logo
Wrong email address or username
Wrong email address or username
Incorrect verification code
back to top
Search tags: rassismus
Load new posts () and activity
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2020-01-29 10:47
Strafe muss sein
The Accursed - Joyce Carol Oates

Von 1978 bis 2014 unterrichtete Joyce Carol Oates Kreatives Schreiben an der Eliteuniversität Princeton in New Jersey. Princeton wurde 1746 gegründet und ist die viertälteste Universität der USA. Die reiche Geschichte der privaten Hochschule inspirierte Oates. Besonders faszinierte sie das Rektorat von Woodrow Wilson, der dieses Amt von 1902 bis 1910 ausübte. Der 28. US-Präsident wird im kollektiven US-amerikanischen Gedächtnis als progressiver, reformerischer Held verehrt, der die USA bis 1917 aus dem Ersten Weltkrieg heraushielt. Es wird hingegen gern verschwiegen, dass er ein Rassist war, der die Rassentrennung unterstützte und das Frauenwahlrecht ablehnte. 1984 hatte Oates genügend Material über Princeton während Wilsons Rektorat gesammelt, um einen Roman zu beginnen, der die vernachlässigte moralische Verpflichtung der weißen Elite der afroamerikanischen Bevölkerung gegenüber thematisiert, doch sie fand nicht die richtige Erzählstimme, den richtigen Ansatz für ihre Geschichte. Knapp 30 Jahre ruhte das Manuskript. 2011 hatte sie eine Eingebung und holte es wieder hervor. Es entstand der Schauerroman „The Accursed“, in dem Oates die Gleichgültigkeit der weißen Oberschicht mit einem Fluch bestraft.

 

1905 ist das ruhige Universitätsstädtchen Princeton ein Hort des Wissens und des Wohlstands. Seine Einwohner_innen sind ausnahmslos hochangesehene Mitglieder der Gesellschaft. Sie stammen aus ehrwürdigen Familien, qualifizieren sich als bescheidene Berühmtheiten und bilden eine akademische Elite, die argwöhnisch über die ihren wacht. Vereinnahmt von den kleinlichen Sorgen und Streitigkeiten ihrer Gemeinschaft ignorieren sie das Unrecht der Welt. Sie erkennen nicht, dass ihre Gleichgültigkeit Konsequenzen hat. Ein Fluch sucht Princeton heim. Das Böse wandelt mitten unter ihnen und wird nicht eher ruhen, bis sie alle bestraft wurden. Sie wähnten sich sicher hinter den erhabenen Mauern vornehmer Anwesen und efeuberankter Universitätsgebäude. Doch keine Seele bleibt unberührt.

 

„The Accursed“ ist eine Inszenierung. Von der ersten bis zur letzten Seite ist dieser Schauerroman ein wohldurchdachtes Konstrukt, in dem jedes Detail dazu beiträgt, die rassistische Ignoranz der weißen akademischen Elite um die Jahrhundertwende herum zu verurteilen. Joyce Carol Oates akzeptiert keine Ausreden, keine Ausflüchte und keine Relativierungen. Sie straft. Und sie straft hart. Deshalb ist dieses Buch verblüffend grimmig und anders als jeder Roman, den ich bisher aus ihrer Feder gelesen habe. Ich liebe die Vielfältigkeit der preisgekrönten Schriftstellerin. Ich weiß nie, was mich erwartet, wenn ich eines ihrer Bücher aufschlage. „The Accursed“ überraschte mich, weil Oates ihre finstere Geschichte trotz ihrer eigenen Verbindung zu Princeton nicht selbst erzählt. Sie leiht ihre Stimme dem (wahrscheinlich) fiktiven Hobby-Chronisten M.W. van Dyck II, geboren 1906 und ein Nachfahre einer der ältesten Familien in Princeton. Die Perspektive eines indirekt Betroffenen, der sich um Objektivität bemüht, sie jedoch niemals vollständig gewährleisten kann, erlaubt es ihr, eine persönliche Nuance des sogenannten „Crosswick-Fluchs“ herzustellen, ohne die subjektive Verklärung eines Opfers zu riskieren. Gleichzeitig befreit van Dyck sie durch sein Geständnis, kein ausgebildeter Historiker zu sein, von der Notwendigkeit, rationale Interpretationen der Ereignisse anbieten zu müssen, was ihr unheimliches Potential erhöht. Die Spielarten des Fluches sind mannigfaltig und perfide, sodass dessen Muster ausschließlich rückblickend erkennbar ist und sich eine schauerliche, giftige Atmosphäre einschleicht, die einen altmodischen Geschmack auf der Zunge hinterlässt. Gestohlene Bräute, düstere Träume, Geisterheimsuchungen – jede Familie erfährt eine individuelle Form der grotesken Vergeltung, zu der sie selbst beitragen, weil die gesellschaftlichen Konventionen der Epoche und ihres Standes es ihnen verbieten, über Sorgen und Ängste offen zu sprechen. Ihr sozialer Status, der ein Grund für ihre rassistisch gefärbte Gleichgültigkeit ist, wird ihnen zum Verhängnis, was mir äußerst intelligent und angemessen erschien, denn Oates lässt sie unbemerkt selbst zu Vollstrecker_innen werden. Zusätzlich interessant wurde diese Strategie durch die Involvierung echter Figuren der Geschichte, neben Woodrow Wilson zum Beispiel Grover Cleveland, Upton Sinclair, Jack London und Mark Twain. Die Mischung erdichteter und historischer Persönlichkeiten in einem reellen Setting erzeugt in „The Accursed“ eine nervenaufreibende Spannung zwischen Fakten und Fiktion. Immer wieder fragte ich mich, welche Porträts und Beschreibungen authentisch sind und welche lediglich Oates‘ Fantasie entsprangen. Dabei ging sie so subtil vor, dass die Details kaum zu überprüfen sind. Glaubt mir, ich habe es versucht.

