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review 2016-09-20 10:03
Schuster, bleib bei deinen Leisten
Runa: Roman - Vera Buck

Die Karriere des jungen Schweizer Arztes Jori Hell steckt fest. Seit Jahren lebt er in Paris, studiert an der berühmten Klinik Salpêtrière unter dem großen Neurologen Dr. Jean-Martin Charcot und kümmert sich um Patient_innen – doch die Doktorarbeit, für die er einst nach Paris zog, ist noch nicht geschrieben. Schlimmer noch, Dr. Charcot kennt nicht einmal seinen Namen, obwohl Jori regelmäßig die berüchtigten Dienstagsvorlesungen besucht, in denen Hysterikerinnen zu Unterrichtszwecken publikumswirksam hypnotisiert und vorgeführt werden. Erst als eines Dienstagabends ein junges Mädchen präsentiert wird, ändert sich Joris ziellose Routine schlagartig. Runa passt in keines der bekannten Krankheitsschemata, nicht einmal Dr. Charcot weiß, was dem Mädchen fehlt. Nur, dass sie verrückt ist, darin sind sich alle einig. Wäre sie gesund, würde sie sich kaum wie ein wildes Tier gebärden. Jori sieht seine Chance gekommen, sich zu profilieren und endlich seinen Doktortitel zu ergattern. Spontan schlägt er eine Hirnoperation vor, die Runas Verhalten korrigieren soll. Überraschenderweise erteilt ihm Dr. Charcot die Erlaubnis dazu und bietet sich sogar als Doktorvater an. Ein Rückzieher ist nun nicht mehr möglich. Jori hat keine andere Wahl, als seinen überhasteten Worten Taten folgen zu lassen. Je intensiver er sich mit Runa befasst, desto tiefer werden die Einblicke in den erniedrigenden Alltag der Patient_innen in der Salpêtrière. Er lernt die Schattenseiten einer Klinik kennen, die sich damit brüstet, weltweit als fortschrittlich zu gelten und muss sich fragen, ob seine Zukunft tatsächlich dort liegt. Doch seine Selbstzweifel sind nicht Joris einziges Problem. Runa ist der Schlüssel zu einem dunklen Geheimnis seiner Vergangenheit, das ihn nun heimsucht…

 

