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review 2019-10-24 11:09
Magie und Verschwörungen auf offener See
The Red Wolf Conspiracy (Chathrand Voyages, #1) - Robert V.S. Redick

Robert V.S. Redick hat einen Master in Tropenschutz. Während seines Studiums arbeitete er in Argentinien, an der Patagonischen Küste. Elf Tage verbachte er auf Valdés, einer kleinen Halbinsel mit atemberaubender Flora und Fauna. Eines Morgens ging er allein spazieren. Es war neblig. Er sah hinaus auf den Südatlantik und plötzlich überfiel ihn die Vision eines gigantischen Schiffes, das vor seinen Augen an den Klippen zerschellte. Einige Jahre später wurde er auf die Libertad eingeladen, ein Segelschulschiff der argentinischen Kriegsmarine. An Bord erinnerte er sich an seine Vision und legte den Grundstein für seine High Fantasy – Reihe „The Chathrand Voyage“, die mit „The Red Wolf Conspiracy“ beginnt.

 

Sechs Jahrhunderte war die IMS Chathrand das Juwel der arqualischen Schifffahrt. Ihre gigantischen Ausmaße waren legendär, sie erlebte Kriege und Piraterie, bereiste die entlegensten Ozeane Alifros‘ und legte unzählige Seemeilen zurück. Sie war die letzte ihrer Art, ein Relikt einer vergangenen Epoche. Ihr allein gebührte es, zu der vielleicht wichtigsten diplomatischen Mission ihrer reichen Geschichte aufzubrechen: bemannt von 800 Seelen sollte sie Frieden zwischen Arqual und Mzithrin stiften. Doch an Bord gingen seltsame Dinge vor sich. Soldat_innen und Assassinen mischten sich unter die Seeleute, in den Eingeweiden des Schiffes versteckte sich das verhasste Volk der Ixchel und ein Schiffsjunge namens Pazel erlebte Fluch und Segen seiner rätselhaften Sprachtalente. Magie, Intrigen und Verschwörungen brachten sie auf ihrer bedeutenden Fahrt vom Kurs ab, bis eines Tages keine Nachrichten mehr in ihrer Heimat eintrafen. Vor der Insel Talturi, nicht weit entfernt von der Küste Mzithrins, wurde das Wrack ihres Langbootes und die Leichen der Besatzung gefunden. Ganz Arqual fragt sich: was ist mit der Chathrand geschehen? Kann das gewaltige Schiff tatsächlich verschollen sein?

 

Ich liebe Seefahrtgeschichten. Deshalb hatte Robert V.S. Redick mit „The Red Wolf Conspiracy“ bei mir eigentlich von Anfang an leichtes Spiel. Tatsächlich verliebte ich mich sofort in die IMS Chathrand; in meiner Fantasie ist sie eine beeindruckende Schönheit kaum vorstellbarer Dimensionen. Sie ist ein Mysterium und eine schwimmende Stadt; uralt, weitgereist und aus mittlerweile versiegten oder vergessenen Rohstoffen erbaut. Vermutlich kennt niemand alle ihrer Ecken und Winkel, weshalb sie voller Geheimnisse steckt, die sie, einer Lady angemessen, diskret bewahrt. Ich tollte in Gedanken neugierig und aufgeregt wie ein Kind über ihre sieben Decks und hatte Spaß daran, stetig Neues zu entdecken. Mein Forschergeist wurde durch das Wissen, dass die Chathrand offiziell verschwunden ist, zusätzlich angeheizt. Diese Information erhalten Leser_innen noch vor Beginn der Geschichte durch einen Zeitungsartikel. Sie bleibt im Verlauf präsent, weil Redick sich einer überraschenden Mischung von Stilmitteln bediente, um den Anschein einer Beweismittelsammlung zu erwecken. Briefe und Tagebucheinträge, die teilweise sogar kommentiert sind, ließen mich nie vergessen, dass der Verbleib der Chathrand ungeklärt ist. Ich brannte darauf, herauszufinden, was mit ihr geschehen ist und inwiefern ihr Verschwinden mit der vertrackten politischen Lage zwischen Arqual und Mzithrin zusammenhängt. Obwohl Redick die Handlung von „The Red Wolf Conspiracy“ mit dem Setting der Chathrand räumlich stark begrenzte, erschien sie mir niemals als isoliertes Kammerspiel. Es ist eindeutig, dass alles, was an Bord passiert, eine Folge seines lebhaften Designs der Welt Alifros ist. Arqual und Mzithrin sind tonangebende Nationen, die einen Konflikt austragen, in dem Intrigen und Diplomatie beinahe gleichbedeutend sind. Die heikle Friedensmission, die die Chathrand erfüllen soll und die durch mehrere Verschwörungen sabotiert wird, schlägt allerdings Wellen, die über diese beiden Akteure hinausgehen und unter anderem auch die Ixchel betreffen. Ich bin von diesen etwa 20cm winzigen Krieger_innen begeistert und kann gar nicht verstehen, wieso solche Völker nicht häufiger in der High Fantasy auftreten. Redick überzeugte mich mit vielen dieser frischen Ideen, die „The Red Wolf Conspiracy“ zu einem Selbstläufer hätten machen sollen. Unglücklicherweise entpuppte sich der Reihenauftakt hingegen als eine schwierige Lektüre. Ich kam nicht voran und habe ewig gebraucht, weil mich die seltsame Taktung der Geschichte immer wieder ausbremste. Jedes Mal, wenn der Spannungsbogen einen Höhepunkt erreichte, nahm der Autor die entscheidende(n) Figur(en) aus dem Bild. Zum Beispiel wird der Protagonist Pazel genau dann von der Chathrand verbannt, als sich die Aufdeckung einer Verschwörung anbahnt, weshalb ich die folgenden Entwicklungen nicht mehr miterlebte. Dadurch ergaben sich große Handlungssprünge, die Interessantes ausklammerten und stattdessen weniger wichtige Nebendramen fokussierten. Ich hatte Mühe, dranzubleiben und musste mich zwingen, weiterzulesen.

