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review 2021-08-12 15:55
Wenn die beste Freundin plötzlich stirbt
Ein Herz voll Leben - Violet Thomas

Isabella Kramer ist mit ihrem Singledasein ganz zufrieden. An der Ostsee betreibt sie ihren eigenen Cupcake-Laden. Ihre beste Freundin Melanie und deren vierjährige Tochter Leni sind für sie eine Art Familie. Als Melanie plötzlich stirbt, übernimmt Isabella die Vormundschaft für Leni. Dann bekommt Isabella E-Mails mit kleinen Aufgaben von Melanie, die diese noch vor ihrem Tod geschrieben hat. Isabella ahnt nicht, dass ihr Leben schon bald auf dem Kopf stehen wird...

„Ein Herz voll Leben“ ist ein Roman von Violet Thomas.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 28 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge jeweils aus der Ich-Perspektive im Wechsel aus der Sicht von Maximilian und Isabella. Die Übergänge funktionieren gut. Diese Struktur gefällt mir.

Der Schreibstil ist eine der Stärken des Romans. Er ist einfühlsam, anschaulich, bildhaft und - dank vieler Dialoge - lebendig.

Isabella und Maximilian stehen im Fokus der Geschichte, zwei interessante und gegensätzliche Charaktere. Während ich sie sehr sympathisch finde, hatte ich mit ihm stellenweise Probleme, weil ich sein Verhalten nicht immer nachvollziehen konnte.

Auf rund 350 Seiten ist der Roman unterhaltsam und kurzweilig. Vor allem aber konnte mich die Geschichte emotional berühren. Obwohl Tod und Trauer eine wichtige Rolle spielen, verbreitet die Story nicht nur Trübsal und düstere Stimmung. Zudem ist der Roman durchaus facettenreich. Inhaltlich hätte die Geschichte jedoch noch etwas mehr Potenzial gehabt. Darüber hinaus ist der Schluss für mich nicht ganz realitätsnah.

Das dunkle Cover finde ich hübsch. Der Titel kommt ein wenig zu kitschig daher.

Mein Fazit:
Zwar schöpft der Roman „Ein Herz voll Leben“ von Violet Thomas nicht sein komplettes Potenzial aus. Trotzdem hat mich die Geschichte gut unterhalten.

 

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review 2019-09-29 02:24
Toxische Mutter-Tochter-Beziehungen und ihre Auswirkungen
Klopf an dein Herz - Amélie Nothomb

Ich bin mittlerweile zu einem richtigen Fan von Amelie Nothomb mutiert, seitdem ich sie ungefähr vor zwei Jahren im Rahmen meiner Autorinnenchallenge entdeckt habe und schätze vor allem ihre relativ kurzen, knackigen und spannenden Psychogramme, die meist sehr treffend und punktgenau menschliches Wesen verschiedenster Art sezieren.

Auch in ihrem aktuellen Roman spielt Nothomb erneut ihre Stärken aus. Diesmal liegen toxische Mutter-Tochter-Beziehungen auf dem Tisch ihrer literarischen Pathologie und sie legt – obwohl der Roman wieder recht kurz und dünn geraten ist – wahrhaft komplex und pointiert sehr umfassend die wesentlichen Eckpunkte zu diesem Thema dar.

 

Die Geschichte beginnt mit der narzisstischen Marie, die sich bereits in der Schule den Mädchenschwarm und reichen Apothekerssohn Olivier schnappt und sehr früh ihr erstes Kind bekommt. Ihre erste Tochter Diane wird von Marie Zeit ihres Lebens völlig ignoriert und vernachlässigt. Als junge Mutter ist sie zuerst auf die Aufmerksamkeit eifersüchtig, die das Kind von ihr abzieht. Nach der Geburt von Dianes Bruder kann sie ihr zweites Kind annehmen, ihre darauf folgende Tochter Célia liebt sie innig und verzärtelt sie total, was auch wieder pathologische Züge annimmt. Was Nothomb hier meisterlich konstruiert, ist ein Leben voller Abwertung, Ablehnung, Demütigung und Gleichgültigkeit von Marie in Bezug auf Diane und eine komplett ungesunde Vereinnahmung ihrer zweiten Tochter Célia. Dabei ist Marie nicht wirklich bösartig, sondern nur narzisstisch gedankenlos und unreflektiert, sie ist sogar derart in ihren Rechtfertigungskonstrukten gefangen, dass sie Täter-Opfer-Umkehr betreibt und die Ablehnung seitens ihrer Tochter Diane verortet, die diese angeblich schon als Baby an den Tag gelegt hatte.

