
»No need for a tow truck,« Alainn yelled. With another black cloud backfiring its farewell, her piece of scrap metal turned back onto the street.
– Chapter 1
Mit Ensnared begeben wir uns in die Welt einer neuen Märchen-Neuinterpretation, diesmal anhand der Geschichte von Die Schöne und das Biest! Dabei liefert das Buch mehr als man zunächst erwartet und verlegt die Handlung in eine nicht näher definierte Zukunft, in der künstliche Intelligenzen und Roboter zum Alltag gehören. Trotzdem wirkt die Szenerie nicht zu weit entfernt und trägt einen Hauch altmodischen Steampunks mit quietschenden Schrauben und tropfenden Ölkännchen in sich.
Die Schöne in Ensnared wird hier von Alainn verkörpert, der Tochter des etwas schusselig wirkenden Erfinders. Mit ihrem Charakter warm zu werden ist mir ein wenig schwer gefallen, da sie sich zu oft als Spielball benutzen lässt, obwohl sie eigentlich nicht auf den Kopf gefallen ist. Sie macht es ein wenig wett dadurch, dass sie einen knackigen Humor hat. Sowohl Alainns Vater als auch ihr Bruder Colby gehören dagegen zur Gattung »verrückter Professor«. Sie versinken so tief in ihren Forschungen, dass sie ihre Umwelt nicht recht zu bemerken scheinen und gerade zu Beginn kaltherzig und egoistisch wirken. Die häusliche Arbeit bleibt an Alainn hängen und die Fürsorge für ihren Vater führt schließlich dazu, dass sie sich freiwillig als Ersatz für den Roboter Rose in Lorccans Turm schicken lässt. Weder Vater noch Bruder protestieren in irgendeiner Form, dass Alainn für die Fehler ihres Vaters geradestehen will.
Neben den bereits bekannten Elementen der ursprünglichen Geschichte, fügt die Autorin Ensnared immer wieder auch eine bittere Note hinzu. Sie entfernt erfreulicherweise das oft kritisierte Stockholmsyndrom von „Belle“ und erzählt stattdessen die Geschichte zweier Menschen die jeder für sich, und letztlich beide gemeinsam, in ihrer jeweiligen Vergangenheit und Gegenwart gefangen sind. Die Figuren haben alle irgendeine Form von mentaler oder körperlicher Schädigung erlitten, viele von ihnen kämpfen seit Jahren gegen ihre Traumata an. Aus meiner Sicht hat es Lorccan, das Biest, am Schlimmsten erwischt. Rose 76GF hatte er in Auftrag gegeben, um zu lernen wie man mit Menschen spricht und umgeht, denn er hat sein Leben bisher ohne echten menschlichen Kontakt, zurückgezogen in seinem Turm, geführt. Die Gründe dafür habe ich als unglaublich traurig empfunden, weil sie oft weniger dramatisch gesehen werden als andere Dinge, aber sie zeugen von einem so tiefen und prägenden Vertrauensbruch, dass ich nicht umhin konnte einen gewissen Beschützerinstinkt zu empfinden. Überhaupt gibt es in Ensnared viele innovative Ideen und Änderungen an der Vorlage, es gibt aber auch Dinge die ich als moralisch richtig falsch empfinde. Die Beziehung zwischen Lorccan und Alainn ist gleichzeitig süß und traurig, an bestimmten Entwicklungsstufen aber auch einfach nur verwerflich, was Alainns Verhalten angeht.
Ich fand es teilweise schwierig zu glauben, dass man einen Menschen für einen Roboter halten kann. Auf die Distanz betrachtet vielleicht noch möglich, aber wie im Märchen entwickelt sich auch zwischen Lorccan und Alainn im Laufe der Zeit eine ebenso emotionale wie körperliche Nähe und da hatte ich dann meine Probleme. Man mag argumentieren, dass Lorccan keine Vergleichsmöglichkeit hat, da er außer seinen Eltern, nie einem Menschen tatsächlich real gegenüber gestanden hat. Trotzdem muss man sich etwas zwingen, ab einem gewissen Grad an Intimität, beide Augen zuzudrücken. Inhaltlich ist hier auch wieder eine kleine Warnung angebracht in Hinblick auf das Lesealter: es gibt recht blumig geschilderte Sexszenen, die zwar geschmackvoll umgesetzt sind, aber eben trotzdem nicht in Kinderhände gehören.
Da ich dieses Buch in einer noch unveröffentlichten Rezensionsfassung erhalten habe, hoffe ich, dass manche Mängel bis zum Release noch ausgemerzt werden. Denn es gibt stellenweise Längen die nicht sein müssten, Erzählperspektiven von Randfiguren die keinerlei Mehrwert haben und hier und da spröde Übergänge in der Handlung oder unzureichend geklärte Fragen. Es steckt aber so viel Potential in dieser Fassung, dass es trotzdem schon jetzt eine bewegende Geschichte mit unerwarteten Wendungen ist. Außerdem jagt einem diese ganze K.I. Sache einen Schauer über den Rücken, dass man die gruselige Wirkung schon wieder bewundern muss.
Fazit: Ensnared hat in der gegenwärtigen Fassung noch ein paar Defizite, trotzdem habe ich es in zwei Tagen weginhalieren müssen. Das Szenario macht Spaß und die nach und nach herausgeschälten Wahrheiten fügen diese Prise Kummer hinzu, die eine Geschichte bittersüß machen. Wer also Märchenneuerzählungen, Roboter und künstliche Intelligenzen mag, der wird mit Ensnared nichts falsch machen können und gelegentlich auch mal einen Lacher loslassen.