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review 2019-07-30 09:02
Geschmackssache
Das magische Portal - Aileen P. Roberts

Aileen P. Roberts war das Pseudonym der deutschen Fantastik-Autorin Claudia Lössl, die tragischerweise im Alter von 40 Jahren am 05. Dezember 2015 verstarb. Sie hinterließ ihren Ehemann Stephan, mit dem sie unter dem Sammelpseudonym C.S. West ebenfalls fantastische Romane verfasste, und ihre Tochter. Die Schriftstellerin litt unter einer schweren Krankheit, wovon offenbar nicht einmal ihr Verlag Goldmann Kenntnis hatte. Die Nachricht ihres Todes überraschte Fans wie Verleger gleichermaßen. Ich möchte ihrer Familie an dieser Stelle mein tief empfundenes Beileid aussprechen. Ich wusste nicht, dass sie nicht mehr unter uns weilt, als ich „Das magische Portal“, den ersten Band der „Weltennebel“-Trilogie, las. Durch ihre Bücher bleibt sie auf ewig in Erinnerung.

 

Was hat die unscheinbare Mia bloß an sich, dass sich Darian zu ihr hingezogen fühlt? Weder entspricht sie seinem Typ, noch verkehrt sie in denselben sozialen Kreisen. Er ist beliebt und wohlhabend, sie hingegen wird von allen „die Vogelscheuche“ genannt. Als sie sich auf einer Studienreise nach Schottland näherkommen, erkennt Darian, dass sein Interesse an Mia über eine harmlose Schwärmerei hinausgeht. Sie verbirgt ein unglaubliches Geheimnis: sie ist kein Mensch. Sie stammt aus einem magischen Land namens Albany, dessen königliche Familie vor 25 Jahren Opfer einer heimtückischen Verschwörung wurde. Nur der jüngste Prinz überlebte und wurde durch den Weltennebel in Sicherheit gebracht. Von Verzweiflung getrieben offenbart sie Darian die Wahrheit: er ist Albanys verschollener Prinz, der Thronerbe und muss schnellstmöglich zurückkehren, um sein geknechtetes Volk zu erlösen. Obwohl Mias Geschichte verrückt klingt, glaubt Darian ihr. Doch die Reise nach Albany fordert Opfer und schon bald muss Darian einsehen, dass er in seiner Heimat vielleicht nicht willkommen ist…

 

„Das magische Portal“ ist wohl Geschmackssache. Ich fand den ersten Band der „Weltennebel“-Trilogie nicht schlecht, doch leider war er überhaupt nicht meins. Als glühender High Fantasy – Fan sind Crossgenre-Vertreter wie dieser Roman für mich ein Glücksspiel, weil mich die fiktive Welt, die sie vorstellen, weit mehr interessiert als die Ereignisse in unserer Realität. Das heißt, sowohl der Übergang in diese Welt muss gelungen sein als auch das Wordbuilding selbiger, das dann wiederum die Handlung bestimmt. „Das magische Portal“ überzeugte mich in allen drei Punkten nicht. Anfangs war ich überrascht, wie schnell sich das Geschehen entwickelt: Darian erfährt früh, dass er der verlorene Prinz Albanys ist und entscheidet ungeachtet der Konsequenzen sofort, seinen Thron in Besitz zu nehmen. Seine Entschlussfreudigkeit sagte mir zu, schließlich wollte ich Albany kennenlernen. Während Mia und Darian darum kämpfen, die Reise in die Tat umzusetzen, beschlichen mich jedoch Zweifel. Wollte Darian nicht viel zu wenig über das Land, das er zu regieren gedachte, wissen? Natürlich stellt er Mia die grundlegendsten Fragen, wichtige Themen wie Politik und Wirtschaft hingegen streift er lediglich. Ich begann, seine Kurzentschlossenheit als überstürzt und naiv zu interpretieren. Mir schwante Übles für das magische Reich und sobald Darian in Albany eintraf – natürlich nicht ohne Verluste – bestätigte sich meine Vorahnung. Darian ist unverantwortlich schlecht auf seine neue Position vorbereitet und wird vollkommen allein gelassen, was ich als Folge der gravierenden Lücken des oberflächlichen Worldbuildings auslege. Albany erschien mir wie ein zweidimensionales Gemälde. All die kleinen Details, die eine fiktionale Welt trotz fantastischer Elemente real wirken lassen, fehlen dort. Territoriale Grenzen sind diffus und inkonsequent, die Beziehungen zwischen den Völkern schwer nachzuvollziehen, politische und ökonomische Gegebenheiten und Gesetze maximal grob umrissen. Für mich fühlte sich das Land wie eine Spielwelt an, die Aileen P. Roberts erschuf, um ihren verträumten Vorstellungen eines parallelen, verzauberten Universums Gestalt zu verleihen, ohne sich ernsthaft um Realismus oder Logik zu bemühen. Ich fand das sehr schade, denn Albany hat definitiv Charme. Unglücklicherweise langweilte mich die Handlung allerdings so sehr, dass ich die bezaubernden Facetten des Settings nicht schätzen konnte. Es passiert einfach zu wenig. Von Trauer gelähmt lässt sich Darian um seinen Thron betrügen und gerät in eine qualvolle Spirale aus Verzweiflung und Selbstekel. Er versinkt in einer hübschen, ausgewachsenen Depression, die ihn daran hindert, seine Situation zu ändern. Mich berührte sein Schmerz überhaupt nicht, weil ich sein Verhalten als egoistisch empfand. Sein Volk braucht ihn. Derweil er sich ausgiebig im Selbstmitleid suhlt, leiden sie unter horrend hohen Steuern und einer herzlosen Politik der Willkür. Das konnte ich ihm nicht verzeihen, obwohl er zum Ende von „Das magische Portal“ eine vollständige Läuterung durchläuft. Es war zu spät – meiner Auffassung nach hatte er sein Anrecht auf den Thron längst verspielt.

