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review 2019-01-09 09:07
Ein Weihnachtsbuch ohne Weihnachtsstimmung
The Gift - Cecelia Ahern

2018 habe ich mir vorgenommen, in der Weihnachtszeit endlich mal Weihnachtsbücher zu lesen. Da es mir immer schwerer fällt, Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen, hoffte ich, dass mir weihnachtliche Geschichten dabei helfen könnten. „The Gift“, ein Buch der Bestsellerautorin Cecelia Ahern, war eine naheliegende Wahl, denn es spielt nicht nur in der Weihnachtszeit, sondern befindet sich auch auf der Liste der modernen Klassiker der Bücherkultur-Challenge. Wie praktisch. Cecelia Ahern gehört sonst nicht zu meinen bevorzugten Autor_innen, weil ich sie in die Chic-Lit-Ecke sortiere, aber angesichts dessen, dass ich ihren Erfolgsroman „P.S. Ich liebe dich“ unerwartet gut fand, wollte ich es trotzdem mit „The Gift“ probieren.

 

Lou Suffern ist ein Überflieger. Er wohnt in einem eindrucksvollen Haus, fährt einen schnittigen Sportwagen und ist äußerst erfolgreich in seinem Beruf. Mit seiner Ehefrau Ruth hat er zwei bildhübsche Kinder. Doch sein rasanter Aufstieg der Karriereleiter fordert Opfer. Täglich kämpft Lou gegen die Uhr, um immer der Erste, der Beste zu sein. Er führt ein Leben auf der Überholspur und vernachlässigt für seine ehrgeizigen Ambitionen seine Familie. Bis er eines Tages kurz vor Weihnachten einem Obdachlosen einen Kaffee spendiert. Der Mann stellt sich als Gabe vor. Seine bemerkenswerte Auffassungsgabe imponiert Lou. Er besorgt ihm einen Job in der Poststelle seiner Firma. Diese Entscheidung beginnt er schnell zu bereuen. Gabe drängt sich nachdrücklich in sein Leben; ständig schaut er Lou über die Schulter, nervt ihn mit kryptischen Ratschlägen und wie gelingt es ihm eigentlich, an zwei Orten gleichzeitig aufzutauchen? Lou fühlt sich von Gabe bedroht. Er missversteht seine Absichten. Aber er wird verstehen. Schon bald. Denn Gabe macht Lou das wichtigste Geschenk überhaupt: Zeit.

 

Mich versetzte „The Gift“ nicht in Weihnachtsstimmung. Für mich ist dieses Buch von Cecelia Ahern nicht weihnachtlich genug. Zwar behandelt die Autorin darin unmissverständlich das Läuterungsmotiv, das in vielen Weihnachtsgeschichten prominent vertreten ist und verankerte ihre Erzählung in der (Vor-)Weihnachtszeit, doch atmosphärisch klingt die besinnliche Jahreszeit nur selten an. Ich wurde nicht von Gedanken an Plätzchen, Kerzenschein und Nächstenliebe verzaubert. Das klingt negativ, ich empfand es allerdings nicht als hinderlich, weil ich erkannte, dass der Mangel eines weihnachtlichen Ambientes auf den Protagonisten Lou Suffern zurückzuführen ist. Lou ist ein Workaholic. Es ist naheliegend, dass Weihnachten in seiner Wahrnehmung nur eine geringe Rolle spielt und das Buch daher kaum mit festlicher Stimmung dienen kann. Ich hatte anfangs große Schwierigkeiten, mich Lou zu öffnen und eine Bindung zu ihm aufzubauen. Cecelia Ahern beschreibt ihn als gewollt unsympathisch und geht dabei so weit, dass er mich unangenehm an Pat Bateman, den psychopathischen Serienmörder in Bret Easton Ellis‘ Skandalroman „American Psycho“, erinnerte. Deshalb wollte ich ihn erst gar nicht kennenlernen, obwohl ich natürlich wusste, dass er eine Katharsis durchlaufen würde. Lous Sinneswandlung vollzieht sich graduell. Er ist keineswegs von heute auf morgen ein neuer Mensch und fällt bis zum Schluss in alte Verhaltensmuster zurück, was ich sehr realistisch fand. Darin unterscheidet sich „The Gift“ von klassischen Weihnachtsbüchern wie Charles Dickens‘ „Eine Weihnachtsgeschichte“. Weder ist Lou Suffern ein Ebenezer Scrooge, der über Nacht sein weiches Herz entdeckt, noch ist der Auslöser seiner Veränderung, der Obdachlose Gabe, ein Engel oder ein Geist. Tatsächlich erfahren die Leser_innen nicht, wer oder was Gabe ist. Seine wahre Identität bleibt ungeklärt, womit Ahern reichlich Raum zur Interpretation offenlässt. Persönlich sehe ich in Gabe Lous personifiziertes Gewissen, weil sein Einfluss subtil ist. Er wedelt nicht mit dem mahnenden Zeigefinger, sondern stimuliert Lou zur Selbsterkenntnis. Stück für Stück begreift er den Stellenwert von Familie, Wertschätzung, Dankbarkeit und Demut. Grundsätzlich mochte ich diesen Wandel, ich fand jedoch, dass sich „The Gift“ zu sehr auf Lou als Sündenbock fokussierte. Seine familiären Probleme hätten niemals so gravierend werden müssen. Seine Ehefrau Ruth, seine Eltern, seine Geschwister – sie alle hätten intervenieren und ihren Unmut über sein Benehmen längst verbalisieren können. Ich hatte nicht den Eindruck, dass das jemals geschah. Mir schien es eher, als hätten sie ihm nie vermittelt, wie verletzend sie sein Verhalten empfanden. Eine typische Kommunikationsstörung. Erst Gabe verschiebt Lous Perspektive. Dennoch konnte ich Gabe nicht als Wohltäter betrachten, der eine verlorene Seele zurück auf den rechten Weg lenkt, weil mir seine Rolle am durchaus überraschenden Ende des Buches nicht gefiel. Ich wünschte, ich könnte konkret werden, ohne zu spoilern, aber leider ist das nicht möglich, also muss ich es dabei belassen, euch zu berichten, dass ich glaube, hätte sich Gabe bedachter verhalten, wäre Lous Geschichte anders ausgegangen.

