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review 2019-06-05 09:53
Diese Bummelei könnte sich rächen
A Blade of Black Steel - Alex Marshall

Das erfreulich emanzipierte Frauenbild in der „The Crimson Empire“-Trilogie ist kein Versehen, sondern Absicht. Der Autor Alex Marshall konzipierte bewusst ein tolerantes Setting voller Diversität. Auf dem Stern gibt es keine Homophobie, keine Transphobie, keine sexualisierte Gewalt und bis auf eine Ausnahme auch keinen institutionalisierten Rassismus. Sein Ziel war, die Vielfalt der Realität zu repräsentieren und Diskriminierung durch deren Abwesenheit zu thematisieren. Er wollte beweisen, dass moderne Fantasy spannend und actionreich sein kann, ohne die Defizite unserer Gesellschaft zu reproduzieren. Ich finde, das ist ein mutiger Schritt, der dem Genre guttut. Umso mehr freute ich mich auf den zweiten Band „A Blade of Black Steel“.

 

Der Sieg der Kobalt-Kompanie war teuer erkauft. Zahllose Soldat_innen wurden von dem schwarzen Portal, das die Burnished Chain heraufbeschwor, verschluckt. Ji-hyeon und ihre Berater_innen müssen entscheiden, wie es für ihre stark dezimierten Truppen weitergehen soll. Eine erneute Offensive der königlichen Streitkräfte würden sie nicht überstehen. Doch nach dem unheilvollen Ritual sind die Fronten unklar. Es besteht die Chance, die gegnerische Generalin davon zu überzeugen, dass die Chain Pläne verfolgt, die die Autorität der Karmesinroten Königin gefährden. Um sich aus dem Patt zu manövrieren, müssen sie geeint auftreten – leider ist Maroto noch immer verschwunden und Zosia sucht von Rachedurst getrieben die Konfrontation mit ihrer Nachfolgerin. Streit und Intrigen lähmen die Kobalt-Kompanie. Gerade, als alle glauben, schlimmer könne es nicht kommen, erreichen sie Gerüchte, dass das Ritual der Chain weit bedeutendere Folgen hatte als nur ein neues Portal. Das Versunkene Königreich Jex Toth soll sich erhoben haben. Angeblich sammelt sich dort eine unmenschliche Armee, bereit, den Stern anzugreifen. Die Kobalts müssen wählen: werden sie helfen, den Stern zu schützen oder nutzen sie Gunst der Stunde für ihre eigenen Ziele?

 

Oh oh oh. Ob das noch was wird? Alex Marshall sollte wirklich an Tempo zulegen. „A Blade of Black Steel“ ist noch langatmiger und schwerfälliger als der erste Band „A Crown for Cold Silver“. Während ich die inhaltliche Trägheit des Auftakts verzeihen konnte, weil die Etablierung eines neuen Universums und neuer Figuren diese rechtfertigt, mache ich mir jetzt Sorgen, dass der Autor zu zaghaft vorgeht. Die Geschichte macht dermaßen langsam Fortschritte, dass ich nicht sicher bin, ob es ihm gelingen wird, die „The Crimson Empire“-Trilogie zu einem befriedigenden Abschluss zu bringen. Meinem Gefühl nach gibt es noch unheimlich viel zu erzählen, doch statt im zweiten Band in die Vollen zu gehen, druckst Marshall herum. Ich hatte den Eindruck, dass die Handlung lange feststeckte, weil sich die Figuren einfach nicht vom Fleck bewegten. Die Dynamik stagnierte und büßte jeglichen Schwung ein. Nach der Schlacht gegen die 15. Kavallerieeinheit befindet sich die Kobalt-Kompanie in einer desolaten Zwickmühle. Sie können sich keinen weiteren Kampf leisten, es scheint jedoch, als sei eine erneute Konfrontation unvermeidbar, ob sie ihre Position nun halten oder verlassen. Sie können weder vor noch zurück. Ihr einziger Ausweg besteht darin, sich mit den royalen Regimentern gegen die Burnished Chain zu verbünden. Eine riskante Strategie, denn niemand versteht, was die Chain damit bezweckt, Jex Toth zurückzubringen. Ich übrigens auch nicht. Marshall bietet leider nur sehr vage Informationen zu den Glaubenssystemen des Sterns. Ich weiß nicht, was das Auftauchen des ehemals Versunkenen Königreichs bedeutet und inwiefern es die Pläne der Chain, die Karmesinrote Königin Indsorith vom Thron zu stürzen, unterstützt. Die allgemeine Ahnungslosigkeit führt dazu, dass die Kobalt-Kompanie Jex Toth weitgehend ignoriert und sich ihren akuten Problemen widmet. Der Generationskonflikt, der sich im Vorgänger bereits andeutete, tritt in „A Blade of Black Steel“ deutlich zu Tage. Ji-hyeon und Zosia streiten sich und werden sogar handgreiflich. Es gefiel mir, wie ernsthaft Marshall diese Auseinandersetzung gestaltet und dadurch abermals das emanzipierte Frauenbild seines Universums betont. Ich fühle mich als Frau in der „The Crimson Empire“-Trilogie gut repräsentiert. Die Prügelei zwischen Ji-hyeon und Zosia ist natürlich nicht die einzige actionreiche Szene. Obwohl das Buch generell eher zäh ist, schenkte mir der Autor eine der besten Schlachten meiner Literaturkarriere. Es ist ein Kampf mit einem riesigen, dämonischen Opossum. Ja, richtig. Ein Opossum. Diese Stelle war aufregend, herrlich freakig und erfrischend witzig. Marshalls Humor entschädigte mich für vieles. Er zeigt ein inspirierendes Gespür für Absurdität, Sarkasmus und die Ironie des Schicksals, das er nutzt, um die tiefliegenden Konflikte seiner liebenswürdigen Figuren ungezwungen zu thematisieren. Dennoch bezweifle ich, dass er ihnen erlauben wird, diese innerhalb der Trilogie zu überwinden. Sie haben schließlich nur noch ein Buch Zeit dafür.