 

Über die Toten soll man nur Gutes reden, besagt ein altes lateinisches Sprichwort. Deswegen fiel mir diese Rezension zu „Das magische Portal“ ziemlich schwer, denn der tragisch frühe Tod von Aileen P. Roberts alias Claudia Lössl löste in mir den reflexhaften Wunsch aus, alle Kritik an ihrem Trilogieauftakt zu verschweigen. Aber das wäre unehrlich. Ich glaube, dass man den Toten Respekt erweist, indem man ihr Vermächtnis aufrichtig beurteilt. „Das magische Portal“ bot mir zu wenig Abwechslung, kränkt meiner Meinung nach am schemenhaften Worldbuilding und war zu sehr auf die emotionale Ebene fokussiert. Leser_innen, die feminine, magische Liebesgeschichten mögen und zugunsten der Gefühle weniger Wert auf ein konsequentes Weltendesign legen, sind hier sicher besser aufgehoben. Ich bin nicht das richtige Publikum für die „Weltennebel“-Trilogie und kehre Albany demzufolge den Rücken.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/07/30/aileen-p-roberts-das-magische-portal
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review 2018-03-14 11:13
Ab in den Papierkorb
Beasts Made of Night - Tochi Onyebuchi

Tochi Onyebuchis Leben ist ein Spagat zwischen seinem Beruf als Anwalt für Bürgerrecht und seinen Bemühungen als Autor. Beide Karrierezweige verfolgt der US-Amerikaner nigerianischer Herkunft mit beeindruckender Professionalität. Er verfügt über Abschlüsse aus Yale, der Columbia Law School und der NYU. Seine Kurzgeschichten und Novellen erschienen in Asimov’s Science Fiction, im Nowhere Magazine und in der Anthologie Panverse Three. „Beasts Made of Night“ ist sein Debütroman, ein Traum, den er sich nach 15 Jahren harter Arbeit erfüllte und der Gerüchten zufolge der Auftakt einer umfangreichen, gleichnamigen Saga sein wird.

 

Der 17-jährige Taj ist ein Aki, ein Sündenfresser. Sein Körper ist übersäht mit Tattoos, die beweisen, wie viele Sünden-Bestien er erschlug. Diese Manifestationen der Sünde, hervorgerufen durch einen Magier, können zwar getötet werden, erscheinen anschließend jedoch auf der Haut des Aki, während die Schuld der Tat auf den Sündenfresser übergeht. Die meisten Aki verfallen eines Tages dem Wahnsinn. Taj weiß, dass er irgendwann den Preis für sein Talent bezahlen muss, doch noch gilt er als der beste Aki in ganz Kos. Leider ist seine Reputation wertlos, da seinesgleichen als verdorben geächtet werden. Niemand möchte zugeben, die Dienste eines Sündenfressers zu benötigen, schon gar nicht die königliche Familie. Als Taj in den Palast bestellt wird, um den König selbst von einer Sünde zu befreien, ahnt er nicht, dass er in eine abscheuliche Intrige hineingezogen wird, die nicht nur die Beseitigung aller Aki zum Ziel hat, sondern auch Kos zerstören soll. Taj muss handeln. Kann er den Wahnsinn, der bereits in ihm wütet, lange genug zurückhalten, um seine Freunde und ganz Kos zu retten?

