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review 2024-02-07 11:02
Ein Leck in die Welt geschlagen
Wir sitzen im Dickicht und weinen - Felicitas Prokopetz

Für Valerie Steinberg ist es keine leichte Zeit: Bei ihrer Mutter Christina Kerner wird Krebs diagnostiziert. Obwohl ihre Beziehung zueinander nicht die beste ist, muss Valerie sich plötzlich um sie kümmern. Und ihr 16-jähriger Sohn Tobias will unbedingt ein Auslandsjahr in England verbringen und wird für ihren Geschmack zu früh flügge.

„Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist der Debütroman von Felicitas Prokopetz.

Meine Meinung:
Aus 48 kurzen Kapiteln setzt sich der Roman zusammen. Erzählt wird im Präsens auf zwei Zeitebenen: einmal in der Gegenwart in personaler Perspektive, einmal in der Vergangenheit in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Valerie.

Den Schreibstil empfinde ich als gelungen. Die Kombination aus einer reduzierten, aber pointierten Syntax und starken Bildern ist beeindruckend. Dialektale Sätze werden in Fußnoten übersetzt. So wirkt die Sprache gleichermaßen authentisch und bleibt verständlich. Die eingefügten Trauerreden haben sich mir allerdings nicht erschlossen.

Vier Frauen stehen im Mittelpunkt der Geschichte: Valerie, ihre Mutter Christina und ihre Großmütter Martha und Charlotte. Die Figuren muten realitätsnah an und sind psychologisch gut ausgefeilt.

Dysfunktionale Verbindungen innerhalb einer Familie sind das vorherrschende Thema des Romans. Anschaulich zeigt die Geschichte auf, wie sich problematische Erziehungsmethoden und Verhaltensweisen über Generationen fortsetzen, wie sich Muster vererben, wie uns die Familie prägt und wie frühe Erfahrungen das weitere Leben stark beeinflussen. Durch den Fokus auf weibliche Figuren werden die Zusammenhänge noch deutlicher.

Schon nach wenigen Kapiteln hat mich die rund 200 Seiten umfassende Geschichte für sich eingenommen.

Das farbenfrohe Cover ist optisch ansprechend, inhaltlich aber nur schwer zu entschlüsseln. Der Titel ist reizvoll formuliert und weckt Aufmerksamkeit.

Mein Fazit:
Mit ihrem ersten Roman konnte mich Felicitas Prokopetz überzeugen. „Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist eine empfehlenswerte Lektüre mit viel psychologischem Tiefgang.

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review 2018-12-25 09:00
Henry N. Brown öffnete mein Herz für Weihnachten
Das weihnachtswunder des Henry N. Brown - Anne Helene Bubenzer

Bereits als Kind waren Kuscheltiere für mich sehr wichtig. Ich sammelte sie. Ich liebte sie. Und natürlich kannte ich jeden einzelnen Namen auswendig. Aber es gab immer DAS eine Kuschel, das ich mehr als alle anderen liebte. Seit meinem achten Lebensjahr ist das eine Bärendame namens Dickie. Das Dickchen. Ich rettete sie vor einem würdelosen Ende auf dem Müll, als mein Grundschul-Klassenzimmer ausgemistet wurde. Ihr Fell ist eher kurz, trotzdem ganz weich und hat diese seltsame beige Farbe. Sie ist älter als ich. Ich weiß nicht, woher sie kam und was sie schon alles erlebte, doch seit diesem denkwürdigen Tag sind wir unzertrennlich. Wir reisten, spielten, weinten und lachten zusammen. Als ich älter wurde, begleitete sie mich klaglos ins Leben einer Erwachsenen. Bis heute schlafe ich besser, wenn sie bei mir ist. Mein Ehemann berichtet, dass ich im Schlaf sogar zufriedene Geräusche von mir gebe, wenn er sie mir in den Arm legt und wir manchmal in exakt derselben Position daliegen. Ziemlich verrückt?