 

„A Blade of Black Steel“ wartet nicht mit den inhaltlichen Fortschritten auf, die ich mir im zweiten Band der „The Crimson Empire“-Trilogie erhofft hatte. Teils ist das sicher der äußerst komplizierten politischen und religiösen Situation auf dem Stern geschuldet. Der Autor Alex Marshall trug jedoch ebenfalls seinen Teil dazu bei. Er manövrierte die Handlung in eine Sackgasse, wodurch ich lange das Gefühl hatte, dass rein gar nichts passierte und auch nichts passieren konnte. Erst gegen Ende der Fortsetzung involvierte er neue, externe Impulse, die die Geschichte aus ihrem Patt herauskatapultieren. Die alles entscheidende Frage lautet nun: wird Marshall diese Bummelei in „A Blade of Black Steel“ daran hindern, die Trilogie im Finale zufriedenstellend abzuschließen? Die Antwort werde ich erst in „A War in Crimson Embers“ finden, aber eines ist gewiss. Er muss zu Potte kommen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/06/05/alex-marshall-a-blade-of-black-steel
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review 2019-04-30 10:13
Freudenfest der Diversität
The Long Way to a Small, Angry Planet - Becky Chambers

Ich liebe ungewöhnliche Veröffentlichungsgeschichten. Becky Chambers Danksagung in ihrem Debütroman „The long way to a small, angry planet” zauberte mir deshalb ein entzücktes Lächeln ins Gesicht. Sie berichtet darin von der Kickstarter-Kampagne, ohne die sie ihr Buch nicht hätte veröffentlichen können. Wildfremde Menschen griffen ihr 2012 finanziell unter die Arme, damit sie „The long way“ fertigschreiben und im Selfpublishing 2014 auf dem Markt bringen konnte. Ist das nicht wundervoll? Seitdem nahm ihre Karriere als Autorin kräftig Fahrt auf; aus dem Debüt wurde die Trilogie „Wayfarers“. Bei mir landete der Science-Fiction-Roman, weil mich der Titel einfach neugierig machte.