 

Ich finde Tochi Onyebuchi sehr sympathisch. Ich bewundere sein Engagement im sozialen Bereich und seinen Ehrgeiz, parallel zu seinem fordernden Beruf eine Karriere als Autor anzustreben. Ich weiß, dass er mit einer Bipolar-II-Störung lebt und seine Alkoholsucht überwand. Deshalb bedauere ich die folgenden Worte von Herzen: „Beasts Made of Night“ ist eine Katastrophe. Nach der Lektüre war ich völlig geschockt, ich fragte mich ernstlich, ob in meinem Rezensionsexemplar vielleicht Teile fehlten, denn die Geschichte dieses Reihenauftakts fühlte sich dermaßen unvollständig und fragmentarisch an, dass ich ihr nicht einmal folgen konnte. So etwas habe ich noch nie erlebt. Onyebuchi konnte sich offenbar überhaupt nicht in seine Leser_innen hineinversetzen. Er beschreibt nichts, er erklärt nichts, er schubste mich in dieses löchrige Gebilde hinein und erwartete, dass ich mich ohne seine Hilfe darin zurechtfand, während er munter riesige Gedankensprünge vollzog und keinen einzigen Aspekt verlässlich ausarbeitete. Ich stürzte im freien Fall durch die Löcher in Handlung, Chronologie, Worldbuilding und Charakterkonstruktion und konnte zuschauen, wie mir „Beasts Made of Night“ rasant egal wurde, weil ich es nicht begriff. Diese Entwicklung betrübt mich, denn ich ahne, welche Geschichte Onyebuchi eigentlich erzählen wollte und wie sie sich in seinem Kopf abspielte. Er konnte seine Fantasie wohl nicht auf Papier bannen. In einem Interview erwähnte er, dass das Setting Kos von der nigerianischen Stadt Lagos inspiriert sei. Diesen Eindruck teilte ich nicht, mir erschien die ummauerte Stadt wie eine krude Version des antiken Roms, erweitert durch einen wilden Mix östlicher Kulturen und Gebräuche. Was hinter Kos‘ Mauern liegt – keine Ahnung. Da sind Bäume. Mehr weiß ich nicht. Die Gesellschaft, die dieses inkonsistente Bild bevölkert, erschloss sich mir ebenfalls nicht. Hat die königliche Familie nun Macht oder wird Kos in Wahrheit von Magiern regiert? Ich weiß es nicht. Ebenso fehlte mir eine Begründung, wieso die Aki verabscheut werden, obwohl ihr Wert unschätzbar ist. Sie erweisen den Menschen einen unverzichtbaren Dienst, da Sünden nicht nur ideologisch abgelehnt werden, sondern auch „krank machen“. Inwiefern und wieso – ich weiß es nicht. Da sie nun schon als Bodensatz der Gesellschaft gelten, läge es nahe, ihre Tattoos, die sie offen brandmarken, zu verstecken. Tun sie nicht. Warum – ihr ahnt es – weiß ich nicht. Gern hätte ich mich in diesem verwirrenden Ansturm bruchstückhafter Informationen zumindest am Protagonisten Taj festgeklammert, ja, ich wäre bereit gewesen, ihn emotional in einem Todesgriff zu halten, um mich durch „Beasts Made of Night“ hindurchzubringen. Es ging nicht. Ich kann ihn nicht leiden. Er ist arrogant und aggressiv, kein bisschen empathisch und kurz gesagt ein Widerling, der viel zu große Stücke darauf hält, bisher nicht verrückt geworden zu sein. Tolle Leistung. Applaus. Kurz vor Schluss versucht Tochi Onyebuchi dann, die Handlung dieses Schweizer Käses durch eine überraschende Wendung aufregend und unvorhersehbar zu gestalten. Unglücklicherweise war dieser Dreh inhaltlich vollkommen unlogisch. Das fällt allerdings nur marginal ins Gewicht, weil das Vorspiel kaum glaubwürdiger ist.

 

Es tut mir sehr leid, dass mir „Beasts Made of Night“ nicht gefiel. Ich glaube fest daran, dass Tochi Onyebuchi ein toller Mensch ist, freundlich und hilfsbereit. Seine Pläne, ein erfolgreicher Autor zu werden, würde ich an seiner Stelle jedoch noch ein paar Jahre auf Eis legen. Was diesen Reihenauftakt betrifft, kann ich leider nur einen möglichen Rat aussprechen: ab damit in den Papierkorb und noch einmal ganz von vorn anfangen. In ihrer aktuellen Form hat die Geschichte meiner Ansicht nach nicht einmal Potential, da sie zu viele offene Baustellen aufweist. Ich begreife nicht, wieso das Manuskript überhaupt von einem Verlag angenommen wurde. Aufgrund mehrerer Rezensionen, die ich gelesen habe, weiß ich, dass ich nicht die einzige bin, die so empfindet. Man hätte Onyebuchi vor diesen Negativmeinungen bewahren müssen. Niemand sollte erleben müssen, wie der eigene Debütroman von den Leser_innen in Stücke gerissen wird.

