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review 2015-10-07 14:47
Rotkäppchen: Assassine, Attentäterin, Auftragsmörderin
Rotkäppchens Rache - Jim C. Hines

Jim C. Hines ist ein Vorbild. Er ist ein Vorbild, weil er sich aktiv und mutig mit einem Thema auseinander setzt, das am liebsten tot geschwiegen und ignoriert wird: Vergewaltigung. Er ist geschulter Krisenberater, schrieb Artikel und Essays und veranstaltete jahrelang Kurse. Er betrieb Aufklärung und Sensibilisierung, bot Betroffenen Unterstützung, Schutz und Hilfe jeglicher Art an und lernte die Täter kennen. Auf seiner Website können interessierte LeserInnen einige seiner Artikel einsehen (HIER). Ich habe mir die Mühe gemacht, sie alle zu lesen. Seitdem ist er meiner Meinung nach nicht nur ein Vorbild, sondern auch ein Held des Alltags. Weil er hinsieht. Weil er gegen dieselben widerwärtigen Vergewaltigungsmythen kämpft, über die ich selbst auch schon geschrieben habe. Und weil er sich traut, das Thema Vergewaltigung auch in seiner Fantasy-Reihe Die Todesengel sensibel auf den Tisch zu bringen.

 

Als die Lady von der Roten Kappe ist sie im ganzen Land bekannt. Jeder kennt ihre Geschichte: als kleines Mädchen wollte sie ihre Großmutter im Wald besuchen, kam vom Wege ab, wurde vom Wolf bedroht und in letzter Minute vom Jäger gerettet. Ganz so ist es jedoch nicht gewesen. Jetzt ist Roudette die Jägerin – eine Assassine, eine Auftragsmörderin. Eines Tages sendet sie Danielle Whiteshore, Prinzessin von Lorindar und landläufig Aschenputtel genannt, eine Botschaft. Sie lädt Danielle dazu ein, der Ermordung ihrer Stiefschwester Charlotte beizuwohnen. Sofort befindet sich der Palast in heller Aufregung, denn die Einladung ist ganz offensichtlich eine Falle. Gemeinsam mit ihren Freundinnen Talia und Schnee entscheidet Danielle, kein Risiko einzugehen. Stattdessen wollen sich Talia und Schnee mit Roudette treffen. Doch die Lady von der Roten Kappe überlässt nichts dem Zufall. Die Einladung ist eine Falle – allerdings nicht für Danielle, sondern für die einzige Frau, die je einen Kampf mit ihr überlebte: Talia.

 

In „Rotkäppchens Rache“ beleuchtet Jim C. Hines die für mich interessanteste Figur seiner Reihe Die Todesengel genauer: Talia Malak-el-Dahshat, niemand geringes als Dornröschen. Die Geschichte führt die Leser_innen in Talias Heimat Arathea, einen Wüstenstaat im Süden, in dem Menschen und Elfen so eng mit einander leben wie nirgends sonst. Die Elfen waren es, die Talia verfluchten, ihr Schönheit, Eleganz und Anmut verliehen. Sie sind es auch, die nun ihren Tod wünschen und deswegen Roudette alias Rotkäppchen anheuerten.
Ich gebe zu, durch den Titel hätte ich erwartet, dass Roudette wesentlich mehr im Fokus steht. Ihre Biografie interessierte mich brennend; meine Neugier wurde durch die Konzentration auf Talia leider nicht vollständig befriedigt. Ich kenne nun zwar den groben Verlauf ihres Lebens und weiß, wie es dazu kam, dass sie eine Attentäterin wurde, aber ein paar meiner Meinung nach wichtige, interessante Details bleiben im Dunkeln. Trotzdem gefiel mir das, was ich von Roudette kennenlernte und erfuhr, wahnsinnig gut. Ich finde ihre ungezähmte, animalische Wildheit sehr beeindruckend; sie lebt außerhalb jeglicher Regeln und Konventionen. Intelligent und zielgerichtet verfolgt sie seit dem Tag, an dem sie ihre Großmutter besuchte, einen Plan, der tatsächlich viel mit einem Rachemotiv zu tun hat, jedoch nicht nur. Sie ist bereit, Kompromisse einzugehen, selbst wenn ihr diese überhaupt nicht gefallen. Obwohl sie keine besonders umgängliche Frau ist, mag ich sie sehr, fast so sehr wie Talia.
Talia ist einer der stärksten Charaktere, die mir je in der Literatur begegnet sind, sowohl persönlich als auch bezüglich ihrer Konstruktion. Jim C. Hines bewies unheimlich viel Mut, indem er für ihre Biografie die populäre „Dornröschen“-Version mit der unbekannteren Version „Sonne, Mond und Thalia“ von Giambattista Basiles kombinierte, ein paar eigene Aspekte hinzufügte und dem Endergebnis einen äußerst realistischen Anstrich gab. Talia ist dank Hines‘ Mut eine Figur, die Dinge erleben musste, für die es keine Worte gibt, aber nicht von ihnen definiert wird. Ihre Vergangenheit ist ein Teil von ihr und natürlich beeinflusst sie subtil ihre Entscheidungen, aber Talia ist trotzdem noch Talia. Ich habe nicht viel mit ihr gemeinsam und kann mir nicht mal ansatzweise vorstellen, was sie durchmachen musste – und doch konnte ich mich hervorragend in sie hineinversetzen. Ich liebe Jim C. Hines für die brillante, nachvollziehbare und intime Darstellung seiner Protagonistin, denn so ließ er mich begreifen, dass sehr viel mehr in Talia steckt, als es auf den ersten Blick den Anschein hat.
Schwieriger fand ich es, die Elfenpolitik in Arathea auseinander zu halten. Diese ist einfach nur kompliziert und undurchsichtig. Wer jetzt wo wie viel Macht und Einfluss besitzt und warum – ich denke, ich habe es immer noch nicht begriffen. Das Elfenvolk lebt in einem kleinlichen, verschachtelten System von Gefälligkeiten und Verpflichtungen. Das passt zwar sehr gut zum Charakter der Elfen in Jim C. Hines‘ Universum, ich bin jedoch der Meinung, dass er sich an dieser Stelle verzettelte. Diese verwirrende politische Situation war eher anstrengend als unterhaltsam.