 

Als Rosemary Harper alle Brücken hinter sich verbrannte, war sie gründlich. Sie wollte so weit weg, wie nur möglich – was läge näher, als auf einem Raumschiff anzuheuern? Die Wayfarer ist allerdings nicht ganz das, was sie erwartet hatte. Die Crew steht ständig kurz davor, komplett im Chaos zu versinken und das Schiff selbst… nun, die Bezeichnung „Schrottkiste“ würde wohl ihre Gefühle verletzen. Kaum zu glauben, dass die Wayfarer regelmäßig engagiert wird, um Löcher ins All zu bohren. Dennoch findet Rosemary inmitten des wilden Haufens verschiedener Spezies, wonach sie sich sehnte: ein Heim und echte Freundschaft. Ihr Glück scheint perfekt, als der Crew der Auftrag ihres Lebens angeboten wird. Sie sollen einen Hyperspace-Tunnel zu einem weit entfernten kleinen Planeten errichten. Gelingt es ihnen, haben sie ausgesorgt. Leider gibt es einen gewaltigen Haken. Der betreffende Planet ist dauerhaftes Kriegsgebiet und Rosemary ist besorgt, dass sie ihr dunkelstes Geheimnis auf der langen, riskanten Reise nicht verbergen kann. Doch auf ihrem abenteuerlichen Weg durch die gefährlichen, verwirrenden Weiten des interstellaren Raums lernt Rosemary, dass manche Verbrechen vergeben werden können – und andere nicht.

 

Ich bin reiner Science-Fiction gegenüber noch immer skeptisch. Es wird langsam besser, aber mein Vorurteil, dass ich mit diesem Genre Schwierigkeiten habe, ist so fest in meinem Kopf verankert, dass ich vor jedem neuen Vertreter Sorge habe, dass mir das Buch nicht gefallen könnte. Die Zweifel hätte ich mir bei „The long way to a small, angry planet” sparen können. Der Trilogieauftakt ist fantastisch! Spannend, emotional mitreißend und nicht zu technisch. Für Hardcore-Fans ist er vermutlich etwas zu weichgespült, für eine Leserin wie mich, die sich vorsichtig in das weite Feld der Science-Fiction vorwagt, ist er hingegen die absolut perfekte Lektüre. Die Geschichte lebt von ihren Charakteren. Becky Chambers veranstaltet ein Freudenfest der Diversität und präsentiert tolerant und einfühlsam einen bunten Strauß verschiedener Spezies, die sich äußerlich, sprachlich und kulturell stark unterscheiden. Im Mittelpunkt steht die Crew der Wayfarer, die ihren Lebensunterhalt damit verdient, intergalaktische Tunnel ins All zu bohren. Ich habe keine Ahnung, ob der wissenschaftliche Ansatz dieser Bohrungen fundiert ist. Für mich klang er überzeugend und plausibel. Ihr neuster, heikler Auftrag stammt von der Regierung, für die sie einen Tunnel zu dem rohstoffreichen, doch kriegerischen Planeten Hedra Ka installieren sollen. Gier ist also noch immer die Triebfeder der Wirtschaftspolitik der Zukunft. Die politische Ebene der Geschichte findet allerdings eher hintergründig statt; sie beeinflusst das Zusammenleben der Spezies und ist die Initialzündung für die spannende Reise der Wayfarer, wird jedoch eher am Rande und selten explizit thematisiert. Für die Reise selbst gilt das Motto „Der Weg ist das Ziel“, denn sie bietet mit ihren aufregenden Stationen den Rahmen für die emotionalen Erlebnisse der Figuren, durch die die Leser_innen die berauschende Vielfalt in Chambers Universum kennenlernen. Ich spürte, wie viel Freude die Autorin daran hatte, das Verhältnis der Spezies zu untersuchen und zu erforschen, welche Konzepte als menschlich gelten. Was empfinden Menschen als akzeptabel und wie reagieren wir, wenn wir mit anderen Lebens- und Beziehungsentwürfen konfrontiert werden? Ich fand diese Fragen im Kontext des speziellen Worldbuildings hochinteressant, weil Menschen in „The long way“ keine dominante Spezies sind und eher geduldet als geschätzt werden. Dadurch sind die Reaktionen anderer Völker auf menschliche Eigenarten äußerst faszinierend, die natürlich gerade im beengten Raum der Wayfarer zu beobachten sind. Schließlich ist das Schiff eine fliegende WG. Ich habe die Besatzung der Wayfarer unglaublich schnell ins Herz geschlossen. Becky Chambers macht es ihren Leser_innen durch unauffällige, aber umfassende und exakte Charakterisierungen sehr leicht, Sympathien selbst für nicht-menschliche Figuren zu entwickeln. Deshalb fand ich „The long way“ nicht nur sensationell, sondern auch erfrischend optimistisch: allen Stolpersteinen der Völkerverständigung zum Trotz ist ein friedliches Miteinander verschiedener Spezies möglich.