 

Grundsätzlich mochte ich alles, was mir Robert V.S. Redick in „The Red Wolf Conspiracy“ servierte. Trotz dessen empfinde ich die Geschichte bisher noch als recht unübersichtlich. Es ist nicht ganz leicht, allen inhaltlichen Verknüpfungen zu folgen. Zukünftig sollte der Autor Prioritäten setzen und sich auf das Wesentliche konzentrieren, statt ausschmückendes Beiwerk zu schreiben, das die ohnehin kniffelige Lage in Alifros zusätzlich verkompliziert. Gelingt ihm das, sollte sich das Problem mit der Taktung ganz von selbst lösen. Ich bin gewillt, ihm mit der Fortsetzung von „The Chathrand Voyage“, „The Rats and the Ruling Sea“, eine weitere Chance einzuräumen, denn ich glaube durchaus an das Potential der Reihe und möchte mehr von Redicks faszinierender Welt sehen. Außerdem weiß ich noch nicht, was mit der Chathrand geschehen ist und dieses Geheimnis muss ich einfach lüften. Dumm sterben ist keine Option.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/10/24/robert-v-s-redick-the-red-wolf-conspiracy
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review 2019-09-25 12:35
Ich habe den weißen Wal bezwungen!
Moby Dick - Herman Melville

Der Mann, der niemals irgendwo gescheitert ist, kann nicht groß werden. – Herman Melville

 

Die Biografin Laurie Robertson-Lorant schrieb über Herman Melville, man könne ihn entweder als gescheiterten Schriftsteller charakterisieren oder als verkanntes Genie und Visionär. Melville gehört zu den tragischen Figuren der Literaturgeschichte, die erst weit nach ihrem Tod die Anerkennung erlangten, die sie verdienen.

 

1819 in New York geboren, nach einer Kindheit, die vom Bankrott seines ehemals wohlhabenden Vaters geprägt war, fuhr Melville im Alter von 20 zur See und erlebte fünf äußerst turbulente Jahre auf Handelsschiffen, Walfängern und sogar einer Kriegsfregatte. Er desertierte, heuerte wieder an, war Teil einer Meuterei, wurde ins Gefängnis geworfen, floh und bereiste weite Teile des Atlantiks und Pazifiks. Er war ein Abenteurer. Zurück in New York verarbeitete er seine Erlebnisse in zwei erfolgreichen, überwiegend fiktiven Reisedokumentationen, „Typee“ (1846) und „Omoo“ (1847). Leider stellten diese beiden Romane bereits den Höhepunkt seiner literarischen Karriere dar, an den er nie wieder anknüpfen konnte. Nicht einmal mit dem Buch, für das er heute am besten bekannt ist: „Moby-Dick“.

