logo
Wrong email address or username
Wrong email address or username
Incorrect verification code
back to top
Search tags: dietmar-dath
Load new posts () and activity
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2019-08-23 08:27
Im Supermarkt des Wahnsinns
Drive-In: Die Trilogie erstmals in einem Band - Dietmar Dath,Joe R. Lansdale,Alexander Wagner

Das größte Drive-In-Kino von Texas ist durch einen Kometen von der Außenwelt isoliert. Viertausend Autos sind eingeschlossen, während der leere Wahnsinn die Kinobesucher umzingelt.

"Drive-In" beinhaltet Lansdales gesamte Drive-In-Trilogie. Es beginnt mit dem Kometen, der Jack und seine Freunde im Autokino einschließt, geht über einen Mittelteil, der das Geschehen und den Leser an die Grenzen bringt, und endet mit einem außergewöhnlichen Abschluss, der einen regelrecht aus dem Drive-In-Orbit schießt. 

Vom Genre her ist diese Trilogie schwierig einzuordnen. Der Roman zeigt deutliche Horror-Elemente, die - wenn man sie mit Ernst betrachtet - blutig, grausam und ekelerregend sind. Hinzu kommt ein kräftiger Fantasy-Einschlag, der dennoch einen philosophischen und gesellschaftskritischen Blick auf die Gegenwart und die Realität wirft.

Die Handlung beginnt am Freitagabend, wenn die Horror-Filme ins Autokino locken. Das Orbit ist das größte Drive-In-Kino von Texas und bietet ungefähr viertausend Wagen Platz. Besonders zum Wochenende hin, wenn das Kettensägen-Massaker und ähnliche Streifen mit ihren abscheulichen Gräueltaten rufen - ist es überaus gut gefüllt.

Während sich Jack und seine Freunde auf einen feinen Filmabend des Grauens freuen, und es sich schon einmal gemütlich machen, segelt ein Komet auf die Erde herab, der den wahren Schrecken über die Filmbegeisterten bringt.

Das Autokino ist ab sofort von der Außenwelt abgeschnitten, und niemand weiß, was geschehen ist. 

Ab hier nimmt die Handlung schon bizarre Muster an, und fantastische Aspekte werden eingesetzt. Zwar spitzt sich die Lage auf natürlichem Weg zu - man denke an Nahrungsmittel und Wasserversorgung für tausende Menschen - doch auch Übernatürliches spielt mit rein.

Mitten im übernatürlichen Gebaren sind durchaus natürliche Aspekte zentral. Die Menschen verlieren bald ihre Geduld. Sie sind eingepfercht, werden ununterbrochen vom Horror beschallt und mit Popcorn abgefüttert, was rüde Brutalität zum Vorschein bringt. 

Schon allein an dieser kurzen Beschreibung kann man ablesen, dass Lansdale trotz des pulpmäßigen Stils gesellschaftskritische Töne anschlägt. Inwiefern er dieses Konzept bewusst anstrebt, ist mir allerdings schleierhaft.

Ich habe noch nie, wirklich noch nie, eine so irre Story gelesen. Es ist dreckig, es ist blutig, es ist abgefahren, und meistens faszinierend merkwürdig.

„Denn es war die Gesamtsituation, die richtig durchgeknallt war, richtig?“ (S. 282)

Die Handlung plätschert relativ gleichförmig dahin. Dabei hatte ich das Gefühl, dass Lansdale einfach drauf los geschrieben hat. Nach genauerer Betrachtung denke ich schon, dass er ein Gesamtkonzept vor Augen hatte, das einem nach Abschluss der Geschichte nachdenklich stimmt.

Lansdale zieht unter anderem mit scharfer Zunge über die Medien her. Er macht aus Film die Realität, während die Menschen begreifen, dass die Realität durchaus filmreif ist:

"Schließlich hatten sie gelernt, dass Filme die Wirklichkeit waren und alles andere Illusion, die man mühsam erzeugen musste." (S. 346)

Dabei darf man Joe R. Lansdale nicht als feinfühligen Philosophen sehen, weil dieses Werk in Ausdrucksweise, Sprache, Szenen und Passagen im derben Stil des Autors widerlich ist. Es geht um Sex, Gewalt, Blut und Fäkalien, die sich seitenweise durch die Trilogie ziehen.