Was ist das nur mit fiktiven Romanen, die sich auf historische Fakten stützen? Wieso sind diese oft hervorragend recherchiert und überzeugen in der Darstellung der zeitgemäßen Umstände, erzählen jedoch eine Geschichte, die mangelhaft und unglaubwürdig wirkt? „Runa“ von Vera Buck ist eine vorbildliche, realistische Schilderung der Verhältnisse in psychiatrischen Einrichtungen Ende des 19. Jahrhunderts (1884) und den damals üblichen Behandlungsmethoden, erreichte mich auf der fiktiven Ebene allerdings überhaupt nicht. Jeder eindrucksvoll ausgearbeitete Fakt wird durch die misslungene Geschichte geschmälert. Das ist einfach schade und enttäuschte mich herb, denn die ersten 80 Seiten des Buches versprachen Großes. Buck konfrontiert ihre Leser_innen zu Beginn mit Joris Alltag in der Salpêtrière und lässt sie an seiner Seite einer Dienstagsvorlesung beiwohnen. Was dort ablief, ist keine Übertreibung, diese Veranstaltungen sind geschichtlich dokumentiert. Dr. Charcot präsentierte seinen Studenten dort tatsächlich relevante Fälle. Ich war zutiefst abgestoßen von der Zurschaustellung und Demütigung kranker Frauen in einem vollen Vorlesungssaal. Mit Unterricht hatte das für mich nicht das Geringste zu tun, vielmehr sah ich darin Charcots persönliche Bühne zur Selbstdarstellung. Es ist nicht zu glauben, dass das Publikum gierig mit morbider Faszination die öffentliche Erniedrigung Schutzbefohlener verfolgte. Männer, die einen Eid zu helfen leisteten, ergötzten sich an der Hilflosigkeit ihrer Patientinnen. Es war widerwärtig und doch zogen mich Bucks Beschreibungen in ihren Bann. Der Konkurrenzdruck, der damals in der Medizin und der Wissenschaft allgemein herrschte, war deutlich zu spüren. Ärzte lagen im Wettstreit miteinander, als erste neue Methoden auszuprobieren und mit dem nächsten großen Durchbruch in die Geschichte einzugehen. Es ist vorstellbar, dass das Wohl der Patient_innen zu dieser Zeit nicht immer im Vordergrund stand. Diese Lektion muss auch Jori lernen. Seine Begegnung mit Runa verändert ihn und lässt ihn begreifen, dass einige seiner Kollegen bereit sind, für ein bisschen Ruhm über Leichen zu gehen. Hätte sich Vera Buck auf diesen Erzählstrang beschränkt und nicht versucht, ihrer Geschichte eine Aura von Mystik zu verleihen, hätte das Buch sicherlich eine bessere Bewertung von mir erhalten. Aber nein, sie musste ja unbedingt eine Mordermittlung ins Spiel bringen. Meiner Ansicht nach war dies eine unglückliche Entscheidung, weil sie dadurch unnötigerweise gezwungen war, weitere Erzählperspektiven zu involvieren, die das Handlungskonstrukt zerfasert und holprig wirken ließen. Jegliche Handlungsstränge abseits von Jori erschienen mir überflüssig und wertlos für die Geschichte, sodass ich mich beim Lesen dieser Abschnitte immer wieder fragte, warum Buck mir all das erzählte. Ich zweifelte an ihrer Autorität als Autorin und hatte Schwierigkeiten, ihren hin und wieder sprunghaften Gedankengängen zu folgen, sowie die Übersicht über die Chronologie zu behalten. Wie oft habe ich schon von Bescheidenheit gepredigt und betont, wie wichtig es ist, sich nicht mehr aufzubürden, als man händeln kann – ich wünschte, Vera Buck hätte sich diesen Ratschlag zu Herzen genommen.

 

„Runa“ schießt meiner Meinung nach weit übers Ziel hinaus. Wenn es Vera Buck darum ging, einen realistischen Blick auf die Geschichte der Psychiatrie zu werfen, hätte sie es auch genau dabei belassen sollen. Ihre Versuche, eine geheimnisvolle Mordermittlung und verschiedene Erzählperspektiven zu integrieren, halte ich für gründlich misslungen; sie werfen einen Schatten auf die meisterhaft recherchierten Fakten des Buches, der hätte vermieden werden können. Sie wollte zu viel und riss daher alles, was sie erst gewissenhaft aufgebaut hatte, mit dem Hintern wieder ein. Vielleicht darf man von einem Debütroman keine Wunder erwarten, doch alle Großzügigkeit ändert leider nichts daran, was ich während der Lektüre empfand. Ich kann es nicht oft genug sagen: Schuster, bleib bei deinen Leisten.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/09/20/vera-buck-runa
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review 2016-05-18 09:53
Durch dieses Buch erhalten tausende Schicksale ein Gesicht
Die dunklen Mauern von Willard State: Roman - Ellen Marie Wiseman,Sina Hoffmann

„Die dunklen Mauern von Willard State“ von Ellen Marie Wiseman ist nur zum Teil fiktiv. Die psychiatrische Anstalt Willard State Asylum hat es tatsächlich gegeben. Als die Anstalt nach 126 Jahren des Betriebs 1995 geschlossen wurde, fanden Arbeiter auf dem Dachboden über 400 Koffer, die Patienten gehörten, die Willard nie mehr verließen. Seit 1999 arbeiteten Darby Penney, Peter Stastny und die Fotografin Lisa Rinzler unermüdlich, um die Biografien ihrer Besitzer_innen aufzudecken und ihnen ein Gesicht zu geben. Das Ergebnis ihrer Bemühungen sind die Ausstellung „Lost Cases, Recovered Lives: Suitcases from a State Hospital Attic“ und das Buch „The Lives They Left Behind: Suitcases from a State Hospital Attic“. Letzteres diente Ellen Marie Wiseman als Inspiration „Die dunklen Mauern von Willard State“ zu schreiben.