 

Auch nicht verrückter, als einen ganzen Roman über die Weltgeschichte aus der Perspektive eines Teddybären zu schreiben, wie Anne Helene Bubenzer es mit „Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown“ getan hat.  Das N. steht für „Nearly“, weil Henry eben nur fast braun ist. Wie Dickie. Für diese Rezension ist es entscheidend, dass ihr versteht, wie abgöttisch ich das Buch ihretwegen liebe, deshalb erzähle ich euch von ihr. Die Lektüre fühlte sich an, als hätte Bubenzer direkt in mein Herz geschaut und die Geschichte aufgeschrieben, die ich mir so dringend für Dickie wünschte. Das bedeutet mir mehr, als ich ausdrücken kann. Einige Jahre nach Henrys Biografie erschien „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“, eine schmale, lockere Fortsetzung, die ich 2018 endlich passend zur Weihnachtszeit las.

In seinem 91-jährigen Teddybärenleben durfte Henry N. Brown bereits eine Menge Erfahrungen sammeln: er bereiste die Welt, erlebte Liebe und Verlust, sah Kriege entflammen und den Frieden siegen. Er kann zweifellos behaupten, mit allen Wassern gewaschen zu sein. Seinen Ruhestand als stiller Mitbewohner der Schriftstellerin Flora Sommer verdiente er sich redlich. Doch dieses Weihnachtsfest weckt erneut die Lebensgeister des alten Bären. Alle sorgfältigen Pläne, die Flora und Henry für einen ruhigen Heiligabend schmiedeten, werden vom Chaos unerwarteter Familienbesuche und uneingeladener Gäste über den Haufen geworfen. Die beiden haben alle Hände und Pfoten voll zu tun, um das Tohuwabohu unter Kontrolle zu halten, aber der Magie von Weihnachten kann niemand entfliehen. Trotz vieler Überraschungen wird es am Ende das schönste Fest, das sich Flora und Henry wünschen konnten.

 

„Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ lag lange auf meinem SuB. Weihnachten kam und ging Jahr für Jahr, ohne dass ich mich überwinden konnte, das Buch hervorzuholen. Ich denke, ich fürchtete mich ein bisschen davor, dass es mich enttäuschen könnte, weil mir „Die unglaubliche Geschichte des Henry N. Brown“ so viel bedeutet. Meine Sorgen waren unbegründet. Sie wurden im Handumdrehen entkräftet, möglicherweise bereits mit dem ersten Satz, denn meine Liebe zu Henry entbrannte sofort wieder mit alter Kraft. „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ ist eine wundervolle Ergänzung seiner Biografie, eine Ergänzung, die er verdiente und die ihm gerecht wird. Meiner Meinung nach ist diese Weihnachtsgeschichte ein Geschenk, das Anne Helene Bubenzer nicht für ihre Leser_innen schrieb, sondern für ihren ungewöhnlichen Protagonisten persönlich. Es ist Bubenzers Geschenk an Henry. Wer könnte das Fest der Liebe intensiver und ehrlicher erleben als ein Teddy, dessen Lebenssinn immer die Liebe selbst war?

 

Aus seiner einzigartigen Perspektive und mit der ihm eigenen, beruhigenden Stimme erzählt er die Geschichte eines überraschenden, turbulenten Heiligabends, der genau deshalb wunderschön ist, weil nichts nach Plan läuft. Untermalt von seinen nachdenklichen, herzlichen Überlegungen zu Familie, Freundschaft, Zeit und seinen verträumten Erinnerungen an vergangene Tage schildert er, wie befreiend es für Flora und ihre unverhofften Gäste ist, ein Weihnachten zu feiern, das allen Erwartungen trotzt. Anfangs empfinden sie das aufgezwungene Chaos als negativ, doch je weiter der Abend voranschreitet, desto besser arrangieren sie sich mit der Situation und genießen einfach das friedliche, liebevolle Beisammensein ihrer Familie. Sie überwinden das Korsett aus Erwartungen, das an Weihnachten oft besonders eng geschnürt ist und erfahren eine versöhnliche Harmonie, der sie selbst jahrelang im Weg standen, ohne es zu merken.

