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review 2019-10-29 09:51
Irgendwas ist wohl immer
The Masked City - Genevieve Cogman

Die Reihe „The Invisible Library” von Genevieve Cogman ist das Ergebnis einer wilden Mischung literarischer Einflüsse. Die Idee einer interdimensionalen Bibliothek borgte sich die Autorin von Terry Pratchett, Neil Gaiman und aus dem französischen Rollenspiel „In Nomine Satanis“. Die Magie ist von Ursula K. Le Guins „Erdsee“-Saga inspiriert, die Drachen durch die chinesische Mythologie und „Sherlock Holmes“ prägte sie ebenfalls. Das Konzept von Ordnung und Chaos hingegen ist eine Exploration dessen, was ihr in Michael Moorcocks „Elric“-Romanen begegnete. Das Ranking, das die Unsichtbare Bibliothek verwendet, um alternative Welten hinsichtlich Ordnung oder Chaos zu klassifizieren, spielt im zweiten Band „The Masked City“ eine entscheidende Rolle.

 

Endlich fand Irene eine Heimat. Sie ist nun dauerhaft in einem alternativen viktorianischen London als Agentin der Unsichtbaren Bibliothek stationiert. Keine Reisen durch die Welten mehr, ausschließlich Aufträge mit überschaubarem Risiko. Irene ist zufrieden. Doch die Idylle ihres neuen Lebens währt nur kurz. Ihr Lehrling Kai wird von den Fae entführt. Kais Onkel, der König der Drachen, wertet den Zwischenfall als offene Kriegserklärung. Wutschnaubend beauftragt er Irene, seinen Neffen zurückzubringen. Sollte sie scheitern, wird er die Welt, aus der Kai verschleppt wurde, restlos zerstören, um ein Exempel zu statuieren. Irene findet heraus, dass Kai in eine hochgradig vom Chaos infizierte Welt gebracht wurde, in ein alternatives Venedig der Masken und Illusionen, in der der Karneval niemals endet. Irgendwie muss sie dort hingelangen, obwohl die zur Neutralität verpflichtete Bibliothek es Mitgliedern untersagt, sich in das Ringen der Mächte der Ordnung und des Chaos einzumischen. Auf sich allein gestellt bricht Irene zu einer verzweifelten Rettungsmission auf, die alles aufs Spiel setzt: Kai, ihren Job und ihr Leben.

 

