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review 2017-12-05 09:15
Ein Autor, der Worten Taten folgen ließ
Tausend strahlende Sonnen - Michael Windgassen,Khaled Hosseini

Khaled Hosseini wurde 1965 in Kabul als Sohn eines Diplomaten geboren und wuchs als Asylant in Kalifornien auf, da seine Familie nach einigen Jahren in Paris aufgrund der politischen Lage nicht nach Afghanistan zurückkehren konnte. 2001 begann er, „Drachenläufer“ zu schreiben, das 2003 veröffentlicht wurde und die weltweiten Bestsellerlisten im Sturm eroberte. 2007 folgte sein ebenso erfolgreiches zweites Werk „Tausend Strahlende Sonnen“. Hosseini schreibt über die Menschen Afghanistans, öffnet den Blick der Welt für ihr unfassbares Leid. Seine Stiftung The Khaled Hosseini Foundation unterstützt afghanische Frauen, Kinder und Flüchtlinge mit Bildung und Wohnungsbau. Kaum zu glauben, dass ich „Tausend Strahlende Sonnen“ auf der Straße fand.

 

Mariams Welt zerbricht 1974, als sie 15 wird. Gezwungen, den 30 Jahre älteren Raschid zu heiraten und in die afghanische Hauptstadt Kabul umzuziehen, beginnt für sie ein Leben voller Leid und Schmerz. Raschid betrachtet sie als sein Eigentum. Er schlägt sie, demütigt sie bei jeder Gelegenheit. Die Zeit vergeht für Mariam hinter dem Schleier einer Burka, ungesehen und stumm. Die politischen Erschütterungen in Afghanistan – blutige, furchtbare Kriege – haben wenig Einfluss auf ihre persönliche Hölle. Erst nach 18 Jahren einer lieblosen, gewalttätigen Ehe tritt Laila in ihr Leben. Lailas gesamte Familie wurde bei einem Bombenanschlag ausgelöscht. Sie hat keine andere Wahl, als Raschids Ehefrau zu werden. Anfangs betrachtet Mariam Laila als unerwünschten Eindringling. Doch schon bald erkennt sie, dass das junge Mädchen ebenso eine Gefangene ist wie sie. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine tiefe Freundschaft. Gemeinsam trotzen sie allen Grausamkeiten, die ihnen ihr Ehemann und der Krieg entgegenschleudern.

 

Ich kann nicht verstehen, wie jemand ein wundervolles Buch wie „Tausend Strahlende Sonnen“ auf der Straße aussetzen konnte. Hat dieser Mensch denn kein Herz? Ich bin sehr froh, dass ich Khaled Hosseinis zweiten Roman retten und ihm ein neues Zuhause geben konnte, weil mich die Lektüre wirklich berührte. Das Buch ist ein feinfühliges, ehrliches, liebevolles Portrait eines kriegsversehrten Landes und seines Volkes. In Afghanistan herrscht seit 40 Jahren Krieg. 40 Jahre. Europäer_innen können sich vermutlich gar nicht vorstellen, was das bedeutet. Ich kann es nicht. Aber dank Khaled Hosseini, der sich überzeugend in seine weiblichen Protagonistinnen hineinversetzt, sie glaubwürdig charakterisiert und Mariams und Lailas Schicksal fest mit der Geschichte des Landes verschweißt, habe ich zumindest eine Ahnung davon, wie sehr die Bevölkerung seit Jahrzehnten leidet, speziell Frauen und Kinder. Teile der politischen Historie Afghanistans waren mir bereits bekannt; ich wusste von der sowjetischen Besatzung und den Bemühungen, den Kommunismus zu etablieren. Ich wusste jedoch nicht, dass mit dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 erst recht Chaos ausbrach. Rivalisierende Mudschaheddin-Gruppen bekämpften sich bis aufs Blut, natürlich auf dem Rücken des Volkes. Die Situation wurde so schlimm, dass die Taliban, die Kabul 1996 eroberten, als größte Hoffnung auf Frieden verstanden wurden. Es ist traurig, wie schnell sich diese Hoffnung ins Gegenteil verkehrte. Die radikal-islamischen Taliban erließen Gesetze, die jegliche Kreativität unterdrückten, strenge religiöse Vorschriften diktierten und die Rechte der Frauen massiv beschnitten. Hosseini zeigt diese hässliche Seite des Islams, die aus westlicher Sicht oft paradox, ungerecht und schlicht grausam ist, authentisch und eindringlich. Es ist schwer zu begreifen, wie viel Elend Mariam und Laila aushalten, ohne zu zerbrechen. Weder ihr Ehemann, noch die Mudschaheddin, noch die Taliban vermögen, ihre Stärke, die sich aus ihrer kostbaren, tiefen Beziehung zueinander nährt, zu verkümmern. Bevor sie sich kennenlernen, werden beide Frauen ausführlich vorgestellt, sodass die Leser_innen nachvollziehen können, dass sie sich aufgrund ihrer Unterschiede ergänzen. Mariam, die ältere der beiden, wurde als uneheliches Kind geboren. Ihr wurde stets vermittelt, wertlos zu sein, weshalb sie sich zu einer stillen, introvertierten und unsicheren Frau entwickelte. Es erschütterte mich, dass sie trotz all der Jahre unter Raschids Misshandlungen, der den Albtraum eines muslimischen Ehemanns verkörpert, keinen Funken Bitterkeit in sich trägt. Ihre sanfte Persönlichkeit steht in krassem Kontrast zu Lailas mutigem Selbstbewusstsein, die aus einem liebenden, progressiven Elternhaus stammt und fortwährend gefördert wurde. Sie besitzt ein Feuer, das nicht einmal Raschid ersticken kann. Ich fand es nicht überraschend, dass Laila am Ende des Buches eine von einer Million Afghanen ist, die 2003 den Wiederaufbau ihrer Heimat vorantrieben. Es brach mir das Herz, zu wissen, dass all das Leid und die Gewalt bis heute kein Ende gefunden haben.