 

Melville litt unter der gesellschaftlichen Zurückweisung, erkrankte an Depressionen und konnte sich nur schwer mit der Missachtung der Kritiker abfinden. Dennoch gab er das Schreiben niemals auf, veröffentlichte weiterhin Romane und Kurzgeschichten und wandte sich vermehrt der Lyrik zu. Als er im September 1891 im Alter von 72 Jahren starb, hinterließ er die unveröffentlichte Gedichtsammlung „Weeds and Wildings“ und ein fragmentarisches Manuskript namens „Billy Budd“, das erst 1919 von seinem Biografen Richard Weaver entdeckt und 1924 überarbeitet veröffentlicht wurde. Bei seinem Tod war der kurzzeitige literarische Star Herman Melville längst in Vergessenheit geraten. Die New York Times widmete seinem Nachruf lediglich ein paar Zeilen.

 

Rückblickend geht man davon aus, dass Melville seiner Epoche zu weit voraus war. In seinen Werken finden sich Techniken und Stilmittel, die erst in den 1920er Jahren populär wurden und seine zeitgenössische Leserschaft überforderten. Es überrascht daher nicht, dass Melville auch erst anlässlich seines 100. Geburtstags wiederentdeckt und sein literarisches Schaffen neubewertet wurde. Seitdem gilt er als Vorreiter der Moderne und als einer der Väter der US-amerikanischen Literatur, an dem sich Literaturwissenschaftler_innen aus verschiedensten Perspektiven abarbeiten.

 

„Moby-Dick“, Melvilles monumentaler Roman, erschien 1851. Die Druckgeschichte des Buches wirkt aus heutiger Sicht absurd: der Setzer arbeitete bereits daran, während Melville noch schrieb und Korrekturen anordnete. Das ursprüngliche Manuskript ist nicht erhalten, ein für Melville-Forscher_innen unglücklicher Umstand, weil „Moby-Dick“ zwar in England und den USA mit nur etwa einem Monat Abstand originalveröffentlicht wurde, sich die beiden Ausgaben jedoch stark unterschieden. Die britische Ausgabe wurde Opfer der Zensur, die „antiroyalistische“ und religionskritische Passagen strich. Außerdem fehlte der Epilog. Die US-amerikanische Ausgabe hingegen verzichtete auf viele der nachträglichen Änderungen, weil diese nicht mehr eingearbeitet werden konnten. Trotz dessen konnten beide Versionen ein literaturhistorisches Novum vorweisen. Die britische Ausgabe erschien unter dem unspezifischen Titel „The Whale“; auf dem US-amerikanischen Cover war „Moby-Dick; or, The Whale“ zu lesen. Damit war dies der allererste Roman, dessen titelgebende Hauptfigur ein Tier war, noch dazu mit Eigennamen.

 

Für mich entwickelte „Moby-Dick“ über die Jahre ohne mein Zutun eine beinahe unheimliche Eigendynamik. Ich hatte immer vor, das Buch zu lesen, dieses Schwergewicht unter den Klassikern. In meiner Vorstellung lag ich im hohen Alter auf meinem Sterbebett und flüsterte „Aber den Wal, den hab ich gelesen“. Das mag seltsam klingen, aber ich glaube, dass viele Leser_innen sich literarische Meilensteine setzen, die sie im Laufe ihres Lebens unbedingt abhaken wollen. Für mich war es eben „Moby-Dick“.
Im Juni 2015 lachte mich eine günstige deutsche Ausgabe von dem Wühltisch eines Antiquariats an, die ich freudig und kurzentschlossen mit heimnahm. Es war das letzte Mal für lange Zeit, dass mir das Buch positive Emotionen vermittelte.

 

Anfangs betrachtete ich den Wal in meinem Bücherregal mit der üblichen Zutraulichkeit. Ich vertraute darauf, dass seine Zeit kommen würde und setzte mich nicht unter Druck. Doch die Jahre vergingen und irgendwie gelang es dem Wal, zunehmend Raum in meinem Hinterkopf einzunehmen und darin herumzuspuken. Wann immer das Thema auf Bücher kam, die ich längst gelesen haben wollte, schlug er heftig mit seiner Schwanzflosse und machte auf sich aufmerksam. Ich stellte fest, dass mich die ausstehende Lektüre einschüchterte. Es ist ein dickes Werk von über 800 Seiten, geschrieben in einer Zeit, in der Eingängigkeit noch nicht als Ziel der Literatur verstanden wurde. Ich begann, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit anderen Leser_innen über „Moby-Dick“ zu sprechen, um aus ihren Erfahrungen eine Ahnung dafür zu entwickeln, was mich erwartete und meine Ängste zu lindern. Leider hatte diese Taktik eher den gegenteiligen Effekt. Langweilig und langatmig sei der Wal, eine Qual und überhaupt keine angenehme Lektüre.

