Peter V. Bretts „Demon Cycle“ wurde im Verlauf von neun Jahren veröffentlicht. Insgesamt arbeitete der Autor jedoch deutlich länger an dem Fünfteiler, nämlich seit 1999. 18 Jahre verbrachte er mit der Geschichte und wusste von Anfang an, wie sie enden würde. Sein bestgehütetes Geheimnis. Deshalb war das Erscheinen des Finales „The Core“ 2017 für ihn emotional weniger aufreibend als für seine Fans, denn er hatte wesentlich mehr Zeit, sich konkret auf den Abschied vorzubereiten. Dennoch gesteht er, dass ihn der Abschluss der Saga sehr stolz macht – vollkommen zurecht, schließlich verdiente er sich mit dem „Demon Cycle“ einen Platz in der A-Liga der High Fantasy.
„Der Schwarm wird kommen“. Zuerst halten Arlen, Renna und Jardir die düstere Prophezeiung des dämonischen Prinzgemahls Alagai Ka für eine Lüge. Doch seine lustvolle Genugtuung, als er ihnen erklärt, welche Folgen seine Gefangenschaft haben wird, kann keine Täuschung sein. Genüsslich berichtet er, dass die Dämonenkönigin bald Eier legen wird, aus denen weitere, junge Königinnen schlüpfen werden. Da er eingesperrt ist und seine stärksten Nachkommen ausgelöscht wurden, werden die verbliebenen, schwächeren Prinzen die Eier stehlen und fliehen, um überall in Thesa neue Dämonennester zu gründen. Der Hunger der frischgeschlüpften Königinnen wird unersättlich sein. Die Städte der Menschen schweben in höchster Gefahr, denn weder Siegel noch Mauern können dem Schwarm dauerhaft standhalten. Unwissentlich verdammten Arlen, Renna und Jardir die Menschheit. Ihnen bleibt keine andere Wahl, als Arlens riskanten Plan in die Tat umzusetzen und Alagai Ka zu zwingen, sie in den Horc zu führen. Können sie die gefährliche Reise durch das verschlungene Labyrinth des Abgrunds zur Brutkammer überleben und die Königin töten, bevor ihre Verbündeten an der Oberfläche von den Vorboten des Schwarms in die Knie gezwungen werden?
Ich beendete den „Demon Cycle“, wie ich ihn begonnen habe: mit einem Leserausch. Die letzten 270 Seiten von „The Core“ verschlang ich innerhalb einer Nacht, weil ich einfach nicht schlafen gehen wollte, ohne zu wissen, wie das Buch endet. Ja, ich hatte Spaß. Es handelt sich um ein logisches, stimmiges und spannendes Finale, das die Reihe würdevoll und rund abschließt. Meiner Ansicht nach beinhaltet es keine losen Enden und wird den meisten Figuren gerecht. Ich bin zufrieden. Zufrieden, doch leider nicht überwältigt. „The Core“ ist ein intelligent und packend konstruierter High Fantasy – Roman, dessen Qualität ich keinesfalls absprechen möchte. Peter V. Brett wusste, was er tat, als er ihn schrieb und die Autorität, die er auf seine Geschichte vom ersten Band bis zu diesem Reihenabschluss ausübt, beeindruckt mich. Auf mich wirkte er von Beginn an kontrolliert und perfektionistisch, wodurch der „Demon Cycle“ als ausgesprochen gewissenhafte, souveräne Reihe überzeugt. Der kleine, aber feine Nachteil dieses etwas pedantischen Stils liegt darin, dass er emotionale Intensität häufig vernachlässigt. Brett ist eher nüchterner Chronist als tief involvierter Akteur. Er ist nicht mittendrin, er bleibt distanziert, ja beinahe kühl und hielt auch mich als Leserin emotional zurück. „The Core“ stach mir nicht ins Herz, ich empfand keine starke Trauer oder Euphorie, obwohl ich mich über gewisse persönliche Fortschritte der Figuren natürlich freute. Der Abschied fiel mir überraschend leicht, weil