 

„Tausend Strahlende Sonnen“ ist ein ergreifendes, bestürzendes Buch, das die tiefe Liebe des Autors Khaled Hosseini zu seinem Geburtsland intensiv abbildet. Tragischerweise ist die fiktive Geschichte von Mariam und Laila vermutlich kein außergewöhnliches Schicksal. Zwangsehen, brutale häusliche Gewalt, Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen sind noch immer Realität in Afghanistan. Umso wichtiger ist es, dass sich Menschen wie Khaled Hosseini für Aufklärung und humanitäre Hilfe einsetzen. Es ist bewundernswert, dass er seinen Worten Taten folgen ließ und seine Stiftung gründete. Tatsächlich beeindruckt mich seine Konsequenz sogar ein wenig mehr als „Tausend Strahlende Sonnen“, dem meinem Empfinden nach das gewisse Etwas zu einer 5-Sterne-Bewertung fehlt. Es ist zweifellos aufwühlend, doch es brachte mich widererwartend nicht zum Weinen. Trotz dessen kann ich euch das Buch wärmstens empfehlen. Das Leid des afghanischen Volkes muss gehört und gesehen werden.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/12/05/khaled-hosseini-tausend-strahlende-sonnen
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review 2017-08-23 11:09
Feiern wir weibliche Stärke und den Feminismus
Tehanu - Ursula K. Le Guin

In meiner Rezension zu „Erdsee“ bemängelte ich, dass Ursula K. Le Guins Universum erschreckend sexistisch ist. Mit dieser Kritik bin ich nicht allein. Soweit ich es aus den bestehenden Rezensionen anderer Leser_innen herauslesen konnte, wurde Le Guin für den grassierenden Sexismus in Erdsee generell stark kritisiert. Vielleicht entschied sie sich deshalb, 18 Jahre nach dem Erscheinen von „Das ferne Ufer“, nach Erdsee zurückzukehren. „Tehanu“ ist der vierte Band der „Erdsee“-Saga und fokussiert erstmals die weibliche Perspektive: im Mittelpunkt steht die ehemalige Priesterin Tenar, die mittlerweile in Gont lebt.

 

Einst verließ Tenar an der Seite von Ged ihr Land, um im Licht der Freiheit zu leben. Obwohl sie bei Ogion in die Lehre hätte gehen können, entschied sich Tenar für ein bodenständiges Leben als fürsorgliche Ehefrau und Mutter. Lange Zeit führte sie eine einfache, aber glückliche Existenz. Eines Tages erreicht Tenar die Kunde von einem kleinen Waisenmädchen, das bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. Furchtbare Wunden entstellen das Kind. Entsetzt öffnet Tenar ihr Herz und nimmt die Kleine in dem Wissen bei sich auf, dass sie niemals ganz normal sein wird, ebenso wenig wie sie selbst. Sie gibt ihr den Namen Therru. Jahre später liegt Ogion im Sterben. Sofort reisen Tenar und Therru zum Falkennest, um sich zu verabschieden. Doch Erdsee verändert sich, ist kein sicherer Ort mehr für eine Witwe und ihre junge Tochter. Als die Vergangenheit Tenar und Therru einholt, offenbart sich das hässliche Antlitz der Welt und erweckt in Therru Kräfte, die vom Feuer geschmiedet wurden.

