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review 2017-09-12 20:09
Mulaghesh rockt!
City of Blades - Robert Jackson Bennett

Obwohl „City of Stairs“, der Auftakt der Trilogie „The Divine Cities“, ein bemerkenswerter Erfolg für den Autor Robert Jackson Bennett war, hatte er ursprünglich nicht vor, diese grandiose Geschichte fortzuführen. Er scheute sich davor, herauszufinden, was in seinem hochkomplexen Universum als nächstes geschehen könnte. Erst die Überredungskünste seines Agenten und seines Lektors überzeugten ihn davon, sein Potential zu erforschen. Das Ergebnis ist „City of Blades“, das ich gern viel eher gelesen hätte. Leider hatte ich beschlossen, auf die Veröffentlichung des Finales „City of Miracles“ zu warten. So vergingen beinahe 2 Jahre, bis ich nach Saypur und auf den Kontinent zurückkehrte.

 

Generalin Turyin Mulaghesh will nur eines: sie will all das Blut, das an ihren Händen klebt, hinter sich lassen. Sie quittierte den Dienst beim saypurischen Militär, bereit, vergessen zu werden. Der Ruhestand ist ihr allerdings nicht vergönnt. Eines Tages klopft ein Bote der Premierministerin Shara Komayd an ihre Tür, um die Generalin zurückzuholen. Shara benötigt ihre Hilfe. Inoffiziell. Mulaghesh soll in den entlegenen, ungastlichen Norden des Kontinents reisen, nach Voortyashtan, um dort verdeckt im Fall einer vermissten Geheimdienstagentin zu ermitteln, die verschwand, während sie eine mysteriöse Substanz nach Spuren des Göttlichen untersuchte. Angeblich wurde sie verrückt. Aber ist das die ganze Wahrheit? Einst huldigte Voortyashtan der Kriegsgöttin Voortya. Ihre Krieger waren grausame, unmenschliche Bestien. Mit Voortyas Tod sollten alle Relikte ihrer Macht verschwunden sein. Doch in Voortyashtan angekommen entdeckt Mulaghesh Hinweise auf eine entsetzliche Verschwörung, die plant, ihren kriegerischen Todeskult wiederzubeleben…

 

„City of Blades“ setzt fünf Jahre nach den Ereignissen in „City of Stairs“ ein. Shara Komayd ist tatsächlich Premierministerin von Saypur und bemüht sich redlich, die Beziehung zwischen ihrem Land und dem Kontinent in neue Fahrwasser zu steuern. Voortyashtan ist hierbei ein entscheidender Faktor, weil der Bau eines gigantischen Hafens durch die Vereinigten Dreyling Staaten dem in Trümmern liegenden Kontinent zu mehr Selbstständigkeit verhelfen und den Wiederaufbau vorantreiben soll. Die Entdeckung eines rätselhaften Pulvers in den Minen Voortyashtans bedroht das ganze Projekt, da niemand in der Lage ist, zu erklären, wie diese Substanz wirkt. Sollte sich herausstellen, dass das Pulver göttlich ist, käme der Bau des Hafens zum Stillstand und der Kontinent wäre Saypur weiterhin ausgeliefert. Bin ich die einzige, die angesichts dieser unglaublich konsistenten, logischen Ausgangssituation vor Begeisterung im Kreis hüpfen könnte? Robert Jackson Bennett beweist beispielhaftes ökonomisches, politisches Bewusstsein und zeigt die wirtschaftlichen Folgen des Todes der Götter für den Kontinent eindrucksvoll und realistisch. Worldbuilding par excellence. Der Kontinent braucht einen Neubeginn – der Hafen ist ein Versprechen auf Unabhängigkeit. Generalin Turyin Mulaghesh soll dafür sorgen, dass dieses Versprechen wahr wird. Für mich war es eine positive Überraschung, Mulaghesh als Protagonistin zu erleben. Ich mag Shara sehr, aber sie ist eine Intellektuelle, deren Gedankengänge nicht immer nachvollziehbar sind. Mulaghesh ist Soldatin. Sie ist bodenständig und emotional nahbar, wodurch sich die gesamte Lektüre als zugänglicher erwies. Es war fabelhaft, sie kennenzulernen. Nicht nur ist Mulaghesh eine schockierend lebendige Figur, der man die Fiktionalität beinahe nicht abnimmt, sie ist als gestandene, erwachsene Frau von ca. 50 Jahren auch ein Ausnahmecharakter der High Fantasy. Einarmig und mit einem köstlichen Schandmaul ausgestattet, rockt sie die an einen Agentenroman erinnernde Geschichte von „City of Blades“ fast im Alleingang. Ich liebe sie. Sie ist einnehmend, integer, mutig, verantwortungsbewusst und einfach aus dem Holz geschnitzt, aus dem Held_innen sind. Die Dämonen ihrer Vergangenheit quälen sie, treiben sie allerdings auch an, ein besserer Mensch zu sein. Ihre Definition des Soldatentums als bedingungslose Dienerschaft ist inspirierend und ermöglicht eine spannende, intensive Auseinandersetzung mit dem Konzept des Krieges, das in Voortyashtan kulturell tief verankert ist. Der Todes- und Kriegskult der antiken Voortyashtani ist gleichermaßen faszinierend wie unheimlich. Ihre Verehrung der Kriegsgöttin Voortya kannte keine Grenzen, da sie die erste war, die ihrer Religion eine echte Struktur durch die Erschaffung eines Jenseits verlieh und dadurch einen bindenden Vertrag mit ihren Gläubigen einging. Robert Jackson Bennett spielt ausführlich mit der abstrakten Wechselwirkung von Leben und Tod, wodurch sich „City of Blades“ durch eine beeindruckende philosophische Tiefe auszeichnet. Bereits mit „City of Stairs“ präsentierte Bennett ein Feuerwerk intelligenter, anspruchsvoller Überlegungen – mit „City of Blades“ erreicht er noch einmal ein ganz neues Niveau.

