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review 2018-12-05 10:30
TOD im Zwangsruhestand
Alles Sense - Terry Pratchett,Regina Rawlinson

TOD ist meine absolute Lieblingsfigur des „Scheibenwelt“-Universums. Seinetwegen begann ich überhaupt erst, die Reihe zu lesen, denn mein erster Roman von Terry Pratchett war „Gevatter Tod“. Der verstorbene britische Autor selbst pflegte ebenfalls eine spezielle Beziehung zu seinem Schnitter. 2008 wurde er von der Queen in den Adels- bzw. Ritterstand erhoben und durfte sich fortan Sir Terry Pratchett nennen. Zwei Jahre später wurde ihm sein eigenes Wappen verliehen. Dieses beinhaltet ein Ankh, eine Morpork-Eule und das Motto „Noli timere Messorem“ – lateinisch für „Fürchte nicht den Sensenmann“. Damit ist es sowohl eine Anspielung auf TOD als auch auf den Song „(Don’t Fear) The Reaper“ der Hardrock-Band Blue Öyster Cult. Das beste Wappen aller Zeiten!
„Alles Sense!“ ist der elfte „Scheibenwelt“-Roman, in dem TOD erneut eine Hauptrolle spielt.

 

Der Tod ist sicher, das Leben nicht. Nun – er war es. TOD, der Schnitter höchstpersönlich, wurde in den Ruhestand verbannt. Ausrangiert. Strafberentet. Seine Vorgesetzten bedankten sich für seine Dienste, drückten ihm eine Lebensuhr in die knochige Hand und warfen ihn aus seinem heimelig trostlosen Domizil im Nichts. Seitdem staut sich Lebensenergie auf der Scheibenwelt. Es wird nicht mehr ordentlich gestorben. Sehr zum Missfallen derjenigen, die ein friedliches Ende erwarteten. Der greise Zauberer Windle Poons hatte sein Dahinscheiden minutiös geplant. Es gab sogar eine Party! Man stelle sich die Schmach vor, als er kurz darauf erneut in seinem Körper erwacht: untot, aber quicklebendig. Natürlich möchte niemand das hässliche Z-Wort aussprechen, dennoch sind sich alle einig, dass Poons sture Wiederauferstehung vollkommen unangemessen ist. Doch schon bald wird Ankh-Morpork auf die Hilfe der Untoten angewiesen sein, denn während TODs Abwesenheit Chaos stiftet, merkt niemand, dass die Stadt Opfer einer heimlichen Invasion wird…

 

Ich liebe TOD seit unserer ersten Begegnung. Nach der Lektüre von „Alles Sense!“ liebe ich ihn noch etwas inniger und möchte Terry Pratchett posthum dafür danken, dass er ihm stets erlaubte, über sich selbst hinauszuwachsen. TOD ist mehr als nur der Sensenmann der Scheibenwelt, mehr als die Funktion, die er erfüllt. Er hat Charakter und eine Persönlichkeit, er ist ein Individuum und erobert deshalb immer wieder mein Herz. Paradoxerweise wird ihm ausgerechnet seine Individualität und sein Interesse an den Sterblichen in „Alles Sense!“ zum Verhängnis, denn seine Vorgesetzten halten ihn für unprofessionell. Sie schicken ihn in den Ruhestand, weil er seinen Kund_innen zu viel Anteilnahme entgegenbringt. Ist das nicht verrückt? Der Schnitter ist doch der einzige, von dem man etwas Mitgefühl erwarten kann. Niemand möchte kühl und geschäftsmäßig ins Jenseits geführt werden. Obwohl diese Behandlung himmelschreiend ungerecht ist, öffnet sie TOD die Tür zu einer persönlichen Entwicklung, die mich sehr berührte. Nach seinem unzeremoniellen Rauswurf nimmt er einen Job als Haus- und Hofgehilfe bei einer alten Bäuerin an. In ihrer Gesellschaft und durch den intensiven Kontakt zu Sterblichen lernt er erstmals, was es bedeutet, zu leben. Er beginnt, zu begreifen, wie Menschen es bewerkstelligen, mit dem Ticken einer Uhr zu existieren und trotzdem Lebensfreude zu empfinden. Diese Erfahrung lässt ihn aufblühen und meiner Meinung nach zu einem besseren Schnitter werden. Leider hinterlässt seine Abwesenheit eine Lücke, die den Bewohner_innen der Scheibenwelt einen Haufen Probleme einbrockt. Die zweite Handlungslinie in „Alles Sense!“, die sich mit TODs Zwangsruhestand explosiv vermischt, spielt in Ankh-Morpork und fokussiert den uralten Zauberer und Neu-Zombie Windle Poons, der die Stadt mithilfe einer Selbsthilfegruppe kürzlich Verstorbener gegen eine mysteriöse Spezies verteidigt, die die Stadt schleichend zu erobern versucht. Poons ist ein würdiger Kompagnon für TOD, der trotz aller Sympathie zu unnahbar und zu weit entfernt von allem Irdischen ist, um als alleiniger Protagonist agieren zu können. Der kauzige Untote bescherte mir einige Lacher, weil Pratchett mit seiner Figur eine ironische Betrachtung des Alters vornimmt. Poons beginnt erst zu leben, als er stirbt. Sein Tod befreit ihn von allen Zipperlein und den Ketten der Gewohnheit, die er sich aus Bequemlichkeit selbst verpasste. Ich fragte mich, wie senil der alte Knacker wohl wirklich war und wie viele seiner Schrullen ihm einfach gefielen. Ebenso wie TOD wächst Poons durch die Bedrohung von Ankh-Morpork über sich hinaus. Beide Protagonisten erleben eine Reifung, die zwar auf gegenteiligen Ausgangssituationen basiert, aber sehr ähnlich verläuft. Dieses Zusammenspiel aus Gegensätzlichkeit und Gemeinsamkeit beweist wieder einmal, dass Terry Pratchett es nicht nur liebte, literarische Späße zu treiben, sondern auch ein bemerkenswerter Autor war, der sein Handwerk hervorragend beherrschte.