 

Izzy Stones Familie wurde in der verhängnisvollen Nacht zerstört, als ihre Mutter ihren Vater erschoss. Niemand weiß, was sie zu dieser grauenvollen Tat veranlasste. Allein, ohne verbleibende Angehörige, wurde Izzy jahrelang herumgereicht. Erst jetzt, mit 17, hat sie das Gefühl, Pflegeeltern zu haben, denen sie wichtig ist. Aus Dankbarkeit hilft sie den beiden bei ihrem neusten Projekt. Nach der Schließung des berüchtigten Willard State Asylum wurden auf dem Dachboden hunderte von Koffern gefunden, deren Inhalt Peg und Harry nun katalogisieren möchten. Unter den Besitztümern der Insassen entdeckt Izzy einen Stapel ungeöffneter Briefe und das Tagebuch einer Patientin namens Clara Cartwright. Izzy ist von Claras tragischem Schicksal fasziniert und setzt alles daran, ihre Geschichte zu rekonstruieren. Doch je tiefer sie in die Geheimnisse von Claras Leben vordringt, desto näher kommt sie auch den Antworten auf die Rätsel ihrer eigenen Vergangenheit…

 

Ich wusste bereits vor der Lektüre von „Die dunklen Mauern von Willard State“, wie furchtbar die Bedingungen in psychiatrischen Anstalten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren. Ich wusste, dass Menschen dort eher weggesperrt als behandelt wurden und dass die wenigen Therapien, die zur Verfügung standen, an Folter grenzten. Viele Einrichtungen waren hemmungslos überlastet und die hygienischen Umstände katastrophal. Insassen wurde jegliche Selbstbestimmung genommen, ihre Persönlichkeit unterdrückt. Es herrschte Gewalt, Willkür und Überforderung. Wer einmal in eine solche Anstalt eingeliefert wurde, verließ sie nur selten wieder, von einer Genesung ganz zu schweigen. All das war mir bewusst. Trotzdem hat mich Claras fiktives Schicksal zutiefst berührt, schockiert und getroffen. Was Menschen in Einrichtungen wie Willard angetan wurde, war unmenschlich. Umso wichtiger ist es, dass es Bücher wie „Die dunklen Mauern von Willard State“ gibt. Es darf nicht vergessen werden, wie viele Leben mit dem Tag der Einlieferung in diese Anstalten endeten. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – all das löste sich auf, sobald die Patienten hinter den Mauern verschwanden. Am Fall von Clara illustriert Ellen Marie Wiseman eindrucksvoll, wie ungerecht und grausam das System damals war; wie wenig ausreichte, um als geisteskrank abgestempelt und für immer der Freiheit beraubt zu werden. Ich musste während des Lesens häufig heftig schlucken und hatte am Ende sogar Tränen in den Augen. Die Macht der Emotionen, die dieses Buch vermittelt, ist der Grund, warum es von mir vier Sterne erhält, obwohl Wiseman meiner Ansicht nach nicht die beste Schriftstellerin ist. Ich sehe gern über stilistische Mängel hinweg, weil ihre Geschichte aufwühlend und unheimlich fesselnd ist. Die Entscheidung eine geteilte Handlung zu konstruieren, die zwei Zeitstränge und zwei Protagonistinnen fokussiert, finde ich mutig und einfühlsam, denn durch den Umweg über Izzy brachte Wiseman Claras Schicksal sehr nah an ihre Leser_innen heran. Izzy ist die Verbündete, die ebenso fühlt wie man selbst, während man gemeinsam aufdeckt, wie sehr Clara in Willard leiden musste. Ihr Leben bleibt nicht abstrakt, sondern erhält einen direkten Bezug zur Gegenwart und Realität. Hinzu kommt, dass die beiden jungen Frauen sehr viel gemeinsam haben, wodurch sie wie zwei Enden der gleichen Geschichte wirken, die über die Jahrzehnte hinweg mit einander verbunden sind. Ich mochte sowohl Clara als auch Izzy gern und hatte keine Schwierigkeiten, mit ihnen zu fühlen. Sie sind zarte, empfindsame Persönlichkeiten, fast schon zu zerbrechlich für die Härte der Welt. Ich wollte sie beschützen und wünschte beiden von ganzem Herzen ein Happy End.

