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review 2019-04-30 10:13
Freudenfest der Diversität
The Long Way to a Small, Angry Planet - Becky Chambers

Ich liebe ungewöhnliche Veröffentlichungsgeschichten. Becky Chambers Danksagung in ihrem Debütroman „The long way to a small, angry planet” zauberte mir deshalb ein entzücktes Lächeln ins Gesicht. Sie berichtet darin von der Kickstarter-Kampagne, ohne die sie ihr Buch nicht hätte veröffentlichen können. Wildfremde Menschen griffen ihr 2012 finanziell unter die Arme, damit sie „The long way“ fertigschreiben und im Selfpublishing 2014 auf dem Markt bringen konnte. Ist das nicht wundervoll? Seitdem nahm ihre Karriere als Autorin kräftig Fahrt auf; aus dem Debüt wurde die Trilogie „Wayfarers“. Bei mir landete der Science-Fiction-Roman, weil mich der Titel einfach neugierig machte.

 

Als Rosemary Harper alle Brücken hinter sich verbrannte, war sie gründlich. Sie wollte so weit weg, wie nur möglich – was läge näher, als auf einem Raumschiff anzuheuern? Die Wayfarer ist allerdings nicht ganz das, was sie erwartet hatte. Die Crew steht ständig kurz davor, komplett im Chaos zu versinken und das Schiff selbst… nun, die Bezeichnung „Schrottkiste“ würde wohl ihre Gefühle verletzen. Kaum zu glauben, dass die Wayfarer regelmäßig engagiert wird, um Löcher ins All zu bohren. Dennoch findet Rosemary inmitten des wilden Haufens verschiedener Spezies, wonach sie sich sehnte: ein Heim und echte Freundschaft. Ihr Glück scheint perfekt, als der Crew der Auftrag ihres Lebens angeboten wird. Sie sollen einen Hyperspace-Tunnel zu einem weit entfernten kleinen Planeten errichten. Gelingt es ihnen, haben sie ausgesorgt. Leider gibt es einen gewaltigen Haken. Der betreffende Planet ist dauerhaftes Kriegsgebiet und Rosemary ist besorgt, dass sie ihr dunkelstes Geheimnis auf der langen, riskanten Reise nicht verbergen kann. Doch auf ihrem abenteuerlichen Weg durch die gefährlichen, verwirrenden Weiten des interstellaren Raums lernt Rosemary, dass manche Verbrechen vergeben werden können – und andere nicht.

 

Ich bin reiner Science-Fiction gegenüber noch immer skeptisch. Es wird langsam besser, aber mein Vorurteil, dass ich mit diesem Genre Schwierigkeiten habe, ist so fest in meinem Kopf verankert, dass ich vor jedem neuen Vertreter Sorge habe, dass mir das Buch nicht gefallen könnte. Die Zweifel hätte ich mir bei „The long way to a small, angry planet” sparen können. Der Trilogieauftakt ist fantastisch! Spannend, emotional mitreißend und nicht zu technisch. Für Hardcore-Fans ist er vermutlich etwas zu weichgespült, für eine Leserin wie mich, die sich vorsichtig in das weite Feld der Science-Fiction vorwagt, ist er hingegen die absolut perfekte Lektüre. Die Geschichte lebt von ihren Charakteren. Becky Chambers veranstaltet ein Freudenfest der Diversität und präsentiert tolerant und einfühlsam einen bunten Strauß verschiedener Spezies, die sich äußerlich, sprachlich und kulturell stark unterscheiden. Im Mittelpunkt steht die Crew der Wayfarer, die ihren Lebensunterhalt damit verdient, intergalaktische Tunnel ins All zu bohren. Ich habe keine Ahnung, ob der wissenschaftliche Ansatz dieser Bohrungen fundiert ist. Für mich klang er überzeugend und plausibel. Ihr neuster, heikler Auftrag stammt von der Regierung, für die sie einen Tunnel zu dem rohstoffreichen, doch kriegerischen Planeten Hedra Ka installieren sollen. Gier ist also noch immer die Triebfeder der Wirtschaftspolitik der Zukunft. Die politische Ebene der Geschichte findet allerdings eher hintergründig statt; sie beeinflusst das Zusammenleben der Spezies und ist die Initialzündung für die spannende Reise der Wayfarer, wird jedoch eher am Rande und selten explizit thematisiert. Für die Reise selbst gilt das Motto „Der Weg ist das Ziel“, denn sie bietet mit ihren aufregenden Stationen den Rahmen für die emotionalen Erlebnisse der Figuren, durch die die Leser_innen die berauschende Vielfalt in Chambers Universum kennenlernen. Ich spürte, wie viel Freude die Autorin daran hatte, das Verhältnis der Spezies zu untersuchen und zu erforschen, welche Konzepte als menschlich gelten. Was empfinden Menschen als akzeptabel und wie reagieren wir, wenn wir mit anderen Lebens- und Beziehungsentwürfen konfrontiert werden? Ich fand diese Fragen im Kontext des speziellen Worldbuildings hochinteressant, weil Menschen in „The long way“ keine dominante Spezies sind und eher geduldet als geschätzt werden. Dadurch sind die Reaktionen anderer Völker auf menschliche Eigenarten äußerst faszinierend, die natürlich gerade im beengten Raum der Wayfarer zu beobachten sind. Schließlich ist das Schiff eine fliegende WG. Ich habe die Besatzung der Wayfarer unglaublich schnell ins Herz geschlossen. Becky Chambers macht es ihren Leser_innen durch unauffällige, aber umfassende und exakte Charakterisierungen sehr leicht, Sympathien selbst für nicht-menschliche Figuren zu entwickeln. Deshalb fand ich „The long way“ nicht nur sensationell, sondern auch erfrischend optimistisch: allen Stolpersteinen der Völkerverständigung zum Trotz ist ein friedliches Miteinander verschiedener Spezies möglich.

