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review 2017-08-23 11:09
Feiern wir weibliche Stärke und den Feminismus
Tehanu - Ursula K. Le Guin

In meiner Rezension zu „Erdsee“ bemängelte ich, dass Ursula K. Le Guins Universum erschreckend sexistisch ist. Mit dieser Kritik bin ich nicht allein. Soweit ich es aus den bestehenden Rezensionen anderer Leser_innen herauslesen konnte, wurde Le Guin für den grassierenden Sexismus in Erdsee generell stark kritisiert. Vielleicht entschied sie sich deshalb, 18 Jahre nach dem Erscheinen von „Das ferne Ufer“, nach Erdsee zurückzukehren. „Tehanu“ ist der vierte Band der „Erdsee“-Saga und fokussiert erstmals die weibliche Perspektive: im Mittelpunkt steht die ehemalige Priesterin Tenar, die mittlerweile in Gont lebt.

 

Einst verließ Tenar an der Seite von Ged ihr Land, um im Licht der Freiheit zu leben. Obwohl sie bei Ogion in die Lehre hätte gehen können, entschied sich Tenar für ein bodenständiges Leben als fürsorgliche Ehefrau und Mutter. Lange Zeit führte sie eine einfache, aber glückliche Existenz. Eines Tages erreicht Tenar die Kunde von einem kleinen Waisenmädchen, das bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. Furchtbare Wunden entstellen das Kind. Entsetzt öffnet Tenar ihr Herz und nimmt die Kleine in dem Wissen bei sich auf, dass sie niemals ganz normal sein wird, ebenso wenig wie sie selbst. Sie gibt ihr den Namen Therru. Jahre später liegt Ogion im Sterben. Sofort reisen Tenar und Therru zum Falkennest, um sich zu verabschieden. Doch Erdsee verändert sich, ist kein sicherer Ort mehr für eine Witwe und ihre junge Tochter. Als die Vergangenheit Tenar und Therru einholt, offenbart sich das hässliche Antlitz der Welt und erweckt in Therru Kräfte, die vom Feuer geschmiedet wurden.

 

Ursula K. Le Guin hat ganze Arbeit geleistet. „Tehanu“ ist ein Buch mit einer starken, weiblichen Stimme, die sich zweifellos für den Feminismus ausspricht und das Machtgefälle der Geschlechter in Erdsee mutig anprangert. Ich bewundere, wie kritisch sich die Autorin mit ihrem eigenen Werk auseinandersetzt, wie furchtlos und ehrlich sie die Aspekte ans Licht zerrt, die sie 20 Jahre zuvor vermutlich nicht einmal hinterfragte. „Tehanu“ ist der Beweis ihrer persönlichen Entwicklung, die ich einfach anerkennen muss. Ich kann nicht nachvollziehen, dass es offenbar Leser_innen gab, die sich am femininen Grundtenor des Romans störten. Wie viele Bücher wurden von Männern geschrieben, die schier bersten vor Testosteron und maskulinen Einflüssen? Wieso sollte es ein Problem sein, dass eine Frau ein ebenso Östrogen-geprägtes Buch schreibt? Ich fand es erfrischend, dass alle Frauen in „Tehanu“ wertvoll und individuell beschrieben sind, sei es nun Tenar, die verrückte Hexe Moss oder die geistig zurückgebliebene Heather. Lange genug waren weibliche Figuren in der High Fantasy lediglich schmückendes Beiwerk; für mich ist ein frauenzentriertes Buch dieses Genres daher ein kleiner Meilenstein. Zugegeben, Männer kommen in „Tehanu“ nicht gut weg, aber ich bin nicht der Meinung, dass Le Guin in ihrer Darstellung übertrieben hätte, weil sie auf diese Weise lediglich betont, wie schwer es eine alleinstehende Frau und ihre kleine Tochter, die niemals wie andere Kinder sein wird, in dieser männerdominierten Welt haben. In Erdsee ist ihr Ruf das höchste Gut, das eine Frau besitzt. Dieser hängt maßgeblich von der Einhaltung gewisser Normen und der subjektiven Wertschätzung Außenstehender ab. Während Männer stets Vorschusslorbeeren erhalten, brauchen Frauen Bestätigung von außen, um zu beweisen, dass sie ehrbar und glaubwürdig sind. Frauen wird erst einmal grundsätzlich mit Misstrauen begegnet, was so unfair ist, dass mir die Haare zu Berge stehen. Ich bin froh, dass Tenar im Laufe der Geschichte erkennt, dass ein ruinierter Ruf nicht zwangsläufig bedeutet, dass auch ihr Leben ruiniert ist. Nichtsdestotrotz war ich von Tenars selbstgewähltem Schicksal etwas enttäuscht. Angesichts ihrer Vergangenheit hatte ich angenommen, dass sie ein außergewöhnliches Leben führen würde, nicht das Leben einer Bauersfrau. Ich verstehe ihre Entscheidung für die Normalität, bin damit aber eher unzufrieden, weil ich glaube, dass Ursula K. Le Guin sie benutzte. Sie konnte Tenar nicht erlauben, mehr aus sich zu machen, da sie sie brauchte, um die feministische Kritik in „Tehanu“ zu transportieren. Man kann Alltagssexismus nicht beklagen, wenn kein Alltagssexismus vorhanden ist. Leider muss ich an dieser Stelle zugeben, dass ich „Tehanu“ deshalb nicht völlig überzeugend fand. So sehr ich Le Guin für ihre Bereitschaft zur Selbstreflexion achte, obwohl die Charaktere glaubhaft und realistisch sind, wirkte der vierte „Erdsee“-Band auf mich erzwungen, künstlich und konstruiert, wie ein Kunstmärchen. Ich hatte das Gefühl, Le Guin glaubte, sie müsste dieses Buch schreiben, um auf die Kritik ihres Publikums zu reagieren. Es erschien mir keine natürliche Geschichte aus Erdsee zu sein.