ich erst sehr spät verinnerlichte, dass das Ende bevorstand. Brett setzte die Messlatte bisher so hoch an, dass eine Steigerung äußerst schwierig war und mir alle Entwicklungen daher als naheliegende Konsequenz erschienen. Tempo und Dramatik gleichen den vorangegangenen Bänden bis aufs Haar, trotz verschärfter Bedingungen. Den Menschen in Thesa wird bewusst, dass sie bislang nur die Spitze der dämonischen Bedrohung erlebt haben. Ihre Städte hätten längst überrannt werden können – die Horclinge erlaubten ihnen lediglich, sich sicher zu wähnen. Nun sehen sie sich koordinierten Angriffen ausgesetzt und erkennen, dass sie nahezu hoffnungslos unterlegen sind. Die Szenen an der Oberfläche fand ich sehr aufregend, wenngleich sie ausschließlich die gesellschaftliche Elite fokussieren und einige Entscheidungen bestimmter Individuen für mich nicht nachvollziehbar waren. Dennoch fühlte sich „The Core“ für mich kaum wie ein Finale an. Es fehlte der letzte Kick, der berühmte Wow-Effekt und die Atmosphäre schicksalhafter Endgültigkeit, die ich mir immer für einen Reihenabschluss erhoffe. Arlen ist der einzige, der mit einer ergreifenden letzten Szene von eleganter Schönheit einen echten Schlussakkord erhält, andere Charaktere mussten sich mit einem recht abrupten Ende abfinden. Irgendwie waren die letzten Seiten dann doch mehr Kurzschluss als Feuerwerk.
Ich bin nicht enttäuscht von „The Core“. Keineswegs. Ich hätte mir zwar mehr Pathos und Theatralik gewünscht, die die endgültige Atmosphäre transportieren, aber wenn ich ehrlich bin, hätte das nicht zu Peter V. Brett gepasst. Er ist eher der Typ für vornehmes Understatement. Außerdem glaube ich, dass der „Demon Cycle“ dieses schlüssige, aber unaufgeregte Finale ohne Weiteres verkraftet, weil es eben nicht das Ende ist. Ich vermutete es bereits, als Stück für Stück die nächste Generation der Figuren auftauchte und sehe mich nun bestätigt: er kehrt in sein Universum zurück. Sein nächstes Projekt ist voraussichtlich eine Trilogie, die 15 Jahre nach den Ereignissen in „The Core“ spielt und – soweit ich es verstanden habe – die Kinder der Held_innen des „Demon Cycle“ in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken wird. Auftritte bekannter Gesichter inklusive. Man munkelt, der erste Band wird „The Desert Prince“ heißen. Amazon listet ihn für den 17. Oktober 2019, was ich durchaus für möglich halte. Angesichts dieser Neuigkeit erstaunt es mich nicht, dass „The Core“ keinen epischen, tränenreichen Abschied inszeniert – schließlich ist es nur ein Abschied auf Zeit.
Ich habe einen interessanten Zeitpunkt gewählt, um „Uglies“ von Scott Westerfeld zu lesen. Das Buch ist mittlerweile 14 Jahre alt und Auftakt der gleichnamigen „Uglies“-Tetralogie. Es lag recht lange auf meinem SuB, etwa dreieinhalb Jahre, weil meine Begeisterung für Young Adult – Dystopien seit dem Kauf deutlich abflaute. Als ich es im Februar 2019 aus dem Regal holte, folgte ich einer spontanen Eingebung meines Bauches. Das Timing hätte nicht besser sein können, denn während meiner Recherchen zum Autor fand ich heraus, dass Westerfeld im September 2018 begann, eine neue Tetralogie namens „Impostors“ im „Uglies“-Universum zu veröffentlichen, die bis 2021 vollständig erscheinen soll. Wir werden sehen, ob er mich so lange bei der Stange halten kann. Mit „Uglies“ erlebte ich auf jeden Fall einen vielversprechenden Start.