Ich werde mich der weitreichenden Begeisterung für „The Invisible Library“ vermutlich niemals anschließen können. Ich fürchte, es wird immer Punkte geben, an denen ich mich störe, obwohl die Romane durchaus unterhaltsam sind. Im zweiten Band „The Masked City“ konnte ich meine Kritik am grundlegenden Konzept der Unsichtbaren Bibliothek zwar vernachlässigen, weil sie lediglich am Rande auftritt und die Protagonistin Irene dieses Mal keinen Auftrag erfüllen muss, aber dafür wurde ich mit Genevieve Cogmans Wechselspiel zwischen Ordnung und Chaos konfrontiert, mit dem ich einfach nicht warm wurde. Alle Welten ihres Multiversums befinden sich irgendwo auf einer gedachten Skala zwischen der Ordnung der Drachen und dem Chaos der Fae. Drachen und Fae sind dementsprechend Gegenspieler, in deren Mitte sich die Bibliothek nach Kräften bemüht, die Schweiz zu imitieren. „The Masked City“ soll einen tieferen Einblick in ihre Rivalität gewähren, für mich warf diese Fortsetzung allerdings eher neue Fragen auf, statt sie zu beantworten. Ich habe keine genaue Vorstellung davon, was Ordnung und Chaos für Cogman bedeuten. Welche Elemente zählen zur Ordnung, welche zum Chaos? Welche Auswirkungen hat die Anwesenheit der Fae auf eine Welt, beeinflussen sie sie absichtlich und wenn ja, heißt das, dass sie aus dem Nichts zum Beispiel auch fiktive Fabelwesen auftauchen lassen können? Ich finde die Entwürfe beider Extreme bisher äußerst schwammig und habe Schwierigkeiten, mit ihnen konkrete Merkmale zu verknüpfen. Das alternative Venedig, in das Irenes Lehrling Kai entführt wird, hätte mir helfen sollen, zumindest das Chaos besser zu verstehen, da Cogman sich in dessen Darstellung jedoch lieblos auf Flüsse, Gondeln und Masken beschränkte und keine greifbare, individuelle Atmosphäre heraufbeschwor, funktionierte das leider nicht. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso sie so zugeknöpft blieb, schließlich lädt ein verzaubertes Venedig nachdrücklich dazu ein, in Beschreibungen des Settings zu schwelgen. Vielleicht lag ihre Zurückhaltung an Irene, die das Chaos prinzipiell unterkühlt betrachtet und sich aufgrund ihrer pragmatischen Art nicht an seinen Wundern erfreuen kann. Ist es schlimm, dass ich sie nicht besonders mag? Die Protagonistin ist mir zu verkopft, zu verbissen und versucht meinem Empfinden nach allzu angestrengt, sich zu beweisen. Sie hat keinen Humor und ist enervierend pessimistisch. Ich stelle ihr Talent als Agentin ernsthaft in Frage, weil das Gelingen ihrer Pläne stets von einer unverschämten Portion Glück abhängt, was ihren Status als Junior-Bibliothekarin für mich noch rätselhafter gestaltet, als er ohnehin ist. Auf welcher Stufe der Hierarchie der Bibliothek steht Irene eigentlich und welche Befugnisse und Verpflichtungen gehen damit einher? Da „The Masked City“ die Strukturen der Bibliothek maximal streift, fühlte ich mich am Ende der Lektüre bedauerlicherweise nicht schlauer als vorher.

 

Als Einzel-Abenteuer ist „The Masked City“ fraglos aufregend und actionreich. Das Buch liest sich flüssig und unterhielt mich angemessen. Für mich besteht das Problem darin, dass Genevieve Cogman meinem Empfinden nach zu zaghaft daran arbeitet, das allgemeine Worldbuilding von „The Invisible Library“ voranzutreiben. Natürlich handelt es sich erst um den zweiten Band, doch ein gewisses Informationskontinuum, das die präsentierten Ideen in einen größeren Kontext setzt, kann man sicher selbst so früh in einer Reihe erwarten. Ich habe den Eindruck, dass Cogman permanent den Fuß auf der Bremse hat, weil sie sich fürchtet, Gesetzmäßigkeiten zu formulieren, die spätere Handlungslinien einengen könnten. Obwohl ich verstehe, dass sie sich nicht selbst beschneiden möchte, wird sie mit dieser Unverbindlichkeit bei mir irgendwann an eine Wand stoßen. Ich bin bereit, es mit dem dritten Band „The Burning Page“ zu versuchen, aber wenn sie nicht bald den Mut entwickelt, sich festzulegen, muss ich mich fragen, ob es sich lohnt, die Reihe weiterzuverfolgen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/10/29/genevieve-cogman-the-masked-city
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review 2017-09-12 20:09
Mulaghesh rockt!
City of Blades - Robert Jackson Bennett

Obwohl „City of Stairs“, der Auftakt der Trilogie „The Divine Cities“, ein bemerkenswerter Erfolg für den Autor Robert Jackson Bennett war, hatte er ursprünglich nicht vor, diese grandiose Geschichte fortzuführen. Er scheute sich davor, herauszufinden, was in seinem hochkomplexen Universum als nächstes geschehen könnte. Erst die Überredungskünste seines Agenten und seines Lektors überzeugten ihn davon, sein Potential zu erforschen. Das Ergebnis ist „City of Blades“, das ich gern viel eher gelesen hätte. Leider hatte ich beschlossen, auf die Veröffentlichung des Finales „City of Miracles“ zu warten. So vergingen beinahe 2 Jahre, bis ich nach Saypur und auf den Kontinent zurückkehrte.