 

„The Gift“ von Cecelia Ahern erinnert an eine moderne Variante von Dickens‘ „Eine Weihnachtsgeschichte“. Die Thematik der Läuterung des Protagonisten Lou Suffern bestimmt die Geschichte, Ahern interpretierte sie allerdings zeitgenössisch und hielt sich mit der Verwendung mystischer Elemente zurück. Sie involvierte Szenen, die unerklärlich und fantastisch anmuten, doch den Roman deshalb als übernatürlich zu bezeichnen, wäre übertrieben. Ich mochte Aherns pragmatische Herangehensweise an Lous Bekehrung und die Botschaft des Buches, laut der Zeit das kostbarste Gut ist, über das Menschen verfügen. Ich fand es nachdenklich und angenehm unaufgeregt. Ich glaube, es ist das unkitschigste Weihnachtsbuch, das ich je gelesen habe und könnte somit sogar Weihnachtsmuffeln gefallen. Schade nur, dass ich den Kitsch offenbar brauche, um in Weihnachtsstimmung zu kommen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/01/08/cecelia-ahern-the-gift
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review 2018-12-25 09:00
Henry N. Brown öffnete mein Herz für Weihnachten
Das weihnachtswunder des Henry N. Brown - Anne Helene Bubenzer

Bereits als Kind waren Kuscheltiere für mich sehr wichtig. Ich sammelte sie. Ich liebte sie. Und natürlich kannte ich jeden einzelnen Namen auswendig. Aber es gab immer DAS eine Kuschel, das ich mehr als alle anderen liebte. Seit meinem achten Lebensjahr ist das eine Bärendame namens Dickie. Das Dickchen. Ich rettete sie vor einem würdelosen Ende auf dem Müll, als mein Grundschul-Klassenzimmer ausgemistet wurde. Ihr Fell ist eher kurz, trotzdem ganz weich und hat diese seltsame beige Farbe. Sie ist älter als ich. Ich weiß nicht, woher sie kam und was sie schon alles erlebte, doch seit diesem denkwürdigen Tag sind wir unzertrennlich. Wir reisten, spielten, weinten und lachten zusammen. Als ich älter wurde, begleitete sie mich klaglos ins Leben einer Erwachsenen. Bis heute schlafe ich besser, wenn sie bei mir ist. Mein Ehemann berichtet, dass ich im Schlaf sogar zufriedene Geräusche von mir gebe, wenn er sie mir in den Arm legt und wir manchmal in exakt derselben Position daliegen. Ziemlich verrückt?

 

Auch nicht verrückter, als einen ganzen Roman über die Weltgeschichte aus der Perspektive eines Teddybären zu schreiben, wie Anne Helene Bubenzer es mit „Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown“ getan hat.  Das N. steht für „Nearly“, weil Henry eben nur fast braun ist. Wie Dickie. Für diese Rezension ist es entscheidend, dass ihr versteht, wie abgöttisch ich das Buch ihretwegen liebe, deshalb erzähle ich euch von ihr. Die Lektüre fühlte sich an, als hätte Bubenzer direkt in mein Herz geschaut und die Geschichte aufgeschrieben, die ich mir so dringend für Dickie wünschte. Das bedeutet mir mehr, als ich ausdrücken kann. Einige Jahre nach Henrys Biografie erschien „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“, eine schmale, lockere Fortsetzung, die ich 2018 endlich passend zur Weihnachtszeit las.