 

Mir schlotterten die Knie. In meinem Kopf verwuchs sich das Buch „Moby-Dick“ mit seinem tierischen Titelhelden und ich verwandelte mich in eine abstruse Version von Kapitän Ahab: das Subjekt der Begierde und der obsessive Jäger (bzw. die Jägerin), auf ewig vereint in einem unvollendeten Tanz. Ich hatte die Befürchtung, niemals bereit zu sein. Ich sehnte und bangte dem Moment gleichermaßen entgegen.

 

Dann wurde ich im Juni 2019 nach meinen „SuB-Leichen der Schande“ gefragt, also nach ungelesenen Büchern, die ich schon lange vor mir herschiebe. Der weiße Wal in meinem Kopf flippte aus. Er veranstaltete einen spektakulären Zirkus und überflutete mich mit Wellen des schlechten Gewissens. Ich begriff, dass ich längst bereit war. Meine Sorgen, mein Respekt vor der Lektüre, blockierten mich. Als mir das klar wurde, regte sich endlich mein alter Freund, der Trotz. Ich ärgerte mich über mich selbst und entschied, dass ich dem Wal nicht länger erlauben wollte, munter vorwurfsvoll durch meinen Geist zu planschen. Es reichte. Daher nahm ich im Juli 2019 meinen ganzen Mut zusammen und holte ihn aus dem Regal. Ich würde es schaffen. Ich würde „Moby-Dick“ lesen und den weißen Wal erlegen. Komme, was da wolle.

 

Treiben ihn Geldnot und Fernweh um, fährt Ismael als Matrose zur See. Nach Jahren, in denen er sich auf Handelsschiffen verdingte, will er erstmals auf einem Walfänger anheuern und reist nach Nantucket, in das stolze Herz des US-amerikanischen Walfangs. Drei Schiffe liegen dort zum Auslaufen bereit. Das Schicksal führt ihn auf die Pequod und in die Arme des finsteren Kapitän Ahab. Ahab ist ein Veteran des Walfangs, weitgereist und mit jeder Unbill der eifersüchtigen See vertraut. Doch seit seiner letzten Reise brennt die unheilige Flamme des Hasses in ihm. Damals traf er auf Moby Dick, den legendären weißen Wal, den gefürchteten Leviathan und musste ihm sein Bein opfern. Seitdem wird Ahab von erbarmungslosen Rachegelüsten gepeinigt. Um jeden Preis will er den weißen Wal erlegen und schreckt nicht davor zurück, die Besatzung der Pequod auf seine obsessive Jagd einzuschwören. Der Atem des Todes bläht die Segel auf ihrer verhängnisvollen Fahrt…

 

Sieg! Es ist mir gelungen! Ich habe den weißen Wal bezwungen! Und wisst ihr was? Es war viel weniger schlimm, als ich befürchtet hatte. So ist das ja oft im Leben. Natürlich muss man während der Lektüre damit zurechtkommen, dass „Moby-Dick“ grundsätzlich sehr weitschweifig, ausholend und überwältigend detailverliebt ist. Ja, manchmal erscheint es langatmig, manchmal langweilig und manchmal beides. Aber eben nicht nur.

 

Der Klassiker, der Herman Melville unsterblich machte, enthält durchaus spannende und interessante Passagen und strotzt nur so vor Wissen. Aus der Ich-Perspektive des neunmalklugen Matrosen Ismael, der sich gleichermaßen als Chronist, Kommentator und Dozent versteht, vermittelt Melville zahlreiche Informationen, die ich als Bereicherung empfand. Ich weiß jetzt alles, was es über den US-amerikanischen Walfang im 19. Jahrhundert zu wissen gibt. Seine Darstellungen wirkten auf mich äußerst akkurat; man spürt, dass der Autor eigene Erfahrungen sammelte und höchstpersönlich erlebte, wie Wale auf offener See gejagt, erlegt und verarbeitet wurden. Dieser reiche Erinnerungsschatz befähigte ihn, jeden noch so winzigen Aspekt der Walerei eingehend zu beleuchten.