 

Vielen Dank an Netgalley und den Verlag Razorbill für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/03/14/tochi-onyebuchi-beasts-made-of-night
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review 2016-12-29 10:15
Wenn jemand zu einem Messerkampf eine Pistole mitbringt...
Das Buch des Todes: Roman - Anonymus

Anfang 2016 habe ich mir vorgenommen, in diesem Jahr die „Bourbon Kid“-Reihe von Anonymus zu beenden. Im Mai startete ich voller Elan mit dem dritten Band in dieses Vorhaben. Leider enttäuschte mich „Das Buch ohne Gnade“, weil es weder die Geschichte weiterführte, noch qualitativ an die beiden Vorgänger heranreichte. Ich war irritiert. Was sollte ich mit dieser losgelösten Episode anfangen? Und was sagte sie über das Finale der Reihe aus, „Das Buch des Todes“? Aufgrund meiner Zweifel hatte ich Hemmungen, weiterzulesen und verschob die Lektüre des letzten Bandes wieder und wieder. Im Dezember beschloss ich, dem Elend ein Ende zu setzen. Ich wappnete mich mit geringen Erwartungen und nahm mir endlich „Das Buch des Todes“ vor.

 

Santa Mondegas Straßen schwimmen in Blut. Nur wenige Stunden sind vergangen, seit der Bourbon Kid in einer Orgie der Gewalt Menschen und Vampire gleichermaßen massakrierte. Aber er erwischte nicht alle. Ausgerechnet die ehemalige Mumie Gaius Rameses ist noch immer quicklebendig. Na ja, oder so lebendig, wie ein Untoter eben sein kann. Nun plant der König der Vampire, mithilfe des Auge des Mondes die Weltherrschaft an sich zu reißen. Der Kid ist der einzige, der ihn aufhalten könnte, sieht sich im Moment allerdings mit einem lästigen Problem konfrontiert: das Auge des Mondes gab ihm seine Seele zurück. Mit diesem unnützen Ballast kann er sich nicht in den gnadenlosen Killer verwandeln, der er sein muss, um eine von Vampiren regierte Zukunft zu verhindern. Er muss sie loswerden. Mit qualmenden Reifen macht er sich auf den Weg zum Devil’s Graveyard, denn glücklicherweise kennt er da jemanden, der für das Ding eher Verwendung hat als er…

 