 

„Alles Sense!“ ist ein typischer Roman der „Scheibenwelt“-Reihe, in dem Terry Pratchett komischen Klamauk mit kluger Gesellschaftskritik verband. Das Buch untersucht gewohnt ironisch die Beziehung von Leben und Tod, ohne die Ernsthaftigkeit des Themas unter der Last des Amüsements zu vergraben. Die prominente Rolle von TOD sagte mir natürlich besonders zu; durch seine naiv-simple Art, alles direkt anzugehen und sein daraus resultierendes Unverständnis für die Tendenz der Sterblichen, komplizierte Lösungen zu bevorzugen, ist er ungewollt witzig und sehr liebenswert. Seine charakterliche Entfaltung war bewegend und ich bin gespannt, in welche Richtung er sich wohl noch entwickelt. Doch auch Windle Poons konnte mich für sich gewinnen. Er personifiziert eine wundervolle Botschaft, die meiner Vermutung nach für Pratchett sehr persönlich war: Selbstbestimmung und Lebensfreude sind keine Frage des Alters oder der Umstände, sondern der Einstellung. Fürchte nicht den Sensenmann. Der Tod ist erst der Anfang.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/12/05/terry-pratchett-alles-sense
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review 2018-03-13 09:37
Die Freuden der Pflicht
Deutschstunde - Siegfried Lenz

Siegfried Lenz war einer der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsliteratur. 1926 in Ostpreußen geboren, wurde er 1943 zur Kriegsmarine eingezogen und desertierte kurz vor Kriegsende in Dänemark. Später etablierte er sich erst als Autor von Erzählungen, Kurzgeschichten und Novellen, bevor ihm mit seinen Romanen ebenfalls der Durchbruch gelang. Sein vermutlich wichtigstes Werk ist „Deutschstunde“, das 1968 erschien und im Kontext der Studentenunruhen große Beachtung erhielt. Siegfried Lenz positionierte sich stets gegen die deutsche Kriegsvergangenheit und zögerte nie, sich literarisch mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Die Bücher des 2014 verstorbenen Autors werden bis heute im Deutschunterricht vieler Schulen behandelt. Auf dem Lehrplan meines Gymnasiums stand er hingegen nicht, weshalb ich „Deutschstunde“ im Januar 2018 privat las.

 

„Die Freuden der Pflicht“ lautet das Thema, zu dem Siggi Jepsen im Deutschunterricht einer Hamburger Besserungsanstalt einen Aufsatz schreiben soll. Ein Thema, zu dem er so viel zu sagen hat, dass er nicht weiß, wo er beginnen soll. Am Ende der Stunde hat er kein einziges Wort zu Papier gebracht. Die Anstaltsleitung bietet ihm an, den Aufsatz als Strafarbeit zu vollenden – allein, in Isolation. Eingeschlossen in seiner Zelle findet er endlich die Ruhe, die er benötigt, um sich seinen Erinnerungen zu stellen. Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat schildert Siggi seine Kindheit als Sohn des nördlichsten Polizeihauptwachtmeisters Deutschlands, der 1943 die Order erhielt, das Malverbot des Künstlers Max Ludwig Nansen durchzusetzen. Ungehemmt berichtet er, wie das blinde Pflichtbewusstsein seines Vaters sein Leben entscheidend prägte und warum er im Alter von 10 Jahren entschied, zu rebellieren und die Bilder des Malers heimlich zu retten. Je länger Siggi schreibt, desto klarer schält sich seine Vergangenheit heraus und desto näher rückt er der Erkenntnis, nach der er es ihn mehr als alles andere verlangt: wer er ist.