 

„The Accursed“ ist ein gewohnt überzeugender Roman von der Begründerin des Psychologischen Realismus. Trotz paranormaler Elemente beweist Joyce Carol Oates auch in dieser Geschichte ihr unnachahmliches Talent für einfühlsame, wirklichkeitsnahe Charakterisierungen, die die Grenzen zwischen Realität und Fiktion mühelos aushebeln. Die Lektüre war etwas schwerer verdaulich, weil der geschichtliche bzw. pseudo-geschichtliche Input immens ist und vermutlich oft mehr Informationen bietet als unbedingt nötig, aber meiner Meinung nach gehört dieser Detailreichtum zur Inszenierung und trägt zur Etablierung des Erzählers bei, den Oates unmissverständlich als Mann vorstellt, der mit Leidenschaft über sein Lieblingsthema referiert. Der vielleicht größte Unterschied zwischen „The Accursed“ und ihren übrigen Werken ist das geringe Mitgefühl, das sie ihren Figuren gegenüber zeigt. Das ist ungewöhnlich, jedoch keineswegs unmotiviert. Rassismus verdient kein Mitleid. Nicht einmal, wenn er sich durch Untätigkeit äußert.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2020/01/29/joyce-carol-oates-the-accursed
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2018-09-25 09:32
Er ist ein Mörder
The Run of His Life: The People v. O. J. Simpson - Jeffrey Toobin

Heute starten wir zusammen ein Rezensionsexperiment. In den nächsten Tagen werde ich euch drei Rezensionen präsentieren, die drei Bücher mit ganz unterschiedlichen Perspektiven auf dasselbe Thema besprechen. Wir werden uns mit einer der bedeutendsten Fehlentscheidungen der US-amerikanischen Justiz auseinandersetzen, die drei verschiedene Personen vollkommen divergierend wahrnahmen, erlebten und beschrieben. Wir werden uns mit dem Fall O.J. Simpson beschäftigen.

 

Wir beginnen mit Jeffrey Toobins literarischer Dokumentation „The Run of His Life: The People V. O.J. Simpson”. Ich muss euch warnen: bevor ich über das Buch selbst spreche, werde ich euch mit Fakten und Hintergrundwissen überfluten. Meiner Ansicht nach können wir uns erst dann über das Buch verständigen, wenn wir einen annährend ähnlichen Wissensstand erreicht haben. Außerdem dient die heutige Rezension als Basis für die beiden folgenden Besprechungen in den nächsten zwei Tagen. Ich betrachte diese drei Rezensionen als Verbund, die aufeinander aufbauen. Heute legen wir das Fundament.


Laut US-amerikanischem Strafprozessrecht steht jedem bzw. jeder Angeklagten eine faire Verhandlung vor einer Jury zu. Diese sogenannte Trial Jury besteht aus 12 Geschworenen, die im Idealfall einen Querschnitt der Gesellschaft wiederspiegeln. Diese 12 Laien entscheiden über Schuld oder Unschuld des/der Angeklagten. In der Regel verfügen sie über keinerlei juristisches Vorwissen und stützen ihr Urteil auf die Beweislage, die ihnen von Anklage und Verteidigung während des Prozesses präsentiert wurde. Anders als in Deutschland hat der Richter oder die Richterin keinen direkten Einfluss auf Schuld- oder Freispruch. Er/Sie erfüllt eher eine moderierende Funktion und kann das Urteil einer Jury ausschließlich unter sehr spezifischen Bedingungen aufheben oder ändern.

 

Um Voreingenommenheit zu vermeiden, dürfen die 12 Geschworenen keine Vorkenntnisse über den zu verhandelnden Fall haben. Für die Dauer des Prozesses wird die Gruppe isoliert, um nachfolgende Beeinflussung ebenfalls auszuschließen. Sie werden oft in einem Hotel auf Staatskosten untergebracht und ihr Zugang zu Medien wie Zeitung, Fernsehen und Internet wird reglementiert. Besuch von ihren Familien dürfen sie nur unter strengen Auflagen erhalten.
Geschworenendienst bedeutet häufig Erwerbsausfall. Nicht nur werden Juroren für ihr Engagement häufig mager bezahlt (die Süddeutsche Zeitung spricht von 10$ pro Tag), viele Firmen stellen ihre Lohnzahlungen bereits nach kurzer Zeit ein. Langwierige Prozesse können ein Jurymitglied finanziell ruinieren.

 

In einem Strafprozess muss das Urteil der Jury einstimmig sein. Es obliegt der Anklage, sie davon zu überzeugen, dass der/die Angeklagte die Tat „beyond reasonable doubt“ begangen hat – das heißt, es dürfen keine berechtigten Zweifel bestehen, dass er oder sie schuldig ist. Da diese Voraussetzung keiner festen Definition folgt und die Geschworenen nicht verpflichtet sind, ihr Urteil zu begründen, besteht die Möglichkeit, dass Angeklagte willkürlich schuldig oder freigesprochen werden. Selbst wenn die Beweislage erdrückend ist.

 

Warum erzähle ich euch das alles?

 

Ich erkläre euch die Grundzüge des US-amerikanischen Geschworenensystems, weil dieses Wissen eine Voraussetzung ist, um zu verstehen, wie Orenthal James Simpson am 03. Oktober 1995 des zweifachen Mordes freigesprochen werden konnte. Ich erkläre es euch, damit ihr versteht, warum O.J. Simpson trotz überwältigender physischer Beweise für unschuldig befunden werden konnte.

 

Der Fall O.J. Simpson ist wie kaum ein zweiter im kollektiven Gedächtnis der USA verankert. Anspielungen auf seinen spektakulären Prozess sind in der Popkultur keine Seltenheit. Wann immer die US-amerikanische Justiz kritisiert oder durch den Kakao gezogen wird, ist die Erinnerung an O.J. und den berüchtigten Handschuh nicht weit.

 

Orenthal James Simpson ist ein ehemaliger Profi-Footballspieler. Er wurde am 09. Juli 1947 in San Francisco geboren. Als Runningback spielte er von 1969 bis 1979 bei den Buffalo Bills und den San Francisco 49ers und verdiente sich aufgrund seiner schnellen Füße und seiner Initialen (O.J. = Orange Juice) den Spitznamen „The Juice“.  Nach seiner erfolgreichen aktiven Karriere arbeitete er als Sportkommentator und strebte ins Showbusiness. Er versuchte sich als Schauspieler und verkörperte mehrere kleine Rollen, unter anderem in der Filmreihe „Die nackte Kanone“, konzentrierte sich jedoch hauptsächlich auf die Vermarktung seiner selbst. Er war jahrelang Werbepartner der Autovermietung Hertz.
Seit 1985 war O.J. Simpson in zweiter Ehe mit der Kellnerin Nicole Brown Simpson verheiratet. Kennengelernt hatte er sie bereits sieben Jahre zuvor, als sie 18 Jahre alt war und er in Trennung von seiner ersten Ehefrau lebte. Das Paar bekam zusammen zwei Kinder. Ihre Beziehung war stets turbulent und von teils gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt, die durch Zeugenaussagen und Polizeiberichte belegt sind. Sie ließen sich im Oktober 1992 scheiden, versuchten später allerdings, sich wieder zu versöhnen. Erst im Frühjahr 1994 entschieden sie, sich endgültig zu trennen.