Ich habe mich grundlos selbst kirregemacht. Ich hätte meiner Intuition vertrauen sollen, die mir bereits nach der Lektüre von „Das Buch ohne Gnade“ beharrlich mitzuteilen versuchte, dass dieser dritte Band garantiert seine Berechtigung hat, die ich nur noch nicht erkennen konnte. Sie hatte Recht. Ohne „Das Buch ohne Gnade“ ist die gewohnt absurd-witzige, temporeiche, gewaltverherrlichende Handlung von „Das Buch des Todes“ nicht zu verstehen. Will man begreifen, warum die Geschichte des Bourbon Kid und seines Rachefeldzugs gegen die Untoten so endet, wie sie endet, braucht man das Vorwissen, das der Vorgänger bietet. Ich bin zutiefst erleichtert, dass all meine Befürchtungen überflüssig waren. „Das Buch des Todes“ setzt genau da ein, wo „Das Buch ohne Staben“ abriss: kurz nach Halloween, in den deutlich entvölkerten Straßen des Höllenlochs Santa Mondega. Oh wie ich diese Stadt liebe, für ihren rotzigen, gesetzlosen Charme des Wilden Westens, für die absolute Ichbezogenheit und Verderbnis ihrer Bewohner_innen und für die Selbstverständlichkeit, mit der dort das Übernatürliche behandelt wird. Vampire wollen die Weltherrschaft übernehmen? Das könnte schlecht fürs Geschäft sein, die Kundschaft könnte ausbleiben, weil die Kundschaft die bevorzugte Nahrungsquelle der Vampire ist. Das geht so nicht! Bei entsprechender Entlohnung würde sich der Großteil der Bevölkerung Santa Mondegas eher den Arm abhacken, als etwas Uneigennütziges zu tun. Offenbar sprechen sie meiner persönlichen dunklen Seite damit aus der Seele. Ich finde es reizvoll, mir ein Leben auszumalen, das völlig frei von moralischen Grundsätzen und Verantwortungsbewusstsein ist, in dem ich egoistisch und lasterhaft sein könnte. Natürlich ist das nicht mehr als ein Tagtraum, in der Realität würde mir so ein Dasein wohl kaum gefallen, aber das hinderte mich nicht daran, den Barkeeper Sanchez voller Begeisterung dabei zu beobachten, wie er die Schneemänner von Kindern über den Haufen fuhr und den Weihnachtsmann abfackelte. Ich feuerte den Bourbon Kid trotzdem aus sicherer Entfernung an und bewunderte die Kreativität seiner tödlichen Methoden. In Santa Mondega ist der Titel „Held“ eben etwas flexibler definiert und man verdient ihn sich versehentlich. Auch im Finale stolpern die Figuren durch ein schier endloses Repertoire grotesker Szenen und folgen unwissend den Plänen des unbekannten Autors, der ganz offensichtlich diebische, sadistische Freude dabei empfindet, seine Macht über sie voll und ganz auszukosten. Mir gefällt seine Kompromisslosigkeit, die Konsequenz, mit der er seine Geschichte abschließt, wie es ihm passt, ohne Rücksicht auf Verluste oder die zarten Gefühle seiner Leserschaft. Wer nicht mithalten kann, kommt unter die Räder, basta. Dadurch ist „Das Buch des Todes“ unvorhersehbar, überraschend und nervenaufreibend. Keine Zeit, ungläubig zu staunen oder um dahingeschiedene Charaktere zu trauern, die nächste Sensation, der nächste Kick warten schon! Pass auf, sonst springen sie dir ins Gesicht!

 

„Das Buch des Todes“ ist das hysterische, unpassende Kichern während einer Beerdigung. Es ist der Messerkampf, zu dem einer eine Pistole mitbringt. Es ist unfair, bösartig und zum Schreien komisch; eine trashige Aneinanderreihung von Absurditäten, die erneut bemerkenswert schlüssig ist. Leider war es mein letzter Ausflug nach Santa Mondega. Schnief. Ich bin definitiv traurig, dass es nun vorbei ist. Zumindest vorerst. Offiziell. Eigentlich wollte Anonymus weiterschreiben, bis alle tot sind. Ohne zu viel zu verraten: einige wenige überleben diesen Wahnsinn. Theoretisch müsste er also… Nein, lassen wir das. Es bringt nichts, darüber zu spekulieren, was dieser Autor tun wird, denn wer sich brutale Achterbahnfahrten dieser Art ausdenkt, lässt sich sowieso nicht in die Karten schauen. Den Bourbon Kid werde ich auf jeden Fall in dem Einzelband „Drei Killer für ein Halleluja“ wiedertreffen und ich hoffe, dass dieser ähnlich abgefahren ist wie die „Bourbon Kid“-Reihe. Und vielleicht, nur vielleicht, wird Anonymus sein Versprechen eines Tages einlösen und noch einmal literweise Blut in Santa Mondega fließen lassen. Ist doch okay, dass ich mir das wünsche?

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/12/29/anonymus-das-buch-des-todes
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review 2016-07-17 10:14
Die Spielarten der Evolution
Die Abschaffung der Arten - Dietmar Dath

Nach der Lektüre der Trilogie „Die Seiten der Welt“ von Kai Meyer hatte ich das Gefühl, unbedingt ein Buch für Erwachsene lesen zu müssen. Ich wollte ein Leseerlebnis, das mich fordert. Die Wahl, die mein Bauch für uns traf, überraschte mich allerdings: „Die Abschaffung der Arten“ von Dietmar Dath. Ich zögerte. Ich wusste, dass dieses Werk eines der anspruchsvollsten ist, die mein Regal zu bieten hat, auch, weil ich irrtümlich annahm, es handele sich dabei um ein Sachbuch. Als ich es in der Hand hielt, klärte sich diese Fehleinschätzung natürlich auf, doch meine Skrupel blieben. Ich stritt mit mir selbst, entschied dann aber, mich darauf einzulassen. Normalerweise weiß mein Bauch sehr genau, wann ich für eine bestimmte Lektüre bereit bin – ich vertraute ihm und stürzte mich in „Die Abschaffung der Arten“.