 

Leseerlebnisse wie meine Erfahrung mit „The long way to a small, angry planet“ helfen mir, meine überholte Überzeugung, dass Science-Fiction nichts für mich ist, aufzuweichen. Ich brauche Bücher wie diesen modernen, exzellenten Trilogieauftakt, um endlich zu verinnerlichen, dass diese Pauschalisierung Quatsch ist. Science-Fiction ist ebenso facettenreich wie jedes andere Genre auch und Becky Chambers nutzt die Möglichkeiten, die sie bietet, wirklich voll aus. Ich fand die Lektüre wunderbar und freue mich darüber, mit wie viel Spaß sie Diversität feiert und literarisch praktiziert. Jetzt kümmere ich mich schnellstens um den Erwerb der zwei Folgebände und möchte euch „The long way“ vehement ans Herz legen, selbst wenn ihr sonst nicht für Science-Fiction zu haben seid. Becky Chambers erweist dem Genre einen unschätzbaren Dienst: sie zieht lauter neue kleine Fans heran.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/04/30/becky-chambers-the-long-way-to-a-small-angry-planet
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review 2019-02-19 11:16
Die Essenz der Jugend
Every Day - David Levithan

Sucht man nach LGBT-Jugendliteratur, stößt man schnell auf David Levithan. Der Autor erarbeitete sich eine beachtliche Reputation, weil Diversität in seinen Büchern eine wichtige Rolle spielt. Er begann seine Karriere als Lektor; sein erster Roman „Boy Meets Boy“ stellte sein Traum-Manuskript dar: eine Geschichte über homosexuelle Teenager fern jeglicher Klischees und Stereotypen. Offenbar war er nicht der einzige, der sich das wünschte, denn das Buch wurde ein Erfolg. Sein vermutlich bekanntestes Buch ist jedoch „Every Day“, in dem er untersucht, wie eine Existenz ohne Label wie Gender, Sexualität und Rasse, die Menschen zur Kategorisierung verwenden, aussähe. Außerdem wollte er herausfinden, ob es möglich wäre, eine Person zu lieben, die sich jeden Tag verändert. Der 2012 erschienene Roman erfuhr einen unfassbaren Hype, der auch an mir nicht vorbeiging. Aber da ich dazu neige, die Letzte zu sein, die ein gehyptes Buch liest, holte ich „Every Day“ erst 2018 von meinem SuB.

 

Stell dir vor, du müsstest jeden Tag aufs Neue herausfinden, wer du bist. Stell dir vor, du hättest keinen eigenen Körper, kein eigenes Leben, keinen Anker. Nur deine Identität, dein abstraktes, formloses, heimatloses Ich, das Tag für Tag in der Existenz eines anderen Menschen erwacht. Was würdest du tun? Würdest du das Abenteuer suchen, Grenzen überschreiten? Würdest du verantwortungsvoll mit dem Leben umgehen, das dir anvertraut wurde? Was würdest du vermissen? Dein Gesicht im Spiegel? Familie, Freunde, Routine? Oder die Hoffnung auf die große Liebe?
Seit A denken kann, bedeutete Leben, in eine andere Person hineinzuschlüpfen. So war es immer. Doch Rhiannon änderte alles.

 