Alle Menschen wollen schön sein. Die beinahe 16-jährige Tally ist da keine Ausnahme. Nur noch ein paar Wochen trennen sie von ihrem neuen Gesicht und ihrem neuen Ich. Schluss mit ihrem Dasein als Ugly! Sie wird eine Pretty sein, in New Pretty Town leben und nur noch Spaß haben. Es ist so großzügig von der Regierung, allen Einwohner_innen zu ihrem 16. Geburtstag eine umfangreiche Schönheitsoperation zu schenken! Ist es doch – oder nicht? Tallys Freundin Shay hat Bedenken, denn der Eingriff ist keineswegs freiwillig. Kurz vor ihrer OP läuft sie davon, um in der Wildnis zu leben und bringt Tally damit in ernste Schwierigkeiten. Die Regierung stellt sie vor die Wahl: entweder, sie findet Shay und verrät ihre Freundin oder sie wird niemals operiert werden. Tally muss sich entscheiden. Wird sie Shay opfern, um pretty zu sein?
Ich hatte vor der Lektüre zurückhaltende Erwartungen an „Uglies“. Nur eine weitere Young Adult – Dystopie, nichts Besonderes, glaubte ich. Ich rechnete nicht damit, das Buch zu genießen und war darauf vorbereitet, häufig die Augen zu verdrehen. Deshalb freue ich mich, berichten zu können, dass mich „Uglies“ überraschend gut unterhielt und ich die Botschaft, die Scott Westerfeld vermittelt, sehr wichtig finde. Wie ihr euch sicher anhand der Inhaltsangabe denken könnt, behandelt die Tetralogie das Konzept von Schönheit. Die Geschichte spielt in einer undefinierten Zukunft, vermutlich mehrere Jahrhunderte nach unserer Gegenwart, nachdem eine fatale Katastrophe die Menschheit beinahe auslöschte. Was genau geschehen ist, lässt Westerfeld offen, er deutet allerdings an, dass umweltschädliches, ressourcenverschwendendes Verhalten verantwortlich war, wodurch „Uglies“ gerade jetzt hochaktuell ist. Einige Vertreter_innen der menschlichen Spezies überlebten und gründeten eine Gesellschaft, die die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden versucht und nach Regeln funktioniert, die auf mich skurril und repressiv wirkten. Alle Menschen müssen sich anlässlich ihres 16. Geburtstags einer drastischen Operation unterziehen, die ihr Äußeres perfektioniert. Wir sprechen hier nicht über eine kleine Nasenkorrektur, nein, es handelt sich um weitreichende Anpassungen, die den kompletten Körper betreffen. Alle Makel werden beseitigt – was als Makel gilt, obliegt der Regierung. Die Operation dient nicht nur als physische Optimierung, sie ist ebenso ein Initiationsritus, der den Übergang vom Kind zum Erwachsenen markiert. Aus heranwachsenden, durchschnittlichen Uglies werden bildschöne Pretties, die als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft nach New Pretty Town umziehen. Der gesamte Prozess wird als erstrebenswert propagiert und auch die Protagonistin Tally sehnt sich danach, eine Pretty zu werden. Wozu das Ganze? Offiziell liegt die Annahme zugrunde, dass staatlich verordnete äußerliche Perfektion ein friedliches Zusammenleben garantiert, weil Intoleranz, Diskriminierung und Neid beseitigt werden, wenn alle gleich schön sind. Ein bisschen wie der Effekt, den man Schuluniformen zurechnet. Somit gilt Schönheit als Allheilmittel gegen die Konflikte der Menschheit. Ich sehe darin eine sehr interessante Theorie, die sich zu diskutieren lohnt. Könnte da etwas dran sein? In der Realität von „Uglies“ ist dieses Gedankenspiel natürlich nicht mehr als eine Illusion, die die wahren, perfiden Absichten der Regierung verschleiern soll, was die burschikose, unkomplizierte und sympathische Hauptfigur Tally im Verlauf der Handlung unsanft herausfindet. Obwohl diese einige Logiklöcher aufweist, fühlte ich mich in meinem Lesespaß nicht gestört. Das Buch las sich leicht und angenehm; ich stolperte nicht über Aspekte, die nicht völlig plausibel waren, weil ich die Aussagen, die Scott Westerfeld über Schönheit, Oberflächlichkeit und Individualität trifft, als wesentlich relevanter empfand als die inhaltlichen Entwicklungen. Er geht dabei nicht subtil vor. Im Grunde könnte seine Intention auch in roten Leuchtlettern auf dem Cover stehen, so offensichtlich ist sie. Da wir jedoch über einen Roman für Jugendliche sprechen, finde ich seine Direktheit nicht zu aufdringlich und sogar angemessen. Geht es um Body Positivity, kann man gar nicht explizit genug werden.
