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review 2017-10-26 10:01
Schuldig oder unschuldig?
Im Traum kannst du nicht lügen: Roman - Malin Persson Giolito,Thorsten Alms

Auf „Im Traum kannst du nicht lügen“ von Malin Persson Giolito wurde ich durch den Newsletter der Lesejury von Bastei Lübbe aufmerksam. Die Mail pries den Thriller, der als bester Kriminalroman Schwedens 2016 ausgezeichnet wurde, für eine Leserunde an. Meine Erfahrungen mit Leserunden waren bisher eher negativ, doch der Klappentext weckte meine Neugier. Ich gab der umfangreichen Leseprobe eine Chance. Die ersten 60 Seiten nahmen mich gefangen. Ich wollte überhaupt nicht mehr aufhören zu lesen und schoss all meine Zweifel spontan in den Wind. Für dieses Buch würde ich die Leserunde in Kauf nehmen. Ich bewarb mich und erhielt etwa 2 Wochen später die Zusage. Was machte ich für Augen, als ich in meinem Briefkasten kein Buch, sondern ein echtes Manuskript vorfand, das extra für mich gedruckt worden war! Mühsam geduldete ich mich bis zum vorgegebenen Termin, um die Lektüre gemeinsam mit allen anderen zu beginnen.

 

Als die Polizei das Klassenzimmer in Stockholm stürmte, saß die 18-jährige Maja Norberg in der Mitte des Raumes. Überall war Blut. Um sie herum lagen die regungslosen Körper ihrer besten Freundin Amanda, ihres Lehrers Christer und ihrer Mitschüler Samir und Dennis. Auf ihren Schoß hatte sie den Kopf ihres Freundes Sebastian gebettet. Sebastian, der Sohn des reichen Unternehmers Claes Fagermann. Sebastian, der langsam kalt wurde. In der Luft hing der Geruch nach faulen Eiern und Pulverrauch. In ihrer Hand hielt Maja eine Waffe. Sie war unverletzt.
Jetzt, Wochen später, muss sich Maja vor Gericht verteidigen, während ganz Schweden von ihrer Schuld überzeugt ist. Doch was ist wirklich in dem Klassenzimmer geschehen? Wie kam es zu dem Massaker, das mehrere Menschen das Leben kostete? Ist Maja eine Mörderin?

 

Was ist das wichtigste Element eines guten Thrillers? Wenn ihr mich fragt, ist es der Spannungsbogen. Ein Thriller darf weder langweilig, noch zu vorhersehbar sein, er sollte den Leser_innen aber trotz dessen die Möglichkeit bieten, mitzurätseln. „Im Traum kannst du nicht lügen“ stellt meiner Meinung nach die geschickteste Konstruktion eines Spannungsbogens dar, die mir in diesem Genre jemals untergekommen ist. Das Buch ist überwältigend. Es lebt von der Frage, was geschehen ist, ob Maja, die eigentlich Maria heißt, tatsächlich in der Lage war, ein Blutbad anzurichten. Die Spannung wird die ganze Zeit aufrechterhalten, flaut niemals ab und riss mich mit. Ich ahnte bereits nach der Leseprobe, dass dieser Thriller außergewöhnlich sein könnte und ich behielt Recht. Malin Persson Giolito lässt ihre Leser_innen grübeln, mitfiebern, abwägen, zweifeln, mutmaßen und hoffen. Die nichtlineare, bruchstückhafte Erzählweise der Protagonistin Maja, der die Autorin erlaubt, ihre Geschichte selbst in Ich-Perspektive zu schildern, wirkt ungemein realistisch und erzeugt eine enorme Nähe, die sich stetig steigert, bis sie im letzten Viertel des Romans sogar die vierte Wand durchbricht und die Leser_innen direkt anspricht. Wir treffen Maja zu Beginn ihres Prozesses und das erste, was mir an ihr auffiel, war die unbändige Wut ihrer kalten, harschen Worte. Sie erschien distanziert, genervt, nahezu desinteressiert am Verlauf ihrer eigenen Verhandlung. Obwohl sie sich dadurch nicht gerade als Sympathieträgerin qualifizierte, hatte mich Malin Persson Giolito auf diese Weise sofort am Haken. Ich wollte wissen, warum Maja so zornig ist und begriff bald, dass sich unter ihrem Zorn ein Meer der Resignation, Schuld und Verzweiflung verbirgt, das mir beinahe das Herz brach. Ihr Charakter, ebenso wie die Chronologie der Ereignisse, die zu dem Massaker im Klassenzimmer führten, schälen sich absichtlich sehr langsam heraus. Ich lernte sie in ihrem eigenen Tempo kennen und entwickelte Stück für Stück Sympathie und Mitgefühl für sie, wodurch sich der emotionale Sog ihrer Erzählung graduell verstärkte. Maja stammt zwar aus einem gut situierten Elternhaus, wofür sie in der sensationslüsternen schwedischen Presse wiederholt angegriffen wird, doch Geld schützt eben nicht vor Schmerz und Kummer. In den Monaten und Wochen vor der Bluttat war sie verloren, überfordert, einsam. Ich sehe euch jetzt bereits wissend mit dem Kopf nicken. Vermutlich ergeht es euch ähnlich wie mir: ihr neigt dazu, zur naheliegenden Schlussfolgerung zu springen und Maja vorzuverurteilen. Haltet ein. So einfach ist es nicht. Diese Geschichte ist viel komplizierter, als sie anfangs erscheint und ich musste tatsächlich den Schlussakt abwarten, um endlich herauszufinden, ob Maja eine Mörderin ist. Für mich steht fest, dass „Im Traum kannst du nicht lügen“ eine Tragödie ist; nicht nur aufgrund des grauenvollen Massakers, sondern auch, weil sie eigentlich nicht ihre Tragödie ist. Schuldig oder nicht – Maja ist ein Opfer.