 

„Tehanu“ feiert weibliche Stärke. Es ist ein Roman, der die alltäglichen Herausforderungen selbstbestimmter, emanzipierter Frauen in einer erdrückend patriarchalischen Welt beschreibt und kühn ernsthafte Kritik daran übt. Die Unterschiede zwischen der Erlebenswelt von Tenar und Ged sind gravierend: während er meist Wohlwollen erfährt, muss sie gegen Vorurteile und Unterstellungen kämpfen. Erdsee ist für Tenar und ihre Tochter Therru ein völlig anderer Ort als für Ged. Aus meiner Sicht hat Ursula K. Le Guin dem Vorwurf des Sexismus erfolgreich die Stirn geboten und bewiesen, dass sie sich der Mängel ihres Universums bewusst ist, obwohl es selbstverständlich schade ist, dass die Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte darunter litt. Auch kann ich nicht behaupten, dass „Tehanu“ mitreißend wäre. Nein, dieses Buch ist nicht auf Spannung ausgerichtet, es konzentriert sich voll auf die Darstellung gesellschaftlicher Missstände und Ungerechtigkeiten, die oft zynisch zwischen den Zeilen hervorblitzt. Dadurch qualifiziert es sich vielleicht nicht als Pageturner – wohl aber als das femininste Werk der High Fantasy, das ich je gelesen habe.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/08/23/ursula-k-le-guin-tehanu
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review 2017-08-22 11:53
Ein Klassiker der High Fantasy
Erdsee (Trilogie in einem Band) - Ursula K. Le Guin

Obwohl ich kürzlich feststellte, dass Frauen in der erwachsenen High Fantasy unterrepräsentiert sind, gibt es doch den einen oder anderen bedeutenden weiblichen Namen, der mit diesem Genre verbunden ist. Ursula K. Le Guin sollte diese Namensliste möglicherweise anführen. Kaum eine andere Autorin kann sich auf die Fahnen schreiben, so viel für die weibliche Fantasy und Science-Fiction geleistet zu haben. Kaum eine andere Autorin wird ehrfurchtsvoll mit Tolkien verglichen. Ihre „Erdsee“-Saga wurde mir vor Jahren von meiner Mutter vermacht. Der Sammelband „Erdsee“ enthält die ersten drei Romane: „Der Magier der Erdsee“, „Die Gräber von Atuan“ und „Das ferne Ufer“. Ich beschloss, alle drei direkt nacheinander zu lesen.

 

Dies sind die Geschichten von Sperber, dessen wahrer Name Ged lautet. Es sind die Abenteuer eines jungen Ziegenhirten, der zum mächtigsten Zauberer in ganz Erdsee wurde. Eine Geschichte erzählt von seiner Jugend, in der er sich der Angst selbst stellte und sie in ihre Schranken wies. Eine weitere berichtet von seinen Wanderjahren, während derer er weit in den Osten reiste, um seinem Land Frieden zu bringen und eine junge Frau kennenlernte, die das Licht in sich trug, obwohl sie für die Dunkelheit geschaffen wurde. Die letzte enthüllt die Kunde seiner schwersten Stunde, als er auszog, das Gleichgewicht des Lebens wiederherzustellen und das Reich der Toten betrat. Es sind Geschichten von Mut, tiefer Freundschaft und unvorstellbaren Opfern. Lauscht ihren Worten und folgt Ged nach Erdsee, in eine Welt, die von Magie geformt wurde und in der Drachen noch immer lebendig sind.