 

Der Vater Olivier hat seine Frau auf ein Podest gehoben und stellt deren Erziehungsmethoden nie in Frage, im Gegenteil, er ist in jedem völlig gerechtfertigten Konflikt auf der Seite seiner Ehefrau und somit gegen die Tochter. Nur die Großeltern haben die Situation gecheckt und kümmern sich als Bezugspersonen um Diane, was zur Folge hat, dass das Mädchen bereits in ganz jungen Jahren komplett mit ihrer Familie bricht und nur noch bei den Großeltern lebt. Da diese als Bezugspersonen ihre Arbeit sehr gut machen und ihr endlich die Liebe und Anerkennung zollen, die ein Kind benötigt, wird aus Diane trotz ihrer Traumata eine sehr erfolgreiche Erwachsene. Durch die Verletzungen der Kindheit und die anschließende Heilung kann Diane über sich selbst hinauswachsen, und als Ärztin hilft und heilt sie auch andere.

 

Leider sucht sie als Erwachsene die Freundschaft der Wissenschaftlerin Olivia, die ihrer Mutter bedauerlicherweise sehr ähnelt, ihre Tochter vernachlässigt, herabsetzt und ablehnt und andere Leute manipuliert und ausnutzt. Diane versucht für das arme Mädchen Mariel genauso eine starke Bezugsperson zu sein, wie es ihre Großeltern für sie waren. Doch Olivia ist weitaus bösartiger zu ihrer Tochter, als Dianes eigene Mutter es jemals war. Nach einem mittleren Konflikt, der sich eigentlich unter guten Freunden hätte ausräumen lassen können, weil Diane sich nicht mehr ausnutzen lässt und ihre eigene berufliche Laufbahn verfolgt, benutzt Olivia die Beziehung zwischen Diane und ihrer Tochter Mariel als Druckmittel und kappt diese aus Bosheit komplett. Das arme Mädchen hat schlussendlich überhaupt keine Bezugsperson mehr, weder Großeltern noch den Vater, der wahrscheinlich am Asperger-Syndrom leidet, um etwas menschliche Wärme zu bekommen. Dass diese Biografie im Endeffekt völlig schief geht und das Mädchen emotional total zerstört ist, versteht sich von selbst.

 

Was mir am meisten gefallen hat, sind die pädagogischen und psychologischen Grundaussagen, auf denen dieser Roman basiert. Wenn in einer toxischen Mutter-Tochter-Beziehung irgendeine – auch eine völlig fremde Bezugsperson – einspringt, kann sich das Kind dennoch zu einem psychisch gesunden Menschen entwickeln – wenn auch mit ein paar Verletzungen und Traumata, die sogar als Katalysator für eine außergewöhnliche Persönlichkeit dienen können.

 

Was mich ein bisschen irritiert hat, ist der Umstand, dass Diane als Kleinkind schon in frühen Jahren quasi fast ab zwei Jahren so viel Erkenntnis und Bewusstsein hat, dass sie fast wie eine erwachsene Therapeutin über ihre Beziehung zur Mutter philosophiert und die Situation analysiert. Ihr werden Gefühle zugeschrieben, die sie in dem Alter einfach auf Grund der Entwicklung noch nicht haben kann. Das ist einerseits sehr gruselig, aber andererseits sogar total grotesk, weil es eben so wenig authentisch ist.

 

Fazit: Ein als Lebensgeschichte verpacktes, ausgezeichnetes Psychogramm, das ich auf jeden Fall wärmstens empfehlen kann. Liest sich auch als Pageturner quasi in einem Rutsch durch.

