Es beherrscht eine Eiszeit die Welt. Menschen überwintern, indem sie einen Winterschlaf halten. Es überlebt, wer sich vor dem Schlaf die nötige Speckschicht angefuttert hat: Dünn sein ist kein Schönheitsideal, sondern ein Todesurteil. Wer Glück hat, bekommt eine Droge zur Verfügung gestellt, Morphinox, doch die kann massive Nebenwirkungen haben. Zwar betrifft es nur wenige Prozente der Bevölkerung, doch es kann passieren, das man zum Nachtwandler wird: Eine quasi hirntote Hülle, die vielleicht gerade noch in der Lage ist einfache Tätigkeiten auszuführen wie eine Tür zu öffnen. (Abgesehen von einem Hang zum Kannibalismus.) Manche wollen wach bleiben und manche müssen wach bleiben, denn irgendjemand muss auch im Winter für Ordnung sorgen. Einer davon ist Charlie. Er wird aus einem Waisenhaus als Winterkonsul rekrutiert und landet durch eine Verkettung der Ereignisse in Wales, im berüchtigten Sektor 12.
Eiswelt ist lange damit beschäftigt die Welt zu etablieren; gut die Hälfte des Buches führt Dich durch den Winter und zeigt, wie die Dinge hier laufen. Was wie riesiges Infodump klingt ist von Jasper Fforde so interessant verpackt, dass ich das dem Buch nicht anlaste. Er spielt hier wieder mit vielen kleinen Details und kruden Kleinigkeiten, die Dich bei der Stange halten. Im Gegensatz zu seinen anderen Werken hat er diese Detailverliebtheit hier jedoch zurückgeschraubt. Du merkst, dass Du Dich hier wieder in einem erwachsenen Genre befindest.
Eiswelt ist seltsam. Die Handlung hat es wieder in sich, bei genauerem Hinsehen ist es eine Gesellschaftskritik, eine Gesellschaftssatire, und auch eine Kritik an Pharmaunternehmen, aber ich möchte nicht zu viel verraten. Nichtsdestotrotz hat das Buch einen eher gemütlichen Verlauf. Mir war an keiner Stelle langweilig, aber es ist kein Pageturner, den Du nicht mehr aus der Hand legen kannst. Das große Plus war, dass ich die Figuren allesamt entweder ungemein sympathisch fand, allen voran Charlie, oder sie waren faszinierend wie Aurora und Toccata. (Die Figur hat es in sich. ;) )
Die Geschichte ist gut, manchmal seltsam lustig, manchmal richtig dunkel, aber das Tempo ist langsam. Du folgst Charlie bei seiner Aufgabe, es gibt Rätsel zu lösen, Twists und Überraschungen, die mich tatsächlich überrascht haben, doch alles dröselt Fforde so nach und nach auf, ganz gemütlich. Dadurch entwickelte das Buch für mich einen hypnotischen Sog. Ich wollte es nicht jeden Tag weiter lesen, aber wenn ich es wieder in die Hand nahm, war ich sofort drin. Es ist ein Buch, dass Dich auf eine Reise mitnimmt, in die du jederzeit ein- und wieder aussteigen kannst.
Als Fazit kann ich sagen, dass ich das Buch nicht hätte lesen müssen, aber ich bereue es nicht, es getan zu haben. Es ist etwas für lange Winterabende, bei denen man mit heißem Tee in eine Decke gehüllt am Lieblingsleseplatz sitzt und einfach ein bisschen vor sich hin schmökern möchte, mit einer Geschichte, die bei genauerem Hinsehen alles andere als seicht ist, aber streckenweise so tut, als wäre sie es und Dich so wohlig in ihren Bann zieht.