 

Nicole Brown Simpson wurde kurz nach Mitternacht am Morgen des 13. Juni 1994 tot vor ihrem Haus in Los Angeles aufgefunden. Neben ihrem leblosen Körper befand sich die Leiche des jungen Kellners Ronald Goldman. Beide Opfer wiesen erhebliche Verletzungen auf und lagen in einer Blutlache. Die Gerichtsmedizin schlussfolgerte später, dass sie mit einem Messer angegriffen worden waren.
Am Tatort entdeckten die eintreffenden Ermittler einen schwarzen ledernen Herrenhandschuh, Blutstropfen und Fußabrücke, die von Browns Heim fortführten. Als sie ihren Ex-Mann O.J. Simpson, der nur wenige Minuten entfernt wohnte, von ihrem Tod informieren wollten, standen sie vor verschlossenen Türen. In der Einfahrt parkte ein weißer Ford Bronco, an dem den Polizisten ebenfalls Blutspuren auffielen. Besorgt, dass Simpson in Gefahr sein könnte, verschafften sie sich Zutritt und erfuhren von seiner Tochter aus erster Ehe, dass ihr Vater am Abend geschäftlich nach Chicago geflogen war. Auf dem Grundstück bemerkten sie weitere Blutstropfen, die ins Haus zu führen schienen, außerdem entpuppte sich ein Bündel auf einem Pfad neben einem der Gästehäuser als schwarzer Lederhandschuh. Nun galt O.J. Simpson inoffiziell als tatverdächtig.

 

Simpson weilte zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in Chicago, kehrte aber noch am 13. Juni nach L.A. zurück. Er wurde aufs Revier gebracht und befragt. Obwohl seine Aussagen teilweise widersprüchlich und wirr waren und er nicht erklären konnte, wie er sich eine blutende Wunde am Finger zugezogen hatte, ließen ihn die Ermittler wieder gehen. Die nächsten Tage verbrachte Simpson im Haus seines Freundes Robert Kardashian, während die Polizei weitere Beweise gegen ihn sammelte. Am 17. Juni wurde offiziell Haftbefehl erlassen. Simpson entzog sich seiner Verhaftung und wagte einen skurrilen Fluchtversuch in Begleitung seines Freundes Al Cowlings. In Cowlings weißem Ford Bronco (das gleiche Modell, das Simpson besaß und in dem Blutspuren gefunden wurden) schlichen sie über die Straßen in Los Angeles und lieferten sich mit der Polizei eine Verfolgungsjagd im Schneckentempo. Cowlings fuhr, Simpson saß auf der Rückbank und drohte, sich selbst zu erschießen. Seine Flucht wurde live im TV übertragen und wurde zum meistgesehenen Fernsehereignis der 90er Jahre. Die Einwohner_innen von L.A. waren nicht etwa schockiert, sondern feuerten ihren Footballhelden an und malten sogar Schilder, um ihm vom Straßenrand aus zuzujubeln. Die irrwitzige Verfolgungsjagd endete am Abend vor Simpsons Haus. Er ließ sich festnehmen, ohne Widerstand zu leisten. In Cowlings Wagen fanden Polizeibeamte Bargeld, einen Reisepass und einen falschen Schnurrbart. Die Vermutung, O.J. habe sich über die Grenze absetzen wollen, lag nahe, er behauptete jedoch, er habe lediglich Nicoles Grab besuchen wollen.

 

O.J. Simpson wurde am 30. Juni 1994 offiziell des zweifachen vorsätzlichen Mordes angeklagt. Der eigentliche Prozess begann am 22. Juli 1994. Den Vorsitz führte der Richter Lance Ito, die leitende Staatsanwältin war Marcia Clark. Simpson wurde von einem Team hochdekorierter Anwälte vertreten, darunter sein Freund Robert Kardashian, Robert Shapiro, F. Lee Bailey, der Harvarddozent Alan Dershowitz, der DNA-Spezialist Barry Scheck und der afroamerikanische Anwalt Johnnie Cochran, der bereits häufig schwarze Mandanten gegen die Stadt vertreten hatte. In den Medien wurde Simpsons Verteidigung das „Dreamteam“ genannt. Die vorherrschende Meinung besagte, er habe sich die besten Anwälte, die „für Geld zu haben sind“ gesichert.

Der Strafprozess gegen O.J. Simpson war ungemein kompliziert und komplex. Viele Faktoren spielten eine Rolle, die Anklage förderte bergeweise Beweismaterial gegen Simpson zu Tage und es kam zu spektakulären Szenen im Gerichtssaal, zum Beispiel, als Simpson von der Staatsanwaltschaft aufgefordert wurde, die belastenden Handschuhe anzuprobieren, die sowohl seine als auch DNA-Spuren der Opfer trugen. Durch die geschickte Haltung seiner Hände täuschte er vor, die Handschuhe seien zu klein. Der alles bestimmende Aspekt der Verhandlung war allerdings die Entscheidung seitens Simpsons „Dreamteam“, angeführt von Johnnie Cochran, die sogenannte „Rassenkarte“ auszuspielen.

 

O.J. war ein schwarzer Mann, der von der bekanntermaßen mit Rassismus in den eigenen Reihen kämpfenden, überwiegend weißen Polizei von L.A. festgenommen worden war. Cochran war fest entschlossen, seinen Fall als Verschwörung des korrupten, rassistischen L.A.P.D. gegen seinen schwarzen Mandanten zu inszenieren. Die Verteidigung behauptete, Beweise seien manipuliert und platziert, O.J. sei hereingelegt worden. Diese Theorie war nicht nur aufgrund der logischen Abläufe während der Ermittlung sehr weit hergeholt, sondern auch, weil Simpson sich einerseits nie für die afroamerikanische Community eingesetzt hatte und sich selbst offenbar nicht als schwarz begriff (Einem berühmten Zitat zufolge soll er gesagt haben „Ich bin nicht schwarz, ich bin O.J.“) und andererseits sehr gute Beziehungen zu den Polizisten des L.A.P.D. unterhielt. Viele Beamte waren in den vergangenen Jahren auf seinem Grundstück ein und aus gegangen und deckten ihn bezüglich der Vorfälle von häuslicher Gewalt gegen Nicole. Es war absurd, anzunehmen, O.J. sei das Opfer einer Verschwörung. Doch die Taktik der Verteidigung ging auf.