 

Mein Leseerlebnis mit „Im Traum kannst du nicht lügen“ war fantastisch. Einerseits ist das Buch ein hervorragender Thriller, in dem Malin Persson Giolito munter und unberechenbar mit der Erwartungshaltung der Leser_innen spielt und das brillante, glaubhafte und einfühlsame Bild einer verzweifelten Jugendlichen zeichnet, andererseits gefiel mir auch die Leserunde der Lesejury erstaunlich gut. Ich empfand den Austausch mit anderen Leser_innen als wertvoll, da ich früh einsehen musste, dass ich viele meiner Überlegungen und Theorien in dieser Rezension nicht würde verwenden können, ohne heftig zu spoilern. Die Ungewissheit während des Lesens hält Spannung und Geschichte am Leben; sie ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Romans, der Neugier schürt und zu eigenen Hypothesen einlädt. Diese Erfahrung möchte ich niemandem nehmen, weshalb ich versucht habe, so vage wie möglich von „Im Traum kannst du nicht lügen“ zu berichten. Meiner Ansicht nach steht der Autorin eine schillernde Karriere bevor und ich bin froh, dass mir Bastei Lübbe die Möglichkeit einräumte, an ihrem Anfang dabei zu sein. Malin Persson Giolito ist ein Name, den man sich unbedingt merken sollte.

 

Vielen Dank an die Lesejury und Bastei Lübbe für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/10/26/malin-persson-giolito-im-traum-kannst-du-nicht-luegen
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review 2015-04-15 08:59
So la la
Amokspiel - Sebastian Fitzek

Ich finde es toll, wenn Geschichten in meiner Heimatstadt Berlin spielen. Tauchen konkrete Straßennamen, Sehenswürdigkeiten oder Plätze auf, muss ich mir die Umgebung nicht tatsächlich vorstellen, sondern greife einfach auf meine Erinnerungen zurück. Es bringt mich zum Lächeln. Vermutlich geht es Sebastian Fitzek da ganz ähnlich, denn genau wie ich ist er ein geborener Berliner. Viele seiner Thriller handeln in Berlin – so auch „Amokspiel“. Dieser Roman ist mein vierter Fitzek und da ich ihn als Meister des psychologischen Terrors kenne, hatte ich recht hohe Erwartungen.

 

Die Kriminalpsychologin Ira Samin möchte sterben. Alles ist vorbereitet. Der Revolver ist bereit, die Küche ist abgeklebt, die tödlichen Tabletten liegen im Eisschrank. Keinen Tag länger kann sie mit der Schuld leben, nicht den Selbstmord ihrer ältesten Tochter verhindert zu haben. Doch dann werden ihre privaten Pläne plötzlich vereitelt: sie wird zu einem Einsatz gerufen. In einem Berliner Radiosender hält ein Psychopath Geiseln gefangen und verlangt, dass seine Verlobte zu ihm gebracht wird. Bis es soweit ist, wird er während der Live-Sendung jede Stunde zufällige Telefonnummern anrufen. Meldet sich die angerufene Person mit der richtigen Parole, lässt er eine Geisel frei. Wenn nicht, muss eine Geisel sterben. Ira und das ganze Team müssen sich beeilen, um die Verlobte des Geiselnehmers zu finden. Bei ihren Nachforschungen stellt sich allerdings heraus, dass sie bereits vor Monaten einen tödlichen Unfall hatte. Die Verhandlung beginnt und Millionen von Menschen hören Ira dabei zu, wie sie einen verzweifelten Mann davon zu überzeugen versucht, dass seine letzte Hoffnung eine Illusion ist.

