logo
Wrong email address or username
Wrong email address or username
Incorrect verification code
back to top
Search tags: insassen
Load new posts () and activity
Like Reblog Comment
review 2016-05-18 09:53
Durch dieses Buch erhalten tausende Schicksale ein Gesicht
Die dunklen Mauern von Willard State: Roman - Ellen Marie Wiseman,Sina Hoffmann

„Die dunklen Mauern von Willard State“ von Ellen Marie Wiseman ist nur zum Teil fiktiv. Die psychiatrische Anstalt Willard State Asylum hat es tatsächlich gegeben. Als die Anstalt nach 126 Jahren des Betriebs 1995 geschlossen wurde, fanden Arbeiter auf dem Dachboden über 400 Koffer, die Patienten gehörten, die Willard nie mehr verließen. Seit 1999 arbeiteten Darby Penney, Peter Stastny und die Fotografin Lisa Rinzler unermüdlich, um die Biografien ihrer Besitzer_innen aufzudecken und ihnen ein Gesicht zu geben. Das Ergebnis ihrer Bemühungen sind die Ausstellung „Lost Cases, Recovered Lives: Suitcases from a State Hospital Attic“ und das Buch „The Lives They Left Behind: Suitcases from a State Hospital Attic“. Letzteres diente Ellen Marie Wiseman als Inspiration „Die dunklen Mauern von Willard State“ zu schreiben.

 

Izzy Stones Familie wurde in der verhängnisvollen Nacht zerstört, als ihre Mutter ihren Vater erschoss. Niemand weiß, was sie zu dieser grauenvollen Tat veranlasste. Allein, ohne verbleibende Angehörige, wurde Izzy jahrelang herumgereicht. Erst jetzt, mit 17, hat sie das Gefühl, Pflegeeltern zu haben, denen sie wichtig ist. Aus Dankbarkeit hilft sie den beiden bei ihrem neusten Projekt. Nach der Schließung des berüchtigten Willard State Asylum wurden auf dem Dachboden hunderte von Koffern gefunden, deren Inhalt Peg und Harry nun katalogisieren möchten. Unter den Besitztümern der Insassen entdeckt Izzy einen Stapel ungeöffneter Briefe und das Tagebuch einer Patientin namens Clara Cartwright. Izzy ist von Claras tragischem Schicksal fasziniert und setzt alles daran, ihre Geschichte zu rekonstruieren. Doch je tiefer sie in die Geheimnisse von Claras Leben vordringt, desto näher kommt sie auch den Antworten auf die Rätsel ihrer eigenen Vergangenheit…

 

Ich wusste bereits vor der Lektüre von „Die dunklen Mauern von Willard State“, wie furchtbar die Bedingungen in psychiatrischen Anstalten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren. Ich wusste, dass Menschen dort eher weggesperrt als behandelt wurden und dass die wenigen Therapien, die zur Verfügung standen, an Folter grenzten. Viele Einrichtungen waren hemmungslos überlastet und die hygienischen Umstände katastrophal. Insassen wurde jegliche Selbstbestimmung genommen, ihre Persönlichkeit unterdrückt. Es herrschte Gewalt, Willkür und Überforderung. Wer einmal in eine solche Anstalt eingeliefert wurde, verließ sie nur selten wieder, von einer Genesung ganz zu schweigen. All das war mir bewusst. Trotzdem hat mich Claras fiktives Schicksal zutiefst berührt, schockiert und getroffen. Was Menschen in Einrichtungen wie Willard angetan wurde, war unmenschlich. Umso wichtiger ist es, dass es Bücher wie „Die dunklen Mauern von Willard State“ gibt. Es darf nicht vergessen werden, wie viele Leben mit dem Tag der Einlieferung in diese Anstalten endeten. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – all das löste sich auf, sobald die Patienten hinter den Mauern verschwanden. Am Fall von Clara illustriert Ellen Marie Wiseman eindrucksvoll, wie ungerecht und grausam das System damals war; wie wenig ausreichte, um als geisteskrank abgestempelt und für immer der Freiheit beraubt zu werden. Ich musste während des Lesens häufig heftig schlucken und hatte am Ende sogar Tränen in den Augen. Die Macht der Emotionen, die dieses Buch vermittelt, ist der Grund, warum es von mir vier Sterne erhält, obwohl Wiseman meiner Ansicht nach nicht die beste Schriftstellerin ist. Ich sehe gern über stilistische Mängel hinweg, weil ihre Geschichte aufwühlend und unheimlich fesselnd ist. Die Entscheidung eine geteilte Handlung zu konstruieren, die zwei Zeitstränge und zwei Protagonistinnen fokussiert, finde ich mutig und einfühlsam, denn durch den Umweg über Izzy brachte Wiseman Claras Schicksal sehr nah an ihre Leser_innen heran. Izzy ist die Verbündete, die ebenso fühlt wie man selbst, während man gemeinsam aufdeckt, wie sehr Clara in Willard leiden musste. Ihr Leben bleibt nicht abstrakt, sondern erhält einen direkten Bezug zur Gegenwart und Realität. Hinzu kommt, dass die beiden jungen Frauen sehr viel gemeinsam haben, wodurch sie wie zwei Enden der gleichen Geschichte wirken, die über die Jahrzehnte hinweg mit einander verbunden sind. Ich mochte sowohl Clara als auch Izzy gern und hatte keine Schwierigkeiten, mit ihnen zu fühlen. Sie sind zarte, empfindsame Persönlichkeiten, fast schon zu zerbrechlich für die Härte der Welt. Ich wollte sie beschützen und wünschte beiden von ganzem Herzen ein Happy End.