 

Die Jury im Prozess gegen O.J. Simpson bestand hauptsächlich aus schwarzen Bürger_innen. Während der Vorbereitungen hatten sowohl die Teams der Verteidigung als auch der Anklage herausgefunden, dass speziell afroamerikanische Frauen dazu neigten, O.J. als unschuldig zu betrachten. Ungeachtet der Beweise sah die schwarze Bevölkerung in O.J. einen Helden, der seine schwierige Herkunft überwunden und in der Welt der Weißen erfolgreich geworden war. Diesen Helden zugunsten des rassistischen, weißen L.A.P.D. zu verurteilen, war für viele vollkommen unvorstellbar. Die Theorie der Verteidigung, O.J. sei das Opfer einer Verschwörung, lieferte ihnen eine plausible Berechtigung, die Beweise zu ignorieren und ihn freizusprechen.

O.J. Simpson wurde nach über einem Jahr der Prozessdauer am 03. Oktober 1995 von den 12 Geschworenen bedingungslos freigesprochen. Die Jury beriet sich trotz der Länge und Komplexität des Prozesses lediglich vier Stunden. Sie begründeten ihr Urteil nicht. O.J. war ein freier Mann.

 

Ein Jahr nach dem Urteil im Strafprozess musste sich O.J. Simpson in einem Zivilprozess verantworten, den die Familien der Opfer, die Browns und die Goldmans, initiierten. Die Voraussetzungen für eine Verurteilung in einem Zivilverfahren sind deutlich lockerer. Er wurde schuldig gesprochen. Mittlerweile gilt als bewiesen, dass O.J. Simpson ein Mörder ist. Er tötete seine Ex-Frau Nicole Brown Simpson und den Kellner Ronald Goldman.

 

Puh. Habt ihr jetzt auch das Bedürfnis, erst einmal tief Luft zu holen? Ich weiß, ich habe euch nun mit einer Menge Fakten konfrontiert. Ich habe mich bemüht, den Mordprozess gegen O.J. Simpson so knapp wie möglich zusammenzufassen, doch die Komplexität des Falles zwang mich, ordentlich auszuholen. Ich wollte sicher sein, dass ihr genau wisst, wovon ich spreche, wenn wir uns der Rezension zu „The Run of His Life: The People V. O.J. Simpson“ von Jeffrey Toobin widmen. Bevor wir uns mit diesem brillanten Buch beschäftigen, möchte ich euch allerdings zuerst eine kleine Verschnaufpause gönnen und berichten, wie es überhaupt den Weg in mein Bücherregal fand.

 

Der Fall O.J. Simpson tanzte lange am Rande meiner Wahrnehmung entlang. Durch die starke popkulturelle Präsenz, die dieser Mordprozess erlangte, wurde ich in unregelmäßigen Abständen mit Anspielungen konfrontiert, die ich lediglich ansatzweise verstand, beispielsweise in den „Simpsons“ oder im Song „Lifestyles of the Rich and the Famous“ der Band Good Charlotte. Ich begriff, dass O.J. Simpson irgendein Promi war, der leugnete, ein furchtbares Verbrechen begangen zu haben, aber ich kapierte nicht, wieso er damit beißenden Spott provozierte. Während des eigentlichen Prozesses war ich selbstverständlich noch viel zu jung, um überhaupt zu realisieren, was dort in diesem fernen Land namens Amerika passierte. Folglich verfügte ich über keinerlei Kontext, um die bissigen, ironischen Erwähnungen von O.J., des Handschuhs oder Johnnie Cochran korrekt einzuordnen. Ich plante zwar immer, den Fall irgendwann einmal zu recherchieren, aber wie es eben so ist im Leben, habe ich es nie getan.

 

Meine Neugier wurde erst richtig geweckt, als ich die Ankündigung las, dass es einen Ableger von „American Horror Story“ geben sollte. In diesem Spin-Off mit dem Titel „American Crime Story“ werden reale Fälle der US-amerikanischen Justiz vorgestellt, die große öffentliche Aufmerksamkeit erregt haben. Die erste Staffel behandelt den Fall O.J. Simpson. Da „American Horror Story“ zu meinen Lieblingsserien zählt, hatte ich keine Zweifel, was die Qualität von „American Crime Story“ betrifft und betrachtete es als günstige Gelegenheit, meine Wissenslücken endlich zu schließen.
Die erste Staffel gefiel mir außerordentlich gut. Ich fand die filmische Umsetzung des Prozesses gegen O.J. Simpson ungemein spannend und mitreißend. Die Tatsache, dass es sich um reale Ereignisse handelte, verursachte einen zusätzlichen Kitzel und als ich die 10 Folgen der Staffel vollständig gesehen hatte, ließ mich das Thema nicht los. Ich war fasziniert und wollte unbedingt noch mehr über diesen sensationellen Fall, der als beispielloser Justizirrtum in die Geschichte der USA einging, wissen. Ich wollte mehr Details. Ich wollte wissen, wie akkurat „American Crime Story“ die Fakten verarbeitet hatte und wie viel Interpretation in den Szenen steckte. Ich wollte mir eine eigene Meinung bilden.

 

Zuerst sah ich mir Fotos der Beteiligten an und surfte durch Wikipedia-Artikel, aber als passionierter Bücherwurm war es für mich natürlich naheliegend, Antworten in Büchern zu suchen. Glücklicherweise haben beinahe alle Mitwirkenden irgendwann biografische Bücher ihrer Erlebnisse während des Prozesses veröffentlicht, sodass ich nicht mühsam Lektüre ausfindig machen musste, sondern einfach auswählen konnte, was mich interessierte. Ich nahm Abstand von den Biografien der Verteidiger, weil mich die Selbstinszenierung, die viele der Anwälte in O.J.s Kielwasser betrieben hatten, abstieß. Stattdessen entschied ich mich für drei Werke, die den Fall meinen Erwartungen zufolge umfassend abdeckten: „Without A Doubt“ von der leitenden Staatsanwältin Marcia Clark, das hypothetische Geständnis „If I Did It“ von O.J. Simpson selbst und „The Run of His Life: The People V. O.J. Simpson“ des ehemaligen Anwalts und Journalisten Jeffrey Toobin.