„Uglies“ treibt unsere gesellschaftliche Obsession bezüglich Schönheit auf die Spitze und überraschte mich mit der äußerst konkreten, eindeutigen Botschaft, die der Autor Scott Westerfeld präsentiert. Der Tetralogieauftakt lässt wenig Interpretationsspielraum, den es in diesem Kontext meiner Ansicht nach allerdings auch nicht braucht, weil Westerfeld die Handlung und das Design seiner Dystopie seinem thematischen Schwerpunkt unterordnet. Jede Facette der Geschichte dient dazu, Kritik an übertriebenem Schönheitskult zu üben und dessen Gefahren zu betonen. Das Buch ist aufgrund seiner Unzweideutigkeit lesenswert. Die zielgerichtete Gradlinigkeit von Westerfelds Herangehensweise imponierte mir und überzeugte mich, den Folgebänden eine Chance zu geben. Manchmal ist die Absicht einer Geschichte eben doch essenzieller als ihr Inhalt.
Das Finale der „The Passage“-Trilogie, „The City of Mirrors”, erschien im März 2016, sechs Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Bandes „The Passage“ – deutlich später als geplant. Diese Verzögerung hatte einen spezifischen Grund. 2012 wurde beim Autor Justin Cronin Prostatakrebs diagnostiziert. Er musste sich einer schweren, mehrstündigen Operation unterziehen. Soweit ich weiß, geht es ihm heute gut, aber natürlich veränderte diese Erfahrung seinen Blick auf das Leben und die Geschichte, die er erzählen wollte. Es kostete ihn Zeit, herauszufinden, wie er seine neue Wahrnehmung, die sich unter anderem in gesteigerter Religiosität äußert, in „The City of Mirrors“ einfließen lassen wollte, obwohl das Ende der Trilogie von Anfang an feststand. Geschichten sind letztendlich eben immer auch Spiegelbilder ihrer Schöpfer_innen.