 

Der Auftakt der „Erdsee“-Saga, „Der Magier der Erdsee“, wurde 1968 erstveröffentlicht. Liest man High Fantasy aus dieser Zeit, sollte man darauf vorbereitet sein, dass sie nach anderen Regeln spielt als die modernen Vertreter des Genres. Aktuell liegen handfeste Action und komplexe Intrigengeflechte im Trend; Leser_innen sollen aufgeregt auf der Stuhlkante balancieren und an ihren Fingernägeln kauen, während sie sich fragen, wer als nächstes stirbt. Figuren gewinnen Stück für Stück an Ambivalenz und Realismus, Charakterentwicklung steht im Fokus. Als Ursula K. Le Guin „Erdsee“ zu schreiben begann, herrschten in der spekulativen Fiktion andere Prioritäten. Es ist wichtig, diesen Fakt im Hinterkopf zu behalten, um die altmodische Konstruktion nicht als irritierend zu empfinden. Ich wusste glücklicherweise, dass „Erdsee“ alt ist. Die Erzählweise ist eindeutig anders, weniger auf mitreißende Dramatik ausgerichtet, aber da ich darauf eingestellt war, konnte ich den traditionellen Charme der Romane genießen und mich ihrem ganz speziellen Sog hingeben, der trotz des niedrigen Spannungsbogens entsteht. Die Lektüre erinnerte mich an die vielen Male, als meine Mutter mir selbst Geschichten erzählte. Sie vermittelte mir immer das Gefühl, über ein endloses Repertoire zu verfügen und genau diesen Eindruck weckt auch Ursula K. Le Guin. Es wirkte, als hätte sie „Der Magier der Erdsee“, „Die Gräber von Atuan“ und „Das ferne Ufer“ bewusst aus einer Vielzahl von Geschichten ausgewählt, um ihren Leser_innen einen Querschnitt von Geds Leben zu präsentieren. Es sind lediglich Episoden, die längst nicht alles berichten, was es über ihn zu erfahren gibt. Durch große Zeitsprünge beschreiben sie grob Geds Entwicklung: von einem naiven Jüngling, dessen arroganter Hochmut ganz Erdsee gefährdet, zu einem unerschrockenen Weltenbummler in der Blüte seiner Jahre, zu dem weisen, integren und verantwortungsvollen Erzmagier, der das Schicksal der Welt gestaltet. Jede dieser Geschichten verkörpert eine eigene, individuelle Botschaft – zusammen zeichnen sie das Bild eines bezaubernden, faszinierenden Universums, das – dem Prinzip des Nicht-Handelns des Daoismus folgend – wie kein anderes nach Harmonie und Gleichgewicht strebt. Es ist daher nicht überraschend, dass die Erzählungen aus Erdsee (fast) komplett gewaltfrei sind. Für mich war diese Erfahrung zweifellos ungewöhnlich, aber auch seltsam befreiend. Das Lesen war ohne Anspannung, ohne das Versprechen von Gewalt, angenehm sorglos. Le Guins gemäßigter, würdevoller, leicht zugänglicher Schreibstil unterstreicht diese solide, friedvolle Atmosphäre. Ich mochte die entspannende Ruhe, die „Erdsee“ ausstrahlt, zu der das konventionelle, schlichte Magiesystem, das die Macht der Sprache fokussiert, hervorragend passt. Trotzdem sehe ich das Worldbuilding nicht unkritisch. Es ist positiv, dass Le Guin eine interessante Mischung verschiedener Kulturen und Hautfarben vorstellt. Leider ist ihre Welt jedoch erschreckend sexistisch. Es gibt keine weiblichen Magier; Frauen werden nicht in der Magie geschult, ob sie nun talentiert sind oder nicht. Magisch begabte Frauen können maximal den fragwürdigen Weg einer Hexe einschlagen, was von einer weiblichen Autorin definitiv enttäuschend ist. Von der Grand Dame der spekulativen Fiktion hatte ich mehr erwartet.

 

„Erdsee“ ist unbestritten ein Klassiker der High Fantasy. Liebt man das Genre, sollte man Ursula K. Le Guins Romane meiner Ansicht nach unbedingt lesen, ebenso wie „Der Herr der Ringe“, weil diese Bücher die Anfänge einer literarischen Kategorie darstellen, die sich über die Jahrzehnte stark verändert hat. Es ist gut, zu wissen, welche Werke all die Geschichten von Magie, Drachen und fantastischen Welten, die wir heute kennen, ermöglichten. Obwohl „Erdsee“ wohl niemals zu meinen Lieblingsbüchern gehören wird, weil es nicht meinen persönlichen Ansprüchen an die HF entspricht, sind die drei Geschichten „Der Magier der Erdsee“, „Die Gräber von Atuan“ und „Das ferne Ufer“ mit ihren unmissverständlichen Botschaften und Motiven zeit- und alterslos. Natürlich mag ich es normalerweise lieber etwas aufregender, zupackender – aber es war nett zu sehen, dass die High Fantasy einst ohne fiese Intrigen und blutrünstige Schlachten auskam.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/08/22/ursula-k-le-guin-erdsee
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