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review 2019-08-14 09:37
Noch einmal 14 sein
Tschick - Wolfgang Herrndorf

Wolfgang Herrndorf beging am 26. August 2013 Selbstmord. Drei Jahre zuvor war bei ihm ein bösartiger Hirntumor (Glioblastom) festgestellt worden. Während dieser drei Jahre führte er ein Blog-Tagebuch namens „Arbeit und Struktur“, in dem er schonungslos offen seine Gedanken zum Alltag mit einer tödlichen Erkrankung festhielt. Ich habe es gelesen. Es war … intensiv. Schmerzhaft. Aber auch witzig und manchmal herrlich belanglos, mit hohem Suchtfaktor. Absolut lesenswert. Herrndorf war ein beeindruckender Mann. Zwischen fatalistisch-makabren Überlegungen, Bestrahlung und Chemotherapie gelang es ihm tatsächlich, zwei Bücher zu verfassen, darunter der hochgelobte Jugendroman „Tschick“. Dieser entstand, weil Herrndorf die grundlegenden Prinzipien der Bücher seiner Jugend modernisieren wollte: Schnell verschwundene erwachsene Bezugspersonen, eine große Reise und ein großes Gewässer. Nun, das große Gewässer ergab mitten in Ostdeutschland wenig Sinn, aber der Rest ist in „Tschick“ durchaus zu finden.

 

Die Sommerferien sind in vollem Gange und der 14-jährige Maik Klingenberg hat nichts, aber auch gar nichts vor. Seine Mutter ist mal wieder in der Entzugsklinik, sein Vater mit seiner Assistentin auf Geschäftsreise. Maik sitzt vollkommen allein im Haus seiner Familie und bläst Trübsal. Er richtet sich gerade richtig schön im Selbstmitleid ein, als eines Tages ein blauer, verbeulter Lada vor seiner Tür hält und sein Mitschüler Tschick aussteigt. Tschick heißt eigentlich Andrej Tschichatschow und wohnt in einem Assi-Plattenbau in Hellersdorf. Keine Ahnung, wie der es aufs Gymnasium geschafft hat. Vielleicht Erpressung. Schließlich ist er Russe. Der Wagen ist natürlich geklaut. Und obwohl Maik eigentlich ein anständiger Junge ist, willigt er ein, mit Tschick einfach draufloszufahren. Quer über Deutschlands Landstraßen, durch verlassene oder vergessene Ortschaften, ein Abenteuer, das ihnen haufenweise Ärger einbrockt, ihnen aber auch den Sommer ihres Lebens beschert.

 

Vermutlich hätte ich „Arbeit und Struktur“ erst lesen sollen, nachdem ich diese Rezension zu „Tschick“ geschrieben habe. Das Blog-Tagebuch hat meinen Eindruck des Jugendromans stark beeinflusst. „Tschick“ zauberte mir bereits vor diesem intimen Einblick in die Gedanken Wolfgang Herrndorfs ein seliges Lächeln ins Gesicht – nun betrachte ich das Buch mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Ich lache und jubiliere, weil diese Geschichte unglaublich lebensbejahend ist. Ich weine, weil sie im krassen Gegensatz zu dem steht, was der Autor erleben musste, während er sie schrieb. Dass er fähig war, diesen Roadtrip voller Lebenslust und Lebensfreude zu Papier zu bringen, derweil er sich mit niederschmetternden Statistiken zur Lebenserwartung von Glioblastom-Patient_innen herumschlagen musste, haut mich völlig um. In seiner Situation, die beängstigend erwachsen war, in die Erlebenswelt eines 14-jährigen Jungen einzutauchen und das naive Charisma seiner Ich-Perspektive, mit der er mich mühelos eroberte, glaubhaft zu adaptieren, spricht von bemerkenswerter Sensibilität. Und vielleicht ein bisschen von Flucht, womit wir im thematischen Spektrum von „Tschick“ angekommen sind. Realitäts- bzw. Alltagsflucht spielt darin eine entscheidende Rolle, denn Maik und Tschick beschließen nicht nur aus einer Laune heraus, sich in den beinahe schrottreifen Lada zu setzen und durchs Land zu fahren. Sie fliehen vor dem, was sie zu Hause erwartet: leere Räume, Einsamkeit, Verlorenheit. Obwohl sie aus komplett unterschiedlichen sozialen Schichten stammen, ähneln sich ihre Lebensumstände erstaunlich. Diese werden vor allem von abwesenden Eltern und emotionaler Verwahrlosung beherrscht. Den Jungs fehlen liebende Fürsorge und Unterstützung, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Natürlich sind sie sich dessen nicht bewusst, doch sie verbindet das Bedürfnis, auszubrechen. Manchmal zweifelte ich daran, ob Tschick tatsächlich eine reale Person ist, weil seine Figur eine gewisse geisterhafte Qualität aufweist, die wie von Zauberhand alles erfüllt, wonach sich Maik tief in seinem Inneren sehnt. Er taucht unvermittelt auf, wirbelt Maiks Leben durcheinander und schenkt ihm dieses wunderbare Abenteuer, von dem Maik nicht wusste, dass er es brauchte. Es ist verblüffend, wie weit zwei Minderjährige mit einem geklauten, pardon, „geborgten“ Auto in Deutschland kommen können, ohne aufgehalten zu werden. Ich sehe darin einen Kommentar zu unserer gesellschaftlichen Interaktion; Herrndorf illustriert, dass wir uns lieber Erklärungen an den Haaren herbeiziehen, statt richtig hinzusehen und uns ernsthaft mit unseren Mitmenschen auseinanderzusetzen. Dennoch treffen Maik und Tschick auf ihrer Reise ausnahmslos sympathisch kauzige Individuen, die sich ihnen gegenüber positiv und offen verhalten, trotz gelegentlicher Anlaufschwierigkeiten. In der deutschen Provinz versteckt sich jede Menge Herz.

