Gemäß meines Ziels schwerpunkmäßig österreichische Literatur zu lesen und weniger bekannte österreichische Autoren zu empfehlen, möchte ich Euer Augenmerk auf diesen Roman lenken. Trotz der etwas reißerischen Aufmachung von Cover, Rückentext, Titel und der Kritiken, die schon fast als Drohung den Begriff innovativ und humorvoll zitieren, ist dieses Buch kein Roman mit schenkelklopfendem Witz aus hinterhältigen Bergdörfern, auch kein furchtbares, extrem gewalttätiges Heimatdrama mit unglaublichen Tragödien in der isolierten Bergwelt und auch keine kitschige Liebesschnulze am Berg, sondern ein ganz normaler, brillant geschriebener Generationenroman über ein dennoch ganz normales, abgeschottetes Dorf und eine Familie, die auf Grund ihrer Intelligenz und ihres Wissensdurstes zwar immer ein bisschen am Rande der Dorfgemeinschaft agiert, sich aber dennoch integriert.
Die Story von St. Peter und der Familie Irrwein beginnt mit dem Großvater, der nach einem vermuteten Kuckuckskind und einem überlebten Bandwurm – an sich bis auf das Ende beinahe schon die kuriosesten Wendungen im Plot – aus dem von der Umwelt isolierten Bergdorf auszog, um in der Stadt Medizin zu studieren. Als die Ehefrau krank wird und stirbt, kehrt er zurück, installiert eine Arztpraxis am Berg und übernimmt die Erziehung seiner Tochter beziehungsweise später dann jene seines wissbegierigen Enkels.
Die Dorfgemeinschaft und alle handelnden Figuren werden sehr liebevoll von der Autorin mit all ihren Stärken und Schwächen skizziert, die ganz alltäglichen Probleme der Familie Irrwein werden unter diesen speziellen Rahmenbedingungen geschildert, die Nöte eines alleinerziehenden Vaters mit der Tochter, die nicht so gerne lernen will, nicht aus dem Dorf weggehen will, um zu studieren und letztendlich den „falschen Mann“ (aber nur aus der Sicht ihres Vaters) heiratet, die Konflikte mit der Tochter, weil sich der Großvater in die Erziehung des hochbegabten Enkels einmischt …
Als der Opa bei einem Hilfseinsatz als Arzt stirbt, geht die Generationengeschichte mit Fokus auf seinen Enkel weiter, der so anders ist als alle anderen in St. Peter und die Dorfgemeinschaft ablehnt. Seine Jahre im Gymnasium des Konvents werden ebenso beschrieben, wie seine Rückkehr ins Dorf auf Grund seiner verpatzten Matura und dem Umstand, dass er letztendlich durch einen Zufall doch noch seinen sinnvollen Platz im Gefüge der hochalpinen Gemeinschaft findet.
Wobei das Happy End ist mir dann fast um eine Nuance zu happy und unwahrscheinlich. Vereinbart doch glatt Johannes A. Irrwein als Schreiber des Fußballclubs FC St. Peter unvermutet ein Freundschaftsspiel mit Hamburgs FC St. Pauli, weil dieser Verein grad 100 Jahr alt geworden ist, und die Analogie, dass der kleine Alpen-Peter mit dem großen Paul spielt, auch genauso genial verrückt findet wie ich. Ok diese unwahrscheinliche Kuriosität gefällt mir sehr. Letztendlich – und da wird es fast zu kitschig – erhebt sich das Dorf aus seiner selbstgewählten Isolation, neutralisiert die alten Querulanten bzw. Verhinderer (natürlich nicht gewalttätig, sondern liebevoll) und öffnet sich mit einem unglaublichen Fußballfest dem Leben da draußen.
Stilistisch haben mir weiters die kurzen historischen Abrisse vor jedem Kapitel wahnsinnig gut gefallen. Sie zeigen, analog zu Johannes A. Irrwein, der wie Herodot ein Ethnienforscher werden möchte, wie und in welcher Form sich das Dorf über die Jahrhunderte von der Umwelt abgegrenzt hat. Da kommen auch kuriose Geschichten heraus, zum Beispiel dass Maria Theresia wegen der Einführung der Schulpflicht und weil sie eine Frau war, im Dorf gehasst wurde, ebenso wie ihr Sohn, der Chaot Josef, Kaiser Franz Josef und seine Sissi aber wegen ihrer Naturverbundenheit geschätzt wurden, wie mit Gemeindebuchfälschungen die Männer des Dorfes vor einer Einberufung als Soldaten im 2. Weltkrieg bewahrt wurden, die Einstellung der Dorfjugend zum 1. Weltkrieg, zu Napoleon, zum bischöflichen Kloster in der nächsten Ortschaft und vieles mehr. Dieser Stilgriff passt inhaltlich zum Thema, denn er erklärt die historischen Ursachen der Isolation und ist perfekt in den Plot integriert, da er die Aufzeichnungen von Johannes A. Irrwein beinhaltet, der schlussendlich neben seiner Integration in die Gemeinschaft erstens als teilnehmender Beobachter und moderner Ethnologieforscher und zweitens als Geschichtsforscher in seinem eigenen Dorf endet.
Fazit: Eine ganz normale Generationengeschichte außergewöhnlich gut in einem außergewöhnlichen Ambiente erzählt. Ich habe mich keine Sekunde gelangweilt und kann sie nur wärmstens empfehlen, wenn auch das Ende für mich persönlich zu „heppi beppi“ ist. Ich glaube, die FAZ hat das Werk am treffendsten eingeordnet: „Es ist ein Bildungs-, Familien- und Coming-of-Age-Roman.“