 

Leseerlebnisse wie meine Erfahrung mit „The long way to a small, angry planet“ helfen mir, meine überholte Überzeugung, dass Science-Fiction nichts für mich ist, aufzuweichen. Ich brauche Bücher wie diesen modernen, exzellenten Trilogieauftakt, um endlich zu verinnerlichen, dass diese Pauschalisierung Quatsch ist. Science-Fiction ist ebenso facettenreich wie jedes andere Genre auch und Becky Chambers nutzt die Möglichkeiten, die sie bietet, wirklich voll aus. Ich fand die Lektüre wunderbar und freue mich darüber, mit wie viel Spaß sie Diversität feiert und literarisch praktiziert. Jetzt kümmere ich mich schnellstens um den Erwerb der zwei Folgebände und möchte euch „The long way“ vehement ans Herz legen, selbst wenn ihr sonst nicht für Science-Fiction zu haben seid. Becky Chambers erweist dem Genre einen unschätzbaren Dienst: sie zieht lauter neue kleine Fans heran.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/04/30/becky-chambers-the-long-way-to-a-small-angry-planet
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review 2015-12-04 10:00
Solide, aber leidenschaftslos
Götter der Rache: Roman - Giles Kristian,Wolfgang Thon

„Götter der Rache“ von Giles Kristian habe ich beim Bloggerportal von Random House angefragt, weil die Lektüre ein neuer, weiterer Versuch mit einem historischen Roman sein sollte. Bisher habe ich weder den richtigen Zeitabschnitt noch die richtige Region für mich gefunden, obwohl dieses Genre unheimlich vielfältig ist. Da ich die Kultur der Wikinger faszinierend finde und darüber hinaus ein riesiger Fan der Serie „Vikings“ bin, beschloss ich, es darauf ankommen zu lassen und es mit „Götter der Rache“ zu versuchen. Ich hoffte, mir mit diesem Buch die Wartezeit bis zur Veröffentlichung der vierten Staffel in Deutsch verkürzen zu können und freute mich auf Männer und Frauen, die Stahl in den Venen haben.

 

Sigurd, jüngster Sohn von Jarl Harald, wünscht sich nichts sehnlicher, als sich endlich im Kampf beweisen zu können. Er ist zornig auf seinen Vater, weil dieser ihm diese Ehre verwehrt. Sigurd muss sich damit begnügen, die ruhmversprechende Seeschlacht an der Seite von König Gorm gegen den ambitionierten Jarl Randver aus der Ferne zu beobachten. Er konnte nicht ahnen, dass die Entscheidung seines Vaters sein Leben retten würde. Die Schlacht ist eine Falle. Hilflos muss Sigurd zusehen, wie der gierige König seinen Vater verrät und die tapferen Krieger gnadenlos von Jarl Randvers Männern abgeschlachtet werden. Auf einen Schlag verliert Sigurd alles, was in seinem Leben von Bedeutung ist. Nun kennt er nur noch einen Gedanken: Rache. Lediglich eine Handvoll treue Kämpfer begleiten ihn bei seinem Vorhaben, doch ihr Hass brennt heißer als die Sonne. König Gorm und Jarl Randver werden den Tag verfluchen, an dem sie sich gegen Jarl Harald wandten, denn Sigurd und seine Männer werden Blut in Strömen vergießen…

 