 

Die Zeit der Menschen auf Erden ist abgelaufen. Nun regieren Tiere eine Welt, die nur noch bedingt an die Errungenschaften der Menschheit erinnert. Unter der Führung des Löwen Cyrus Golden erreichte die Gesellschaft der Gente Frieden, Wohlstand und Intellektualität. Die Evolution auf dem Zenit ihrer Macht. Doch die Evolution ist eine wankelmütige Göttin ohne Gewissen. In den Wäldern Südamerikas entsteht eine neue Lebensform, die alles bedroht, was der Löwe einst als wahrgewordene Utopie erschuf. Der Gefahr ins Auge blickend entsendet er den Wolf und Diplomaten Dmitri, um einen alten Verbündeten aufzusuchen. Auf seiner Reise sammelt Dmitri Eindrücke und Erkenntnisse und beginnt zu verstehen, warum den Menschen die Ewigkeit verwehrt wurde. Die neuen Besitzer der Erde müssen wählen: haben sie wahrhaft aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt und sind bereit, sich der Evolution demütig zu beugen oder wird ihnen Hybris zum Verhängnis?

 

Ich denke nicht, dass ich „Die Abschaffung der Arten“ vollständig verstanden habe, das möchte ich von vorneherein klarstellen. Ich schäme mich nicht, das zuzugeben, denn ich glaube, es gibt wenige Menschen auf der Welt, die dieses Buch voll und ganz zu deuten verstehen. Die Lektüre ist ein Kampf mit den Grenzen der menschlichen Intellektualität und überstieg definitiv hin und wieder meinen Horizont. Dietmar Dath stellt hochabstrakte Spekulationen auf wissenschaftlicher Ebene an. Philosophie, Biologie, Genetik, Physik, Chemie – man müsste schon in all diesen Gebieten gleichermaßen bewandert sein, um das volle Gewicht von „Die Abschaffung der Arten“ wertschätzen zu können. Es wäre gelogen, würde ich das von mir behaupten und doch empfinde ich dieses Buch als Bereicherung, weil die Botschaft unverkennbar ist. Ob Mensch, ob Tier, wir alle sind Sklaven der Evolution. Sie ist die eine Konstante, der wir uns nicht widersetzen können, unabhängig davon, wie nachdrücklich wir es versuchen. Der Löwe wollte der Welt eine neue Geschichte nach seinem idealistischen Design geben. Er erschuf technisch weiterentwickelte, biologische Hybride, die jede Artenzuordnung ad absurdum führen. Er wollte der Evolution durch die uneingeschränkte Förderung von Individualität ein Schnippchen schlagen und ihr gleichkommen. Es sollte so viele Arten wie Einzelwesen geben. Darauf spielt der Titel an. Ein Wolf mit Bocksbeinen, eine grüne Dachsin, eine Schwarmintelligenz mit der Fähigkeit der Autotomie – jeder Wunsch kann erfüllt werden. Mich erinnerte der Löwe an den Zauberer von Oz. Er tritt als omnipotenter Herrscher auf, ein wohlwollender Magier, der milde Gaben verteilt und sein Volk mit Tricks regiert und manipuliert. In diesem Bild ist die neue Lebensform im südamerikanischen Dschungel die böse Hexe des Westens, eine Bedrohung, die sich völlig seiner Kontrolle entzieht. Die unbestrittene Fortschrittlichkeit der Gesellschaft, ihre Verehrung der Evolution, schützt sie nicht vor den unberechenbaren Spielarten selbiger. Vielleicht ist es Karma, vielleicht einfach der Lauf der Welt. Vielleicht steht jeder Zivilisation nur eine vergleichsweise kurze Zeit auf Erden zu, bevor sie der Erneuerung weichen muss. Der Vorteil der Gente gegenüber der Evolution besteht in ihrer Unabhängigkeit von sterblichen Hüllen. Die gesamte Gesellschaft gründet sich auf einem ungemein weitgefassten Verständnis von Körperlichkeit. Individualität ist eine Eigenschaft des Geistes, nicht des Körpers. Somit ist es der Geist, nicht der Körper, der bewahrt werden muss, um wahre Unsterblichkeit zu erreichen. Die Gente haben Möglichkeiten gefunden, Erinnerungen, ja ganze Persönlichkeiten zu speichern und zu transferieren. Die Tragweite dieser Erkenntnis und des daraus resultierenden Handlungsstrangs wurde mir erst in der zweiten Hälfte des Buches bewusst. Dietmar Dath arbeitete mit einem äußerst heftigen inhaltlichen Bruch, führt seine Leser_innen in der zweiten Hälfte von „Die Abschaffung der Arten“ ohne Vorwarnung in ein völlig neues Setting weit in der Zukunft und stellt (scheinbar) völlig neue Figuren vor. Obwohl ich von diesem Sprung anfangs extrem irritiert war, erkenne ich nun die Notwendigkeit. Ohne ihn wären die Konsequenzen der Entwicklungen der ersten Hälfte nicht sichtbar gewesen. Die Pläne, die von den Gente zu Zeiten des Löwen vorbereitet wurden, waren auf Jahrhunderte ausgelegt. Dath brauchte die zeitliche sowie räumliche Trennung, um deutlich zu machen, worauf er hinauswollte: das Bewahren von Individualität ist der einzige Weg, die Evolution zu umgehen.