 

Ursula K. Le Guin hat ganze Arbeit geleistet. „Tehanu“ ist ein Buch mit einer starken, weiblichen Stimme, die sich zweifellos für den Feminismus ausspricht und das Machtgefälle der Geschlechter in Erdsee mutig anprangert. Ich bewundere, wie kritisch sich die Autorin mit ihrem eigenen Werk auseinandersetzt, wie furchtlos und ehrlich sie die Aspekte ans Licht zerrt, die sie 20 Jahre zuvor vermutlich nicht einmal hinterfragte. „Tehanu“ ist der Beweis ihrer persönlichen Entwicklung, die ich einfach anerkennen muss. Ich kann nicht nachvollziehen, dass es offenbar Leser_innen gab, die sich am femininen Grundtenor des Romans störten. Wie viele Bücher wurden von Männern geschrieben, die schier bersten vor Testosteron und maskulinen Einflüssen? Wieso sollte es ein Problem sein, dass eine Frau ein ebenso Östrogen-geprägtes Buch schreibt? Ich fand es erfrischend, dass alle Frauen in „Tehanu“ wertvoll und individuell beschrieben sind, sei es nun Tenar, die verrückte Hexe Moss oder die geistig zurückgebliebene Heather. Lange genug waren weibliche Figuren in der High Fantasy lediglich schmückendes Beiwerk; für mich ist ein frauenzentriertes Buch dieses Genres daher ein kleiner Meilenstein. Zugegeben, Männer kommen in „Tehanu“ nicht gut weg, aber ich bin nicht der Meinung, dass Le Guin in ihrer Darstellung übertrieben hätte, weil sie auf diese Weise lediglich betont, wie schwer es eine alleinstehende Frau und ihre kleine Tochter, die niemals wie andere Kinder sein wird, in dieser männerdominierten Welt haben. In Erdsee ist ihr Ruf das höchste Gut, das eine Frau besitzt. Dieser hängt maßgeblich von der Einhaltung gewisser Normen und der subjektiven Wertschätzung Außenstehender ab. Während Männer stets Vorschusslorbeeren erhalten, brauchen Frauen Bestätigung von außen, um zu beweisen, dass sie ehrbar und glaubwürdig sind. Frauen wird erst einmal grundsätzlich mit Misstrauen begegnet, was so unfair ist, dass mir die Haare zu Berge stehen. Ich bin froh, dass Tenar im Laufe der Geschichte erkennt, dass ein ruinierter Ruf nicht zwangsläufig bedeutet, dass auch ihr Leben ruiniert ist. Nichtsdestotrotz war ich von Tenars selbstgewähltem Schicksal etwas enttäuscht. Angesichts ihrer Vergangenheit hatte ich angenommen, dass sie ein außergewöhnliches Leben führen würde, nicht das Leben einer Bauersfrau. Ich verstehe ihre Entscheidung für die Normalität, bin damit aber eher unzufrieden, weil ich glaube, dass Ursula K. Le Guin sie benutzte. Sie konnte Tenar nicht erlauben, mehr aus sich zu machen, da sie sie brauchte, um die feministische Kritik in „Tehanu“ zu transportieren. Man kann Alltagssexismus nicht beklagen, wenn kein Alltagssexismus vorhanden ist. Leider muss ich an dieser Stelle zugeben, dass ich „Tehanu“ deshalb nicht völlig überzeugend fand. So sehr ich Le Guin für ihre Bereitschaft zur Selbstreflexion achte, obwohl die Charaktere glaubhaft und realistisch sind, wirkte der vierte „Erdsee“-Band auf mich erzwungen, künstlich und konstruiert, wie ein Kunstmärchen. Ich hatte das Gefühl, Le Guin glaubte, sie müsste dieses Buch schreiben, um auf die Kritik ihres Publikums zu reagieren. Es erschien mir keine natürliche Geschichte aus Erdsee zu sein.