 

„Die dunklen Mauern von Willard State“ beleuchtet ein düsteres Kapitel der Vergangenheit, das unglücklicherweise viel zu selten ernsthaft angesprochen wird. Das Leid der Insassen psychiatrischer Einrichtungen im (frühen) 20. Jahrhundert dient heute als Blaupause zur Massenunterhaltung in Horrorfilmen, doch die zahllosen reellen Tragödien, die diese damals noch junge Wissenschaft produzierte, bleiben zu großen Teilen verschüttet. Menschen, die 50 Jahre und länger weggesperrt und gequält wurden, weil ihnen ein völlig unqualifizierter Arzt eine diffuse Diagnose attestierte, verdienen es, dass man sich an sie erinnert. Auch wenn sie dieses gewaltige Unrecht nicht auslöschen können, so helfen Bücher wie „Die dunklen Mauern von Willard State“ und selbstverständlich „The Lives They Left Behind: Suitcases from a State Hospital Attic“ dabei, Patientennummern wieder zu echten Menschen werden zu lassen. Sie geben zurück, was ihnen vor so vielen Jahrzehnten genommen wurde: eine Geschichte.
Wer sich für das Thema Psychiatrie interessiert, sollte „Die dunklen Mauern von Willard State“ von Ellen Marie Wiseman wirklich lesen. Die Kombination aus Fakten und Fiktion verschafft den Leser_innen einen realistischen Eindruck der Umstände im Willard State Asylum, ohne die menschliche Note zu vernachlässigen. Durch Claras Geschichte erhalten tausende Schicksale ein Gesicht.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/05/18/ellen-marie-wiseman-die-dunklen-mauern-von-willard-state
Like Reblog Comment
review 2015-02-25 09:25
Im Weltall hört dich niemand schreien
Im Turm des Panopticons (German Edition) - Daniela Rohr

Die Autorin Daniela Rohr trat vor zwei, drei Wochen mit der Bitte um eine Rezension an mich heran. Sie schlug mir vor, entweder ihre Roman-Collage „Der Zeit-Zwirbel-Effekt und seine Knöpfchendrücker“, die aus 11 zusammenhängenden Kurzgeschichten besteht, oder die Novelle „Im Turm des Panopticons“ zu rezensieren. Beide Werke sind dem Genre Science Fiction zuzuordnen. Reine Science Fiction lese ich sonst eher nicht, aber für mich klang „Im Turm des Panopticons“ so spannend und interessant, dass ich neugierig wurde. Ich nahm ihre Bitte mit Freuden an.

 

Im Turm des Panopticons erfüllt Linea Wermut ihren Dienst. Das Herz des gigantischen, interstellaren Gefängnisses ist bereits seit über 5 Monaten ihr Arbeitsplatz. Als Wärterin ist es ihre Aufgabe, rebellische SystemkritikerInnen zu beobachten – ohne dass die Insassen es bemerken. Unzählige Kameras, gläserne Zellen und das zentrale Computersystem „Alexa“ machen die totale Überwachung möglich. Alles ist genau wie immer für Linea – das heißt, hauptsächlich sterbenslangweilig. Doch dann scheint einer der Gefangenen bei einer Routineüberprüfung der Zellen genau in die Kamera zu starren. Direkt in Lineas Gesicht. Als wüsste er, dass sie da sei. Was absolut unmöglich ist. Linea fühlt sich unbehaglich, schiebt den Vorfall jedoch schnell gedanklich beiseite. Er kann sie nicht sehen. Keinesfalls. Aber als Linea weitere seltsame Verhaltensweisen der Insassen auffallen, kommt ihr der Gedanke, dass sie sie doch sehen könnten, plötzlich gar nicht mehr so absurd vor…

 

