TOD ist meine absolute Lieblingsfigur des „Scheibenwelt“-Universums. Seinetwegen begann ich überhaupt erst, die Reihe zu lesen, denn mein erster Roman von Terry Pratchett war „Gevatter Tod“. Der verstorbene britische Autor selbst pflegte ebenfalls eine spezielle Beziehung zu seinem Schnitter. 2008 wurde er von der Queen in den Adels- bzw. Ritterstand erhoben und durfte sich fortan Sir Terry Pratchett nennen. Zwei Jahre später wurde ihm sein eigenes Wappen verliehen. Dieses beinhaltet ein Ankh, eine Morpork-Eule und das Motto „Noli timere Messorem“ – lateinisch für „Fürchte nicht den Sensenmann“. Damit ist es sowohl eine Anspielung auf TOD als auch auf den Song „(Don’t Fear) The Reaper“ der Hardrock-Band Blue Öyster Cult. Das beste Wappen aller Zeiten!
„Alles Sense!“ ist der elfte „Scheibenwelt“-Roman, in dem TOD erneut eine Hauptrolle spielt.
Der Tod ist sicher, das Leben nicht. Nun – er war es. TOD, der Schnitter höchstpersönlich, wurde in den Ruhestand verbannt. Ausrangiert. Strafberentet. Seine Vorgesetzten bedankten sich für seine Dienste, drückten ihm eine Lebensuhr in die knochige Hand und warfen ihn aus seinem heimelig trostlosen Domizil im Nichts. Seitdem staut sich Lebensenergie auf der Scheibenwelt. Es wird nicht mehr ordentlich gestorben. Sehr zum Missfallen derjenigen, die ein friedliches Ende erwarteten. Der greise Zauberer Windle Poons hatte sein Dahinscheiden minutiös geplant. Es gab sogar eine Party! Man stelle sich die Schmach vor, als er kurz darauf erneut in seinem Körper erwacht: untot, aber quicklebendig. Natürlich möchte niemand das hässliche Z-Wort aussprechen, dennoch sind sich alle einig, dass Poons sture Wiederauferstehung vollkommen unangemessen ist. Doch schon bald wird Ankh-Morpork auf die Hilfe der Untoten angewiesen sein, denn während TODs Abwesenheit Chaos stiftet, merkt niemand, dass die Stadt Opfer einer heimlichen Invasion wird…
Ich liebe TOD seit unserer ersten Begegnung. Nach der Lektüre von „Alles Sense!“ liebe ich ihn noch etwas inniger und möchte Terry Pratchett posthum dafür danken, dass er ihm stets erlaubte, über sich selbst hinauszuwachsen. TOD ist mehr als nur der Sensenmann der Scheibenwelt, mehr als die Funktion, die er erfüllt. Er hat Charakter und eine Persönlichkeit, er ist ein Individuum und erobert deshalb immer wieder mein Herz. Paradoxerweise wird ihm ausgerechnet seine Individualität und sein Interesse an den Sterblichen in „Alles Sense!“ zum Verhängnis, denn seine Vorgesetzten halten ihn für unprofessionell. Sie schicken ihn in den Ruhestand, weil er seinen Kund_innen zu viel Anteilnahme entgegenbringt. Ist das nicht verrückt? Der Schnitter ist doch der einzige, von dem man etwas Mitgefühl erwarten kann. Niemand möchte kühl und geschäftsmäßig ins Jenseits geführt werden. Obwohl diese Behandlung himmelschreiend ungerecht ist, öffnet sie TOD die Tür zu einer persönlichen Entwicklung, die mich sehr berührte. Nach seinem unzeremoniellen Rauswurf nimmt er einen Job als Haus- und Hofgehilfe bei einer alten Bäuerin an. In ihrer Gesellschaft und durch den intensiven Kontakt zu Sterblichen lernt er erstmals, was es bedeutet, zu leben. Er beginnt, zu begreifen, wie Menschen es bewerkstelligen, mit dem Ticken einer Uhr zu existieren und trotzdem Lebensfreude zu empfinden. Diese Erfahrung lässt ihn aufblühen und meiner Meinung nach zu einem besseren Schnitter werden. Leider hinterlässt seine Abwesenheit eine Lücke, die den Bewohner_innen der Scheibenwelt einen Haufen Probleme einbrockt. Die zweite Handlungslinie in „Alles Sense!“, die sich mit TODs Zwangsruhestand explosiv vermischt, spielt in Ankh-Morpork und fokussiert den uralten Zauberer und Neu-Zombie Windle Poons, der die Stadt mithilfe einer Selbsthilfegruppe kürzlich Verstorbener gegen eine mysteriöse Spezies verteidigt, die die Stadt schleichend zu erobern versucht. Poons ist ein würdiger Kompagnon für TOD, der trotz aller Sympathie zu unnahbar und zu weit entfernt von allem Irdischen ist, um als alleiniger Protagonist agieren zu können. Der kauzige Untote bescherte mir einige Lacher, weil Pratchett mit seiner Figur eine ironische Betrachtung des Alters vornimmt. Poons beginnt erst zu leben, als er stirbt. Sein Tod befreit ihn von allen Zipperlein und den Ketten der Gewohnheit, die er sich aus Bequemlichkeit selbst verpasste. Ich fragte mich, wie senil der alte Knacker wohl wirklich war und wie viele seiner Schrullen ihm einfach gefielen. Ebenso wie TOD wächst Poons durch die Bedrohung von Ankh-Morpork über sich hinaus. Beide Protagonisten erleben eine Reifung, die zwar auf gegenteiligen Ausgangssituationen basiert, aber sehr ähnlich verläuft. Dieses Zusammenspiel aus Gegensätzlichkeit und Gemeinsamkeit beweist wieder einmal, dass Terry Pratchett es nicht nur liebte, literarische Späße zu treiben, sondern auch ein bemerkenswerter Autor war, der sein Handwerk hervorragend beherrschte.
„Alles Sense!“ ist ein typischer Roman der „Scheibenwelt“-Reihe, in dem Terry Pratchett komischen Klamauk mit kluger Gesellschaftskritik verband. Das Buch untersucht gewohnt ironisch die Beziehung von Leben und Tod, ohne die Ernsthaftigkeit des Themas unter der Last des Amüsements zu vergraben. Die prominente Rolle von TOD sagte mir natürlich besonders zu; durch seine naiv-simple Art, alles direkt anzugehen und sein daraus resultierendes Unverständnis für die Tendenz der Sterblichen, komplizierte Lösungen zu bevorzugen, ist er ungewollt witzig und sehr liebenswert. Seine charakterliche Entfaltung war bewegend und ich bin gespannt, in welche Richtung er sich wohl noch entwickelt. Doch auch Windle Poons konnte mich für sich gewinnen. Er personifiziert eine wundervolle Botschaft, die meiner Vermutung nach für Pratchett sehr persönlich war: Selbstbestimmung und Lebensfreude sind keine Frage des Alters oder der Umstände, sondern der Einstellung. Fürchte nicht den Sensenmann. Der Tod ist erst der Anfang.