 

„Tehanu“ feiert weibliche Stärke. Es ist ein Roman, der die alltäglichen Herausforderungen selbstbestimmter, emanzipierter Frauen in einer erdrückend patriarchalischen Welt beschreibt und kühn ernsthafte Kritik daran übt. Die Unterschiede zwischen der Erlebenswelt von Tenar und Ged sind gravierend: während er meist Wohlwollen erfährt, muss sie gegen Vorurteile und Unterstellungen kämpfen. Erdsee ist für Tenar und ihre Tochter Therru ein völlig anderer Ort als für Ged. Aus meiner Sicht hat Ursula K. Le Guin dem Vorwurf des Sexismus erfolgreich die Stirn geboten und bewiesen, dass sie sich der Mängel ihres Universums bewusst ist, obwohl es selbstverständlich schade ist, dass die Glaubwürdigkeit ihrer Geschichte darunter litt. Auch kann ich nicht behaupten, dass „Tehanu“ mitreißend wäre. Nein, dieses Buch ist nicht auf Spannung ausgerichtet, es konzentriert sich voll auf die Darstellung gesellschaftlicher Missstände und Ungerechtigkeiten, die oft zynisch zwischen den Zeilen hervorblitzt. Dadurch qualifiziert es sich vielleicht nicht als Pageturner – wohl aber als das femininste Werk der High Fantasy, das ich je gelesen habe.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/08/23/ursula-k-le-guin-tehanu
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review 2017-08-16 09:29
Man muss nicht tot sein, um als Monster durchzugehen
The Lunatic Cafe - Laurell K. Hamilton

Die „Anita Blake“ – Reihe umfasst aktuell 25 Hauptwerke, Tendenz steigend. Daher beschäftigte mich die Frage, ob die Autorin Laurell K. Hamilton ein Finale für ihren extrem umfangreichen Mehrteiler plant. Ich habe die Antwort in einem Interview von 2016 gefunden: Nein. Es ist tatsächlich so simpel. Sie sagte, sie glaubt nicht an ein Happy End für Anita. Ich denke nicht, dass sie damit ausdrücken möchte, dass Anita nicht glücklich werden kann, sondern dass es für sie einfach nicht damit endet. Sie will herausfinden, was danach passiert. Obwohl ich diese Einstellung durchaus nachvollziehen kann, weiß ich noch nicht, ob ich sie wirklich gutheiße. Verdient Anita nicht ebenso einen Abschluss wie alle anderen UF-Heldinnen? Momentan bin ich von einem potentiellen Ende der Reihe allerdings noch weit entfernt; ich habe mich im Rahmen meines Rereads bis Band 4 „The Lunatic Cafe“ vorangelesen.

 

Ist ein bisschen Glück in der Liebe zu viel verlangt? Heißt man Anita Blake offenbar schon. Kaum hatte sie ein paar wundervolle, heiße Dates mit Richard Zeeman – High-School-Lehrer, Outdoor-Enthusiast und Werwolf – werden die Dinge kompliziert. In St. Louis verschwinden Lykanthropen. Nicht nur Richards Werwolfsrudel ist betroffen, sondern alle Gestaltwandler-Gruppen. Die untereinander verfeindeten Anführer_innen vermuten Entführung und Mord. Die Polizei einzuschalten ist keine Option, also bitten sie Anita geschlossen um Hilfe. Widerwillig nimmt sie den Auftrag an und stolpert schon bald über die schmutzigen Geheimnisse der Lykanthropen-Gemeinschaft, bei denen zu allem Überfluss auch noch der Meistervampir der Stadt seine Finger im Spiel hat. Eine Beziehung zu einem Alpha-Werwolf ist vielleicht doch keine besonders gute Idee…

 