Die Virals sind verschwunden. Seit 20 Jahren wurden keine Infizierten gesichtet. Langsam beginnen die Menschen, der Sicherheit zu trauen. Sogar Peter, obwohl er sich noch immer fragt, was nach ihrem verheerenden Kampf gegen die Zwölf mit Amy geschah und ihn seltsame Träume quälen. Tagsüber ist er ein verantwortungsbewusster Vater, doch nachts entschwindet er in eine betörende Fantasiewelt. Der optimistische Ausbau der Städte lenkt ihn nur bedingt von seinem grotesken Doppelleben ab. Sein alter Freund Michael Fisher hingegen beteiligt sich nicht am Wiederaufbau der Zivilisation. Er widmet seine ganze Energie einem verrückten Plan, um die Menschheit zu retten, weil er nicht daran glaubt, dass die Virals wirklich ausgelöscht sind. Er hat Recht. Einer ist noch übrig. Der Eine, klüger, gerissener und boshafter als alle anderen. Der Erste, der je infiziert wurde: Zero…
Ich verstehe voll und ganz, dass Justin Cronin die transformative Wirkung seiner Krebserkrankung in „The City of Mirrors“ zu verarbeiten versuchte. Leider ändert mein Verständnis für den Autor nichts daran, dass ich das Finale der hochgelobten „The Passage“-Trilogie etwas enttäuschend fand. Ich möchte nicht streng oder missgünstig wirken, doch die Schwierigkeiten, die ich bereits mit „The Twelve“ hatte, setzten sich fort und verstärkten sich sogar. „The City of Mirrors“ kreist um Zero, der einst Tim Fanning hieß und das Virus als Patient Null in die USA brachte. Sein Schicksal bestimmt den Inhalt des Trilogieabschlusses, da er der letzte noch lebende Meister-Viral ist. Dennoch ist er anders als die Zwölf, was seine Vorgeschichte, die Cronin als spannende Binnenerzählung intensiv und ausführlich vorstellt, unmissverständlich illustriert. Fanning war ein kluger, gebildeter, kultivierter Wissenschaftler, kein Verbrecher, der in der Todeszelle auf seine Hinrichtung wartete. Er beteiligte sich an der Expedition in den bolivianischen Dschungel, um einem schmerzhaften Verlust zu entkommen. Diese düsteren Emotionen färbten seine Mutation, weshalb er meiner Ansicht nach der gefährlichste aller Virals ist. Zero ist ein manipulativer Verführer, der die Welt in seinem Schmerz ertränken will. Ich erfuhr, dass vieles, was bisher geschah, ihm anzurechnen ist. Obwohl ich seine einfühlsame Charakterisierung glaubwürdig fand, arbeitete Justin Cronin Zero meiner Meinung nach jedoch zu spät in die Handlung ein. Mir fehlte in den Vorgängerbänden seine Handschrift, das Gespür für seine subtilen Manipulationen und die Relevanz seiner Rolle. Hätte Cronin eher begonnen, diese zu etablieren, wären die extremen Zeitsprünge, die er in „The City of Mirrors“ vornimmt und die mir erhebliche Probleme bereiteten, weil ich die Figuren mental nicht angemessen altern lassen konnte, vielleicht unnötig gewesen. So musste er die Menschheit über einen Zeitraum von 20 Jahren erst davon überzeugen, dass die Virals Vergangenheit sind, um die finale Konfrontation mit Zero vorzubereiten. Diese findet in New York statt und involviert neben Zero vier Hauptfiguren, die Cronin meinem Empfinden nach sehr ungerecht und hart behandelt. Niemand erhält das Happy End, das ich ihnen gewünscht hätte. Paradoxerweise fand ich den Abschluss der Trilogie selbst, die ihr Ende in einem äußerst langgezogenen Epilog 1000 Jahre später findet, hingegen zu optimistisch. Ich denke, Cronin tat sich keinen Gefallen damit, dass er sich auf diesen Verlauf bereits im ersten Band festlegte. Zwar erkenne ich an, dass es grundsätzlich schwierig ist, ein Epos dieser Dimension befriedigend abzuschließen, aber das Szenario, das er vorschlägt, war mir zu kuschlig-friedlich und kulminiert aufdringlich die religiös-spirituellen Motive, die in „The City of Mirrors“ ohnehin prominenter sind als in den Vorgängern. Das Buch stützt sich stark auf absurde, praktische Zufälle, die Cronin indirekt mit göttlichem Eingreifen erklärt, was die plausible wissenschaftliche Ebene untergräbt. Für mich hat in diesem Finale einfach alles nur halb gestimmt.