In seinem 91-jährigen Teddybärenleben durfte Henry N. Brown bereits eine Menge Erfahrungen sammeln: er bereiste die Welt, erlebte Liebe und Verlust, sah Kriege entflammen und den Frieden siegen. Er kann zweifellos behaupten, mit allen Wassern gewaschen zu sein. Seinen Ruhestand als stiller Mitbewohner der Schriftstellerin Flora Sommer verdiente er sich redlich. Doch dieses Weihnachtsfest weckt erneut die Lebensgeister des alten Bären. Alle sorgfältigen Pläne, die Flora und Henry für einen ruhigen Heiligabend schmiedeten, werden vom Chaos unerwarteter Familienbesuche und uneingeladener Gäste über den Haufen geworfen. Die beiden haben alle Hände und Pfoten voll zu tun, um das Tohuwabohu unter Kontrolle zu halten, aber der Magie von Weihnachten kann niemand entfliehen. Trotz vieler Überraschungen wird es am Ende das schönste Fest, das sich Flora und Henry wünschen konnten.

 

„Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ lag lange auf meinem SuB. Weihnachten kam und ging Jahr für Jahr, ohne dass ich mich überwinden konnte, das Buch hervorzuholen. Ich denke, ich fürchtete mich ein bisschen davor, dass es mich enttäuschen könnte, weil mir „Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown“ so viel bedeutet. Meine Sorgen waren unbegründet. Sie wurden im Handumdrehen entkräftet, möglicherweise bereits mit dem ersten Satz, denn meine Liebe zu Henry entbrannte sofort wieder mit alter Kraft. „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ ist eine wundervolle Ergänzung seiner Biografie, eine Ergänzung, die er verdiente und die ihm gerecht wird. Meiner Meinung nach ist diese Weihnachtsgeschichte ein Geschenk, das Anne Helene Bubenzer nicht für ihre Leser_innen schrieb, sondern für ihren ungewöhnlichen Protagonisten persönlich. Es ist Bubenzers Geschenk an Henry. Wer könnte das Fest der Liebe intensiver und ehrlicher erleben als ein Teddy, dessen Lebenssinn immer die Liebe selbst war?

 

Aus seiner einzigartigen Perspektive und mit der ihm eigenen, beruhigenden Stimme erzählt er die Geschichte eines überraschenden, turbulenten Heiligabends, der genau deshalb wunderschön ist, weil nichts nach Plan läuft. Untermalt von seinen nachdenklichen, herzlichen Überlegungen zu Familie, Freundschaft, Zeit und seinen verträumten Erinnerungen an vergangene Tage schildert er, wie befreiend es für Flora und ihre unverhofften Gäste ist, ein Weihnachten zu feiern, das allen Erwartungen trotzt. Anfangs empfinden sie das aufgezwungene Chaos als negativ, doch je weiter der Abend voranschreitet, desto besser arrangieren sie sich mit der Situation und genießen einfach das friedliche, liebevolle Beisammensein ihrer Familie. Sie überwinden das Korsett aus Erwartungen, das an Weihnachten oft besonders eng geschnürt ist und erfahren eine versöhnliche Harmonie, der sie selbst jahrelang im Weg standen, ohne es zu merken.

 

Henry trägt natürlich diskret, aber essentiell dazu bei, denn als Teddy erinnert er alle Anwesenden an ihre Kindheit und bringt aufrichtige, tiefe Gefühle zum Vorschein. Auch in mir als Leserin berührte er etwas. Ich lächelte während der Lektüre unentwegt und wurde ganz weich. Ich spürte, wie sich in meinem Inneren etwas löste und hätte vor Rührung einige Male beinahe geweint. Vielleicht habe ich an der einen oder anderen Stelle sogar ein Tränchen vergossen. „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ ist schlicht bezaubernd; es ist eine zärtliche, warme Geschichte wie sanfter Kerzenschein, die ich fest in meinem Herzen einschließe und in den kommenden Jahren sicherlich immer wieder lesen werde. Anne Helene Bubenzer gelang etwas, was mir als Erwachsene schwerer und schwerer fällt: sie versetzte mich in Weihnachtsstimmung.

 

Nach der Lektüre dieses herrlichen Weihnachtsbuches hatte ich das Bedürfnis, mich bei meiner eigenen Teddybärendame für alles, was sie jemals für mich getan hat, zu bedanken. Bevor ihr fragt, ja, ich bin diesem Bedürfnis nachgekommen. Ich hoffe, dass ich für sie das Happy End darstelle, das Henry in „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ geschenkt wird, denn für ihn erfüllt sich ein Wunsch, von dem er gar nicht wusste, dass er ihn hatte. Vielleicht darf ich ihn eines Tages noch einmal wiedertreffen. Ich lausche ihm einfach so gern und sonne mich in seiner liebenswürdigen, sanftmütigen Ausstrahlung. Er erinnert mich an die Macht der Liebe und lässt mich an Wunder glauben. Er streichelt das Kind in mir. Danke Henry, danke Anne Helene Bubenzer für dieses magische Leseerlebnis, das mein Herz für Weihnachten öffnete.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/12/25/anne-helene-bubenzer-das-weihnachtswunder-des-henry-n-brown
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