 

Henry trägt natürlich diskret, aber essentiell dazu bei, denn als Teddy erinnert er alle Anwesenden an ihre Kindheit und bringt aufrichtige, tiefe Gefühle zum Vorschein. Auch in mir als Leserin berührte er etwas. Ich lächelte während der Lektüre unentwegt und wurde ganz weich. Ich spürte, wie sich in meinem Inneren etwas löste und hätte vor Rührung einige Male beinahe geweint. Vielleicht habe ich an der einen oder anderen Stelle sogar ein Tränchen vergossen. „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ ist schlicht bezaubernd; es ist eine zärtliche, warme Geschichte wie sanfter Kerzenschein, die ich fest in meinem Herzen einschließe und in den kommenden Jahren sicherlich immer wieder lesen werde. Anne Helene Bubenzer gelang etwas, was mir als Erwachsene schwerer und schwerer fällt: sie versetzte mich in Weihnachtsstimmung.

 

Nach der Lektüre dieses herrlichen Weihnachtsbuches hatte ich das Bedürfnis, mich bei meiner eigenen Teddybärendame für alles, was sie jemals für mich getan hat, zu bedanken. Bevor ihr fragt, ja, ich bin diesem Bedürfnis nachgekommen. Ich hoffe, dass ich für sie das Happy End darstelle, das Henry in „Das Weihnachtswunder des Henry N. Brown“ geschenkt wird, denn für ihn erfüllt sich ein Wunsch, von dem er gar nicht wusste, dass er ihn hatte. Vielleicht darf ich ihn eines Tages noch einmal wiedertreffen. Ich lausche ihm einfach so gern und sonne mich in seiner liebenswürdigen, sanftmütigen Ausstrahlung. Er erinnert mich an die Macht der Liebe und lässt mich an Wunder glauben. Er streichelt das Kind in mir. Danke Henry, danke Anne Helene Bubenzer für dieses magische Leseerlebnis, das mein Herz für Weihnachten öffnete.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/12/25/anne-helene-bubenzer-das-weihnachtswunder-des-henry-n-brown
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review 2018-08-10 09:05
Rambazamba in Stuttgart21
Wo die Löwen weinen: Kriminalroman (German Edition) - Heinrich Steinfest

Heinrich Steinfest sagt selbst: "Dies ist ein Roman über das Vorhaben, eine Stadt zu ermorden. Nie erschien mir die Form eines Kriminalromans passender, zwingender, befreiender."

 

Wie es Euch vom Buchcover und dem Klappentext gleichsam quasi mitten ins Gesicht springt, geht es um Stuttgart21. Der Krimi ist wundervoll eingebettet in Politik, Korruption, Vetternwirtschaft, Bürgerprotest, Aktivismus, Demos und organisierten Widerstand. Auf welcher Seite Steinfest steht, ist auch sonnenklar, denn keine Figur der herrschenden Kaste ist wohlwollend gezeichnet nur die Polizisten, die aber eigentlich gerade in diesem Fall zwischen den Fronten stehen, haben durchwegs sympathische menschliche Züge.

 

In der Gestaltung der Story hat sich Steinfest dramaturgisch etwas neues einfallen lassen der idealtypische Krimiplot ist diesmal umgedreht: Das Verbrechen wird aufgeklärt, bevor der Mord passiert. Wie immer strotzt die Geschichte nur so vor grandiosen Ideen: zum Beispiel ein politisch motivierter Attentäter als Heckenschütze, der keinen umbringt, aber dennoch seine Botschaft klar und unmissverständlich deponiert und ein sehr subversiver Aktivist einst auf der Seite der Mächtigen, der überraschend durch eine künstlerische Aktion, Politik und Polizei total ohnmächtig und blöd dastehen lässt. Das ist himmlisch!

 

Die Figuren sind wieder Mal bis zum Hund in einer Nebenrolle, der sehr philosophische Züge aufweist, total liebevoll entwickelt. Bis eben auf die Politiker, die Mächtigen und ihre Erfüllungsgehilfen, die ja eigentlich gar keine Menschen sind, sondern nur korrupte Hüllen und Karrikaturen von humanen Wesen, was sehrwohl beabsichtigt ist und durch den krassen Gegensatz zum übrigen Personal wahnsinnig gut ins Konzept passt.