Letztendlich fällt es mir schwer, Lansdales „Drive-In“ zu bewerten, aber ich kann definitiv sagen, dass ich es gerne gelesen habe. Ich habe mir angewidert das Blut aus dem Gesicht gewischt, habe den Gestank menschlicher Ausdünstungen ertragen, und bin auf Fäkalien durch das Gedärm in Richtung Orbit geritten - wenn das mal kein Erlebnis ist!

Zum Abschluss kann ich nur raten, sich bei Interesse selbst ein Bild von diesem bizarren Stück Fantasy zu machen. Hier muss jeder für sich entscheiden, ob es große Philosophie oder eher Alice-im-Wunderland-für-Fortgeschrittene ist.

„Ich sage ja nicht, dass das hier nicht ein echter Supermarkt des Wahnsinns ist.“ (S. 472)

Source: zeit-fuer-neue-genres.blogspot.com
Like Reblog Comment
review 2016-07-17 10:14
Die Spielarten der Evolution
Die Abschaffung der Arten - Dietmar Dath

Nach der Lektüre der Trilogie „Die Seiten der Welt“ von Kai Meyer hatte ich das Gefühl, unbedingt ein Buch für Erwachsene lesen zu müssen. Ich wollte ein Leseerlebnis, das mich fordert. Die Wahl, die mein Bauch für uns traf, überraschte mich allerdings: „Die Abschaffung der Arten“ von Dietmar Dath. Ich zögerte. Ich wusste, dass dieses Werk eines der anspruchsvollsten ist, die mein Regal zu bieten hat, auch, weil ich irrtümlich annahm, es handele sich dabei um ein Sachbuch. Als ich es in der Hand hielt, klärte sich diese Fehleinschätzung natürlich auf, doch meine Skrupel blieben. Ich stritt mit mir selbst, entschied dann aber, mich darauf einzulassen. Normalerweise weiß mein Bauch sehr genau, wann ich für eine bestimmte Lektüre bereit bin – ich vertraute ihm und stürzte mich in „Die Abschaffung der Arten“.

 

Die Zeit der Menschen auf Erden ist abgelaufen. Nun regieren Tiere eine Welt, die nur noch bedingt an die Errungenschaften der Menschheit erinnert. Unter der Führung des Löwen Cyrus Golden erreichte die Gesellschaft der Gente Frieden, Wohlstand und Intellektualität. Die Evolution auf dem Zenit ihrer Macht. Doch die Evolution ist eine wankelmütige Göttin ohne Gewissen. In den Wäldern Südamerikas entsteht eine neue Lebensform, die alles bedroht, was der Löwe einst als wahrgewordene Utopie erschuf. Der Gefahr ins Auge blickend entsendet er den Wolf und Diplomaten Dmitri, um einen alten Verbündeten aufzusuchen. Auf seiner Reise sammelt Dmitri Eindrücke und Erkenntnisse und beginnt zu verstehen, warum den Menschen die Ewigkeit verwehrt wurde. Die neuen Besitzer der Erde müssen wählen: haben sie wahrhaft aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt und sind bereit, sich der Evolution demütig zu beugen oder wird ihnen Hybris zum Verhängnis?

 