 

Ich fand „Rotkäppchens Rache“ besser als den Vorgänger „Die Fiese Meerjungfrau“, für eine höhere Bewertung reichte es aber dennoch nicht. Wieder sind Jim C. Hines die Rahmenbedingungen seiner Geschichte besser gelungen als die Geschichte selbst. Es gefiel mir, Arathea zu besuchen und ich liebe Hines‘ bunte, runde Charaktere, doch die Handlung empfand ich als etwas schwerfällig, wenn auch im Ansatz kreativ und interessant. Trotz dessen würde ich nicht zögern, euch „Rotkäppchens Rache“ zu empfehlen, eben weil die Charaktere so außergewöhnlich detailliert und frei von Klischees gestaltet sind, dass es einfach Spaß macht, sie zu begleiten. Wer hätte gedacht, dass Märchenfiguren so viel zu bieten haben.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/10/07/jim-c-hines-rotkaeppchens-rache
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review 2015-10-02 10:02
Jim C. Hines schenkt der Fantasy eine starke weibliche Stimme
Die Fiese Meerjungfrau[Roman] - Jim C. Hines,Axel Franken

Ich mochte Jim C. Hines bereits, bevor ich anfing, über ihn zu recherchieren. Doch seitdem ich eine Weile auf seiner Website und seinem Blog herum gesurft bin und ihn ein bisschen besser kennengelernt habe, bin ich zusätzlich zutiefst beeindruckt von seinem Engagement hinsichtlich Genderthemen in unserer Gesellschaft. Seit 2012 stellt Hines Buchcover verschiedener Genres nach, um auf die sexistischen Inszenierungen von Männern und Frauen gleichermaßen aufmerksam zu machen. Das Ergebnis (HIER) ist nicht nur unheimlich witzig, sondern auch erfrischend schmerzfrei. Hines scheut sich nicht, sich für die gute Sache zum Clown zu machen. Das finde ich enorm sympathisch; außerdem beweisen die Fotos seine kreative Ader, auf die er wohl auch beim Schreiben seiner Romane zurückgreift.

 

Es war einmal eine Meerjungfrau, die sich unsterblich in einen menschlichen Prinzen verliebte. Um mit ihm zusammen zu sein, bat sie eine Hexe um einen Zauber, der sie in einen Menschen verwandeln würde. Doch als sie zu ihm ging, brach er ihr Herz. Aus „glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ wurde nichts. Was passierte mit der kleinen Meerjungfrau, nachdem ihr Prinz sie ablehnte? Die Prinzessinnen Danielle, Talia und Schnee – besser bekannt als Aschenputtel, Dornröschen und Schneewittchen – wissen es. Die kleine Meerjungfrau trägt den Namen Lirea und verfiel durch ihren Schmerz und Kummer dem Wahnsinn. Nun bedroht sie die Zukunft Lorindars. Können die drei Prinzessinnen sie aufhalten und so den Frieden zwischen Menschen und Undinen wieder herstellen?