Sprachlich ist Steinfest sowieso einer meiner Lieblingsautoren, er konstruiert wortgewaltig und sehr intelligent Wuchtln, Bonmots und Analogien, die man sich allesamt einrahmen und an die Wand hängen möchte.

 

"....aber die Würde ihrer Erscheinung, die Eleganz, mit der sie ihr Alter und die Wunden ihres Lebens trug, vor allem das Raumgreifende ihrer Bewegungen war unübersehbar. Wobei dieser Griff nach dem Raum eben nicht brutal war wie bei vielen machtvollen Männern, die dem Raum gern ein Leid antun, sondern sie gab dem Raum eine kunstvolle Stütze und verzierte ihn gleichzeitig."

"Lych redete beinahe völlig akzentfrei, da war nichts Bayrisches, keine Kanak Sprak, keine Mischsprache. Da war nur ein kleiner exotischer Klang, der jedem seiner Wörter einen kurzen Stoß verlieh. Wie beim Brustschwimmen, wenn die Beine nach hinten schnellen."

 

Fazit: Unbedingt lesen, auch wenn man sich mit Stuttgart21 nicht auskennt. Ein absoluter Pageturner spannend, klug, witzig, teilweise extrem realistisch dann wieder total abgedreht, sprachlich wundervoll. Ein echter typischer Steinfest eben in Höchstform.

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review 2015-12-23 09:12
Die Tränen flossen in Strömen
Was fehlt, wenn ich verschwunden bin - Lilly Lindner

Lilly Lindner wurde berühmt durch die Veröffentlichung ihrer Biografie „Splitterfasernackt“ im Jahre 2011. Zugegebenermaßen ist dieses Buch an mir völlig vorbeigegangen. Der Name Lilly Lindner schob sich erst in mein Bewusstsein, als ihr neuster Roman „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ durch die Blogs tingelte und in höchsten Tönen gelobt wurde. Die Begeisterung der Blogger_innen war so groß, dass ich entschied, es lesen zu wollen, obwohl ich Bücher zum Thema psychische Erkrankungen mittlerweile eher meide. Was mich überzeugte, war, dass es sich bei diesem Buch um einen Briefroman handelt und Lindner die Perspektive einer Angehörigen einnimmt.

 

Für die 9-jährige Phoebe ist ihre große Schwester das Zentrum ihrer Welt. Niemand versteht sie so wie April. Doch nun ist April fort. Ihre Eltern haben sie in eine Klinik gebracht, weil sie krank ist. Phoebe versteht nicht, was Magersucht eigentlich bedeutet, aber sie spürt sehr genau, dass die Krankheit ihre Familie zerreißt. Allein mit Millionen Fragen tut sie das einzige, das ihr einfällt, um mit der Sehnsucht nach ihrer Schwester fertig zu werden: sie schreibt April Briefe. Obwohl sie niemals eine Antwort erhält, schickt sie fast täglich Worte hinaus in die Stille. Denn nur die Worte ermöglichen es Phoebe, die Leere, die April hinterlassen hat, einen kurzen Moment zu ertragen.

 