Oh oh oh, Anita. Was machst du denn? Was ist los mit dir? Es ist doch sonst nicht deine Art, dich Hals über Kopf in eine Beziehung zu einem Mann zu stürzen, ohne ihn wirklich zu kennen. Ich erinnere mich, dass ich vor all den Jahren, als ich „The Lunatic Cafe“ (bzw. „Gierige Schatten“) zum ersten Mal las, nicht nachvollziehen konnte, wieso Anita sich blind auf Richard einlässt. Heute verstehe ich ihre Beweggründe besser, kann aber trotzdem nur den Kopf schütteln. Erstmals erleben wir eine Seite von Anita, die Laurell K. Hamilton und sie selbst bisher recht erfolgreich verborgen haben. Wir sehen sie als die verletzliche, unsichere junge Frau, die sie tief in ihrem Herzen ist. Sie ist berauscht von der Idee, dass Richard sie lieben könnte, weil sie unbewusst nicht glaubt, überhaupt liebenswert zu sein. Ihr taffes Gehabe offenbart sich endgültig als Fassade, als schützende Mauer, die sie selbst davon überzeugen soll, dass all die Toten, die direkt oder indirekt auf ihr Konto gehen, ihr Gewissen nicht belasten. In Wahrheit hält sich Anita für eine Art Monster, kaum besser als die Vampire, die sie im Auftrag des Staates pfählt. Sie interpretiert ihre Beziehung zu Richard als Chance auf Normalität, flüchtet sich überhastet in diese Hoffnung und verleugnet dadurch, wer sie wirklich ist. Sie macht sich etwas vor. Der weiße Gartenzaun, der Kombi in der Garage, die statistischen zweieinhalb Kinder passen weder zu ihr, noch zu ihrem Leben. Ich habe sie kaum wiedererkannt. Das konnte nicht gutgehen, weil sie einfach nicht bereit für so viel Nähe ist. Selbstverständlich spielt Richards Identität als Alpha-Werwolf ebenfalls eine Rolle, denn all die Verpflichtungen, diffizilen Regeln und Normen, die damit verbunden sind, lassen sich nicht ignorieren. Anita hat keinen blassen Schimmer, was es heißt, ein Werwolf zu sein, woran er nicht unschuldig ist. Er teilt diese bedeutsame Facette seines Lebens eher widerstrebend mit ihr und bringt sie dadurch meines Erachtens nach definitiv in Gefahr. Als die Anführer_innen der Lykanthropen der Stadt sie bitten, die Vermisstenfälle aufzuklären, befindet sich Anita plötzlich in einem Raum voller nervöser Gestaltwandler und kann lediglich auf Bücherwissen zurückgreifen. Ihr Abschluss in übernatürlicher Biologie hilft ihr nicht, sich innerhalb ihrer Dynamik zurechtzufinden und sich in dem Dickicht aus Dominanz und Unterwerfung zu behaupten. Richard hätte sie vorbereiten müssen, weil er wusste, dass hinter den Kulissen der Wergeschöpfe die gleichen Schweinereien laufen, die bei den Vampiren Gang und Gäbe sind. Leider ist Richard zu diesem Zeitpunkt noch ein naiver Träumer, der bis zur Selbsttäuschung an das Gute in allen glauben möchte. Die Handlung von „The Lunatic Cafe“ ist der eindeutige Beweis, dass man nicht tot sein muss, um sich als Monster zu qualifizieren. Man muss nicht einmal ein Raubtier sein.

 

„The Lunatic Cafe“ wird nie auf das Treppchen meiner liebsten „Anita Blake“ – Bände klettern. Obwohl ich erkenne, welchen Wert er für die übergeordnete Geschichte hat und ich die intensive Vorstellung der Gestaltwandler-Gemeinschaft schätze, gefällt es mir einerseits überhaupt nicht, wie Anita sich darin verhält und andererseits fand ich die Handlung rund um die verschwundenen Lykanthropen unnötig kompliziert. Laurell K. Hamilton löst die Vermisstenfälle von zwei, will man genau sein, sogar drei Seiten auf – meiner Meinung nach hätte ein Ansatz vollkommen ausgereicht. Dieser vierte Band ist deshalb weniger rund als die Vorgänger und ich empfinde Anitas Verwandlung in eine verkrampfte, steife Version ihrer selbst als zu abrupt. Ihre Beziehung zu Richard entwickelt sich in mörderischem Tempo und widerspricht somit allem, was ich bisher über Anita weiß. Es passt nicht zu ihr, plötzlich im Leben einer anderen Person verschwinden zu wollen. Sie ist ihr Privatleben betreffend keine impulsive Frau. Ich bezweifle, dass ein einziger heißer Kerl das ändern kann und bin daher nicht völlig von „The Lunatic Cafe“ überzeugt. Ich wünsche Anita alles Glück der Welt – aber die Vorstellung einer totenerweckenden, vernarbten, blutbesudelten, waffenschwingenden, vampirpfählenden Ehefrau und Mutter ist für mich einfach nicht realistisch.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/08/16/laurell-k-hamilton-the-lunatic-cafe
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review 2016-03-26 13:45
Mo Hayder hat eine kranke Fantasie
Die Sekte - Mo Hayder,Rainer Schmidt

Mo Hayder ist eine Entdeckung meiner Eltern. Sie mögen ihre Thriller sehr, sortieren die Bücher jedoch direkt nach dem Lesen aus Platzmangel wieder aus. Krimis und Thriller liest man ja eher selten mehrfach. Da ich (noch) kein Platzproblem habe, gebe ich den Romanen gern ein neues Zuhause, wenn sie bei meinen Eltern ausziehen müssen. Ich besitze demzufolge eine kleine Hayder-Sammlung, obwohl ihre Bücher nie auf meiner Wunschliste standen. Daher dauerte es allerdings recht lange, bis ich das erste Mal einen ihrer Thriller auf dem Regal zog. Ich entschied mich für „Die Sekte“, weil es sich dabei um einen Einzelband handelt und ich vermutete, dass dies eine gute Möglichkeit wäre, die Autorin kennenzulernen.