 

Jeder kann der Held der eigenen Geschichte sein, sogar ein Feigling und Langweiler – man muss nur beginnen, sie zu schreiben. Das ist die Botschaft, die ich aus „Tschick“ mitnehme. Ich glaube, dieses Buch wird ständig zu Tode interpretiert, schließlich hat es seinen Weg in den Deutschunterricht gefunden, aber meiner Ansicht nach muss man gar nicht tiefer graben. Es ist nicht die Chronik eines metaphorischen Selbstfindungsprozesses. Wolfgang Herrndorf hätte sich angesichts solcher Deutungsansätze vermutlich gekugelt vor Lachen. „Tschick“ ist ein moderner Abenteuerroman, der eine Reise beschreibt, die sich wohl alle 14-Jährigen wünschen. Vollkommene Freiheit, keine Regeln, keine Eltern – ich weiß, dass ich von dieser Aussicht hemmungslos begeistert gewesen wäre. Himmel, ich bin es noch und Wolfgang Herrndorf war es sicher ebenfalls. Dank „Arbeit und Struktur“ weiß ich, dass er kein unkomplizierter Mann war, doch er liebte das Leben. Das beweist „Tschick“ unwiderlegbar.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/08/13/wolfgang-herrndorf-tschick
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review 2019-05-31 21:37
Ein Zuhause für ein Herz
Wo mein Herz schlägt - Rose Bloom

Das Buch:

„Wo mein Herz schlägt“ ist ein Liebesroman von Rose Bloom, der als E-Book und broschierte Ausgabe am 1. April 2019 im Forever by Ullstein Verlag erschienen ist.

 

Der Inhalt:

Nach einer Herztransplantation geht es Claire rein körperlich wieder gut, doch mit der Tatsache, dass jemand gestorben ist, bevor sie ihr neues Leben beginnen konnte, kommt sie noch nicht komplett zurecht. Um endlich neu beginnen zu können, möchte sie sich zumindest bei den Familienangehörigen des Spenders bedanken. Dafür reist sie auf die kleine Insel Lundy Island und lernt dort seinen sehr griesgrämigen Bruder Grant kennen. Seine Art veranlasst sie dazu ihre wirklichen Gründe für ihren Besuch auf der Insel zu verheimlichen. Seine Schwägerin und Nichte sind das genaue Gegenteil von Grant und Claire schließt die beiden schnell ins Herz. Als Claire Schritt für Schritt durch Grants aufgestaute Mauer bricht, kommen sich die beiden zwar näher, aber sie weiß, dass irgendwann auch der Tag kommen muss, an dem er die Wahrheit erfährt.

 

Meine Meinung:

Der Schreibstil wurde einfach gehalten und die Autorin hat es geschafft, die Spannung in einem guten Tempo voranzutreiben. Auch der Spagat zwischen Romantik, Humor und den ernsten, traurigen Themen ist für mich perfekt getroffen.