Ich denke nicht, dass ich „Die Abschaffung der Arten“ vollständig verstanden habe, das möchte ich von vorneherein klarstellen. Ich schäme mich nicht, das zuzugeben, denn ich glaube, es gibt wenige Menschen auf der Welt, die dieses Buch voll und ganz zu deuten verstehen. Die Lektüre ist ein Kampf mit den Grenzen der menschlichen Intellektualität und überstieg definitiv hin und wieder meinen Horizont. Dietmar Dath stellt hochabstrakte Spekulationen auf wissenschaftlicher Ebene an. Philosophie, Biologie, Genetik, Physik, Chemie – man müsste schon in all diesen Gebieten gleichermaßen bewandert sein, um das volle Gewicht von „Die Abschaffung der Arten“ wertschätzen zu können. Es wäre gelogen, würde ich das von mir behaupten und doch empfinde ich dieses Buch als Bereicherung, weil die Botschaft unverkennbar ist. Ob Mensch, ob Tier, wir alle sind Sklaven der Evolution. Sie ist die eine Konstante, der wir uns nicht widersetzen können, unabhängig davon, wie nachdrücklich wir es versuchen. Der Löwe wollte der Welt eine neue Geschichte nach seinem idealistischen Design geben. Er erschuf technisch weiterentwickelte, biologische Hybride, die jede Artenzuordnung ad absurdum führen. Er wollte der Evolution durch die uneingeschränkte Förderung von Individualität ein Schnippchen schlagen und ihr gleichkommen. Es sollte so viele Arten wie Einzelwesen geben. Darauf spielt der Titel an. Ein Wolf mit Bocksbeinen, eine grüne Dachsin, eine Schwarmintelligenz mit der Fähigkeit der Autotomie – jeder Wunsch kann erfüllt werden. Mich erinnerte der Löwe an den Zauberer von Oz. Er tritt als omnipotenter Herrscher auf, ein wohlwollender Magier, der milde Gaben verteilt und sein Volk mit Tricks regiert und manipuliert. In diesem Bild ist die neue Lebensform im südamerikanischen Dschungel die böse Hexe des Westens, eine Bedrohung, die sich völlig seiner Kontrolle entzieht. Die unbestrittene Fortschrittlichkeit der Gesellschaft, ihre Verehrung der Evolution, schützt sie nicht vor den unberechenbaren Spielarten selbiger. Vielleicht ist es Karma, vielleicht einfach der Lauf der Welt. Vielleicht steht jeder Zivilisation nur eine vergleichsweise kurze Zeit auf Erden zu, bevor sie der Erneuerung weichen muss. Der Vorteil der Gente gegenüber der Evolution besteht in ihrer Unabhängigkeit von sterblichen Hüllen. Die gesamte Gesellschaft gründet sich auf einem ungemein weitgefassten Verständnis von Körperlichkeit. Individualität ist eine Eigenschaft des Geistes, nicht des Körpers. Somit ist es der Geist, nicht der Körper, der bewahrt werden muss, um wahre Unsterblichkeit zu erreichen. Die Gente haben Möglichkeiten gefunden, Erinnerungen, ja ganze Persönlichkeiten zu speichern und zu transferieren. Die Tragweite dieser Erkenntnis und des daraus resultierenden Handlungsstrangs wurde mir erst in der zweiten Hälfte des Buches bewusst. Dietmar Dath arbeitete mit einem äußerst heftigen inhaltlichen Bruch, führt seine Leser_innen in der zweiten Hälfte von „Die Abschaffung der Arten“ ohne Vorwarnung in ein völlig neues Setting weit in der Zukunft und stellt (scheinbar) völlig neue Figuren vor. Obwohl ich von diesem Sprung anfangs extrem irritiert war, erkenne ich nun die Notwendigkeit. Ohne ihn wären die Konsequenzen der Entwicklungen der ersten Hälfte nicht sichtbar gewesen. Die Pläne, die von den Gente zu Zeiten des Löwen vorbereitet wurden, waren auf Jahrhunderte ausgelegt. Dath brauchte die zeitliche sowie räumliche Trennung, um deutlich zu machen, worauf er hinauswollte: das Bewahren von Individualität ist der einzige Weg, die Evolution zu umgehen.

 

Vielleicht begreife ich erst in vielen Jahren, was mir die Lektüre von „Die Abschaffung der Arten“ auf lange Sicht gebracht hat. Das Lesen war anstrengend und anspruchsvoll; ich bewundere Dietmar Dath für seinen Mut, erfolgreich ein Buch in diesem Schreibstil zu veröffentlichen. Trotzdem fühlte sich die Lektüre nicht nach durchquälen an. Es war ein Kampf, ja, aber keine Qual, weil die Geschichte in all ihrer Abstraktheit eben auch fesselnd ist. Fraglos ist die Tatsache, dass es mich intensiv zum Nachdenken angeregt hat, vielleicht so sehr wie noch kein Buch zuvor. Das Leben findet immer einen Weg und dieses Leben ist in seiner Essenz immer von den gleichen Themen bestimmt, unabhängig davon, wie fortschrittlich eine Lebensform ist. Gefühle sind eine Ebene, die die Evolution nicht erreicht.
Ich werde euch „Die Abschaffung der Arten“ nicht empfehlen. Es fiel mir bereits schwer, das Buch mit einer konkreten Anzahl von Sternen zu bewerten, weil es selbst völlig wertungsfrei ist. Es ist eine objektive Schilderung einer möglichen Zukunft, nicht mehr und nicht weniger. Meiner Ansicht nach muss man eine bewusste Entscheidung treffen, wenn man mit dem Gedanken spielt, dieses Werk zu lesen. Halbherzigkeit ist absolut fehl am Platz. Entweder man hat den Willen, sich mit diesem Buch auseinander zu setzen, komme was da wolle, oder man hat ihn nicht.

More posts
Your Dashboard view:
Need help?