 

Generalin Turyin Mulaghesh will nur eines: sie will all das Blut, das an ihren Händen klebt, hinter sich lassen. Sie quittierte den Dienst beim saypurischen Militär, bereit, vergessen zu werden. Der Ruhestand ist ihr allerdings nicht vergönnt. Eines Tages klopft ein Bote der Premierministerin Shara Komayd an ihre Tür, um die Generalin zurückzuholen. Shara benötigt ihre Hilfe. Inoffiziell. Mulaghesh soll in den entlegenen, ungastlichen Norden des Kontinents reisen, nach Voortyashtan, um dort verdeckt im Fall einer vermissten Geheimdienstagentin zu ermitteln, die verschwand, während sie eine mysteriöse Substanz nach Spuren des Göttlichen untersuchte. Angeblich wurde sie verrückt. Aber ist das die ganze Wahrheit? Einst huldigte Voortyashtan der Kriegsgöttin Voortya. Ihre Krieger waren grausame, unmenschliche Bestien. Mit Voortyas Tod sollten alle Relikte ihrer Macht verschwunden sein. Doch in Voortyashtan angekommen entdeckt Mulaghesh Hinweise auf eine entsetzliche Verschwörung, die plant, ihren kriegerischen Todeskult wiederzubeleben…

 

„City of Blades“ setzt fünf Jahre nach den Ereignissen in „City of Stairs“ ein. Shara Komayd ist tatsächlich Premierministerin von Saypur und bemüht sich redlich, die Beziehung zwischen ihrem Land und dem Kontinent in neue Fahrwasser zu steuern. Voortyashtan ist hierbei ein entscheidender Faktor, weil der Bau eines gigantischen Hafens durch die Vereinigten Dreyling Staaten dem in Trümmern liegenden Kontinent zu mehr Selbstständigkeit verhelfen und den Wiederaufbau vorantreiben soll. Die Entdeckung eines rätselhaften Pulvers in den Minen Voortyashtans bedroht das ganze Projekt, da niemand in der Lage ist, zu erklären, wie diese Substanz wirkt. Sollte sich herausstellen, dass das Pulver göttlich ist, käme der Bau des Hafens zum Stillstand und der Kontinent wäre Saypur weiterhin ausgeliefert. Bin ich die einzige, die angesichts dieser unglaublich konsistenten, logischen Ausgangssituation vor Begeisterung im Kreis hüpfen könnte? Robert Jackson Bennett beweist beispielhaftes ökonomisches, politisches Bewusstsein und zeigt die wirtschaftlichen Folgen des Todes der Götter für den Kontinent eindrucksvoll und realistisch. Worldbuilding par excellence. Der Kontinent braucht einen Neubeginn – der Hafen ist ein Versprechen auf Unabhängigkeit. Generalin Turyin Mulaghesh soll dafür sorgen, dass dieses Versprechen wahr wird. Für mich war es eine positive Überraschung, Mulaghesh als Protagonistin zu erleben. Ich mag Shara sehr, aber sie ist eine Intellektuelle, deren Gedankengänge nicht immer nachvollziehbar sind. Mulaghesh ist Soldatin. Sie ist bodenständig und emotional nahbar, wodurch sich die gesamte Lektüre als zugänglicher erwies. Es war fabelhaft, sie kennenzulernen. Nicht nur ist Mulaghesh eine schockierend lebendige Figur, der man die Fiktionalität beinahe nicht abnimmt, sie ist als gestandene, erwachsene Frau von ca. 50 Jahren auch ein Ausnahmecharakter der High Fantasy. Einarmig und mit einem köstlichen Schandmaul ausgestattet, rockt sie die an einen Agentenroman erinnernde Geschichte von „City of Blades“ fast im Alleingang. Ich liebe sie. Sie ist einnehmend, integer, mutig, verantwortungsbewusst und einfach aus dem Holz geschnitzt, aus dem Held_innen sind. Die Dämonen ihrer Vergangenheit quälen sie, treiben sie allerdings auch an, ein besserer Mensch zu sein. Ihre Definition des Soldatentums als bedingungslose Dienerschaft ist inspirierend und ermöglicht eine spannende, intensive Auseinandersetzung mit dem Konzept des Krieges, das in Voortyashtan kulturell tief verankert ist. Der Todes- und Kriegskult der antiken Voortyashtani ist gleichermaßen faszinierend wie unheimlich. Ihre Verehrung der Kriegsgöttin Voortya kannte keine Grenzen, da sie die erste war, die ihrer Religion eine echte Struktur durch die Erschaffung eines Jenseits verlieh und dadurch einen bindenden Vertrag mit ihren Gläubigen einging. Robert Jackson Bennett spielt ausführlich mit der abstrakten Wechselwirkung von Leben und Tod, wodurch sich „City of Blades“ durch eine beeindruckende philosophische Tiefe auszeichnet. Bereits mit „City of Stairs“ präsentierte Bennett ein Feuerwerk intelligenter, anspruchsvoller Überlegungen – mit „City of Blades“ erreicht er noch einmal ein ganz neues Niveau.