Dafür, dass ich reine Science Fiction normalerweise meide, hat mich „Im Turm des Panopticons“ sehr positiv überrascht. Vielleicht sollte ich dem Genre doch ab und zu eine Chance einräumen und mich darauf einlassen. Diese Novelle von Daniela Rohr ist ein wirklich spannender Psycho-Trip, der die LeserInnen schnell in eine Dimension führt, in der Realität und Einbildung parallel zueinander zu existieren scheinen. Es ist, als würden sich verschiedene Versionen derselben Situation über einander legen, sodass alles irgendwie zusammen passt, irgendwie aber auch überhaupt nichts. Ich fühlte mich, als würde ich durch dicken Nebel waten; am Rande konnte ich immer wieder Schemen der Wahrheit ausmachen, die jedoch konturlos blieben. Umso spaßiger und aufregender war es, zu raten, was denn nun tatsächlich mit Linea geschieht. Erst ganz am Ende löst Daniela Rohr diesen Nebel auf – mit einem Knall, der sich gewaschen hat.
Die Zugkraft der Geschichte geht meines Erachtens nach von der Protagonistin Linea aus. Sie ist eine wirklich starke Figur, in die ich mich sofort hineinversetzen konnte. Ich denke, die Identifikation mit ihr fiel mir besonders leicht, weil ich mich in einigen Szenen vermutlich ganz ähnlich verhalten hätte. Als ihre Paranoia zunehmend drängender wurde, konnte auch ich mich ihrem Einfluss nicht ganz entziehen. Ich begann zu zweifeln. Trotzdem ließen sich all die Jahre Thriller-Erfahrung nicht völlig ausknipsen, am Ende war meine Intuition doch unbestechlich. Aber ich liebe ja den Moment, in dem mir vom Autor oder in diesem Fall der Autorin gesagt wird, dass ich auf der richtigen Fährte war. Die Auflösung der tatsächlichen Situation konnte ich in ihren Details selbstverständlich nicht vorhersehen, was auch gut so war, allerdings war es ein gutes Gefühl, zu wissen, dass mich Daniela Rohr nicht völlig verwirren konnte. ;)
Darüber hinaus hat mich die bedrohliche, beklemmende Atmosphäre nachhaltig beeindruckt. Die Darstellung der absoluten Isolation, in der sich Linea befindet, ist Daniela Rohr hervorragend gelungen. Diese Isolation ist der Ausgangspunkt aller Entwicklungen, denn Linea ist nicht nur von den Insassen des Gefängnisses komplett abgeschottet, sondern auch von der Erde. Sie kann telefonieren, aber ansonsten ist ihr einziger Kontakt die künstliche Intelligenz des Computersystems Alexa. Wie sagt man so schön? „Im Weltall hört dich niemand schreien“. Genau das macht die Situation so vertrackt und unheimlich. Sie ist ganz allein. Niemand kann ihr helfen. Niemand versteht ihre Ängste. Wie reagiert man, wenn man das Gefühl hat, langsam verrückt zu werden und außer der unausweichlichen Rationalität eines Computers keinen Beistand bekommt? Ich konnte voll und ganz nachvollziehen, wie verzweifelt Linea sich gefühlt hat. Wem sollte sie glauben? Ihren eigenen Augen oder Alexas Logik?

 

„Im Turm des Panopticons“ ist eine zwingende Novelle, der man sich als LeserIn gedanklich einfach nicht entziehen kann. Man kommt nicht darum herum, sich zu fragen, wie man selbst handeln würde, wäre man in Lineas Position. Daniela Rohr hat meiner Meinung nach eine Menge Potential und Talent, das sich vor allem darin zeigte, dass ich selbst irgendwann nicht mehr sicher einschätzen konnte, was Wirklichkeit ist und was Einbildung. Das Ende der Geschichte setzt dann noch mal einen drauf; völlig unvorhersehbar, selbst wenn man glaubt zu wissen, was mit Linea passiert und ebenso nachhaltig wie die Atmosphäre. Ich erwische mich auch jetzt noch manchmal dabei, dass ich darüber nachdenke, weil mich die aufgeworfene Frage einfach beschäftigt.
Ich kann euch dieses kurze Werk begeistert empfehlen, aber wenn ihr es lesen möchtet, nehmt euch einen Tag Zeit, an dem ihr sonst nichts anderes vorhabt, denn ich bin überzeugt, ihr wollt und könnt es nicht mehr aus der Hand legen.

 

Ich bedanke mich von Herzen bei Daniela Rohr, die mir ihr Werk als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat und außerdem wahnsinnig freundlich war. Wollt ihr mehr über sie und ihr Schaffen wissen? Dann schaut doch mal auf ihrer Website vorbei!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/02/25/daniela-rohr-im-turm-des-panopticons
More posts
Your Dashboard view:
Need help?