Wisst ihr, was mir beim Lesen von „Götter der Rache“ gefehlt hat? Leidenschaft. Objektiv betrachtet hat dieser Roman von Giles Kristian alles, was ein spannendes Buch ausmacht: einen Rachefeldzug, viele Kämpfe, sympathische Charaktere und eine stabile Atmosphäre. Und doch hatte ich nicht den Eindruck, dass der Autor wirklich Spaß beim Schreiben hatte. Es fühlte sich nicht so an, als würde ihn die Welt seiner fiktiven Figuren tatsächlich begeistern. Dadurch gestaltete sich die Lektüre zugegebenermaßen etwas schwierig für mich. Ich hatte Probleme, mich mit Kristians distanziertem Schreibstil anzufreunden, weil dieser stark mit der Handlung kontrastiert, die sehr blutig, sehr brutal und sehr explizit ist. Eine Jugendwarnung auf dem Cover wäre durchaus berechtigt. Ich bin wahrlich nicht empfindlich und kann gewalttätigen Szenen eine Menge abgewinnen, aber selbst mir war es fast zu viel. Nicht, weil ich mich geekelt hätte, sondern weil ich der Meinung bin, dass die Geschichte rund um Sigurd und seine tapferen Mannen hinter all den Kämpfen etwas dünn geraten und dadurch nur mäßig packend ist.
Darüber hinaus konnte ich mich nicht gut in Sigurd hineinversetzen. Kristian ließ mich nicht an der Planung seiner Rache an König Gorm und Jarl Randver teilhaben, weswegen ich seine Entscheidungen nur selten nachvollziehen konnte. Ich fühlte mich vor vollendete Tatsachen gestellt und ausgeschlossen. Ich hatte keine Chance, Sigurd wirklich nahe zu kommen und muss gestehen, dass ich ihn von allen auftretenden Charakteren am unsympathischsten fand. Seine Truppe hingegen hat einige interessante Persönlichkeiten zu bieten. Die meisten der Krieger sind recht einfach gestrickt, erschienen mir mit ihrer derben Rauheit und ihrem Hang, genau das auszusprechen, was sie denken, allerdings äußerst bodenständig und auf brachiale Weise liebenswert. Sie sind genau so, wie man sich Wikinger vorstellt: unanständig, laut und niemals um einen Kampf verlegen. Das Problem mit dieser Charakterisierung, so sympathisch sie auf den ersten Blick sein mag, ist die Klischeehaftigkeit. Ich konnte nicht anders, als mich während des Lesens zu fragen, ob Wikinger zu ihrer Zeit wohl tatsächlich so waren. Eigentlich ist es paradox, dass mich diese Gedanken umtrieben, denn schließlich wollte ich ein typisches Wikinger-Abenteuer erleben. Ich denke, hätte mich die Geschichte an sich mehr überzeugt, hätte mich ein wenig Schubladendenken nicht gestört, aber da mich Sigurds Rachefeldzug nicht voll und ganz mitriss, hatte mein Kopf die Zeit, an dem Roman herumzukritteln. Vielleicht waren meine Erwartungen auch zu hoch, das will ich nicht ausschließen. Durch „Vikings“ bin ich hinsichtlich der Wikinger-Thematik absolut verwöhnt – ich habe freilich gehofft, dass „Götter der Rache“ ähnlich dramatisch, subtil und perfide ist. Ich liebe Verrat, Intrigen und Geheimnisse einfach. Giles Kristian hat einen direkteren Handlungsverlauf gewählt. Diese Wahl akzeptiere ich und möchte sie ihm unter keinen Umständen ankreiden.

 

„Götter der Rache“ war ein Ausflug in eine Welt, die mich seit jeher fasziniert und in ein Genre, mit dem ich bisher nicht richtig warm werden konnte. Leider fand ich dieses Buch von Giles Kristian nicht so grandios, dass ich nun meine unsterbliche Liebe zu den historischen Romanen entdeckt hätte. Es ist solide, doch der große Knall blieb aus. Ich wünschte wirklich, ich hätte mehr Hingabe seitens des Autors spüren können.
Es fällt mir schwer, die Qualität von „Götter der Rache“ einzuordnen, weil ich so gut wie keine Erfahrung mit dem Genre habe. Vielleicht ist Giles Kristian DIE Autorität in Sachen Wikinger-Romane? Ich weiß es nicht. Ich denke, wenn ihr euch für die Kultur der Wikinger begeistern könnt, ist „Götter der Rache“ eine naheliegende Wahl. Bei einem schwachen Magen würde ich euch allerdings davon abraten. Spritzendes Blut, gebrochene Knochen und abgetrennte Gliedmaßen sind eben nicht für jede_n etwas. ;)

Vielen Dank an das Bloggerportal von Random House für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/12/04/giles-kristian-goetter-der-rache
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