 

Mich faszinierten vor allem seine Ausführungen über die Cetologie, die Wissenschaft der Wale, die ich neugierig mit aktuellen Wikipedia-Artikeln abglich. Es erstaunte mich, dass sich unsere Erkenntnisse über Pottwale seit 1851 kaum erweiterten. Noch immer ist die Tragzeit von Pottwalkühen unbekannt, ebenso wie die Funktion des Spermaceti, das feine Öl in den Köpfen der Pottwale, das auch Walrat genannt wird und der Hauptgrund für die Pottwaljagd war. Die maximale Tauchtiefe der Meereskolosse kann lediglich anhand von Nahrungsresten, die in den Mägen verendeter Exemplare gefunden wurden, gemutmaßt werden. 3000 Meter und mehr sind möglich. All diese Punkte sprach Melville bereits an, was mir bewusst machte, wie unerforscht die Tiefsee bis heute ist. Prinzipiell war mir das lange vor der Lektüre von „Moby-Dick“ klar, doch schwarz auf weiß zu lesen, dass sich der Wissensstand über Pottwale in über 150 Jahren nur minimal vergrößerte, transportierte diesen Fakt in eine für mich greifbare Realität.

 

Auf andere Wissensfelder, die Melville erläutert, hätte ich hingegen gut verzichten können. Ich hätte wunderbar weiterleben können, ohne genauestens über die Beschaffenheit und Einsatzmöglichkeiten diverser Leinen, Haken und anderer Hilfsmittel auf einem Walfänger informiert zu werden. Ich gebe zu, hin und wieder langweilte ich mich fürchterlich, doch ich kann Melville seine Akribie verzeihen, weil ich durchaus einsehe, dass er ein vollständiges Bild des Walfangs anfertigen wollte. Es ist nun mal wichtig, zu visualisieren, wie eine Leine durch ein kleines Fangboot lief, um zu verstehen, warum von dieser eine große Gefahr für die Mannschaft ausging, die ihr in unglücklichen Fällen Körperteile oder gar gleich das Leben opfern musste, wenn ihr Zug die Matrosen ins offene Meer warf. Außerdem half es mir, dass Melville überwiegend kurze Kapitel einsetzte. Es fiel mir dadurch leichter, mich durch einschläfernde Abschnitte durchzubeißen, denn ich hangelte mich an der Aussicht entlang, dass es bald wieder besser werden würde. Tatsächlich gilt die exzessive Unterteilung von „Moby-Dick“ als Markenzeichen Melvilles und wurde von Literaturwissenschaftler_innen sinngemäß als „seine Methode der Beherrschung der Schreibkunst“ bezeichnet.

 

Wer nun allerdings glaubt, „Moby-Dick“ sei nicht mehr als eine Abfolge von Beschreibungen des Walfangalltags, irrt gewaltig. Schließlich ist da ja immer noch der gruselige Kapitän Ahab und seine wahnhafte Rachemission. Diese grundlegende Handlungslinie verlor Melville niemals aus den Augen, häufig zeigt sie sich jedoch subtil, indirekt und primär durch die Atmosphäre, die die Pequod umgibt. Melville gelang es hervorragend, seinem Roman eine metaphysische Ebene zu verleihen, auf der er die kommenden katastrophalen Ereignisse bereits vorzeichnete. Die Handlung selbst weist eine deutlich wahrnehmbare Zuspitzung auf, eine Abwärtsspirale, die von wachsender Manie und Unausweichlichkeit gekennzeichnet ist. Je weiter sich die Pequod von Nantucket entfernt, desto häufiger erfährt die Mannschaft von Sichtungen des weißen Wals und desto fieberhafter gestaltet sich ihre Jagd. Den Einfluss von Ahab empfand ich dabei als beklemmend unheimlich. Seine Obsession vereinnahmt Stück für Stück den Rhythmus seines Schiffes und infiziert die Besatzung, bis seine irrationale Fehde mit Moby Dick auch die ihre und nichts anderes mehr von Belang ist.

 

Ahab ist eine finstere Figur, der ich außerhalb der Seiten des Buches wirklich nicht begegnen möchte. Er strahlt eine autoritäre Aura der Selbstzerstörung aus, die mich einschüchterte, meinen Mund austrocknete und mir Schauer über den Rücken jagte. Sein vernunftwidriger Hass auf ein Tier, dem er willentlich bösartige Absichten unterstellt, auf das er scheinbar alles Negative der Welt und in seinem Leben projiziert, ist einfach verrückt. Unter Seeleuten hatte Aberglaube damals eine gewisse Tradition (vielleicht ist das heute noch so), doch angesichts all des Wissens, das Ismael aufzählt, kann ich mir nicht vorstellen, dass Wale tatsächlich noch für Seeungeheuer gehalten wurden. Deshalb steht die grundsätzlich sehr realistische Darstellung des Lebens auf einem Walfänger, um die sich Melville bemühte, in krassem Kontrast zu Ahabs psychotisch-paranoider Überzeugung, sich in einem privaten, gegenseitigen Krieg mit Moby Dick zu befinden. Ich denke, dieser Widerspruch ist beabsichtigt, weil ich glaube, dass Melville gezielt einen Charakter erschaffen wollte, dessen innere Dämonen sich in dem ewigen Kampf zwischen Mensch und Natur widerspiegeln. Ahab trägt vielmehr den Konflikt mit sich selbst als den Konflikt mit Moby Dick aus. Ich hatte sogar das Gefühl, dass der düstere Kapitän den Tod sucht und gar nicht damit rechnet, heimzukehren. Selbstmord durch Wal.

