, sich zu beweisen. Sie hat keinen Humor und ist enervierend pessimistisch. Ich stelle ihr Talent als Agentin ernsthaft in Frage, weil das Gelingen ihrer Pläne stets von einer unverschämten Portion Glück abhängt, was ihren Status als Junior-Bibliothekarin für mich noch rätselhafter gestaltet, als er ohnehin ist. Auf welcher Stufe der Hierarchie der Bibliothek steht Irene eigentlich und welche Befugnisse und Verpflichtungen gehen damit einher? Da „The Masked City“ die Strukturen der Bibliothek maximal streift, fühlte ich mich am Ende der Lektüre bedauerlicherweise nicht schlauer als vorher.

 

Als Einzel-Abenteuer ist „The Masked City“ fraglos aufregend und actionreich. Das Buch liest sich flüssig und unterhielt mich angemessen. Für mich besteht das Problem darin, dass Genevieve Cogman meinem Empfinden nach zu zaghaft daran arbeitet, das allgemeine Worldbuilding von „The Invisible Library“ voranzutreiben. Natürlich handelt es sich erst um den zweiten Band, doch ein gewisses Informationskontinuum, das die präsentierten Ideen in einen größeren Kontext setzt, kann man sicher selbst so früh in einer Reihe erwarten. Ich habe den Eindruck, dass Cogman permanent den Fuß auf der Bremse hat, weil sie sich fürchtet, Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, die spätere Handlungslinien einengen könnten. Obwohl ich verstehe, dass sie sich nicht selbst beschneiden möchte, wird sie mit dieser Unverbindlichkeit bei mir irgendwann an eine Wand stoßen. Ich bin bereit, es mit dem dritten Band „The Burning Page“ zu versuchen, aber wenn sie nicht bald den Mut entwickelt, sich festzulegen, muss ich mich fragen, ob es sich lohnt, die Reihe weiterzuverfolgen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/10/29/genevieve-cogman-the-masked-city
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review 2018-03-21 13:10
Kakophonie des Leids
Half Bad - Sally Green

„Half Bad“ von Sally Green steht zweifach im Guinness-Buch der Rekorde. 2014 brach es den Weltrekord für das „meist-übersetzte Buch eines/einer Debüt-Autor_in vor dessen Erscheinen“, sowie für das „meist-übersetzte Kinderbuch eines/einer Debüt-Autor_in vor dessen Erscheinen“. Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Die beiden Rekorde bedeuten, dass „Half Bad“ bereits vor seinem britischen Veröffentlichungsdatum am 03. März 2014 in andere Sprachen übersetzt und in die entsprechenden Länder verkauft wurde. Das schafften andere Bücher ebenfalls, doch keines erreichte die überwältigende Anzahl von 45 Sprachen. Die Rekorde sind auf der Website des Guinness-Buches noch immer verzeichnet, woraus ich schließe, dass sie weiterhin aktuell sind. Herzlichen Glückwunsch, Sally Green! Seit 4 Jahren im Guinness-Buch der Weltrekorde, keine üble Leistung! Da wurde es wohl höchste Zeit, dass ich „Half Bad“, den Auftakt der gleichnamigen „Half Bad“-Trilogie, endlich lese, oder?

 

Nathan ist Grausamkeiten gewöhnt. Sein Leben lang wurde er mit Argwohn behandelt, erfuhr Demütigungen und Erniedrigungen. Auf Schritt und Tritt wurde er beobachtet, überwacht, verdächtigt. Als einziger Sohn der gefürchteten Schwarzen Hexe Marcus sieht die britische magische Gemeinschaft in ihm eine tickende Zeitbombe. Doch jetzt sind sie zu weit gegangen. Sie sperrten ihn in einen Käfig, schlugen ihn, misshandelten ihn. Gefangen wie ein Tier fantasiert Nathan pausenlos von Flucht. Seine einzige Chance, zu überleben, besteht darin, seine Ketten zu sprengen, den Weißen Hexen zu entkommen und an seinem bevorstehenden 17. Geburtstag seine eigenen Kräfte zu erwecken. Dafür muss er allerdings das Ritual der drei Gaben vollziehen. Und der einzige, der ihm diese überreichen kann, ist sein Vater…

 