Direkt nach der Lektüre war ich sehr versucht, „The City of Mirrors“ lediglich mit zwei Sternen zu prämieren. Ich war enttäuscht und unzufrieden und hatte das Gefühl, ich müsste dieser Negativität unbedingt Luft machen, weil ich so viel Zeit mit der „The Passage“-Trilogie verbracht hatte. Diese Bewertung wäre Justin Cronin jedoch nicht gerecht geworden. Er mag nicht das Ende geschrieben haben, das ich mir gewünscht habe, aber ich kann und möchte nicht außer Acht lassen, wie viel Aufwand er in sein detailliert ausschattiertes Universum und die komplexe Geschichte seiner Trilogie investierte. Ich werde ihn nicht dafür abstrafen, dass er inhaltliche Entscheidungen traf, die nicht meinem Geschmack entsprechen, weil „The City of Mirrors“ dennoch ein gutes Buch ist, ebenso wie es sich bei „The Passage“ insgesamt um einen imposanten Dreiteiler handelt. Meine objektive und subjektive Wahrnehmung sind sich nicht einig, weil ich offenbar eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, wie die Geschichte zu enden hat. Mr. Cronin, es liegt nicht an ihnen – es liegt an mir.
„The Passage“ von Justin Cronin ist ein Reread. Ich habe den Auftakt der gleichnamigen Trilogie 2011 schon einmal als „Der Übergang“ gelesen. Für mich stand nie Frage, dass ich „The Passage“ weiterverfolgen würde, aber die langwierige Veröffentlichungsgeschichte der deutschen Folgebände verzögerte dieses Vorhaben und schadete meinen Erinnerungen erheblich. Als das Finale 2018 als deutsches Taschenbuch erschien, wusste ich, dass ich von vorn beginnen musste. Während der Wartezeit veränderte sich allerdings mein Leseverhalten, sodass ich auf die deutschen Ausgaben nicht mehr angewiesen war. Amazon verführte mich mit einem günstigen E-Book-Deal für die gesamte Trilogie in Englisch und ich startete einen zweiten Anlauf mit „The Passage“ im Original.
Peter Jaxon hat noch nie die Sterne gesehen. Er wurde in einer Kolonie in Kalifornien geboren, in der es niemals dunkel wird. Dicke Mauern und mächtige Strahler, die die Nacht taghell erleuchten, bieten Schutz vor den blutgierigen Monstern der Dunkelheit: Virals. Die animalischen Infizierten erinnern kaum an die Menschen, die sie einst waren. Angeblich waren die ersten Virals das Ergebnis eines fehlgeschlagenen Militär-Experiments vor beinahe 100 Jahren. Heute beherrschen sie die USA. Vielleicht sind die wenigen Familien, die in der Kolonie Zuflucht fanden, die letzten Überlebenden. Doch eines Tages entdecken die Wachen vor den Toren ein kleines Mädchen. Sie ist allein und etwa sechs Jahre alt. Niemand weiß woher sie kam. In ihrem Nacken befindet sich ein Chip, dessen gespeicherte Informationen eine verwirrende Geschichte erzählen. Das Mädchen heißt Amy und war Teil des gescheiterten Experiments, das die Virals erschuf. Der Chip sendet ein Signal. In der Hoffnung, Antworten und weitere Überlebende zu finden, beschließen Peter und seine Freunde, es bis zu seinem Ursprung zurückzuverfolgen. Amys plötzliches Auftauchen muss etwas bedeuten. Könnte sie die Rettung der Menschheit sein?