 

Die Frage, die sich mir deshalb aufdrängte, lautet: geht es in „Moby-Dick“ überhaupt um Moby Dick? Meiner Meinung nach nicht. Schließlich taucht der weiße Wal erst ganz am Ende des Buches auf und ist in der übrigen Zeit eher ein substanzloses Phantom, ein Gerücht, dem die Pequod nachjagt. Ich glaube, „Moby-Dick“ ist einerseits eine Art Imagekampagne für den damals stark mit Vorurteilen, Unglaube und Missbilligung behafteten Walfang und andererseits eine tiefsinnige Untersuchung des Kampfes des Menschen mit den dunklen Abgründen seiner Seele. Der Wal Moby Dick dient lediglich als Medium.

 

Es wundert mich nicht, dass diese anspruchsvolle, komplexe und unkonventionelle Kombination Melvilles damaliges Publikum überforderte. Ich bin keine Literaturhistorikerin, aber ich vermute, dass die Leserschaft zu dieser Zeit noch nicht daran gewöhnt war, zwischen den Zeilen nach versteckten Bedeutungen zu fahnden und die Atmosphäre als existenziellen Bestandteil der Handlung zu interpretieren. Demzufolge glaube auch ich, dass Herman Melville seiner Epoche weit voraus war. Es ist bedauerlich, dass er nie erleben konnte, wie sein großer Roman zum Klassiker der Weltliteratur erhoben wurde.

 

Für mich war „Moby-Dick“ ein überraschend flüssig geschriebener Klassiker, der mich deutlich weniger folterte, als ich angenommen hatte. Die Lektüre war kein überschäumender Spaß, denn die vielen umfassenden Schilderungen des Walfängeralltags sind definitiv nicht immer reizvoll und manchmal verfluchte ich Ismael dafür, dass er nicht einfach zum Punkt kommen konnte und unterstellte ihm, sich selbst allzu gern reden zu hören, aber dennoch hatte ich den Eindruck, dass für das Gesamtwerk kein Satz, kein Wort überflüssig ist. Alles hat seinen Platz in Melvilles Komposition und erfüllt einen Zweck. Das Buch hat mir neues, spannendes Wissen vermittelt und meine Gedanken stimuliert, ganz so, wie Melville es meiner Ansicht nach beabsichtigte. Ich finde, dass „Moby-Dick“ seinen Status als Weltliteratur verdient, allerdings weniger aufgrund der Geschichte an sich, sondern aufgrund der Geschichte im historischen Kontext. Es ist beeindruckend, wie experimentell Melville vorging, wie mutig er Stilmittel einsetzte, die damals noch nicht zum guten literarischen Ton gehörten und auf diese Weise eine Erzählung niederschrieb, die bis heute viele Interpretationsansätze zulässt. Ich bin stolz, „Moby-Dick“ endlich gelesen zu haben. Jetzt kann ich beruhigt sterben und auf meinem Totenbett berichten, dass ich den Wal erlegt habe.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/09/24/herman-melville-moby-dick
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review 2019-03-11 15:50
Tierliebe Nachhaltigkeit und Nutztierdachhasen*
Schiff oder Schornstein - Andrea Stift-Laube

Die Autorin hat ihren Roman in ein ethisch philosophisch sehr interessantes Setting eingebaut: Tierliebe und Tierschutz, Veganismus, nachhaltige und ressourcenschonende Lebensweise, Austeigerleben in der Kommune, ökologisches Engagement bei Greenpeace, ökologische Gesamtbetrachtung von allen Komponenten, Tierschutz im Konflikt mit Artenschutz … All diese Themen und Positionen, die vor allem von Menschen, denen der Planet nicht egal ist, durchaus sehr kontrovers diskutiert und verbissen gegeneinander verfochten werden, werden sehr konsistent und glaubwürdig in den Plot und in die sich nach und nach entwickelnden Meinungen der Protagonisten eingewoben.