 

„The Run of His Life“ landete aus zwei Gründen auf meiner Auswahlliste: erstens wusste ich, dass dieses Buch als Vorlage für „American Crime Story“ diente; zweitens erhoffte ich mir von Toobin eine objektive Schilderung des Prozesses, da er als Journalist selbst nicht direkt involviert war. Aus denselben Gründen entschied ich, meine private Recherchemission mit exakt diesem Bericht zu beginnen.

Jeffrey „Jeff“ Toobin arbeitete zur Zeit des Strafprozesses gegen O.J. Simpson als Journalist beim New Yorker und wurde von seinem Blatt nach L.A. geschickt, um wenn möglich direkt aus dem Gerichtssaal zu berichten. Er war selbst eine Zeit lang Anwalt und qualifizierte sich daher als geeigneter Reporter, der die Feinheiten juristischer Strategien erkannte, begriff und den Leser_innen erklären konnte. Toobin begleitete den gesamten Prozess, da er einen der wenigen, heiß begehrten festen Sitze für die Presse in Lance Itos Saal ergatterte. „The Run of His Life“ ist das Ergebnis seiner persönlichen Beobachtungen, Analysen und Gedanken aus über zwei Jahren der Berichterstattung, sowie der ausführlichen Sichtung von Beweis- und Medienmaterial und zahlreicher Interviews mit mehr als 200 Menschen, die in irgendeiner Form vom Mordprozess gegen O.J. Simpson betroffen waren.

 

Meiner Meinung nach ist „The Run of His Life” ein Recherche-Meisterwerk. Es ist eine unglaublich aufwendige Fleißarbeit, in der Jeffrey Toobin eine überzeugende, detailreiche Zusammenfassung des über ein Jahr andauernden Strafprozesses gegen O.J. Simpson bietet. Er integrierte neben seinen persönlichen Erinnerungen Hintergrund- und biografische Informationen zu allen (wichtigen) Beteiligten, nachvollziehbare Einschätzungen der Vorgänge im Gerichtssaal, sowie Augen- und Zeitzeugenberichte. Obwohl das Buch durch eine ausgeglichene, sachliche Schilderung der Ereignisse beeindruckt, gelang es Toobin, seine private Meinung subtil auf der Metaebene einfließen zu lassen. Er kritisiert und urteilt diskret, ohne Spekulationen anzustellen oder seine Leser_innen aggressiv zu beeinflussen. Ich erhielt nicht nur einen einzigartig intensiven Einblick in die Fakten des Prozesses, es war mir auch problemlos möglich, eigene Ansichten zu entwickeln.

 

Für mich besteht kein Zweifel, dass O.J. Simpson schuldig ist. Er ist ein Mörder. Er tötete Nicole Brown Simpson und Ronald Goldman. Das Urteil der Jury war eine kolossale gerichtliche Fehlentscheidung und nicht gerecht. Die Beweislast war erdrückend; er hätte verurteilt werden müssen. Ich begreife nicht, wie die 12 Geschworenen seinen Lügen Glauben schenken konnten. Aus meiner Sicht hätte es vollkommen unerheblich sein müssen, dass sie in ihm ein Symbol sahen. Es hätte keine Rolle spielen dürfen, dass er schwarz und berühmt ist. Es ist richtig, dass das L.A.P.D. Schwierigkeiten mit rassistischen Beamten hatte und dass der Polizist Mark Fuhrman, der den berüchtigten Handschuh auf O.J.s Grundstück fand und im Prozess traurige Berühmtheit erlangte, ein beschämendes Negativbeispiel für diese Schwierigkeiten darstellte, aber seine menschenverachtenden Ansichten schlugen sich nicht auf seine Arbeit am Tatort nieder. Er verhielt sich vorschriftsgemäß. Es gab keine Verschwörung. Es wurden weder Beweise platziert noch manipuliert. Die Schritte, die dafür nötig gewesen wären, waren viel zu kompliziert und unrealistisch, um sie tatsächlich zu vollziehen. Es mag sein, dass während der Ermittlungen Fehler geschahen und sich einige Mitarbeiter_innen fahrlässig verhielten, doch nachfolgende Untersuchungen zeigten, dass keiner dieser Fehler die Fakten kompromittierte. Die Fakten, das waren Blut- und DNA-Spuren, Faserrückstände, Fußabdrücke, zeitliche Abläufe und die tragische Vorgeschichte des Ehepaars Simpson. O.J. Simpson hatte Motiv und Gelegenheit und nichts, was seine Verteidigung, sein „Dreamteam“, während des Prozesses aus dem Hut zauberte, überzeugte mich vom Gegenteil. Ich wiederhole mich: O.J. Simpson ist ein Mörder. Seine Hautfarbe und sein sozialer Status hatten keinen Einfluss auf die Fakten, folglich hätte die Jury den Simpson-Fall nicht missbrauchen dürfen, um ein Exempel zu statuieren. Sie verwehrten Nicole und Ron Gerechtigkeit.

 

Ich werfe diesen fatalen Justizirrtum sowohl der Anklage als auch der Verteidigung vor. Die Rassendimension des Falls wurzelt tief in den Konflikten der US-amerikanischen Gesellschaft, in der Rassismus ein anhaltendes, konkretes, nicht zu leugnendes Problem ist. Auf gewisse Weise ist das L.A.P.D. selbst verantwortlich für die Wendung, die der Prozess gegen O.J. Simpson nahm, indem es von Hass getriebene Personen wie Mark Fuhrman beschäftigte und vermutlich bis heute beschäftigt. Trotz dessen war es die Verteidigung rund um Johnnie Cochran, die Rassismus als beherrschenden Aspekt der Verhandlung inszenierte und der Presse, dem 13. Jurymitglied, zum Fraß vorwarf, um von der Schuld ihres Mandanten abzulenken. Es oblag der Anklage, diese Fehlinterpretation der Fakten als Nonsens zu entkräften und die Jury von einem vernunftbasierten Urteil zu überzeugen. Sie versagten. Natürlich wurden sie durch willkürliche, schwer nachzuvollziehende und teils schlicht falsche Entscheidungen des Richters Lance Ito behindert, aber die Beweise hätten ungeachtet dieser Komplikationen zu einer sicheren Verurteilung führen müssen. Ich hatte den Eindruck, dass Marcia Clark und ihr Team den Fall durch Arroganz, Unfähigkeit und Unerfahrenheit an die Wand fuhren. Sie dachten, sie hätten bereits gewonnen. Manchmal wollte ich ins Buch greifen und die Staatsanwaltschaft geschlossen schütteln, weil sie einige wirklich dumme Fehler machten, die der Verteidigung direkt in die Hände spielten.