 

„Die dunklen Mauern von Willard State“ beleuchtet ein düsteres Kapitel der Vergangenheit, das unglücklicherweise viel zu selten ernsthaft angesprochen wird. Das Leid der Insassen psychiatrischer Einrichtungen im (frühen) 20. Jahrhundert dient heute als Blaupause zur Massenunterhaltung in Horrorfilmen, doch die zahllosen reellen Tragödien, die diese damals noch junge Wissenschaft produzierte, bleiben zu großen Teilen verschüttet. Menschen, die 50 Jahre und länger weggesperrt und gequält wurden, weil ihnen ein völlig unqualifizierter Arzt eine diffuse Diagnose attestierte, verdienen es, dass man sich an sie erinnert. Auch wenn sie dieses gewaltige Unrecht nicht auslöschen können, so helfen Bücher wie „Die dunklen Mauern von Willard State“ und selbstverständlich „The Lives They Left Behind: Suitcases from a State Hospital Attic“ dabei, Patientennummern wieder zu echten Menschen werden zu lassen. Sie geben zurück, was ihnen vor so vielen Jahrzehnten genommen wurde: eine Geschichte.
Wer sich für das Thema Psychiatrie interessiert, sollte „Die dunklen Mauern von Willard State“ von Ellen Marie Wiseman wirklich lesen. Die Kombination aus Fakten und Fiktion verschafft den Leser_innen einen realistischen Eindruck der Umstände im Willard State Asylum, ohne die menschliche Note zu vernachlässigen. Durch Claras Geschichte erhalten tausende Schicksale ein Gesicht.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/05/18/ellen-marie-wiseman-die-dunklen-mauern-von-willard-state
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review 2015-06-27 11:30
An Detailreichtum unübertroffen
Gottes Werk und Teufels Beitrag - John Irving

Homer Wells ist anders als die anderen Kinder im Waisenhaus von St. Cloud’s, denn er möchte nicht fort. Er versuchte mehrfach, eine neue Familie und ein neues Zuhause zu finden – ohne Erfolg. So kommt es, dass der Leiter des Waisenhauses, Dr. Wilbur Larch, Homer erlaubt zu bleiben und ihn unter seine Fittiche nimmt. Dr. Larch lehrt Homer Gottes Werk und Teufels Beitrag: Entbindungen und Abtreibungen. Für viele Frauen ist St. Cloud’s der einzige Ort, an den sie gehen können, wenn sie ungewollt schwanger werden. Während Homer älter wird, beschleichen ihn jedoch Zweifel. Hat nicht auch ein Fötus eine Seele? Er weigert sich, selbst Abtreibungen vorzunehmen und hadert mit seinem scheinbar vorbestimmten Schicksal als Arzt, trotz seines unbestrittenen Talents. Als ein junges Paar St. Cloud’s besucht, ist Homers Chance auf eine andere Zukunft gekommen. Candy und Wally nehmen Homer mit sich auf die Apfelplantage Ocean View der Familie Worthington, wo er sich fortan als Hilfskraft verdingt. Hier, zwischen Äpfeln und verwirrenden Beziehungen, begreift Homer, dass das Leben sich nicht um Moralvorstellungen schert. Und dass er seiner Bestimmung nicht entkommen kann.