 

Basierend auf der Geschichte zweier Schwestern, von denen eine plötzlich nach einem Greenpeace Einsatz spurlos verschwunden ist, wird die Vergangenheit in der Familie, die Kindheit der beiden Mädchen und die Entwicklung zum gegenwärtigen Weltbild und der nachhaltigen Lebensweise Schritt für Schritt verständlich aufgerollt. Das beginnt in der Kindheit bei der ersten Verweigerung von tierischen Lebensmitteln respektive Schnecken und endet bei dem derzeitig ökologisch geprägten Lebensstil. Dabei haben die Schwestern mit ähnlichen Prinzipien im Detail auf Grund ihres unterschiedlichen Charakters und ihrer differierenden Lebenssituationen – eine der beiden Schwestern ist nicht bei den Eltern sondern bei der Großmutter aufgewachsen – durchaus unterschiedliche Positionen zu dem Thema Nachhaltigkeit und Öko-Kampf. Ila, die von der Oma geprägt wurde, denkt sehr ganzheitlich und pragmatisch, grenzt sich aber auch persönlich vom missionarischen Eifertum ihrer Schwester ab und ist nicht so risikofreudig und geduldig mit Menschen wie Franziska, die ja nun spurlos verschwunden ist.

 

Mit ins Spiel kommt dann auch noch Konstantin, Kommunenpartner von Franziska und in diese hoffnungslos verliebt, der eigentlich mit seiner ökologischen Einstellung nur ein bisschen gegen den konventionellen Fleischerzeugungsbetrieb seiner Eltern oder vielleicht sogar nur gegen seine Eltern rebelliert.

 

Nach zwei Dritteln des Romans wird ein ganz heißes Eisen an der Ökofront aufgegriffen und in die Story eingewoben. Auf der Suche nach und in Erinnerung an die verschwundene Franziska nähern sich Konstantin und Ila an und beginnen gemeinsame Ideen umzusetzen. Die nachhaltigen Tierschützer und Öko-Faserschmeichler entwickeln sich zu beinharten Artenschützern und gründen den Katzenfleischversand Felifell. Was eigentlich als fiktives Kunstprojekt beginnt, um einen inszenierten Skandal zu verursachen, die Tierschützer zur Diskussion über Artenschutz anregen und allen anderen gedankenlosen Menschen ihre Scheinheiligkeit vor Augen führen soll, wird zumindest als Konstrukt, Marke und im Rahmen eines Webauftritts Realität. Da die Katzenpopulation im ganzen Land unbeherrschbar wächst und alle mittlerweile stark bedrohten Tierarten wie Singvögel, Maulwürfe und Insekten… meuchelt, sollen sie anstatt der Schweine als Nutztierfleisch herhalten. Diese Idee hat im Sinne von Artenschutz etwas zwingend Logisches und hält zudem den doch zu Haustieren sehr affinen Personen, die sich gar nicht für Ökologie interessieren, einen Spiegel vor, um sie zum Nachdenken zu bringen, wie sie mit Schweinen und Hühnern und anderen Nutztieren umgehen. Selbstverständlich sollen die hypothetischen Nutztierkatzen biologisch und artgerecht gehalten werden und mit 6 Monaten, bevor das Fleisch zäh wird und die Tiere ihren Jagdtrieb voll ausleben, geschlachtet werden.

… denn nur mit einem Angriff auf den liebsten Begleiter des Österreichers, Hund oder Katz, sei es möglich, einen Diskurs über ethische Bedenken bezüglich des Verzehrs von Nutztierfleisch loszutreten, ja über den Konsum tierischer Ressourcen überhaupt. Die anderen machten sich über Felifell lustig. Der Name sei eine Verhöhnung der haustierliebenden Bevölkerung. Und dann erst die von uns angebotenen Produkte. Felifell Falafel, gefrorene Fleischbällchen im Zehnerpack. Feligulasch im Recycling-Glas. Felifischerl im Stück.

Neben dem Skandal und den einhergehenden Morddrohungen wird die Story um das fiktive Kunstprojekt noch um einen Tick kurioser, denn unvermittelt tauchen die Chinesen auf, versuchen Ila und Konstantin zu korrumpieren und bieten den beiden für ihre Geschäftsidee, die Marke, den Namen und die Website einen Batzen Geld. Die nachhaltige öko-zertifizierte Katzenfleischzucht soll Realität werden. Auf diesem Weg lässt sich der Fleischerzeugersohn verführen, korrumpieren, er hintergeht Ila und verkauft das Konzept tatsächlich hinterrücks an die Chinesen. Die Katzenfleischfabrik Felifell wird grausame Wirklichkeit. Solche schrägen Geschichten und unerwartete Wendungen zum Nachdenken liebe ich übrigens sehr.