 

Schenkt man den Gerüchten Glauben, ist die kleine schottische Insel Cuagach Eilean, Pig Island, die Heimat des Teufels und seiner Jünger. Seit Jahren wird wild darüber spekuliert, was auf der Insel vor sich geht, denn die dort lebende, etwas obskure Glaubensgemeinschaft schätzt die Isolation. Umso überraschter ist der Journalist Joe Oakes, dass ausgerechnet er Pig Island besuchen soll. Ein unheimliches Amateurvideo brachte die Insel in die Medien und bescherte der ansässigen Sekte ein unerwünschtes Maß an Aufmerksamkeit. Joe verdient sein Geld damit, Mysterien aufzudecken. Für ihn zählen Fakten, nicht der Aberglaube der Massen. Hochmotiviert nimmt er die Einladung an, um den Gerüchten um Pig Island ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Doch als er auf der Insel eintrifft, geraten seine rationalen Überzeugungen ins Wanken. Schon bald versinkt Pig Island in Blut und Joe muss sich fragen, ob nicht doch der Teufel seine Finger im Spiel hat.

 

Mo Hayder hat eine kranke Fantasie. Einige der Ideen, die sie in „Die Sekte“ präsentiert, grenzen meiner Meinung nach definitiv an Perversität. Nicht, weil das Buch unangemessen blutig, brutal oder grausam wäre, nein, es waren bestimmte Aspekte der dargestellten zwischenmenschlichen Beziehungen, die mich abstießen. Bei der Lektüre eines Thrillers war das eine neue Erfahrung für mich, denn normalerweise legen Autor_innen dieses Genres viel Wert darauf, dass ihre Figuren Sympathie erzeugen. Ich konnte keinen einzigen Charakter aus „Die Sekte“ leiden – für die Geschichte war das allerdings kein Hindernis. Ich denke, dass Hayder darauf abzielte. Der Protagonist Joe ist ein widerlicher Mensch, egoistisch und skrupellos. Durch seine Rolle als Journalist bietet er zwar eine interessante Herangehensweise an die Vorgänge der Handlung, weil er kein Ermittler ist, doch meiner Ansicht nach besitzt er keinerlei Berufsethik. Seine Ehefrau Lexie, die ebenfalls ihre eigene Perspektive und Stimme erhielt, ist kein Stück besser. Sie hat das Zeug zum Stalker, verhält sich obsessiv und realitätsfern. Die beiden verdienen einander. Ich war nicht in der Lage, auch nur einen Funken Mitgefühl für Joe und Lexie zu empfinden, obwohl die Ereignisse, die Mo Hayder sie durchleben lässt, wirklich schrecklich sind. Die mysteriöse, unheimliche Aura, die die Autorin um Pig Island herumwebt, gefiel mir außerordentlich gut. Selbstverständlich habe ich nie daran geglaubt, dass es dort tatsächlich mit dem Teufel zugeht, aber dem Grauen, dass die Insel ausstrahlt, konnte auch ich mich nicht entziehen. Anfangs war ich ein wenig enttäuscht davon, dass die Sekte vollkommen normal wirkte, ja sogar freundlich und einladend. Dieser Eindruck verflüchtigte sich jedoch schnell; es zeigte sich, dass die Inselbewohner_innen durchaus das eine oder andere pikante Geheimnis verstecken. Ich fand es spannend, diese aufzudecken, weil die Geschichte der Sekte recht ungewöhnlich ist. Solange die Handlung auf der Insel spielte, machte mir die Lektüre viel Spaß. Das Buch fesselte mich und löste in mir genau die Anspannung aus, die ich beim Lesen eines Thrillers erwarte. Leider verlässt Joe Pig Island an einem gewissen Punkt – von diesem Moment an wurde die Geschichte seltsam. Ich wusste nicht, was ich mit dieser Wendung anfangen sollte, weil sie die bizarre Gefühlswelt des Protagonisten fokussiert, die so weit von meiner eigenen entfernt ist, dass es mir unmöglich war, seine Empfindungen nachzuvollziehen. Das bedeutet nicht, dass sie mir unrealistisch erschienen, ich konnte sie nur einfach nicht verstehen. Ich hatte von Anfang an Probleme, mich in Joe hineinzuversetzen, doch diese Entwicklung trieb meine Distanz zu ihm auf die Spitze. Ich wollte ihm gar nicht nahe sein. Daher fiel es mir auch schwer, während des für ihn zugegebenermaßen dramatischen Höhepunkts der Geschichte mit ihm zu fühlen. Durch diesen stellte sich heraus, dass ich erstaunlicherweise mit meinen Vermutungen hinsichtlich der wahren Natur der Ereignisse auf Pig Island gar nicht so falsch lag. Ich war auf der richtigen Spur, nahm unterwegs allerdings gedanklich eine falsche Abzweigung, die mich in die Irre führte. So hätte ich das Ende niemals voraussehen können. Es war eine positive Überraschung, die mich die Handlung nach dem Lesen noch einmal rekapitulieren ließ, um zu überprüfen, welche Hinweise ich übersehen hatte.