 

Die Idee der gesamten Reihe Die Todesengel beruht auf Jim C. Hines‘ Anliegen, Märchenfiguren und speziell Märchenprinzessinnen die Verantwortung für ihre Geschichten selbst in die Hand zu geben. Ich finde das fantastisch. Aus Fräulein in Nöten werden dadurch selbstbewusste, selbstbestimmte Frauen; lebendig und greifbar. In jeder Szene in „Die Fiese Meerjungfrau“ ist dieses außergewöhnlich starke, emanzipierte Frauenbild deutlich spürbar. Ob Danielle, Talia, Schnee oder auch Kapitän Hephyra, eine Dryade, die eins mit ihrem Schiff ist – sie alle sind echte Individuen, weit entfernt von jeglichen Klischees. Die Prinzessinnen sind nicht länger perfekte, romantisierte Ideale, sondern reale Persönlichkeiten mit Schwächen und Fehlern, deren Lebensläufe um einiges weniger märchenhaft sind, als es uns die alten Geschichten weismachen wollen. Märchen sind in ihrer Ursprungsform brutal, grausam und erschreckend. Mir gefällt, dass Hines ihre unbarmherzige Natur erkannte und sie nicht verharmlost. In „Die Fiese Meerjungfrau“ ist es natürlich vor allem Lireas Schicksal, das in mir tiefes Mitgefühl weckte. Sie verliebte sich und wurde kaltblütig und mitleidlos zurückgewiesen. Selbst in der Vorlage von Hans Christian Andersen findet sie nicht das Happy End, dass sie sich wünscht – Jim C. Hines geht noch einen Schritt weiter, zeichnet das Bild düsterer und portraitiert Lirea als die Frau, die sie vielleicht auch in der Realität durch all ihren Kummer geworden wäre. Gebrochen, verletzt, verwirrt und wütend. Oh, Lirea ist so zornig. Sie war bereit, ihr gesamtes Leben für den Mann aufzugeben, den sie liebt. Mehr noch, sie war bereit, ALLES aufzugeben. Der Zauber sollte sie in einen Menschen verwandeln. Sie hätte ihre vollständige Identität als Meerjungfrau – oder Undine, wie sie bei Hines eigentlich heißen – hinter sich gelassen. Nun ist sie weder das eine, noch das andere. Sie schwebt zwischen zwei Welten, die definitiv nicht vereinbar sind. In der Fantasy sind Nixen den Menschen häufig sehr ähnlich, sodass ich oft das Gefühl hatte, dass sie im Grunde nur Menschen sind, die eben im Wasser leben. Daher war ich wirklich begeistert davon, dass Jim C. Hines die Undinen als eigenständiges Volk mit einer komplett entwickelten Kultur beschreibt.
Bei allem Lob muss ich allerdings zugeben, dass mich die Geschichte nicht ganz so fesselte, wie ich es mir gewünscht hätte. Die Rahmenbedingungen stimmen, doch der Kampf um den Frieden zwischen Menschen und Undinen ist ein wenig konfus. Ich denke, hätte Jim C. Hines die Ereignisse in eine andere Reihenfolge gebracht, hätte er den Spannungsbogen deutlich straffer gestalten können. Der aufklärende Aha-Moment kam zu spät, um ihn noch richtig würdigen zu können, wodurch die Hintergründe der Geschichte eher nebensächlich erschienen. Das ist ein bisschen schade, schmälerte meinen Lesespaß jedoch nur geringfügig.

 

Mir hat „Die Fiese Meerjungfrau“ wirklich gut gefallen. Sicher ist die Handlung kein Meisterwerk, doch die Idee der Reihe und die Umsetzung der Rahmenbedingungen konnten mich überzeugen. Es war eine wahre Freude, Charaktere mit so starken weiblichen Stimmen zu begleiten, die individuell und keinesfalls stereotyp sind. Im zweiten Band der Reihe treffen vier Prinzessinnen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten – sie sind nicht beliebig austauschbar. Ich denke, Jim C. Hines hat seine Protagonistinnen genauso abgebildet, wie er Frauen sieht, statt sie zu idealisieren oder in bestimmte Rollen zu zwingen. Das passiert so selten, gerade in der Fantasy, dass ich nicht anders kann, als es ihm hoch anzurechnen, welches Frauenbild er beschreibt. Wenn ihr die Nase voll habt vom ausgenudelten Bild der hilflosen Prinzessin und wissen möchtet, was nach dem Happy End passierte, ist „Die Fiese Meerjungfrau“ genau die richtige Lektüre für euch. Danielle, Talia und Schnee werden euch beweisen, dass sie viel mehr drauf haben, als nur auf Bällen zu tanzen und Prinzen anzuschmachten. Sie nehmen ihr Leben selbst in die Hand und retten ganz nebenbei auch noch ihre Heimat vor einem verheerenden Krieg. Sie sind Heldinnen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/10/02/jim-c-hines-die-fiese-meerjungfrau
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