„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist das emotionalste Buch, das ich 2015 gelesen habe. Lilly Lindner ist eine beeindruckend talentierte Schriftstellerin, die eine extreme Nähe zu ihren Figuren erzeugt und auf diese Weise eine starke emotionale Resonanz provoziert. Ich konnte gar nicht verhindern, dass die Tränen in Strömen flossen. Es tat einfach so weh, diese Briefe zu lesen. Die Geschichte der beiden Schwestern hat mir wieder und wieder das Herz gebrochen. Ich wusste bereits vorher, dass Lindner nicht nur Phoebe eine Stimme verleiht, sondern auch April, doch darauf, wie intensiv ihre Verbindung ist und wie sehr sie einander in ihrer dysfunktionalen Familie brauchen, war ich nicht vorbereitet. Die beiden Mädchen sind hochintelligent und zutiefst missverstanden. Ihre Eltern sind von ihrer Intelligenz so eingeschüchtert, dass sie sie wie eine Krankheit behandeln. Sie sind überfordert und beschneiden die Kreativität ihrer Töchter, statt Phoebe und April angemessen zu fördern. Sie erwarten von ihnen, dass sie sich wie „normale“ Kinder verhalten. April ist unter dem Druck, ihren Erwartungen gerecht werden zu müssen, zerbrochen. Ihre Magersucht ist ein verzweifelter, stummer Hilferuf, den ihre Eltern sich meiner Meinung nach schlicht weigern zu sehen. Sie interessieren sich nicht dafür, warum April nicht isst und verschwenden ihre Zeit lieber mit fruchtlosen Anschuldigungen. Dabei ist ihre Art, April zu behandeln, nur ein Ausdruck ihrer eigenen Hilflosigkeit und Ohnmacht. Sie wissen nicht, wie sie auf ihre Tochter eingehen sollen und reagieren deshalb mit Wut. Sie stellen die falschen Fragen – wie könnte April ihnen einleuchtende Antworten geben? Phoebe ist die einzige, die April erreicht, doch Phoebe ist ein Kind. Weder ist es ihre Aufgabe, April zu retten, noch ist sie stark genug, das volle Gewicht von Aprils Traurigkeit zu tragen.
„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist ein großartiges Buch, das mich emotional sehr mitgenommen hat, alle Dämme in mir brach und definitiv eine hohe Wertung verdient. Dennoch bin ich froh, dass zwischen dem Lesen und dieser Rezension etwa zwei Wochen lagen, in denen ich Zeit und den nötigen Abstand erhielt, diese gefühlvolle Geschichte objektiv zu betrachten. Je länger ich das Buch gedanklich sezierte, desto deutlicher wurde, dass mich aller Betroffenheit zum Trotz irgendetwas störte. Ich musste tief in mich gehen, um herauszufinden, über welche Kante ich immer wieder stolperte. Mein Problem mit „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ ist folgendes: ich sollte heulen. Ich hatte keine andere Wahl, als Mitleid mit Phoebe und April zu haben und Wut für ihre Eltern zu empfinden. Ich fühle mich von Lilly Lindner emotional manipuliert. Das Buch drückt absichtlich und wenig subtil auf die Tränendrüse. Es gestand mir sehr wenig Raum für eigene Gedanken und Gefühle zu; stattdessen habe ich vermutlich genau und ausschließlich das empfunden, was Lilly Linder von mir erwartete. Ich fühlte mich seelisch in eine Ecke gedrängt, als würde mich Lindner zwingen, so und nicht anders zu empfinden. Meines Erachtens nach hat sie deswegen auch darauf verzichtet, die hässliche, psychische Fratze der Anorexia nervosa zu zeigen. All der Zorn und die Zerrissenheit, die ich von einem magersüchtigen Teenager erwarten würde, fehlen April. Da ist kein Selbsthass, kein Selbstekel, keine einzige Empfindung, die für Leser_innen potentiell unverständlich sein könnten, sodass die Sympathie für sie ungetrübt bleibt. Ich verstehe zwar, warum es Lindner wichtig war, dass April in einem positiven Licht erscheint, doch ich fand das Bild des armen, missverstandenen, lieben Mädchens ohne Fehl und Tadel etwas einseitig und nicht völlig glaubhaft.

 

„Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ habe ich auf verschiedenen Ebenen meines Ichs unterschiedlich wahrgenommen. Emotional war dieses Buch ungeheuer verstörend; intellektuell fielen mir ein paar kleine Makel auf. Trotz dessen ist es für mich nicht im Geringsten schwierig, eine Bewertung festzulegen, denn die Gefühlsebene ist der objektiven, analytischen Ebene gegenüber immer dominant. Wenn mich ein Buch so zum Weinen bringt wie dieses, muss sich das einfach in der Anzahl der Sterne niederschlagen.
Solltet ihr mit dem Gedanken spielen, „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ zu lesen, muss euch klar sein, dass das kein Spaziergang wird. Es wird weh tun. Es wird euch aber auch eine Krankheit näherbringen, die bis heute stigmatisiert und tabuisiert wird.
Ich für meinen Teil nehme aus diesem Buch vor allem eines mit: tiefe Dankbarkeit für meine wundervolle, unterstützende Familie.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/12/23/lilly-linder-was-fehlt-wenn-ich-verschwunden-bin
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review 2015-05-27 06:59
Wenn Ozeane weinen
Wenn Ozeane weinen - Ben Bennett