 

Über das legendäre „Dreamteam“ könnte ich eine seitenlange Schimpftirade verfassen. Es erschließt sich mir nicht, wie sich überhaupt jemand finden konnte, der den völlig offensichtlich schuldigen O.J. Simpson reinen Gewissens vertreten konnte. Rational weiß ich natürlich, dass ihr Gewissen die geringste Sorge seiner defensiven Armada war. Die Antwort, warum sich Anwälte darum rissen, ihn zu vertreten, ist sehr einfach: Geld. Geld und Ruhm. Jeder einzelne seiner Verteidiger nutzte den Mordprozess für eine private Agenda, die vor allem aus der Pflege ihrer Egos bestand. Ich finde sie alle abstoßend. Es spricht Bände, dass ich mich bewusst dagegen entschied, eines ihrer Bücher zu lesen. Ich muss nicht Zeugin werden, wie sich Robert Shapiro als missverstandener Edelmann porträtiert, dem übel mitgespielt wurde. Nein, danke, ich könnte auch einfach verschimmelte Lebensmittel herunterwürgen, wenn ich Brechreiz verspüren möchte.

 

Obwohl ich sie alle für egozentrische Verbrecher in teuren Anzügen halte, erkämpfte sich Johnnie Cochran einen speziellen Platz im Zentrum meiner Abneigung. Ich hatte nie das Gefühl, dass sein Einsatz für die afroamerikanische Bevölkerung aufrichtig war. Vielleicht schätze ich ihn falsch ein, aber das Credo „Der Zweck heiligt die Mittel“, das er im Simpson-Prozess verfolgte, lässt mich an seinen Motiven zweifeln. Der Kampf um Gerechtigkeit darf niemals zugunsten des Unrechts geführt werden. Hätte Johnnie Cochran wirklich daran gelegen, die Situation für Afroamerikaner_innen zu verbessern, hätte er dann in Kauf genommen, dass ein Mörder davonkommt? Ich glaube, er sah im Prozess gegen O.J. Simpson eine profitable Einnahmequelle und eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit, das Rampenlicht zu beanspruchen. Eine weitere Schlacht in seinem heiligen Krieg gegen Rassismus und Willkür in den Rängen der Polizei. Ich vermute, dass sein Kampf eher gegen die Polizei als für die schwarze Bevölkerung ausgerichtet war. Er instrumentalisierte den Fall auf Kosten der Familien der Opfer – für einen Mann, der sich niemals um seine afroamerikanischen Wurzeln scherte. Cochran wird gewusst haben, dass Simpson sich nicht als schwarz identifizierte und ich denke auch, dass Cochran wusste, dass sein Mandant schuldig ist. Er glaubte ebenso wenig an eine Verschwörung des L.A.P.D. wie die Anklage. Den Fokus des Falls trotz dessen auf das Thema Rassismus zu lenken, war zutiefst unmoralisch, womit er sich allerdings in bester Gesellschaft befand.

 

Angeblich soll sich Simpson anfangs höchstpersönlich gegen das Ausspielen der „Rassenkarte“ gestellt haben. Das Zitat „Ich bin nicht schwarz, ich bin O.J.“ tauchte sowohl in „American Crime Story“ als auch in „The Run of His Life“ auf und – ich kann es nicht anders sagen – es passt zu O.J. Simpson. Letztendlich ließ er sich dennoch davon überzeugen, diese Strategie zu verfolgen, weil sie erfolgsversprechend war, aber es handelte sich dabei um wenig mehr als eine clevere Farce. Sein Image hatte für O.J. Simpson stets oberste Priorität. Auch er nutzte den Prozess zur Selbstdarstellung. Weder interessierte er sich tatsächlich für die Zukunft seiner Kinder, die er immer nur dann vorschob, wenn er Mitleid erregen wollte, noch verschwendete er jemals einen Gedanken an Nicole, Ron oder ihre Familien. Ich halte ihn für einen ganz und gar widerlichen Menschen. Er ist ein narzisstischer Frauenschläger, ungebildet, prahlerisch und wehleidig. O.J. Simpsons Existenz dreht sich ausschließlich um O.J. Simpson. Es will mir nicht in den Kopf, wie man so werden kann. Ein Psychotherapeut hätte vermutlich seine wahre Freude an ihm. Ich kann mir vorstellen, dass er über einige psychische Dysfunktionen verfügt. Er erweckt in mir eine so starke Antipathie, dass ich ihm den tiefen sozialen Fall, den er nach seinem Freispruch erlebte, von Herzen gönne. O.J. Simpson wanderte nämlich doch noch ins Gefängnis. Nicht für die Morde an Nicole und Ron, sondern für einen bewaffneten Raubüberfall, den er am 13. September 2007 in Las Vegas verübte. Er saß fast neun Jahre und wurde erst letztes Jahr, im Oktober 2017, auf Bewährung entlassen. Zwar bringt diese Strafe Nicole und Ron nicht zurück und ist lediglich ein trauriger Ersatz für die Gerechtigkeit, die sie verdient hätten, aber es verschafft mir eine bösartige Genugtuung, dass ihn sein (vergangener) Ruhm und seine Hautfarbe dieses Mal nicht retten konnten. Keine Lügen mehr, keine Ausreden, gehe nicht über Los. Tragen Sie die Konsequenzen ihrer Taten, Mr. Simpson.

 

Mit „The Run of His Life“ konnte ich meine Mission, mein Wissen zum Fall O.J. Simpson zu erweitern, definitiv erfüllen. Die erste Staffel von „American Crime Story“ bewegte sich zwar sehr dicht an Jeffrey Toobins Buch, musste jedoch selbstverständlich vieles deutlich kürzen. Ich bin froh, dass mich meine Neugier dazu trieb, die vielen Details und Feinheiten, die diesen Prozess bestimmten, zu ermitteln und mein Verständnis dessen, wie dieser gewaltige Justizirrtum möglich war, zu vertiefen. Toobin hat sich selbst übertroffen und mit seinen exorbitanten Recherchen ein wichtiges Zeugnis unserer Zeit erschaffen. So unwahrscheinlich es mir auch erscheint, solltet ihr jemals das Bedürfnis verspüren, euch selbst mit dem Fall O.J. Simpson zu beschäftigen, kann ich euch diese detaillierte, zuverlässige und spannend geschriebene Dokumentation nur ans Herzen legen.