Ich erinnere mich gern an die Lektüre von „Every Day“. Ich begann das Buch auf meinem Weg zur Arbeit. Es war ein schöner Tag, ich hatte im Bus einen Fensterplatz und Sonnenstrahlen tanzten über die Seiten. Ich konnte fühlen, wie ich eingesaugt wurde, innerhalb kürzester Zeit eine Verbindung aufbaute und sich ein glückliches Lächeln auf mein Gesicht stahl. Ich lächelte während des gesamten ersten Kapitels. David Levithan benötigte nicht einmal 30 Seiten, um mich abzuholen. Zwar hielt diese magische Verbundenheit nicht die gesamte Lektüre über an, aber es war dennoch ein besonderes Leseerlebnis. Die Geschichte startet an Tag 5994 von A’s Leben. A ist 16 Jahre alt und… ja, was eigentlich? Pures Bewusstsein. Eine Lebensform ohne physische Präsenz, eine reisende Seele, ein Parasit. A besitzt keinen Körper und demzufolge weder Geschlecht noch Gender oder Rasse. Stattdessen erwacht er/sie unfreiwillig jeden Tag im Körper einer anderen Person im selben Alter und übernimmt diesen. Deshalb war es unmöglich, A außerhalb der Wirte zu visualisieren. Trotzdem entwickelte ich eine unverwechselbare Vorstellung der Persönlichkeit, die mir in Ich-Perspektive Einblicke in ihre Existenz gewährte. Levithan individualisierte A’s Stimme gewissenhaft und beweist, dass ein Charakter nicht auf Äußerlichkeiten angewiesen ist, um überzeugend und glaubhaft zu sein. Es wundert mich nicht, dass „Every Day“ in der LGBT-Community als ikonisch gilt, denn die Selbstverständlichkeit, mit der der Autor sexuelle Identität behandelt, beeindruckte mich und regte mich zum Nachdenken an. Er lehrte mich, dass auch ich so daran gewöhnt bin, zu kategorisieren, dass ich A grundlos als männlich einstufte. Vielleicht lag es daran, dass A das erste Kapitel im Körper von Justin erlebt und meine Leseerfahrung dadurch prägte. Erst scheint sich Tag 5994 für A durchschnittlich zu gestalten. Obwohl seine/ihre Existenz haarsträubend wirkt, hat er/sie diese akzeptiert, wie sie ist. Er/Sie ist es gewohnt, sich schnell in einem neuen Körper zurechtzufinden, die Erwartungshaltung des Umfelds zu erfüllen und sich respektvoll zu verhalten. Es gefiel mir, dass sich A der Verantwortung, die mit der Inbesitznahme einhergeht, bewusst ist. Normalerweise bemüht sich A, den Wirt so gut wie möglich zu verkörpern, doch als ihm/ihr Justins Freundin Rhiannon begegnet, ist dieser Vorsatz schnell vergessen. Rhiannon ändert für A alles, weil er/sie sich in sie verliebt. Durch diese Gefühle offenbart sich die erschütternde Tragik in A’s Dasein. Er/Sie kann keine Beziehungen aufbauen, weil diese keinen Bestand haben können. Ihm/Ihr fehlt ein entscheidendes Stück der Identitätsbildung und Erfahrungen, die für Menschen sonst normal sind, erlebt er/sie nur aus zweiter Hand. Obwohl A’s Bekanntschaft mit tausenden komprimierten Leben unvergleichlich aufregend ist, sehnt er/sie sich nach Konstanz – in Person von Rhiannon. Leider ist das der Grund, warum mich „Every Day“ nicht dauerhaft zu fesseln vermochte. A versucht, Rhiannon in unterschiedlichen Körpern von sich überzeugen. Diese Tage ähneln sich sehr. Ich fand diese Kapitel daher nicht abwechslungsreich genug und etwas schnulzig. Aber gut, im Kern ist das Buch trotz der spektakulären Umstände eine Liebesgeschichte, was will man da erwarten?

 

„Every Day“ ist ein Buch simpler Poetik, das zahlreiche philosophische Lebensweisheiten enthält, mit denen sich die meisten Leser_innen sicher identifizieren können. David Levithan vermittelt die unmissverständliche Botschaft, dass sich das Herz nicht für oberflächliche Eigenschaften interessiert. Liebe ist blind. Meiner Ansicht nach verfügt dieser Roman allerdings über eine zusätzliche Metaebene. Ich sehe in „Every Day“, in A’s wechselhafter Existenz, auch eine Metapher für die Jugend selbst. Wenn man jung ist, probiert man viele verschiedene Identitäten aus, möchte alles auf einmal und doch wieder ganz anders sein, fühlt sich manchmal allein, losgelöst und unsichtbar. A ist eine konzentrierte Personifizierung dieses Lebensabschnitts. Ich hoffe, dass er/sie irgendwann in sich selbst ankommt. Deshalb freue ich mich mehr auf das Sequel „Someday“, als auf „Another Day“, das Rhiannons Perspektive beleuchtet, denn ich wünsche A vor allem eines: eine Heimat.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/02/19/david-levithan-every-day
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