 

Das ist es also, das große Werk von John Irving. Ich denke, ich habe selten ein Buch gelesen, das „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ an Detailreichtum übertrifft. Ich halte diese Eigenschaft des Romans sowohl für seine größte Stärke als auch für seine größte Schwäche zugleich. John Irving ist ein Schriftsteller, der jeder einzelnen Figur seiner Geschichte eine eigenständige, individuelle Biografie zugesteht und sich für jeden dieser Werdegänge brennend interessiert. Auf diese Weise entsteht ein dichtes Geflecht persönlicher Schicksale, die mal außergewöhnlich, mal durchschnittlich sind und faszinierend ineinander greifen und mit einander interagieren. Die Beziehungen seines Romans sind skurril und zum Teil wahrhaft ungesund, nichtsdestotrotz aber realistisch. Während des Lesens fiel es mir gar nicht so auf, doch jetzt im Nachhinein bin ich überzeugt, dass Kommunikation eines der Schlüsselthemen ist. All die Dinge, die nicht gesagt werden – aus Stolz, aus Angst, aus Rücksicht, aus der verdrehten Vorstellung heraus, dass es sich ethisch oder moralisch nicht schickt. Seine moralischen Vorstellungen und Ansprüche sind die größten Hindernisse, die Homer im Weg zu einem glücklichen Leben stehen. Dadurch zwingt er seine Gefühle in ein enges, straffes Korsett, das es ihm verbietet, mit der Frau zusammen zu sein, die er liebt und das ihn daran hindert, seine wahre Bestimmung zu akzeptieren: ein Leben als Arzt, der ungewollt schwangeren Frauen die Möglichkeit zur Entscheidung schenkt, obwohl es illegal ist. Irving outet sich in „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ unmissverständlich als Befürworter von Abtreibungen und meines Erachtens nach argumentiert er durch die Figur des Dr. Larch lückenlos. Ungewollte Schwangerschaften führen zu ungewollten Kindern, die zu Waisenkindern werden. Manchmal ist eine Abtreibung die beste Option für alle Beteiligten. Nehmen wir als Beispiel Melony, die gemeinsam mit Homer in St. Cloud’s aufwächst, aber einen völlig anderen Weg einschlägt und mit ihrer harten, spröden Art einen scharfen Kontrast zu seinem sanften, nachdenklichen Wesen darstellt. Schon als Kind ist sie verbittert, permanent zornig und überzeugt, dass das Leben niemals etwas Gutes für sie bereithalten wird. Sie war niemals unschuldig, weil sie zu früh grausam enttäuscht wurde. Es mag zynisch klingen, doch hätte ihre Mutter eine Abtreibung in Betracht ziehen können; wäre Melony niemals geboren worden, hätte sie auch nie all den Hass, all den Schmerz und das Leid ertragen müssen. Melony ist von Beginn an eine Einzelgängerin, unfähig, anderen zu vertrauen und überwindet ihren Zorn ihr ganzes Leben lang nicht. Ich könnte stundenlang über sie schreiben, weil sie – wenn auch zutiefst unsympathisch – wahnsinnig kompliziert ist. Eine Analyse von Irvings Charakteren könnte wohl ein gesamtes Buch füllen – das ändert jedoch nichts daran, dass ich mit ihnen allen so meine Probleme hatte. Ich mochte niemanden so richtig, weil sie alle grenzwertige Entscheidungen treffen, doch ich denke, das spielt gar keine Rolle. Irving versucht nicht, den ersten Preis für Sympathie zu gewinnen, sondern zeichnet Figuren, die facettenreich und lebensnah sind. Natürlich hat mich das beeindruckt, allerdings erwähnte ich ja bereits, dass der Detailreichtum seines Schreibstils durchaus auch einen negativen Aspekt für mich hatte. Irving schwafelt. Er ergeht sich in Kleinigkeiten und kommt nicht zielgerichtet genug auf den Punkt. Ich halte ihn für einen tollen Schriftsteller, bin als Leserin jedoch eher ein gradliniger Typ. Ich hätte die unzähligen Schnörkel aus den Leben von Nebenfiguren nicht gebraucht, um mich für die Geschichte begeistern zu können. So erforderte es zu viel Geduld und Durchhaltevermögen, um mich uneingeschränkt darin wohl zu fühlen.