Wir haben das Fundament errichtet. Morgen wird es hier die nächste Rezension zum Thema „O.J. Simpson“ geben, die das zweifellos umstrittenste Buch aus meiner Auswahl bespricht: „If I Did It“, das Simpson mithilfe eines Ghostwriters nach dem Prozess schrieb. Wie der Titel bereits vermuten lässt, handelt es sich dabei um ein hypothetisches Geständnis, in dem Simpson beschreibt, wie die Morde an Nicole Brown Simpson und Ronald Goldman geschehen wären, hätte er sie begangen. Das Buch ist untrennbar mit dem Zivilprozess der Familien der Opfer gegen Simpson verknüpft, das heißt, hierzu werde ich erneut einige Hintergrundinformationen bereitstellen. Schaut vorbei, wenn ihr erfahren wollt, was es mit diesem fragwürdigen Buch auf sich hat und wie O.J. Simpson die Tatnacht erinnert – natürlich rein hypothetisch.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/09/25/jeffrey-toobin-the-run-of-his-life-the-people-v-o-j-simpson
Like Reblog Comment
review 2017-09-14 17:03
Rezension | Underground Railroad von Colson Whitehead
Underground Railroad: Roman - Colson Whitehead,Nikolaus Stingl

Beschreibung

 

Cora ist eine junge Frau, und eine von vielen Farbigen, die auf einer Baumwollplantage in Georgia ihren Dienst verrichten. Die Behandlung der Sklaven auf der Plantage ist grausam und so ist der Wunsch zu fliehen unermesslich groß. Schließlich gelingt es Cora und Caesar zu fliehen und mit Hilfe des geheimen Fluchtnetzwerkes der Underground Railroad stehen ihre Chancen auf ein freies Leben gut.

 

Dennoch gestaltet sich die Flucht und das neue Leben schwieriger als gedacht. Kopfgeldjäger und die verschiedenen Gesetze der einzelnen Staaten erschweren es den Farbigen ungemein, aus der Sklaverei auszubrechen.

 

Meine Meinung

 

Colson Whitehead befasst sich in seinem neuen Roman „Underground Railroad“, der bereits mit dem Pulitzer Preis 2017 ausgezeichnet wurde, mit einem Thema dass schon seit Jahrhunderten nicht an Aktuallität verliert – Rassismus.

 

"Sie war nicht überrascht, als sein Charakter sich zeigte – wenn man lang genug wartete, tat er das immer." (Underground Railroad, Seite 21 (epub Version)

 

Schonungslos zeichnet der Autor mit Hilfe der fiktive Lebensgeschichte über die junge farbige Cora das menschenunwürdige Leben einer Sklavin auf einer Baumwollplantage. Der Blick wendet sich auf den harten Arbeitsalltag und die damit einhergehenden Ängste, Sorgen und Probleme. Dabei wird nicht nur durch die schlechte Behandlung durch den Plantagenbetreiber, sondern auch durch die Konflikte zwischen den Sklaven deutlich, welch grauenvolles Leiden, in seelischer wie auch körperlicher Hinsicht, einem jeden Sklaven aufgebürdet wird. Der klare und treffende Schreibstil von Colson Whitehead lässt eine dazu passende Atmosphäre entstehen, die den Leser fest in den Griff nimmt und geradewegs zu erdrücken scheint. Emphatische Menschen und zart besaitete Menschen sollten diesen Lesestoff gut dosieren.

 

"Die Weißen fraßen einen auf, aber manchmal taten das auch die Farbigen."  (Underground Railroad, Seite 60 (epub Version)

 

Durch den geschickten Aufbau der Geschichte erzeugt Colson Whitehead einen unaufdringlichen Spannungssog. Kurze Kapitel aus der Perspektive diverser Akteure wie z. B. der eines Sklavenfängers (Kopfgeldjäger), Arztes oder einer Helferin des Flüchtlingsnetzwerkes der Underground Railroad geben ein umfassendes Bild ab. Allerdings fand ich einige Abschnitte etwas zu kurz angerissen, vielleicht hat sich mir gerade deshalb der Sinn dieser „kurzen Ausflüge“ im Kontext zu Coras Geschichte nicht immer ganz erschlossen.

 

Im Gegensatz zu diesen kurzen Kapiteln überzeugen die längeren Kapitel aus Coras Perspektive ungemein. Der durch die Kolonisierung Amerikas enstandene Sklavenhandel wird dem Leser durch die mutige und kämpferische Hauptprotagonistin auf eine sehr emotionale Weise näher gebracht. Coras Geschichte hat Seite um Seite eine immer größer werdende Sogwirkung entwickelt und mich fest an die Seiten gebannt.

 

"Sie waren selbst Geister, gefangen zwischen zwei Welten: der Wirklichkeit ihrer Verbrechen und dem Jenseits, das ihnen wegen dieser Verbrechen verweigert wurde."  (Underground Railroad, Seite 178 (epub Version)

 

Cora glingt die Flucht über die unterirdischen Wege der Underground Railroad. Was in der Realität für ein Flüchtlingsnetzwerk aus Gegnern der Sklaverei stand, die sich der Metaphern der Eisenbahn bedienten, wird in dem Roman wortwörtlich zum Sinnbild. Im Laufe des Plots macht man Bekanntschaft mit Schaffnern, Stations- und Bahnhofsvorstehern die sich mit Herzblut für die Sache einsetzen. Ich hätte mir gewünscht, dass man über dieses Netzwerk noch mehr erfährt und vor allem, dass die fiktive Seite der Geschichte und die historischen Hintergründe dazu in einem Nachwort erläutert werden.

 

Fazit

 

Colson Whiteheads Roman über Rassenwahnsinn und das menschliche Bestreben nach Freiheit geht tief unter die Haut.

Source: www.bellaswonderworld.de/rezensionen/rezension-underground-railroad-von-colson-whitehead
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2017-08-05 07:54
Rezension | The Hate U Give von Angie Thomas
The Hate U Give - Angie Thomas

Beschreibung

 

Starr ist sechzehn Jahre alt und lebt in zwei grundverschienen Welten. Den Tag verbringt sie in einer Privatschule, an der sie zu den wenigen Schwarzen gehört. Der Rest ihres Lebens spielt sich in Garden Heights, einem armen Stadtviertel für Schwarze ab, in dem es auch zu Ausschreitungen kommt.