 

Mit „Deutschstunde“ gelang Siegfried Lenz ein Roman, der entscheidend zur deutschen Erinnerungskultur beiträgt und uns hilft, zu verstehen, was sich das deutsche Volk im Dritten Reich selbst antat. Am Beispiel des fiktiven, durch und durch norddeutschen Rugbülls, Heimat des Ich-Erzählers Siggi Jepsen, beschreibt Lenz, wie Nationalsozialismus und Krieg in der deutschen Provinz ankamen und sich subtil auf den Alltag völlig durchschnittlicher Menschen auswirkten. Lenz‘ Schreibstil ist gewöhnungsbedürftig, da er keine Abgrenzung von wörtlicher Rede verwendet und häufig auf willkürliche, abrupte Szenenwechsel zurückgreift, um auf die Rahmenerzählung des Aufsatzes zu verweisen. Siggis Schilderungen sind zweigeteilt und multiperspektivisch. Erzählzeit und erzählte Zeit driften stark auseinander. In der Gegenwart beobachten die Leser_innen ihn als beinahe volljährigen Mann beim Schreiben seiner Memoiren in Vogelperspektive, in der Vergangenheit durchleben sie an seiner Seite die Erfahrungen seines 10-jährigen Ichs in Froschperspektive. Der Begriff der Pflicht ist das zentrale Thema der fragmentarischen Erinnerungen des kindlichen Protagonisten. Dessen Erlebenswelt wird von zwei männlichen Bezugspersonen und ihren gegensätzlichen Auffassungen von Pflichtbewusstsein geprägt: sein Vater, der Polizeihauptwachtmeister Jens Ole Jepsen und sein Nachbar, der Maler Max Ludwig Nansen. Während sein Vater die verheerendste Version blinder Pflichterfüllung verkörpert, die keine Zweifel zulässt, ausschließlich auf das korrekte Ausführen von Befehlen und den unerschütterlichen Glauben an Autorität ausgerichtet ist, ohne das eigene Gewissen zu belästigen, sieht sich der Maler nur seinem intuitiven Verantwortungsgefühl und seiner Kunst verpflichtet. Die Beziehung der beiden Männer ist über ihre aufgezwungene Verbindung hinaus emotional aufgeladen, da sie einst Freunde waren. Zwischen diesen beiden Extremen muss Siggi wählen, eine für ein Kind nahezu unmögliche Entscheidung. Es ist bezeichnend für Siggis Intelligenz und Kreativität, dass er fähig ist, seine eigene Lösung aus diesem Dilemma zu finden, ohne sich einer der Parteien ganz zu verschreiben. Er wählt einen Mittelweg, der ihm eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt. Trotz dessen zeigt sich in der Gegenwart seiner Erzählung, dass Siggi von dem prinzipiellen Konflikt seines Vaters mit Nansen traumatisiert wurde. Meiner Ansicht nach steht er exemplarisch für die erste Jugendgeneration nach Kriegsende, die ziellos und verunsichert versuchte, ihre Identität fern vom Vorbild ihrer Eltern zu gestalten. Siggi durchläuft durch das Schreiben seines Aufsatzes eine Entwicklung, die es ihm ermöglicht, mit seiner Vergangenheit abzuschließen. Ich konnte erkennen, dass Lenz im offenen Ende seines Romans Hoffnung anklingen ließ, muss aber zugeben, dass sich diese Emotion in meiner Gefühlswelt kaum durchsetzen konnte. Ich fühlte mich traurig und leer, als ich das Buch zuschlug.

 

Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie „Deutschstunde“ auf Leser_innen wirken mag, die nicht in Deutschland geboren und/oder aufgewachsen sind. Vielleicht wird dieser zutiefst deutsche Roman von einem internationalen Publikum vollkommen anders empfunden? Vielleicht als langweilig, weil es eher interessant als spannend ist? Kann man sich nur dann wirklich in Siggi Jepsens Geschichte hineindenken und -fühlen, wenn man unter dem Eindruck der allgegenwärtigen Erinnerungen an die deutsche Vergangenheit heranwuchs? Möglicherweise kann es ausschließlich in Leser_innen, die sich als Deutsche verstehen, die gesamte Bandbreite der beabsichtigten Emotionen wecken. Ein zweifelhaftes Privileg. Wir leben mit der Schuld. Wir leben mit der Scham. „Deutschstunde“ ist das Buch eines Deutschen für Deutsche. Gegen das Vergessen. Für die Aufarbeitung einer Historie, die uns noch immer schmerzt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/03/13/siegfried-lenz-deutschstunde
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review 1970-01-01 00:00
Breaking Their Will: Shedding Light on Religious Child Maltreatment - Janet Heimlich Child abuse by church exposed by journalist.It is a horrifying book on how the religious parents abuse their children by beating them, and drowning them. Jesus fucking Christ.This is a review that speak a lot. Adding it to my to-read list.
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