 

Nach der Lektüre von „City of Stairs“ schrieb ich, dass es ein Buch sei, das mich eher intellektuell berührte, als mein Herz zu packen. Diese Falte bügelt Robert Jackson Bennett mit „City of Blades“ zweifelsfrei aus. Der zweite Band der Trilogie „The Divine Cities“ nahm mich auf allen Ebenen meiner Persönlichkeit gefangen. Die Entscheidung, Mulaghesh als Protagonistin einzusetzen, war hervorragend, weil sie emotional greifbar ist und vehement Resonanz einfordert. Die mitreißende Mischung aus brillantem Worldbuilding, liebevoller Detailschärfe und packendem Agententhriller lässt keine Wünsche offen. „City of Blades“ hat alles, was ein außergewöhnlicher High Fantasy – Roman braucht und ist mit nichts vergleichbar. Treten Sie zurück, George R.R. Martin, Brandon Sanderson und Peter V. Brett. Ein neuer Star hat die Bühne betreten und stielt Ihnen die Show.

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review 2017-09-11 15:00
Rezension | Daniel Silva: Der englische Spion
Der englische Spion (Gabriel Allon) - Daniel Silva,Wulf Bergner
Gabriel Allon? Nie gehört. Bis ich ein Leseexemplar bekam. Einstieg mit Band 15: Klappt. 
 
Silvas Stil ist mit feiner Ironie gespickt, die Handlung schnörkellos; durch die Folge der Ereignisse und die Ortswechsel gibt es Abwechslung genug. Die Kapitel sind nicht zu kurz und nicht zu lang. So hat die Geschichte den perfekte Rhythmus für einen Agententhriller. 
 
Über den Protagonisten und die handelnden Personen erfährt man genug um der Geschichte folgen zu können. Vermutlich sind einem die Figuren vertrauter, wenn man denn die restlichen Bände kennen würde. Die Wiederholung der vergangenen Ereignisse könnten für Kenner der Serie ermüdend sein. Für mich waren sie es; zum Ende hin überflog ich die Bemerkungen über Allons Vergangenheit nur noch. 
 
Silva verknüpft politische Themen mit persönlichen Anliegen seiner Figuren. Die politischen Inhalte sind teils aktuell, scheinen gut recherchiert und laden dazu ein sich dort einzulesen. 
 