 

Ich bin nicht sicher, ob „Die Sekte“ nun tatsächlich exemplarisch für Mo Hayders Schaffen steht oder eher ungewöhnlich ist. Mein Gefühl sagt mir, dass dieser Thriller aus ihrem übrigen Werk heraussticht, weil er ziemlich eigenwillig ist und nicht den gängigen Normen des Genres entspricht, doch ich werde es wohl erst herausfinden, wenn ich weitere Romane aus ihrer Feder gelesen habe. Daher war „Die Sekte“ vielleicht nicht unbedingt die beste Wahl für die Annährung an Hayders Bücher. Ich fand es spannend und zeitweise sogar richtig unheimlich, hatte allerdings Schwierigkeiten mit der Wendung gegen Ende des zweiten Drittels. Ich denke, Hayder wollte ihre Leser_innen nicht nur durch grausame, blutige Morde schockieren, sondern auch durch ihre Charakterisierung krankhafter zwischenmenschlicher Beziehungen. Ich rate euch, euch darauf einzustellen, solltet ihr „Die Sekte“ lesen wollen. Thrill kann auf viele Weisen entstehen – nicht alle haben mit körperlicher Gewalt zu tun.

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review 2015-05-27 11:21
Peter V. Brett ist ein High Fantasy - Rockstar!
The Desert Spear - Peter V. Brett

Ich würde gern das Siegel-Zeichnen lernen. So, wie es Leesha und der Tätowierte Mann können. Sie verbinden viele verschiedene Siegel zu einem komplexen Muster, das Schutz vor allen möglichen Dämonen bietet. Ich finde, Peter V. Brett könnte gemeinsam mit der Künstlerin Lauren K. Cannon ein Grimoire herausbringen, in dem all die Siegel mit Abbildungen und Erklärungen zu finden sind. Sonst habe ich es nicht so mit Extra-Merch zu einer Buchreihe, aber diesen Bildband würde ich mir besorgen und einfach alles mit Siegeln versehen, das sich anbietet. Allerdings werde ich darauf wohl noch eine Weile warten müssen, denn es macht wenig Sinn, ein Grimoire zu veröffentlichen, bevor die Reihe abgeschlossen ist. Schließlich kommen in jedem Band neue Siegel hinzu.

 

Sein ganzes Leben widmete Ahmann Jardir dem Kampf gegen die Dämonen, den alagai. Er überlebte die harte Schule der Kaji’sharaj, wuchs über sich hinaus und wurde mit Hilfe seiner Ehefrau Inevera zum mächtigsten Mann Krasias, des Wüstenspeers. Als der Par’Chin den Speer des Kaji zu Jardir brachte, war ihm klar, dass diese Waffe nur für ihn bestimmt sein konnte. Er ist der Shar’Dama Ka, der Erlöser. Doch bevor er die Welt von der Dämonenplage befreien kann, müssen die Menschen unter seiner Führung geeint werden. Gemeinsam mit jedem Mann und jeder Frau Krasias zieht Jardir aus, den Tageslichtkrieg zu kämpfen. Im Norden kennt niemand die Prophezeiung des Shar’Dama Ka. Hier glauben die Menschen daran, dass der mysteriöse Tätowierte Mann der Erlöser ist. So werden aus alten Freunden Rivalen und merken nicht, dass sie beobachtet werden. Denn der Horc ist die Heimat vieler Dämonen. Und einige sind gefährlich intelligent…

 