 

„Gottes Werk und Teufels Beitrag“ ist gleichermaßen Gesellschaftskritik wie Dokumentation des Lebens. Ich kann verstehen, warum John Irving von vielen LeserInnen leidenschaftlich verehrt wird, da er mutig und sensibel Tabuthemen anspricht, einen feinsinnigen, subtilen, oftmals tragikomischen Humor vermittelt und darüber hinaus meisterhaft facettenreiche Charaktere gestaltet. Trotz dessen bin ich mir noch nicht sicher, ob er tatsächlich der richtige Autor für mich ist. Ich werde wohl noch mindestens ein weiteres Buch von ihm lesen müssen, bevor ich das entscheiden kann.
Ich kann „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ durchaus empfehlen, weil es wirklich brillant konstruiert ist und es zu den Werken gehört, die man einfach mal gelesen haben sollte. Ihr solltet jedoch darauf vorbereitet sein, dass John Irving äußerst detailverliebt schreibt und ihr weit mehr über seine Figuren erfahren werdet, als ihr vielleicht erwartet habt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/06/27/john-irving-gottes-werk-und-teufels-beitrag
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review 2014-02-08 11:00
Ein wirklich schönes Buch, aber ein schwieriger Einstieg
Wer Schatten küsst - Marc Levy,Bettina Runge,Eliane Hagedorn

Mit eigenen Worten
In "Wer Schatten küsst", von Marc Levy, geht es um einen männlichen Protagonisten. Dieser entdeckt im Schulalter, dass er mit Schatten reden kann, sowohl mit seinem als auch mit denen anderer Personen. Ohne es zu wollen, bekommt er so einen Einblick in die Träume, Wünsche und Leiden der Personen in seinem Leben. Was er mit seiner besonderen - ungewollten - Gabe macht? Lest es!

 

Wirkung
Als ich das Buch das erste Mal gesehen habe, muss ich zu geben, dass ich das Cover nicht so unglaublich ansprechend fand, obwohl mir die Farben sehr gut gefallen haben. Jetzt nachdem ich das Buch gelesen habe, liebe ich das Cover. Ich liebe es, weil es sehr viel Bedeutung im Bezug auf den Inhalt des Buches hat. Allein die sich überschneidenen Schatten sind wirklich toll gemacht. Ich bin begeistert. Der Titel klingt schön, und ist auch recht passend, weil er immer sehr freundlich zu den Schatten ist, aber irgendwie ist er für mich nicht das Nonplusultra.

 

Positives
Hach, Marc Levy! Ich liebe seinen Schreibstil. Dieses Buch ist bereits das dritte Buch, was ich von ihm lesen und ich bin immer wieder begeistert von seiner Art und Weise zu schreiben. Ich kann nicht mal genau beschreiben, was mich daran so fasziniert, aber mich kann er wirklich jedes Mal fesseln. Es ist sehr bildlich, einen Hauch poetisch und vor allem emotional geschrieben. Wahrscheinlich kann ich mich auch deswegen so gut in den Protagonisten hinein versetzen. Er beschreibt ihn unglaublich authentisch, sodass er auf mich wirkt, als würde ich ihn schon mein Leben lang kennen. Ich war mit ihm verwirrt, ich habe mit ihm gelitten .. Ich mag ihn, obwohl er keinen Namen hat. Mir ist erst gerade eben beim Rezension schreiben aufgefallen, dass der arme Protagonist gar keinen Namen hat, bzw. nie namentlich erwähnt wird. Auch die andern Charaktere der Geschichte sind für mich nachvollziehbar gestaltet. Den einzigen,den ich unsympathisch fand, war Marquez, aber ich glaub, dass das durchaus vom Autor beabsichtigt war!
Der Verlauf der Geschichte hatte ein angenehmes Tempo dem man gut folgen konnte und bei dem einem auch nicht langweilig wurde. Ich fand es gut, dass das Buch in 2 Teile unterteilt wurde, einmal als er noch ein Kind in der Schule war und einmal als er schon älter war und bereits einen Beruf erlernt. Das Ende war natürlich sehr emotional geladen (und ja ich musste weinen wie ein Wasserfall) und war für mich wirklich ein passendes, gutes Ende, mit dem ich rundum zufrieden war. Sonst hätte ich an dieser Stelle wahrscheinlich gemerkt, dass mir das alles ein bisschen zu schnell ging, nach dem Motto "mal schnell ein Ende machen", aber in diesem Buch passt es einfach irgendwie. Ich habe noch die ganze Nacht von diesem Ende geträumt und es weiter gesponnen.