Die persönlichen Anliegen sind jedoch die Achillesferse dieses Thrillers:
 
Zum einen fand ich es moralisch fragwürdig, dass zwei Figuren der einen Seite ungestraft ihrer privaten Rachsucht frönen dürfen; unterstütz und bezahlt von ihren Diensten und Staaten.
 
Die Bösen sind böse und die Guten tun im Grunde das Selbe, sind aber die Guten … und deswegen ist Mord und Folter okay, bzw. irgendwie doch ganz cool … ? Hm.
In der Welt der Geheimdienste gibt es wahrscheinlich keine weißen Westen, deshalb schaut man auf Ethik und Moral besser nicht so genau. 
 
Zweitens läuft der Roman zu glatt durch. Er lässt sich dadurch leicht lesen und unterhaltsam ist es auch, aber diese Geradlinigkeit in der Handlung als auch auf der moralischen Ebene lässt Ecken und Kanten vermissen, die andere Thriller und Agenten für mich interessanter machen. Es gibt Wendungen und Probleme, die gemeistert werden müssen, am Ende dachte ich dennoch: Och, das war nun eigentlich ziemlich einfach. 
 
Aber es ist unterhaltsam. So zum locker weg lesen an einem regnerischen Nachmittag. 
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review 2017-03-12 11:07
Spannend und äußerst lehrreich
Agent 6 - Tom Rob Smith

Tom Rob Smith ist vermutlich der Begründer meiner Vorliebe für politische Thriller. Sein Debüt „Kind 44“ trat in mein Leben, als ich längst genug hatte von ewig gleichen Psychothrillern. Die Geschichte des Agenten Leo Demidow, der versucht, in einem System Serienmorde aufzuklären, in dem es offiziell keine Verbrechen gab, faszinierte mich ungemein, weil der Fall eine dominante politische Ebene hat. Ich lernte viel über die stalinistische Sowjetunion, über die ich bis dahin fast gar nichts wusste. Der Fortsetzung „Kolyma“ verdanke ich mein Wissen über Gulags. Ich kann nicht erklären, warum es Jahre brauchte, bis ich das Finale der Trilogie las. Es schien einfach nie der richtige Moment zu sein.

 

Moskau 1950: der amerikanische Sänger Jesse Austin ist als Freund des Kommunismus vom sowjetischen Regime in die Stadt eingeladen. Die Geheimpolizei hat alle Hände voll zu tun, die Makel eines fehlerhaften Systems zu verschleiern. Beinahe ruiniert der Agent Leo Demidow die gesamte Mission. Lediglich die schnelle Auffassungsgabe einer jungen Lehrerin rettet die riskante Situation. Der Besuch wird ein Erfolg.
15 Jahre später fliegen Leos Frau Raisa und ihre beiden Töchter in die USA. Die Reise ist eine propagandistische Sensation. Ein gemeinsames Konzert in New York soll die Welt von der Harmonie zwischen USA und UdSSR überzeugen. Während öffentlich Einigkeit zelebriert wird, entfaltet sich im Hintergrund eine gefährliche Intrige. In ihrem Mittelpunkt stehen Jesse Austin, das alternde Gesangstalent – und Leos Familie. Der Auftritt eskaliert zur Katastrophe. Leos Leben wird binnen eines Wimpernschlags zerstört. In tiefer Trauer schwört Leo, die Verantwortlichen zu finden. Es ist der Beginn einer jahrelangen Suche nach Rache, die ihn von Russland über Afghanistan bis nach New York führt, stets auf der Spur des Mannes, der ihm alles nahm, was ihm je etwas bedeutete: Agent 6.

 