 

Nach einer Party wird Starr Zeugin eines schrecklichen Verbrechens. Kahlil, ihr bester Freund seit Kindertagen, wird vor ihren Augen von einem Polizisten erschossen. Plötzlich steht Starr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und muss all ihren Mut zusammen nehmen um für Gerechtigkeit zu kämpfen.

 

Meine Meinung

 

Angie Thomas Jugendroman „The Hate U Give“ ist ein bildgewaltiges Debüt mit Gänsehautfaktor. Bereits vor der deutschen Veröffentlichung zog der Roman große Aufmerksamkeit auf sich und wurde bereits auf einigen Seiten besprochen. Der besondere Hype um das Buch zeichnet sich auch dadurch aus, dass bereits vor der Bucherscheinung die Filmrechte vergeben wurden.

 

Natürlich wollte ich mich nun selbst von der Einzigartigkeit dieser Story überzeugen und herausfinden, ob der Hype um Angie Thomas Debütroman gerecht ist.

 

"Abschiede schmerzen am meisten, wenn der andere nicht mehr da ist." (Seite 80)

 

Angie Thomas wurde durch den Oscar Grant Fall, bei dem 2009 ein schwarzer Jugendlicher von einem Polizisten getötet wurde, zu ihrem Roman inspiriert. Bei „The Hate U Give“ steht ein ähnlicher Fall im Mittelpunkt des Geschehens. Nachdem Starr hautnah miterlebte wie ihr Freund Khalil grundlos von einem Polizisten erschossen wird, steht sie an einer Wegscheide ihres Lebens. Sie wird knallhart mit den zwei Welten konfrontiert in denen sie lebt und kann nicht länger die Augen vor Rassismus und Gewalt verschließen.

 

"Manches muss ich für mich behalten […]. Denn hat man einmal die kaputten Seiten von jemanden gesehen, dann ist das so, als hätte man denjenigen nackt gesehen – man wird ihn danach nie mehr so wie früher betrachten." (Seite 99)

 

Die Schriftstellerin hat einen wunderbaren Erzählrythmus durch den man in Null-Komma-Nichts mitten ins Geschehen katapultiert wird. Das Ganze wird durch die passende Sprache im (Straßen)Slang hervorrragend untermalt. Schonungslos spricht Angie Thomas schwer verdauliche Themen wie Rassismus, Gewalt, Drogen genaus an wie Freundschaft, Zusammenhalt und den Mut sich selbst zu finden und mit seiner Stimme etwas zu bewegen.

 

"»Mutig sein bedeutet nicht, dass du keine Angst hast,[…]. Es bedeutet, dass du was tust, obwohl du Angst hast.«" (Seite 375/376)

 

„The Hate U Give“ spricht zudem einen weiteren interessanten Aspekt an. Starr befindet sich mittem im Prozess des Erwachsen werdens, welcher durch traumatische Erlebnisse mindenstens genauso erschwert wird, wie durch das Gefühl in zwei verschiedenen Welten zu leben, die nicht miteinander vereinbar sind. Angie Thomas spendet Menschen wie Starr durch ihr Buch jede Menge Hoffnung und Mut. Weißen Menschen bietet sie hingegen einen tiefen Einblick in die Gesellschaft (Kultur) und Gefühle der Schwarzen – das sollte uns alle näher zusammen bringen!

 

"Meine zwei Welten sind soeben aufeinandergeprallt. Aber erstaunlicherweise ist dabei nichts passiert." (Seite 404)

 

Fazit

 

Dieser Roman über Rassismus, Mut, Gerechtigkeit und Freundschaft trifft direkt ins Herz. Jeder sollte ihn gelesen haben!

Source: www.bellaswonderworld.de/rezensionen/rezension-the-hate-u-give-von-angie-thomas
Like Reblog Comment
review 2015-02-25 19:03
Spannend & politisch aktuell
Oxford School Shakespeare - Fourth Edition: Ab 11. Schuljahr - Othello: Reader - William Shakespeare,Roma Gill
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Pflichtlektüre... aber dafür eine Tragödie von Shakespeare - und die mag ich eigentlich recht gerne ;)



Titel: The Tragedy of Othello, The Moor of Venice
Autor: William Shakespeare
Verlag: Oxford University Press
Genre: Tragödie/ Klassiker
Format: broschiert
Seitenzahl: 174
Reihe: /

  

 
Venedig zur Zeit der Dogenherrschaft: Die schöne Desdemona hat den dunkelhäutigen Feldherrn Othello geheiratet heimlich und ohne Wissen ihres Vaters. Als dies herauskommt, bringen sich einige Leute gegen Othello in Stellung: allen voran der von Othello enttäuschte, auf Rache sinnende Fähnrich Jago, der eine böse Intrige spinnt. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf...

 


Ja, dieses Buch musste ich lesen, Auf Englisch. Aber es hat mir richtig gut gefallen, da die Handlung spannend, politisch gesehen trotzdem aktuell und die Sprache trotz ihrer Schwierigkeit einfach toll war. Mein Lieblingsschurke Jago (oder in englischer Schreibweise Iago) haut einfach geniale Sätze raus, voller Ironie und Sarkasmus, aber trotzdem sehr war!!!

"She has deceiv'd her father and may thee." (Line 290)
 
"Reputation is an idle and most false imposition, oft got without merit and lost without deserving." (Line 251- 253)
 
"O beware,my lord, of jealousy: It is the green-eyed monster which doth mock The meat it feeds on." (Line 167 - 169)
 
 
Ein spannendes und nachdenklich-stimmendes Werk von Shakespeare, dass trotz altertümlich Sprache so aktuell und mahnend ist.
 
Nur das Cover gefällt mir nicht so wiklich... ja, es ist Schulliteratur und das Taschentuch ("handkerchief") passt sehr gut,  aber trotzdem...
 
Inhalt: 
Cover: 
 
 
Lest ihr Klassiker? Wen ja, welche? Und könnt ihr sie empfehlen?
 
 
 
Source: marys-buecherwelten.blogspot.de/2015/02/the-tragedy-of-othello-moor-of-venice.html
More posts
Your Dashboard view:
Need help?