 

Nach der Lektüre von „City of Stairs“ schrieb ich, dass es ein Buch sei, das mich eher intellektuell berührte, als mein Herz zu packen. Diese Falte bügelt Robert Jackson Bennett mit „City of Blades“ zweifelsfrei aus. Der zweite Band der Trilogie „The Divine Cities“ nahm mich auf allen Ebenen meiner Persönlichkeit gefangen. Die Entscheidung, Mulaghesh als Protagonistin einzusetzen, war hervorragend, weil sie emotional greifbar ist und vehement Resonanz einfordert. Die mitreißende Mischung aus brillantem Worldbuilding, liebevoller Detailschärfe und packendem Agententhriller lässt keine Wünsche offen. „City of Blades“ hat alles, was ein außergewöhnlicher High Fantasy – Roman braucht und ist mit nichts vergleichbar. Treten Sie zurück, George R.R. Martin, Brandon Sanderson und Peter V. Brett. Ein neuer Star hat die Bühne betreten und stielt Ihnen die Show.

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review 2017-04-07 10:46
FAST der feuchte Traum jeder Leseratte
The Invisible Library - Genevieve Cogman

Ich glaube fest daran, dass Genevieve Cogman, Autorin der Reihe „The Invisible Library“, eine tolle und interessante Person ist. Leider ist ihre Kurzbiografie, die sie auf ihrer Website veröffentlichte, sterbenslangweilig. Da steht lediglich, dass sie für verschiedene Rollenspielprojekte geschrieben hat und aktuell für den englischen National Health Service arbeitet. Gähn. Glücklicherweise interessiert mich das Privatleben von Autor_innen beim Buchkauf nicht. „The Invisible Library“ fiel mir in einer Buchhandlung ins Auge. Oh ja, das kommt durchaus noch vor. Der Klappentext gefiel, das Cover auch – es durfte spontan bei mir einziehen.

 

Irene ist keine Diebin. Nein, sie ist Bibliothekarin. Zugegeben, in ihrem Job muss sie sich hin und wieder als Agentin und Spionin betätigen, aber diese Ausflüge dienen schließlich einem höheren Wohl. Sie infiltriert alternative Welten, lokalisiert wertvolle Bücher und stellt diese unter den Schutz der Unsichtbaren Bibliothek, die zwischen den Welten existiert. Irenes letzter Auftrag verlief erfolgreich, wenn auch turbulent, sodass sie reichlich verwundert ist, sofort auf den nächsten Fall angesetzt zu werden. In Begleitung des neues Rekruten Kai soll sie ein Buch aus einer alternativen Welt bergen, die hochgradig vom Chaos infiziert ist. Doch als Irene und Kai dort eintreffen, ist das Buch verschwunden. Es wurde gestohlen. Mit leeren Händen in die Bibliothek zurückzukehren kommt nicht in Frage, also stürzt sich das Duo kopfüber in die Unterwelt Londons. Zwischen Geheimgesellschaften, übernatürlichen Wesen und handfester Detektivarbeit begegnet ihnen das schmutzigste Geheimnis der Bibliothek – und plötzlich sind ihre Leben und die Realität selbst in Gefahr. Von wegen langweiliges Dasein einer Bibliothekarin.