Ich möchte gleich zu Beginn meiner Rezension zu „The Passage“ darauf hinweisen, dass meine Inhaltsangabe lediglich einen Bruchteil der Handlung des Trilogieauftakts abdeckt. Ich habe mit anderen, umfangreicheren Versionen herumgespielt, aber es stellte sich heraus, dass jede Annäherung an den vollständigen Inhalt jeglichen Rahmen sprengte. Daraus könnt ihr ableiten, wie komplex die Geschichte ist, die Justin Cronin erzählt. Der erste Band teilt sich in zwei Zeitabschnitte: zuerst erleben die Leser_innen den Ausbruch der ursprünglichen zwölf Virals und den daraus resultierenden Zusammenbruch der modernen Zivilisation; danach folgt ein enormer Zeitsprung von knapp 100 Jahren in die Zukunft, der die kläglichen Überreste der Menschheit in der von Virals dominierten USA fokussiert. Klingt simpel, ist es aber nicht. Cronin liebt Details. Er ist ein penibler, perfektionistischer Autor, der keine Gelegenheit auslässt, exakte Beschreibungen einzuarbeiten und sein Epos groß aufzuziehen. Seine Zukunftsvision bietet eine spannende Perspektive auf den Vampirmythos, denn Virals sind im Grunde nichts anderes als äußerst grässliche Blutsauger, Glitzereffekt ausgeschlossen. Trotz dieser scheinbar übernatürlichen Thematik ist „The Passage“ vorstellbar und glaubwürdig. Cronin präsentiert fundiert wirkende wissenschaftliche Erklärungen, aus denen sich ein durchaus realistisches Szenario ergibt. Wer weiß schon, womit die Militärs dieser Welt im Geheimen herumpfuschen? In diesem Fall glaubte die US-Armee, sie hätte ein Allheilmittel gegen Krankheiten und den Tod gefunden. Sie injizierten zwölf Todeszelleninsassen ein Virus aus dem bolivianischen Dschungel und hofften auf einen medizinischen Durchbruch. Natürlich ahnten sie nicht, was sie erschufen. Auf gewisse Weise wurden ihre Hoffnungen sogar erfüllt, denn Virals sind albtraumhafte Spitzenprädatoren – unsterblich, beinahe unverwundbar und Menschen in vielerlei Hinsicht überlegen. Mich gruselte vor allem ihre primitive, inhumane Schwarmintelligenz. Diese Monster ließ die Army auf die Welt los, weil sie zu arrogant waren, um zu begreifen, dass ihre Kontrolle über die Virals lediglich Illusion war. Die explosive Eskalation, die Cronin beschreibt, erschien mir vollkommen plausibel. Diesen ersten Part der Geschichte fand ich rasant, atemlos und ausgesprochen aufregend. Mit dem Übergang zum zweiten Part flacht der Spannungsbogen jedoch abrupt ab. Cronin nimmt sich viel Zeit, um die Situation der Kolonie zu etablieren und ergeht sich in langatmigen Darstellungen des Alltags der neuen Figuren, die ich dadurch allerdings intim kennenlernte. Ich bin sicher, sie alle zuverlässig einschätzen zu können. Die Spannungskurve nimmt erst wieder Fahrt auf, als Peter und seine Freunde die Kolonie verlassen, um den Ursprung von Amys Chipsignal ausfindig zu machen. Ihre Reise ist der Beginn der grundlegenden Geschichte: der aktive Kampf um das Überleben der menschlichen Spezies.
Als ich vor acht Jahren „Der Übergang“ las, war ich überwältigt. Diese Euphorie konnte ich mit der Lektüre von „The Passage“ zwar nicht wiederbeleben, doch das werfe ich Justin Cronin nicht vor. Ich habe seitdem eine Menge Dystopien und postapokalyptische Romane gelesen, weshalb es deutlich schwerer ist, in mir dieselbe Begeisterung zu entfachen. Nichtsdestotrotz beeindruckte er mich mit der gewaltigen, Spannungstiefs rechtfertigenden Dimension seiner Geschichte und der überzeugenden Umsetzung seiner interessanten Ideen. Seine Penibilität gefällt mir, weil ich das Gefühl habe, mich jeder Zeit auf seine Autorität als Autor verlassen zu können. Der einzige kleine Hickser in einem sonst stimmigen Buch ist der nicht zu leugnende christlich-religiöse Einschlag, mit dem ich als Atheistin nichts anfangen kann. Solange dieser jedoch diskret bleibt, werde ich mich daran nicht stören. Eine Vampir-Postapokalypse ist einfach faszinierend, christliche Motive hin oder her.