Auf der dazugehörigen Goodreads-Seite wird „Half Bad“ als Sensation beschrieben. Dem kann ich nicht widersprechen, denn ein Buch, das gleich zwei Weltrekorde auf einmal brach, verdient diese Bezeichnung durchaus. Leider sagt die Tatsache, dass der Trilogieauftakt zweifacher Weltrekordhalter ist, nichts über die inhaltliche Qualität der Geschichte aus. Meiner Ansicht nach bewegt sich „Half Bad“ in der weiten, schwammigen Grauzone zwischen gut und schlecht. Es ist weder Fisch noch Fleisch; weder begeisterte es mich, noch enttäuschte es mich grundlegend. Es ist ganz nett – wir wissen, dass diese Aussage einem Schulterzucken gleichzusetzen ist. Von der Handlung ist bei mir nicht allzu viel hängen geblieben. Ich erinnere mich an einige Schlüsselszenen, die groben Eckpfeiler der Geschichte, doch darüber hinaus… wabernder Nebel. Ich habe allerdings nicht das Gefühl, dass diese Gedächtnislücken tragisch wären, denn meinem Empfinden nach konzentrierte sich Sally Green hauptsächlich darauf, die deprimierenden Lebensumstände des Protagonisten Nathan darzustellen, statt einen konstanten inhaltlichen Fluss zu konzipieren. Der Beginn des Buches irritierte mich arg, weil Green eine ungewöhnliche Variante der Ich-Perspektive wählte. Nathan spricht die Leser_innen in 2. Person Singular direkt an. Ich konnte mich mit dieser Erzählweise überhaupt nicht anfreunden und hoffte inbrünstig, es bald hinter mir zu haben, was glücklicherweise auch der Fall war. Nach 20 Seiten wechselt Green in die gewohnte 1. Person Singular. Ich atmete auf. Was folgte, war eine minutiöse Beschreibung von Nathans Leben, bevor er in einen Käfig gesperrt wurde, eine Kakophonie des Leids, die mich, obwohl ich voll und ganz anerkenne, dass alles, was Nathan durchleben muss, furchtbar und schrecklich ist, auf Dauer langweilte. Die Auflistung der Grausamkeiten seitens des Rates der Weißen Hexen und der magischen Gemeinschaft im modernen Großbritannien erschien mir äußerst langatmig. Ich fühlte mich bedrängt; ich sollte unbedingt Mitleid für Nathan empfinden und erhielt nie die Chance, mir ein Bild seiner Persönlichkeit zu machen, das nicht von den Auswirkungen der Schikanen gegen ihn geprägt war. In meinem Kopf blieb er stets der arme, gequälte, missverstandene Junge, was ihm meiner Ansicht nach nicht gerecht wird. Seine Existenz wird vollkommen davon bestimmt, wer sein Vater ist: Marcus, die bösartigste Schwarze Hexe aller Zeiten. Die steife Einteilung in Schwarze und Weiße Hexen geriet trotz Sally Greens Bemühungen, zu betonen, dass die Weißen Hexen nicht automatisch die Guten sind, sehr eindimensional, weil sie die Unterschiede sträflich vernachlässigte. Es wirkte, als sei Marcus die einzig erwähnenswerte Schwarze Hexe und alle anderen ohnehin nur geistesgestörte Spinner, die sich früher oder später gegenseitig abmurksen. Weder weiß ich, ob sich ihre Magie anders manifestiert, noch, wie die Veranlagung zu Schwarzer oder Weißer Magie überhaupt zustande kommt. Ich habe auch nicht verstanden, wie sich die Kultur der Hexen unerkannt in die Gesellschaft nicht-magischer Menschen integriert und wie sie strukturiert ist. Paradoxerweise steht Nathans miserables Dasein so sehr im Mittelpunkt, dass die Welt, in der er lebt, die direkt für sein Elend verantwortlich ist, völlig dahinter verschwindet.

 

Ein Satz mit X, das war wohl nix. Ich beendete „Half Bad“ mit einem unmissverständlichen Gefühl von Ernüchterung. Es ist ein durchschnittliches, einseitiges Buch, das man trotz der Weltrekorde nicht gelesen haben muss und das ich schnell im staubigen Keller meines Gedächtnisses eingemottet habe. Meiner Meinung nach hätte Sally Green ebenso gut auf den ganzen Hexen-Kram verzichten und einfach einen Roman über Diskriminierung und Ausgrenzung schreiben können. Den übernatürlichen Touch hätte es nicht gebraucht, da dieser ohnehin nur mäßig gelungen ist. Ich empfinde kein Bedürfnis, Nathan wiederzusehen und habe daher auch keinerlei Interesse an den Nachfolgern der „Half Bad“-Trilogie. Ob man den ersten Band nun als Sensation, Phänomen oder Weltrekordhalter bezeichnen möchte – für mich hat es sich ausgehext.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/03/21/sally-green-half-bad
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