 

Bücherwürmer lieben Bücher, die von Büchern handeln. Soweit richtig? Okay. Das heißt aber nicht, dass wir wahllos über jeden Roman in Begeisterungsstürme ausbrechen, der Bücher, Bibliotheken oder das Lesen thematisiert. Ich fand „The Invisible Library“ mittelmäßig, obwohl die Idee des Buches bzw. der Reihe selbstverständlich toll ist. Reisen in alternative Welten, eine gigantische Bibliothek, die außerhalb von Zeit und Raum existiert und die berufliche Jagd nach seltenen Büchern. Der feuchte Traum jeder Leseratte. Zumindest einzeln. Die Kombination dieser Komponenten empfand ich als schwierig, unter anderem, weil Genevieve Cogman ihren Ansatz selbst kritisiert.
Die Bibliothekar_innen der Unsichtbaren Bibliothek sichern literarische Werke, um sie zu bewahren. Bin ich die einzige, die diesen Beweggrund für das Entwenden eines Buches aus einem Alternativuniversum irgendwie dünn, egoistisch und verantwortungslos findet? De facto stehlen die Bibliothekar_innen, da gibt es nichts zu beschönigen. Nicht einmal die Protagonistin Irene kann überzeugend rechtfertigen, dass sie in fremde Welten eindringt, um dort einen Diebstahl zu begehen. Direkt darauf angesprochen, stammelt sie eine unzusammenhängende und offenbar auswendig gelernte Antwort, in der meines Erachtens nach leise Kritik seitens der Autorin mitschwingt. Bewahrt die Unsichtbare Bibliothek nur um des Bewahrens willen? Entspricht das nicht der Definition von sinn- und ziellosem Horten? Wie viele Bücher befinden sich in ihren Regalen, die nach der Sicherung nie wieder angefasst wurden? Was passiert, wenn ein Buch gestohlen wird, das für die Zukunft der alternativen Welt bedeutsam ist? Grundsätzlich gefiel es mir, dass Cogman die Ethik der Unsichtbaren Bibliothek in Frage stellt, ich kann allerdings nicht leugnen, dass ich dadurch den Eindruck gewann, dass sie ihrem eigenen Entwurf nicht so recht traute oder nicht zu 100 Prozent von ihm überzeugt war.
Außerdem glaube ich, dass Irene nur einen Bruchteil dessen weiß, was hinter der erhabenen Fassade der Bibliothek vor sich geht. Normalerweise verpflichten sich Bibliothekar_innen für die Ewigkeit. Während ihrer Mission begegnet Irene jedoch ein Aussteiger, jemand, der sich von der Bibliothek abwandte. Die Frage, die sich aufdrängt, ist, warum diese Person ausstieg. Warum verließ er die Bibliothek? Angesichts der Loyalität, Leidenschaft und Hingabe, die scheinbar alle Bibliothekar_innen empfinden, fiel diese Entscheidung garantiert nicht grundlos oder leichthin. Leider hinterfragt Irene seine Motivation nicht, weil sie die Jagd nach dem Buch pausenlos in Atem hält.
„The Invisible Library“ ist äußerst tempo- und actionreich und verströmt eine gute Portion des Charmes einer Detektivgeschichte à la „Sherlock Holmes“. Ich mochte die etwas altmodische Ausstrahlung der Geschichte, hätte mir allerdings gewünscht, dass Cogman sich mit der Atmosphäre des alternativen Londons mehr Mühe gegeben hätte. Ich hatte Schwierigkeiten, mir die Unterschiede zur reellen Stadt vorzustellen, weil mir die Beschreibung der viktorianisch angehauchten Steampunk-Version oberflächlich und skizzenhaft erschien. Insgesamt fand ich das Konzept der Stadt auch etwas unkreativ. Alles schon tausend Mal dagewesen. Wieso nicht eine völlig neue Variante erschaffen?