Während meiner Recherchen für die Rezension zu „Agent 6“ stieß ich auf ein interessantes Interview des Süddeutsche Zeitung Magazins mit dem Autor Tom Rob Smith. Er offenbart darin eine erstaunliche Beziehung zu seinen Figuren: „Ich setze meine Figuren unter Druck und sehe ihnen dann zu, wie sie leiden und sich allmählich verändern. Sobald eine Figur unter Druck steht, kann ich mit ihr glaubhaft machen, was ich will”. Diese Einstellung ist radikal, als Thriller-Autor aber sicher unverzichtbar. Denke ich an den Protagonisten Leo, sehe ich den Wahrheitsgehalt in Smith‘ Worten. Es sind definitiv Drucksituationen, die ihn in allen drei Bänden verändern. „Agent 6“ schließt den Kreis seines Entwicklungsprozesses. Die Ereignisse des dritten Bandes lassen ihn zu einer Persönlichkeit degenerieren, die dem Leo vom Beginn der Trilogie sehr ähnlich ist. Am Ende seiner Geschichte ist er wieder der Mann, mit dem alles angefangen hat: kaltblütig und skrupellos. Ich finde das bemerkenswert, weil Tom Rob Smith eindrucksvoll illustriert, dass man die Vergangenheit noch so tief vergraben kann, unter den richtigen Umständen holt sie einen trotzdem ein. Leo kann nicht leugnen, wer und was er ist. Für seine Familie kehrte er dem System, in dessen Namen er folterte und mordete, den Rücken. Doch als jenes System seine Familie zerstört, fällt Leo in alte Verhaltensmuster zurück, weil er glaubt, nichts mehr zu verlieren zu haben. Sein Rachedurst kostet ihn 15 Jahre, folglich umspannt das Buch insgesamt knapp 31 Jahre. Ich fand die daraus resultierenden großen Zeitsprünge schwierig, da ich mir selbst ausmalen musste, wie Leo die vergangene Zeit verbrachte und mich an die plötzlich älteren Versionen seiner Figur gewöhnen musste. Ich begriff nicht so recht, worauf die Geschichte hinauslaufen sollte, denn der namensgebende Agent 6 taucht den Großteil des Buches nicht einmal als Randnotiz auf. Ich war ungeduldig und hatte das Gefühl, der Autor käme nicht zu Potte. Mittlerweile verstehe ich jedoch, dass es Smith primär nicht um die Suche nach Agent 6 ging, sondern um die Darstellung des geschichtlichen Rahmens. Der letzte bedeutende Zeitraffer katapultierte mich nach Afghanistan im Jahre 1980. Leo arbeitet als sowjetischer Berater für das kommunistische Regime in Kabul. Ich wusste bis dato nicht, dass die UdSSR damals versuchte, den Kommunismus in Afghanistan zu etablieren. Mir war vage bewusst, dass „die Russen“ irgendwann einmal Krieg in Afghanistan geführt haben, doch die Details dieses Konflikts waren mir unbekannt. Eine gravierende Wissenslücke, die Tom Rob Smith mit hervorragend recherchierten Fakten füllte. Die Gräueltaten der Besetzung erschütterten mich. Es ist erschreckend, wie viel Blut im Namen einer Ideologie vergossen wurde. Der Ost-West-Konflikt wurde auf dem Rücken der afghanischen Bevölkerung geführt; während die Rote Armee ins Land einmarschierte, versorgten die USA oppositionelle Mudschaheddin-Gruppen mit Waffen und schürten die Gewalt. Die Bezeichnung „Kalter Krieg“ ist ein verharmlosender, makabrer, schlechter Scherz.

 

„Agent 6“ erweitert den Fokus der „Leo Demidow“-Trilogie. Während sich die Vorgänger auf innenpolitische Strukturen konzentrierten, ist das Finale auf die Außenpolitik der UdSSR ausgerichtet. Tom Rob Smith zeigt die schmutzigen, blutigen Exzesse des Ost-West-Konflikts. Dieser propagandistisch geprägte Krieg kostete Millionen Menschen das Leben – nicht nur diejenigen, die in Kampfgebieten fielen, sondern auch diejenigen, die zwischen die Fronten der Geheimdienste gerieten. Menschen wie Leos Familie. Daher fand ich „Agent 6“ sowohl spannend als auch äußerst lehrreich, obwohl ich der Meinung bin, dass dieser dritte Band Leos tragische Geschichte beendet, ohne sie tatsächlich abzuschließen. Das Ende des Finales ist offen gestaltet, sodass die Leser_innen nie erfahren, wie es dem Protagonisten ergeht, nachdem die Handlung abbricht. Ich hoffe, dass er ein Happy End erleben durfte, sehe angesichts seiner Taten allerdings schwarz für ihn. Vielleicht verdient Leo das auch gar nicht. Er ist kein Held. Er ist ein Killer.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/03/12/tom-rob-smith-agent-6
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