 

Vielleicht begreife ich erst in vielen Jahren, was mir die Lektüre von „Die Abschaffung der Arten“ auf lange Sicht gebracht hat. Das Lesen war anstrengend und anspruchsvoll; ich bewundere Dietmar Dath für seinen Mut, erfolgreich ein Buch in diesem Schreibstil zu veröffentlichen. Trotzdem fühlte sich die Lektüre nicht nach durchquälen an. Es war ein Kampf, ja, aber keine Qual, weil die Geschichte in all ihrer Abstraktheit eben auch fesselnd ist. Fraglos ist die Tatsache, dass es mich intensiv zum Nachdenken angeregt hat, vielleicht so sehr wie noch kein Buch zuvor. Das Leben findet immer einen Weg und dieses Leben ist in seiner Essenz immer von den gleichen Themen bestimmt, unabhängig davon, wie fortschrittlich eine Lebensform ist. Gefühle sind eine Ebene, die die Evolution nicht erreicht.
Ich werde euch „Die Abschaffung der Arten“ nicht empfehlen. Es fiel mir bereits schwer, das Buch mit einer konkreten Anzahl von Sternen zu bewerten, weil es selbst völlig wertungsfrei ist. Es ist eine objektive Schilderung einer möglichen Zukunft, nicht mehr und nicht weniger. Meiner Ansicht nach muss man eine bewusste Entscheidung treffen, wenn man mit dem Gedanken spielt, dieses Werk zu lesen. Halbherzigkeit ist absolut fehl am Platz. Entweder man hat den Willen, sich mit diesem Buch auseinander zu setzen, komme was da wolle, oder man hat ihn nicht.

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review 2016-06-14 10:43
In der Warteschleife
Die weiße Flamme - Richard Schwartz

Richard Schwartz ist nicht der Geburtsname des Autors der Zyklen „Das Geheimnis von Askir“ und „Die Götterkriege“. Er ist ein Pseudonym – eines von fünf. Es ist nicht öffentlich bekannt, wie der Mann tatsächlich heißt. Offiziell bestätigt ist nur, dass es sich bei Richard Schwartz und Carl A. deWitt um ein und dieselbe Person handelt. Seit diesem Jahr veröffentlicht Piper „Die Lytar-Chronik“ unter dem Namen Richard Schwartz, obwohl diese Trilogie ursprünglich als Zweiteiler von Carl A. deWitt bei blanvalet erschienen ist. Ich werde mir die drei Bände irgendwann von Piper zulegen, weil die Ausgaben überarbeitet wurden. Zuerst liegen jedoch noch einige Bände von „Die Götterkriege“ vor mir.

 

Havald, Engel des Soltar, ist aus seinem Schlaf erwacht, doch sein Gedächtnis kehrt nur langsam zurück. Solange er sich lediglich vage daran erinnert, wer er ist, ist jede Hoffnung, die Askir in ihn setzt, vergeblich. Leandra und Serafine sind enttäuscht, haben mit ihren Pflichten allerdings alle Hände voll zu tun. Leandra muss schnellstmöglich nach Illian reisen, um ihren Thron einzunehmen und den Rat daran zu hindern, die Stadt an den feindlichen thalakischen Kriegsherren Corvulus zu übergeben. Vorher hat sie jedoch ein Versprechen zu erfüllen: sie versprach, Byrwylde zu erschlagen, die riesige Schlange, die sich durch die Umleitung des Weltenstroms befreien konnte. Währenddessen befinden sich Wiesel und Marla bereits in Illian und müssen feststellen, dass die Stadt mit Intrigen verseucht ist und jeden Tag Unschuldige auf den Scheiterhaufen der Weißen Flamme brennen. Leandras Leben steht auf dem Spiel, finden Wiesel und Marla vor ihrer Ankunft keine Verbündeten, die sie unterstützen. Werden sie die Stadt gemeinsam vor sich selbst schützen können?