Titel: Wenn Ozeane weinen

Autor: Ben Bennett

Verlag: Mira Taschenbuch

 

Worum es geht:
Amber Wood zieht mit ihrer Mutter im Alter von sechs Jahren bei den Teagardens ein. Die Familie hat zum dem Zeitpunkt gerade mit dem Verlust von Elena, der Dame des Hauses, zu kämpfen. Gerade ihr Sohn Taylor, der sich im selben Alter wie Amber befindet, leidet sehr darunter. Der Vater, welcher mit dem Verlust selbst nur schwer zurechtkommen zu scheint, setzt alles darauf, dass die beiden neuen Frauen im Haus, etwas an der Situation ändern können.
Ein Bootsausflug einige Wochen später bringt schließlich eine Wendung. Taylor, der nie schwimmen gelernt hat, fällt über Bord und scheint verloren, da sein Vater ihn nicht erreichen kann. Doch er taucht aus den Tiefen des Pazifiks wieder auf – in den Armen einer Meerjungfrau. Das kleine Mädchen ist so schnell wieder verschwunden, dass es von den Erwachsenen als einfache Sinnestäuschung abgestempelt wurde. Für Taylor beginnt jetzt die fieberhafte Suche nach seiner Retterin.
Doch als Mandy, wie Amber und er die Meerjungfrau getauft haben, elf Jahre später wieder auftaucht, wäre es für alle besser, ihr nie begegnet zu sein.

Was ich sage:
Ich liebe den Ozean. Meine Erwartungen an dieses Buch waren also hoch. Ich wollte  das Salz auf den Lippen schmecken und den Wind im Gesicht spüren. Meine Erwartungen dahingehend wurden auch tatsächlich erfüllt. Dank eines Schreibstils, der einen nicht nur an der Geschichte teilhaben lässt, sondern einen direkt reinzieht, konnte man das Meer praktisch vor sich sehen und die Trockheit der Wüste um sich herum fühlen.

Der Schreibstil bekommt von mir also schon mal volle Punktzahl. Ich bin wirklich hin und weg von diesem.

Die gesamte Geschichte ist aus der Sicht von Amber erzählt. Diese geht von der Erzählung gern ins Detail und holt auch mal aus der Vergangenheit aus. Das ist manchmal wirklich hilfreich und hilft dabei, sich noch weiter in die Geschichte hineinversetzten zu können. In anderen Momenten, in denen man wissen möchte, wie die Geschichte weiter geht, nervt es dann ziemlich, dass das Geschehen eine solch ausschweifende Einleitung braucht.

Ein weiterer negativer Punkt an der Wahl alles aus Ambers Sicht zu schreiben, ist dass man als Leser bei einigen Handlungssträngen nicht dabei ist. Wichtig für das Vorankommen der Geschichte ist es nicht, aber in einigen Fällen hatte ich das Gefühl, dass es sehr interessant hätte werden können.

Die Charakteren sind wirklich hübsch gemacht und sehr durchdacht. Man konnte sich eigentlich jeden von ihnen sehr gut vorstellen – sowohl äußerlich als auch charakterlich. Natürlich hat man hier nur die Beschreibung Ambers bekommen, doch man konnte sich ein sehr genaues Bild der Menschen des Buches machen.

Die Idee für die Geschichte war sicher nicht neu. Trotzdem sucht sie so umgesetzt sicher noch ihresgleichen. Ich habe es wirklich genossen sie zu lesen und jede Wendung und Kurve mitzunehmen, die es zu nehmen galt.

Fazit:
Toller Schreibstil in Kombination mit einer tollen Geschichte, ist definitiv eine sehr gute Zusammenstellung. Ganz perfekt war es leider nicht, daher muss ich einen Punkt abziehen und vergebe 4 von 5 Punkten.

 

Source: heelstohead.blogspot.co.nz/2015/05/wenn-ozeane-weinen.html
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