Es ist jetzt etwas mehr als drei Wochen her, dass ich den zweiten Band des Demon Cycle ausgelesen habe, aber wenn ich an „The Desert Spear“ denke, möchte ich noch immer im Kreis hüpfen, wie wild klatschen und begeisterte Quietschgeräusche von mir geben. Applaus für Peter V. Brett und die fantastische Fortsetzung seiner High Fantasy – Reihe! Er hat es wirklich verdient; ich kann kaum glauben, wie unfassbar gut seine Geschichte ist. Von der ersten Seite an schlug er mich in ihren Bann und führte mich in eine Richtung, die ich niemals erwartet hätte. Ich habe nicht damit gerechnet, Ahmann Jardir so intensiv kennenzulernen. Im ersten Band empfand ich ihn als den unsympathischen Gegenspieler des Tätowierten Mannes, der keine Skrupel hat, eine Freundschaft für etwas zu opfern, das er haben will. Jetzt habe ich ihn aufwachsen sehen. Ich habe erlebt, wie anders die Lebensrealität in Krasia ist und warum Jardir glaubte, keine andere Wahl zu haben, als Arlen den Speer des Kaji abzunehmen und ihn dem Tod zu überantworten, obwohl sie Freunde waren. Sein Glaube daran, dass er der Shar’Dama Ka ist, ist unglaublich stark. Es ist für ihn nicht nur ein Titel, den er sich verliehen hat, um mehr Macht zu haben. Er ist überzeugt, dass er die Menschheit von den Dämonen erlösen wird. Er ist nicht böse. Ich musste meine Meinung von ihm komplett revidieren und habe es gern getan, weil Jardir für mich zu einem äußerst attraktiven Mann geworden ist: intelligent, gebildet, leidenschaftlich, bestimmt, zielstrebig und sehr aufopferungsvoll. In Peter V. Bretts Universum gibt es keine eindimensionalen Charaktere; sie alle sind lebendig und facettenreich. Das gilt auch für Jardirs erste Ehefrau Inevera, die ich liebe, liebe, liebe. Sie ist eine Frau, der man besser nicht in die Quere kommt. Eine manipulative Schlange, eine geschickte Intrigantin und extrem gefährlich. Atemberaubend schön, aber in ihren Adern fließt Gift. Ihre tatsächlichen Ziele kennt nur sie selbst; nicht mal ich weiß, was sie eigentlich plant, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Jardir nur deshalb zum Shar’Dama Ka machte, weil ihr Glaube so unerschütterlich ist. Nein, die Dame hat etwas vor und ist es nicht gewohnt, nicht zu bekommen, was sie will. In diesem Punkt ist sie Leesha sehr ähnlich, weshalb es mich überhaupt nicht überrascht hat, dass Jardir sich zu Leesha hingezogen fühlt. Natürlich ist die Kombination von Leesha und Inevera hochexplosiv und unter Umständen sogar tödlich – ich konnte es kaum abwarten, dass sie sich begegnen! Ihr Aufeinandertreffen war eine der spannendsten Situationen meiner Literaturgeschichte. Leesha und Inevera sind jedoch nicht die einzigen interessanten Frauen in „The Desert Spear“. Erinnert ihr euch an Renna aus dem ersten Band? Arlen war ihr versprochen, bevor er davon lief. Sie waren damals beide noch Kinder. Jetzt ist Renna erwachsen und bekommt eine eigene Erzählperspektive. Damit habe ich ebenfalls nicht gerechnet, denn ich empfand Renna eigentlich nur als „unwichtigen“ Nebencharakter. Peter V. Brett belehrte mich eines Besseren und zeigte mir, dass es sowas wie unwichtige Figuren in seiner Welt nicht gibt. Ist das nicht großartig? Man weiß bei ihm einfach nie, wer in der weiteren Handlung noch eine Rolle spielen wird. Obwohl er sehr detailreich schreibt und seine LeserInnen fast überall dabei sein lässt, kann man nur schwer voraussagen, was als Nächstes passieren wird. Ich finde das fabelhaft, denn ich habe keinerlei Probleme, ihm zu vertrauen und mich einfach in seine extrem dichte, greifbare Atmosphäre fallen zu lassen.

 

„The Desert Spear“ verdient eigentlich weit mehr als fünf Sterne. Ich könnte stundenlang davon schwärmen und hätte dann vermutlich immer noch nicht alles aufgezählt, was mir daran gefällt. Es ist actionreich, spannend, intelligent und überrascht mich immer wieder aufs Neue. Ich kann es kaum abwarten, den dritten Band „The Daylight War“ zu lesen, versuche aber, mich zurückzuhalten, bis der vierte Band „The Skull Throne“ ebenfalls in meinem bevorzugten Format erschienen ist. Mal sehen, wie lange ich tatsächlich widerstehen kann. Bis dahin werde ich einfach weiter in der Erinnerung an „The Desert Spear“ schwelgen und jeder bzw. jedem auf die Nase binden, dass Peter V. Brett ein High Fantasy – Rockstar ist, ob er/sie es nun hören will oder nicht! ;)

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/05/27/peter-v-brett-the-desert-spear
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