 

Negatives
Ich muss zugeben, dass es mir am Anfang ein bisschen schwer fiel den Einstieg in das Buch zu finden. Ein Glück, dauerte es nicht allzulange, aber es war doch zuerst ein bisschen knifflig. Was nicht unbedingt als negativ zu zählen ist, aber ich trotzdem erwähnen möchte, ist dass ich einen Aspekt schon sehr weit im Voraus geahnt habe und der Protagonist hat einfach gar nichts gemerkt, nicht mal ein bisschen skeptisch war er. Aber wahrscheinlich würde es einem im wahren Leben auch so gehen ..

 

Zitat
Wie hatte all diese Liebe einfach verschwinden können? Und vor allem wohin? Vielleicht verhielt es sich mit der Liebe wie mit den Schatten, jemand tritt drauf und nimmt sie mit. Vielleicht ist zu viel Licht gefährlich für die Liebe, oder aber das Gegenteil ist der Fall, und die Liebe verblasst, wenn sie nicht genügend Licht bekommt, bis ihr Schatten ganz verschwunden ist.
-Aus "Wer Schatten küsst" von Marc Levy-

 

Bewertung
Note 2+ {gut}
Dieses Buch ist wirklich ein tolles Buch. Ich vergebe dafür eine zwei plus, einfach, weil ich am Anfang mich nicht so gut hinein finden konnte und eine Weile gebraucht hatte bis ich mit dem Protagonisten warm geworden bin. Als dies aber passiert ist, wollte ich gar nicht mehr aufhören zu lesen. Ich habe dieses Buch innerhalb von einem Tag durchgelesen und muss wirklich sagen, dass es sehr lesenwert ist.
Ich würde dieses Buch Lesern empfehlen, die emotionale Bücher mögen, die nicht nach dem Schema F geschrieben sind. Dies ist kein 0815 Liebesbuch, sondern wirklich auf eine besondere Weise berührend. Man sollte sich jedoch nicht an kleinen fantastischen Elementen stören, wenn man dieses Buch lesen möchte.

Source: www.lottasbuecher.de/2014/02/marc-levy-wer-schatten-kusst.html
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review 2013-08-07 07:18
Doctor's Diary lässt grüßen
Miss Emergency. Hilfe, ich bin Arzt - Antonia Rothe-Liermann

Welt – ich komme! Lena kann es kaum noch abwarten, ihre Laufbahn als weltbeste Ärztin und aufopfernde Retterin aller Patienten zu starten. Und dann auch noch in Berlin! Voll motiviert, aber mit zittrigen Knien stürzt sie sich ins Praxisjahr. Und landet kopfüber im Krankenhausfahrstuhl – zu Füßen des attraktiven Oberarztes Dr. Thalheim.

 