Das in der Story das Thema Organspende aufgefasst wird finde ich super. Was mir aber besonders gefallen hat, war, dass die Autorin es durch die Charaktere absolut glaubhaft rüber gebracht hat. Da ist zum einen Claire, die das Glück hatte ein Spenderherz zu bekommen, wofür sie auch unfassbar dankbar ist. Dennoch erfährt man als Leser auch, welche Zweifel, Ängste und Sorgen Claire hat, denn es ist nicht selbstverständlich, durch das Herz eines anderen Menschen weiterzuleben. Auf der anderen Seite haben wir Grant, der mit dem Tod seines Bruders nicht klarkommt, sich vollkommen zurückzieht und sich teilweise sogar die Schuld an seinem Tod gibt. Die Autorin hat seine Trauer mit all seinen Eigenheiten gut rüber gebracht. Da das ernste Thema so gut von beiden Seiten beleuchtet wurde, konnte man sich auch gut in beide Situationen hineinversetzen. Auch die wenigen restlichen Charaktere waren sympathisch und gut ausgearbeitet. Die Handlung war für mich ebenfalls durchgehend schlüssig.

 

Fazit:

Eine gelungene Liebesgeschichte, die durch das wichtige Thema Organspende unglaublich an Tiefe gewinnt und zum weiteren Nachdenken anregt. Klare Leseempfehlung.

 

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review 2019-04-30 10:13
Freudenfest der Diversität
The Long Way to a Small, Angry Planet - Becky Chambers

Ich liebe ungewöhnliche Veröffentlichungsgeschichten. Becky Chambers Danksagung in ihrem Debütroman „The long way to a small, angry planet” zauberte mir deshalb ein entzücktes Lächeln ins Gesicht. Sie berichtet darin von der Kickstarter-Kampagne, ohne die sie ihr Buch nicht hätte veröffentlichen können. Wildfremde Menschen griffen ihr 2012 finanziell unter die Arme, damit sie „The long way“ fertigschreiben und im Selfpublishing 2014 auf dem Markt bringen konnte. Ist das nicht wundervoll? Seitdem nahm ihre Karriere als Autorin kräftig Fahrt auf; aus dem Debüt wurde die Trilogie „Wayfarers“. Bei mir landete der Science-Fiction-Roman, weil mich der Titel einfach neugierig machte.

 

Als Rosemary Harper alle Brücken hinter sich verbrannte, war sie gründlich. Sie wollte so weit weg, wie nur möglich – was läge näher, als auf einem Raumschiff anzuheuern? Die Wayfarer ist allerdings nicht ganz das, was sie erwartet hatte. Die Crew steht ständig kurz davor, komplett im Chaos zu versinken und das Schiff selbst… nun, die Bezeichnung „Schrottkiste“ würde wohl ihre Gefühle verletzen. Kaum zu glauben, dass die Wayfarer regelmäßig engagiert wird, um Löcher ins All zu bohren. Dennoch findet Rosemary inmitten des wilden Haufens verschiedener Spezies, wonach sie sich sehnte: ein Heim und echte Freundschaft. Ihr Glück scheint perfekt, als der Crew der Auftrag ihres Lebens angeboten wird. Sie sollen einen Hyperspace-Tunnel zu einem weit entfernten kleinen Planeten errichten. Gelingt es ihnen, haben sie ausgesorgt. Leider gibt es einen gewaltigen Haken. Der betreffende Planet ist dauerhaftes Kriegsgebiet und Rosemary ist besorgt, dass sie ihr dunkelstes Geheimnis auf der langen, riskanten Reise nicht verbergen kann. Doch auf ihrem abenteuerlichen Weg durch die gefährlichen, verwirrenden Weiten des interstellaren Raums lernt Rosemary, dass manche Verbrechen vergeben werden können – und andere nicht.