 

Kennt ihr diese Bücher, die man liest, für gut befindet und danach fast sofort wieder vergisst? So ergeht es mir bisher mit den Bänden von „Die Götterkriege“. Mir gefiel der Auftakt „Die Rose von Illian“ und ich mochte auch den zweiten Band „Die Weiße Flamme“, aber bleibenden Eindruck haben sie leider kaum hinterlassen. Es fällt mir schwer, Positives und Negatives zu definieren, weil mich die Geschichte emotional nicht richtig berührt. Irgendetwas fehlt. Es fühlt sich an, als könnte ich ein objektives Urteil abgeben, aber kein subjektives. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass ich den Eindruck habe, dass diese beiden Bände nur das Vorgeplänkel der eigentlichen Handlung darstellen. Die Geschichte nimmt sehr langsam Fahrt auf. Meiner Meinung nach zielt Richard Schwartz darauf ab, Havald erneut als ihr Zentrum zu etablieren, konnte damit allerdings noch nicht beginnen, weil er ihn selbst ins Aus geschrieben hat. Da Havald durch die Ereignisse am Ende des ersten Zyklus „Das Geheimnis von Askir“ zwischen Leben und Tod schwebte, musste er ihn erst zurückholen und sich erholen lassen, bevor er ihm in den nachfolgenden Bänden abermals die führende Rolle der Geschichte auf den Leib schneidern kann. Ich finde nicht, dass ihm das besonders elegant gelungen ist. „Die Rose von Illian“ und „Die Weiße Flamme“ hinterließen bei mir den Nachgeschmack einer Warteschleife. Obwohl ich die Figuren der Reihe mag und ihnen gern folge, weist keine die gleiche Zugkraft wie Havald auf. Vielleicht liegt mir die gradlinige Zuschreibung von Gut und Böse nicht; normalerweise sind es gerade die ambivalenten Charaktere, die mich am meisten faszinieren. Ich bin nicht überzeugt, dass Schwartz in der Lage ist, zwiespältige Persönlichkeiten zu konzipieren, denn selbst Marla und Wiesel verfolgen ehrenwerte Ziele. Mir erschienen sie aus genau diesem Grund mit der Situation in Illian überfordert, gleichwohl man meinen sollte, zwei Diebe kämen mit einer Schlangengrube voller Intrigen zurecht. Ich denke, Schwartz hat sich mit dieser Darstellung der Stadt keinen Gefallen getan, denn auf mich wirkte sie etwas ungelenk. Erst die Auflösung des Intrigengeflechts durch Leandras Ankunft konnte mich richtig fesseln.
Was mir hingegen sehr gut gefällt, ist die Tatsache, dass Schwartz das Militär Askirs als gleichberechtigte Institution beschreibt. Viele hochrangige Positionen werden von Frauen bekleidet. In der High Fantasy trifft man selten auf eine so fortschrittliche Streitmacht, doch zu Askir passt es hervorragend, schließlich wird das Reich von einer Frau regiert. Lustigerweise habe ich trotzdem Schwierigkeiten, Desina als Kaiserin wahrzunehmen. Ich empfinde sie primär als Eule und glaube, dass ihr das selbst ähnlich geht. Die Magie nimmt in Schwartz‘ Universum einen interessanten Stellenwert ein. Sie ist ein mächtiges Werkzeug mit vielen Einsatzmöglichkeiten, beinhaltet aber nicht die Antwort auf jedes Problem. Weder Desina, noch Leandra oder Asela verlassen sich uneingeschränkt auf sie. Es gefällt mir, dass in Schwartz‘ Welt sowohl Platz für Magie als auch für rudimentäre Technik ist, denn ich fand nie, dass das eine das andere ausschließt.

 

Ich hoffe sehr, dass „Die Götterkriege“ im nächsten Band „Das Blutige Land“ endlich richtig durchstarten. Es wäre zu schade, würden sie weiter vor sich hinplätschern, denn ich möchte mich begeistern lassen. Das Potential ist da und ich habe das Gefühl, dass die Geschichte erzählt werden will, doch bisher fehlt einfach das gewisse Etwas, diese spezielle Anziehungskraft, die sie unwiderstehlich werden ließe. Vielleicht braucht es dafür erst Havald, der in „Das Blutige Land“ wieder in den Fokus rückt. Ich bin äußerst neugierig, in welche Richtung er die Geschichte führen wird und ob Richard Schwartz aus ihm tatsächlich die zentrale Figur macht, die ich in ihm vermute.
„Die Weiße Flamme“ ist ein solider, unterhaltsamer High Fantasy – Roman voller klassischer Elemente. Daran gibt es nichts zu rütteln. Ich wünschte nur, zwischen den Seiten würde sich ein wenig mehr emotionaler Zauber verstecken.

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