Tja ich muss Euch gestehen, dass ich von Band 1 dieser Neapolitanischen Saga nicht ganz so begeistert war wie die meisten von Euch.
Versteht mich nicht falsch, ich erkenne die positive Richtung und weiß (zumindest glaube ich zu wissen) wohin der Roman tendieren soll, aber ich finde eben der erste Teil dieser Lebensgeschichte weist erhebliche Schwächen auf. Ich frage mich gerade, ob er meiner Meinung nach überhaupt so viel hergibt, um als eigenständiger Band der Biografie eine Existenzberechtigung zu haben, oder einfach als Vorgeschichte in den anderen Teilen hätte aufgehen sollen.
Dabei geht es mir nicht um die vermeintliche Handlungsarmut des Plots prinzipiell. In einer Lebensbiografie darf meiner Meinung auch auch mal eine Weile nichts Außergewöhnliches passieren und ich mochte diese gemächliche Beschreibung der geistigen Entwicklung und der Konkurrenz unter den Mädchen sehr. Mir geht es aber um die Tiefe der angesprochenen Emotionen und Themen. Anstatt als übergeordnete Autoreninstanz auch mal über Familien, Gewalt und das Armenghetto in Neapel ein bisschen intensiver zu reflektieren, wenn auch aus kindlicher Sicht (indirekte Andeutungen gab es ja genug) drehen sich zwei Drittel der Gedanken der Mädchen um die Frage, wer in wen verliebt ist, wer manipuliert werden kann etc. Dieser Ringelpietz mit Anfassen aller weiblichen Figuren ist so oberflächlich und widerlich. Fast könnte man meinen, der Roman hieße die Bachelorettes, gleich einem Gäseblümchen werden die Blüten ausgerissen "X liebt Y, Z liebt Y nicht, oder doch? Mir ist schon klar, dass es auch solche amurösen Gedanken in der Jugend gibt, aber wenn man dem Ghetto entkommen möchte, und auch noch begabt bis hochbegabt sein soll, macht man sich auf jeden Fall in seinem Leben nicht hauptsächlich und vorwiegend Gedanken darüber, pubertierende testosteronabsondernde Burschen möglichst effizient zu manipulieren. Das wäre eine derartig unnütze Zeitverschwendung, deren ich intelligente Menschen, auch wenn sie sehr jung sind, für nicht würdig erachte.
Vor allem ist man zudem auch in ganz jungen Jahren schon durchaus im Stande, die vorherrschende Gewalt zu reflektieren und darunter zu leiden. Was sollen diese in Mikrodosen eingeworfenen lapidaren Anspielungen im Vergleicht zum raumgreifenden lebensgreifenden verliebten nutzlosen Geschwätz? Sehr unrealistisch! Ich weiß wirklich wovon ich spreche, bin ich doch in noch viel prekäreren familiären Verhältnissen aufgewachsen als die Protagonisten und habe es aus dem Glasscherbenviertel bis auf die Universität geschafft. Wobei möglicherweise hatte ich Glück und wurde auf Grund meiner Begabung, in eine streng katholische sehr leistungsorientierte Mädchenschule gesteckt. Für uns waren Gespäche über Burschen zwar auch wichtig, aber sie bestimmten nicht derart unser Leben, unser Denken und unsere Entwicklung.
Einzig und allein die so grausam und bösartig skizzierte schielende, hinkende, peinliche, dumme, böse Mutter von Linu (Elena Greco) hat einen Funken von Realismus und Verstand in ihrem Schädel und versucht die richtigen Dinge in für ihre Tochter in die Wege zu leiten. Auch wenn sie anfangs ob der Armut und weil sie nicht weiß, wie sie das Geld zusammenkratzen soll, gegen die weiterführende Schule ist, unterstützt sie ihre Tochter dann immer wieder sehr verbissen in ihrem Weg, oft gegen die Meinung ihres Mannes und auch oft selbst gegen die Unvernunft ihrer Tochter, ihr Leben einfach aus lauter Dummheit und Übermut gegen die Wand zu fahren. Denn Elena hat nicht 1000 Chancen wie viele andere reiche Kids sondern wahrscheinlich immer nur eine, um sich Schritt für Schritt weiterzuentwickeln.
Einen weiteren gravierenden Kritikpunkt muss ich auf der stilistischen Seite anbringen. Die Autorin schmeißt in dem ganzen Ringelspiel der Verliebtheit zusätzlich bei der Beschreibung des neapolitanischen Stadtteils Rione auch inflationär, verwirrend und sehr unstrukturiert für die Geschichte zum Erwähnungszeitpunkt unzählige unnötige Verwandte und noch irrelevante Kinder der Hauptfamilien in den Plot. Das ist wie bei einem Wimmelbild aus Rione oder wie bei Gabriel Garcias Amazonasgewimmel 100 Jahre Einsamkeit. Einige der Figuren haben auch noch Spitznamen, die dann auch noch abwechselnd eingestreut werden und zusätzlich für Chaos sorgen. Das muss nicht sein! Können die Figuren bitte eingeführt werden, wenn sie gebraucht werden - das geht handwerklich besser und viel übersichtlicher ohne ein Jota am Plot zu verändern.
Warum ich mir aber sicher bin, dass die Geschichte im zweiten und dritten Teil besser wird, dafür sorgt der geniale Einstieg in den Roman. Die 66-jährige Lila, die im Buchtitel angesprochene geniale Freundin, haut aus ihrem Leben ab, verschwindet und tilgt sich selbst zuvor und alle Erinnerungen an sich. Kein Schnipsel, kein Ding bleibt in ihrer Wohnung, aus den Fotos hat sie sich herausgeschnitten. Der längst erwachsene, mehr als 30jährige Versagerstubenhocker, genannt Sohn, ist fassungslos. Das ist eine Bombenidee seinen Roman so zu beginnen und macht dem Leser Lust auf das Ende der Geschichte in Band 3.
Weiters habe ich nun hoffentlich jede auch noch so irrelevante Person des Stadtteils kennengelernt, hab eine ungefähre Ahnung der verwandtschaftlichen, freundschaftlichen und feindschaftlichen Struktur des Viertels und es bleibt zu wünschen, dass ich in einem weiteren Entwicklungschritt im Gymnasium nicht nochmals 1000 neue, für die Geschichte total unwesentliche Leute kennenlernen muss.
Fazit: Ganz Ok, aber nicht sehr gut sondern mit einigen gravierenden Schwächen behaftet. Ich hoffe und erwarte, dass die Saga irgendwann einmal auch wirklich so gut wird, wie es von vielen begeistert angekündigt wurde. Da ist also noch VIIIEEEL Luft nach oben.