 

„Amokspiel“ in drei Worten? So la la. Stellt euch dazu bitte das charakteristische Wackeln der Hand vor. Wirklich viel kann ich zu diesem Thriller eigentlich nicht sagen, denn er hat kaum Eindruck bei mir hinterlassen. Ganz nett für Zwischendurch, aber mehr eben leider auch nicht. Ich bin definitiv Besseres von Sebastian Fitzek gewohnt. Ich hatte das Gefühl, dass diese Geschichte eine Art Experiment für ihn war, um sich einmal in eine etwas andere Richtung zu versuchen. Das sei ihm natürlich gegönnt, doch für mich ist dieser Versuch nicht vollständig geglückt.
Den Einstieg in „Amokspiel“ fand ich unheimlich schnell, wie bei allen anderen Fitzeks zuvor ebenfalls, denn sein Schreibstil ist unverändert flüssig, packend und locker. Er schreibt nah am Menschen; damit möchte ich sagen, dass er es seinen LeserInnen leicht macht, eine Verbindung zu seinen Charakteren aufzubauen, weil sie sich durch und durch menschlich verhalten. So auch zur Protagonistin Ira Samin. Ira ist… abgewrackt. Ich habe versucht, eines zu finden, aber ein netteres Wort gibt es für ihren Zustand einfach nicht. Sie ist völlig am Ende, getrieben von akuter Todessehnsucht und einem ernsthaften Alkoholproblem. Erstaunlich, dass ich trotz dessen recht gut mit ihr zurechtkam, obwohl ich nicht gerade behaupten kann, sie wirklich zu mögen. Ich bin der Meinung, dass Fitzek selbst einer größeren Sympathie im Weg stand, weil er ständig wiederholte, dass sie sich am Morgen des Tages noch umbringen wollte. Ich empfand das als störend, denn es vermittelte mir das Gefühl, dass sich Ira ungeachtet der Ereignisse nicht weiterentwickelt. Diese konstruierte Fitzek anders, als ich erwartet hatte. Ira verhandelt zwar mit dem Geiselnehmer, jedoch viel weniger, als ich dachte. Ich hatte angenommen, dass ihre Gespräche den Großteil des Buches einnehmen und vor allem, dass sie sich auf gewisse Weise gegenseitig therapieren würden, da der Geiselnehmer ebenfalls Psychologe ist. Ich hatte auf eine Art therapeutischer Patt-Situation gehofft; zwei Psychologen, die nicht in der Lage sind, ihre eigenen Ratschläge zu befolgen. Stattdessen widmete sich Fitzek intensiv den Abläufen um das Geiseldrama herum und offenbarte dabei eine überraschend politische Ebene. Ich mag politische Thriller gern, muss aber sagen, dass sich Fitzek hier nicht von seiner stärksten Seite zeigte. Für meinen Geschmack wirkten all die Faktoren, die in „Amokspiel“ zusammenspielen, übertrieben zufällig und verworren. Mir fehlte der rote Faden. Von der Hintergrundgeschichte, also von den Verwicklungen, die überhaupt erst zu der Geiselnahme führten, war ich dementsprechend nicht überzeugt.
Was mir hingegen sehr gut gefiel, war, dass Fitzek seine LeserInnen in eine Welt mitnimmt, die ihm sehr vertraut ist: die Welt eines Radiosenders. Er arbeitet seit Jahren bei einem Berliner Sender in der Programmdirektion – umso authentischer ist die Darstellung seines fiktiven Settings gestaltet.

 

„Amokspiel“ war für mich kein sonderlich herausragender Thriller. Natürlich las er sich schnell und spannend, konnte mich aber lange nicht so fesseln wie beispielsweise „Die Therapie“. Meiner Meinung nach sollte Sebastian Fitzek bei Psychothrillern bleiben und sich nicht an politischen Experimenten versuchen, denn das liegt ihm nicht. Ich werde keinesfalls aufhören, seine Bücher zu lesen, schätze aber, dass ich bald vergessen haben werde, worum es in „Amokspiel“ geht.
Ich bin der Meinung, dass dieser Fitzek hauptsächlich eine Lektüre für seine Fans ist, denen viel daran liegt, sein Gesamtwerk gelesen zu haben. Für alle anderen: es gibt bessere Thriller.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/04/15/sebastian-fitzek-amokspiel
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