 

Wenn ihr mit dem Gedanken spielt, „The Invisible Library“ zu lesen, weil euch beispielsweise „Die Seiten der Welt“ von Kai Meyer begeisterte, muss ich euch leider enttäuschen. Dieser Reihenauftakt weist längst nicht das gleiche Maß an liebevoller, inspirierender Konstruktion auf. Ich fand das Buch ganz nett und unterhaltsam, mehr aber auch nicht. Trotz dessen warf die Lektüre so viele Fragen auf, dass ich beschlossen habe, dem Nachfolger „The Masked City“ eine Chance zu geben. Ich bin neugierig. Ich möchte wissen, ob Genevieve Cogman die Kritik an der Ethik der Unsichtbaren Bibliothek weiterverfolgt und Irene weitere Geheimnisse aufdecken lässt, die ihre Ergebenheit auf die Probe stellen. Vielleicht braucht die Reihe einfach ein wenig Anlauf, bis sie richtig in Fahrt kommt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/04/07/genevieve-cogman-the-invisible-library
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review 2016-02-24 09:58
Ein Buch für den Verstand
City of Stairs - Robert Jackson Bennett

Jahrhundertelang lebten die Menschen Saypurs unter der Knechtschaft des Kontinents. Von sechs Gottheiten regiert, gelenkt und geformt, war der Kontinent eine Welt der Magie, des leibgewordenen Glaubens. Besonders Bulikov, die Stadt der Harmonie, in der alle Götter gleichermaßen verehrt wurden, galt als personifiziertes Wunder. Bis Saypur revoltierte. In einem gewaltigen Befreiungsschlag tötete eine kleine Armee der Saypuri die Götter und beendete die Versklavung ihrer Heimat. Aus Knechten wurden Meister. Heute windet sich der Kontinent zu den Füßen Saypurs. Es vergeht kein Tag, an dem die Saypuri seine Bewohner nicht spüren ließen, wer den Krieg gewann. Die Ausübung jeglicher religiösen Praktiken ist verboten. Geschichtliche Dokumente, die Erinnerungen eines ganzen Volkes, werden unter Verschluss gehalten. Die Bevölkerung ist arm und leidet unter der weitreichenden Zerstörung, die durch das Verschwinden der Götter entstand.
In diesen unsicheren Zeiten wagt sich eine Saypurische Agentin nach Bulikov. Offiziell ist Shara Thrivani nur eine weitere, unbedeutende Repräsentantin. Doch inoffiziell untersucht sie den Mord an einem angesehenen Historiker, der die Vergangenheit des Kontinents erforschte. Obwohl es viele Fraktionen gibt, die seinen Tod gewollt haben könnten, scheint mehr dahinter zu stecken, denn Efrem Pangyui war einem schrecklichen Geheimnis auf der Spur. Ein Geheimnis, das die Geschichte zweier Völker umschreiben könnte.

 