 

Ich bin reiner Science-Fiction gegenüber noch immer skeptisch. Es wird langsam besser, aber mein Vorurteil, dass ich mit diesem Genre Schwierigkeiten habe, ist so fest in meinem Kopf verankert, dass ich vor jedem neuen Vertreter Sorge habe, dass mir das Buch nicht gefallen könnte. Die Zweifel hätte ich mir bei „The long way to a small, angry planet” sparen können. Der Trilogieauftakt ist fantastisch! Spannend, emotional mitreißend und nicht zu technisch. Für Hardcore-Fans ist er vermutlich etwas zu weichgespült, für eine Leserin wie mich, die sich vorsichtig in das weite Feld der Science-Fiction vorwagt, ist er hingegen die absolut perfekte Lektüre. Die Geschichte lebt von ihren Charakteren. Becky Chambers veranstaltet ein Freudenfest der Diversität und präsentiert tolerant und einfühlsam einen bunten Strauß verschiedener Spezies, die sich äußerlich, sprachlich und kulturell stark unterscheiden. Im Mittelpunkt steht die Crew der Wayfarer, die ihren Lebensunterhalt damit verdient, intergalaktische Tunnel ins All zu bohren. Ich habe keine Ahnung, ob der wissenschaftliche Ansatz dieser Bohrungen fundiert ist. Für mich klang er überzeugend und plausibel. Ihr neuster, heikler Auftrag stammt von der Regierung, für die sie einen Tunnel zu dem rohstoffreichen, doch kriegerischen Planeten Hedra Ka installieren sollen. Gier ist also noch immer die Triebfeder der Wirtschaftspolitik der Zukunft. Die politische Ebene der Geschichte findet allerdings eher hintergründig statt; sie beeinflusst das Zusammenleben der Spezies und ist die Initialzündung für die spannende Reise der Wayfarer, wird jedoch eher am Rande und selten explizit thematisiert. Für die Reise selbst gilt das Motto „Der Weg ist das Ziel“, denn sie bietet mit ihren aufregenden Stationen den Rahmen für die emotionalen Erlebnisse der Figuren, durch die die Leser_innen die berauschende Vielfalt in Chambers Universum kennenlernen. Ich spürte, wie viel Freude die Autorin daran hatte, das Verhältnis der Spezies zu untersuchen und zu erforschen, welche Konzepte als menschlich gelten. Was empfinden Menschen als akzeptabel und wie reagieren wir, wenn wir mit anderen Lebens- und Beziehungsentwürfen konfrontiert werden? Ich fand diese Fragen im Kontext des speziellen Worldbuildings hochinteressant, weil Menschen in „The long way“ keine dominante Spezies sind und eher geduldet als geschätzt werden. Dadurch sind die Reaktionen anderer Völker auf menschliche Eigenarten äußerst faszinierend, die natürlich gerade im beengten Raum der Wayfarer zu beobachten sind. Schließlich ist das Schiff eine fliegende WG. Ich habe die Besatzung der Wayfarer unglaublich schnell ins Herz geschlossen. Becky Chambers macht es ihren Leser_innen durch unauffällige, aber umfassende und exakte Charakterisierungen sehr leicht, Sympathien selbst für nicht-menschliche Figuren zu entwickeln. Deshalb fand ich „The long way“ nicht nur sensationell, sondern auch erfrischend optimistisch: allen Stolpersteinen der Völkerverständigung zum Trotz ist ein friedliches Miteinander verschiedener Spezies möglich.

 

Leseerlebnisse wie meine Erfahrung mit „The long way to a small, angry planet“ helfen mir, meine überholte Überzeugung, dass Science-Fiction nichts für mich ist, aufzuweichen. Ich brauche Bücher wie diesen modernen, exzellenten Trilogieauftakt, um endlich zu verinnerlichen, dass diese Pauschalisierung Quatsch ist. Science-Fiction ist ebenso facettenreich wie jedes andere Genre auch und Becky Chambers nutzt die Möglichkeiten, die sie bietet, wirklich voll aus. Ich fand die Lektüre wunderbar und freue mich darüber, mit wie viel Spaß sie Diversität feiert und literarisch praktiziert. Jetzt kümmere ich mich schnellstens um den Erwerb der zwei Folgebände und möchte euch „The long way“ vehement ans Herz legen, selbst wenn ihr sonst nicht für Science-Fiction zu haben seid. Becky Chambers erweist dem Genre einen unschätzbaren Dienst: sie zieht lauter neue kleine Fans heran.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/04/30/becky-chambers-the-long-way-to-a-small-angry-planet
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