 

Leider ist das Ende wieder mal sehr unbefriedigend. In der Kernstory, also in der Angelegenheit der verschwundenen Franziska, tut sich gar nichts. Weder wird bis zur letzten Seite eine Leiche gefunden, noch taucht sie nach Jahren lebend wieder auf. So etwas ist für mich als Leserin genauso unbefriedigend wie für echte Betroffene, die auch wissen wollen, was nun wirklich passiert ist, um mit der Geschichte abschließen zu können. Angehörigen von Abgängigen ist es sogar lieber, wenn eine Leiche gefunden wird. Sie wollen so einen unendlichen Schwebezustand schon in der Realität nicht akzeptieren, geschweige denn in einer erfundenen Geschichte ist das ein adäquater Abschluss oder gutes Schreibhandwerk.

 

Manchmal frage ich mich ob des grassierenden inflationären Einsatzes des Stilmittels, in der Kernfrage einer Geschichte einfach auf der letzten Seite symbolisch den Bleistift fallen zu lassen, ob die angehenden Schriftsteller jetzt in den kreativen Schreibschulen lernen, dass ein offenes Ende so cool ist? Ist das so eine unnötige Mode wie damals die ach so pseudoinnovativen abgeschnittenen sinnlosen Porträtbilder, auf denen die dargestellte Person manchmal gar nicht mehr erkennbar war? Ein Finale mit drei möglichen Ausgängen wie bei Ishiguros „Damals in Nagasaki“ finde ich grandios, aber ein völlig offenes Ende finde ich total entbehrlich, schlampige Arbeit und einfach Leserverarsche.

 

Fazit: Bis auf den Schluss eine ausgezeichnete Geschichte, sehr gut konzipierte Figuren, das ethische Thema wird in vielen Facetten beleuchtet, regt zum Nachdenken an und ist zudem auch noch kurios und mit schwarzem Humor präsentiert. Lesenswert!

 

*Dachhase ist eine alte kulinarische Bezeichnung für ein Katzengericht. Zu Zeiten der 2. Türkenbelagerung Wiens 1683 sollen sich die ärmeren Bevölkerungsgruppen mangels anderer Nahrung unter anderem von Katzenfleisch ernährt haben.

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review 2018-03-09 18:31
An Accessible, Beautiful Focus on the Rarest Orchids
Rare and Exotic Orchids: Their Nature and Cultural Significance - Joel L. Schiff

At first glance, Rare and Exotic Orchids: Their Nature and Cultural Significance seems yet another science book discussing the botany and natural history of orchids; but Joel L. Schiff's added focus on their cultural importance and why international communities around the world take special note of orchids adds an extra dimension to the subject.

 

Orchid aficionados will find Rare and Exotic Orchids's different approach eschews the more common attempt to classify and cover thousands of species in favor of a more concentrated profile of selected exotics which represent some of the rarest plants on Earth.

 

An opening history of orchids from ancient to modern times moves into botanical discussions of orchids, those who grew, studied, and wrote about them, and their place in a range of international societies.

 

From discoveries of new exotic orchids and how individual plants captured different hearts and minds to early explorers who ventured into unknown territory in search of new species, Joel L. Schiff brings to life not just the science surrounding orchids, but the human process of recognizing, cataloging, and appreciating them.

 

While science readers will appreciate the wealth of visual illustrations and technical discussions that reveal controversies as well as insights into orchid biology, technical details are juxtaposed with lively debates, discussions, history, and facts that even casual orchid fans or newcomers to the topic will find surprisingly easy to understand.

 

Schiff's high-quality images of exotic orchids (many of which are unique to his orchid book) nicely supplement facts that include the latest DNA research on orchids and their deceptive evolutionary behaviors, nicely complimenting the discussions of historical and scientific conundrums.

 

It's this approach, combined with lovely close-up color photos throughout, which makes Rare and Exotic Orchids a recommendation not just for professionals or botany libraries, but for general-interest readers who will enjoy a highly accessible study that invites an in-depth interest in orchids and their importance to human affairs.

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review 2017-09-21 00:00
The Witches: Salem, 1692
The Witches: Salem, 1692 - Stacy Schiff This is all about the trials. It tells how they started, details about the different people and trials and what came after. Some parts were interesting to me, but sometimes it was just more of the same facts with another trial so similar to the one before. It's crazy and scary that something like this happened.
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