„City of Stairs“ ist fantastisch. Wahrhaft und schlicht und ergreifend fantastisch. Ich weiß eigentlich gar nicht, wo ich anfangen soll zu schwärmen, weil dieses Buch auf so vielen Ebenen großartig ist. Die Handlung, die Charaktere, das Setting, die Atmosphäre – alles ist beeindruckend. Jede Seite ließ Robert Jackson Bennett mehr und mehr in meiner Achtung steigen. Die Geschichte besteht aus zahlreichen Elementen, die aufeinander aufbauen und ineinandergreifen, sodass ein überaus komplexes Handlungskonstrukt entsteht. Tatsächlich ist die Handlung so komponentenreich, dass ich mich hin und wieder dabei erwischte, aus den Augen verloren zu haben, warum die Protagonistin Shara ursprünglich nach Bulikov reiste. Ich denke, man kann Bulikov als eine Art Hauptstadt des Kontinents betrachten. Obwohl offiziell alle Spuren der sechs Gottheiten, die jahrhundertelang über die Menschen des Kontinents herrschten, aus der Stadt beseitigt wurden, ist ihre Präsenz noch immer spürbar. Es ist töricht von den Saypuri, anzunehmen, sie könnten einen Glauben verbieten, der Tag für Tag bestätigt wurde. In Bennetts Universum ist Glaube etwas Handfestes und Greifbares; anders als in unserer Realität gab es nie Raum für Zweifel an der Existenz der Götter, weil sie fassbare Entitäten waren. Ihre Jünger konnten sie sehen, berühren und die Wunder bestaunen, die ihre Leben täglich erleichterten. Die Götter waren lebendige Wesen. In all ihrer Macht war genau dieser Punkt jedoch ihre größte Schwachstelle. Ich finde die Idee, dass man Götter überhaupt töten kann, grandios. Die Auswirkungen, die ihr Verschwinden auf den Kontinent und die Bevölkerung hatte, schildert Bennett realistisch und glaubhaft. Mit viel Liebe zum Detail zeichnet er ein faszinierendes Bild Bulikovs. Die Atmosphäre nahm mich gefangen; ich liebte es, mental durch die Gassen der Stadt zu wandeln. Diese Mischung aus Zerstörung und Aufbau, die zahllosen Schlupfwinkel, halb eingestürzte und zusammen geschmolzene Gebäude – Bulikov ist außergewöhnlich. Ebenso außergewöhnlich ist die Protagonistin des Buches. Ich mochte Shara sehr, denn sie ist mutig, neugierig, aufmerksam, sehr intelligent und besitzt ein starkes moralisches Gewissen, trotz ihres Jobs. Als Agentin musste sie in ihrem Leben bereits einige hässliche Dinge tun, natürlich immer im Namen Saypurs. Begleitet wird sie dabei stets von dem Nordmann Dreyling Sigurd. Shara stellt ihn meist als ihren Sekretär vor, doch offensichtlich ist er eher der Mann fürs Grobe. Dieses ungleiche Paar verbindet eine spezielle Beziehung, die sich im Laufe der Geschichte nach und nach offenbart. Im Zuge dessen zeigt sich auch, dass Sigurd weit mehr zu bieten hat als nur zwei Fäuste. Er ist loyal, absolut schmerzfrei hinsichtlich der Wahl seiner Mittel und eiskalt – aber es hat Gründe, warum er so ist. Ich mochte die Tiefe seines Charakters und habe geahnt, dass der Schlüssel zu seinem Wesen in seiner Vergangenheit liegt. Gemeinsam versuchen Shara und Sigurd herauszufinden, wer den Historiker Efrem Pangyui ermordet hat. Sie stolpern dabei allerdings über Vorgänge, die weit über einen Mord hinausgehen und monströse politische Folgen implizieren. Meiner Meinung nach geht es in „City of Stairs“ um Wechselwirkungen im ganz großen Stil. Ich denke, am Beispiel des Kontinents und Saypurs wollte Robert Jackson Bennett zeigen, wie das eine das andere bedingt und zu einem fatalen Teufelskreis führt, der erst verlassen werden kann, wenn gedanklich völlig neue Wege eingeschlagen werden – eine spannende, interessante Analogie zur politischen Situation unserer Welt.

 

Ich fand „City of Stairs“ brillant. Es ist intelligent, packend und originell. Die Mischung einer hochbrisanten politischen Handlung und eines Kriminalfalls ermöglichte es Robert Jackson Bennett, die vielen Facetten seines schriftstellerischen Talents zu zeigen. Seine Protagonistin Shara trägt die Geschichte mühelos und treibt sie überzeugend voran. Ich freue mich darauf, sie in den Folgebänden wieder zu treffen und bin gespannt, ob es ihr gelingen wird, die Situation des Kontinents und Saypurs zum Besseren zu verändern. Zuzutrauen ist es ihr auf jeden Fall, denn mit ihrer Entschlossenheit und Stärke kann sie die Welt aus den Angeln heben, dessen bin ich mir sicher.
Ich kann euch „City of Stairs“ wärmstens empfehlen. Zwar ist es kein Buch, in das man sich Hals über Kopf verliebt, weil es eher den Verstand anspricht als das Herz, doch nichtsdestotrotz ist es fabelhaft.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/02/24/robert-jackson-bennett-city-of-stairs
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