Dieses Buch habe ich bei einem Gewinnspiel gewonnen und es stand relativ lange unangetastet im Regal. Ich bin kein Fan der TV-Serie “Doctor’s Diary” und die Ähnlichkeit ist nun mal nicht zu übersehen. Wie man dem Klappentext außerdem entnehmen kann, verfasste Antonia Rothe-Liermann zu dieser Serie als Co-Autorin so manches Drehbuch.
Doch kaum mit dem Buch begonnen, hatte es mein Herz im Nu erobert. Das fing schon damit an, dass es Lena für ihr Praktisches Jahr in eine WG nach Berlin verschlägt. Geschichten aus Berlin haben bei mir per se einen Stein im Brett. Zudem konnte ich mich wunderbar in Lena und ihre Begeisterung einfühlen mit der sie diese aufregende Stadt für sich erobert. Doch auch mit Lenas Mitbewohnerinnern wurde ich sehr schnell warm, zumal die drei Mädchen gegensätzlicher kaum sein könnten: Lena, die Chaotin, Jenny, die gebürtige Berlinerin mit ihrer flippigen Art, und Isa, das schüchterne Mäuschen und das berühmte stille Wasser. Eben eine Mischung, die viel Vergngügen und Abwechslung verspricht.
Es macht Spaß, die Drei bei ihren großen und kleinen Abenteuern des Alltags zu begleiten, und ihnen bei ihrer Arbeit im Krankenhaus quasi über die Schulter zu schauen. Dabei hat es mir speziell gefallen, dass man nicht mit einem Sack voll Fremdworten überschüttet wird, und dass der Krankenhausalltag nicht rosarot verklärt beschrieben wird wie es zB in diesen Groschenromanen oft der Fall ist. Beschönigt wird bei “Miss Emergency” in dieser Hinsicht nichts und so kann es durchaus passieren, dass man bei diesem Buch nicht nur Tränen lacht, sondern auch mal Tränen weint.
Neben Lenas Praktischem Jahr steht natürlich ihr Liebesleben im Mittelpunkt, das -kaum dass sie in Berlin und der Klinik angekommen ist- gleich von zwei Herren der Schöpfung gründlich auf den Kopf gestellt wird. Einmal von einem jungen Patienten, aber auch vom Oberarzt Dr. Thalheim. Es hat mich positiv überrascht, dass die Geschichte trotz dieser Liebeleien nicht total verkitscht ist. Dafür sorgen schon Lenas sympathische große Klappe und ihr selbstkritischer Humor, über den ich so manches Mal gelacht habe. Es ist zu schön, wenn sie feststellt, dass sie sich gerade doch wie ein verknallter Teenie benimmt und dann mit sich selbst ein “erwachsenes” Machtwort spricht :D
Auch wenn man natürlich ahnt, wie die Geschichte enden wird, wirklich voraussehbar ist es nicht. Es ist nicht so, dass Lena und ihr Angebeteter sich das ganze Buch hindurch verliebt hinterherrennen um sich schlussendlich glücklich in die Arme zu fallen. Lena lässt sich nicht vor lauter Verliebtheit alles gefallen und ihm merkt man es nur ganz selten wirklich an. So ist das Ende dann doch noch eine kleine und schöne Überraschung.

 

Lena erzählt die Geschichte so fröhlich und voller Witz und Tempo, dass sich das Buch im Nu wegliest. Jedenfalls ging es mir so. Ihre lockere Erzählweise und die turbulente Story machen einfach Laune und ermuntern zum Weiterlesen. Die Kapitel sind relativ kurz. So merkt man gar nicht, wie flott man vorankommt. Als ich beim letzten Kapitel ankam, war ich wirklich überrascht. Und ein wenig traurig, dass es schon vorbei war.

 

Optisch muss man zugeben: ja, das Titelbild ist schon sehr rosa und ja, auch ziemlich kitschig. Aber es ist nun mal ein Mädchenbuch, wie auch die verräterischen Accessoires Herz und Lippenstift verraten. Trotzdem, in der Geschichte geht es um Liebe, es geht um Berlin und Lenas Leben als Ärztin, und alles findet sich in diesem Motiv wieder. Das passt so!

 

Fazit:  “Hilfe ich bin Arzt” hat mir viel Spaß gemacht. Ich habe sehr viel gelacht, manchmal auch geweint, und möchte jetzt unbedingt wissen, wie es mit Lenas Liebes- und Berufslebenleben weitergeht. Ich habe mir sagen lassen, es gibt ein paar Unterschiede zu “Doctor’s Diary”. Aber wer Fan der Serie ist, dürfte auch an “Miss Emergency” seine Freude haben. Wie man an mir sieht aber auch jeder andere, der eine humor- und gefühlvolle Geschichte zu schätzen weiß ;)

Source: leserattz.wordpress.com/2012/03/27/rezension-miss-emergency-hilfe-ich-bin-arzt-antonia-rothe-liermann
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