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review 2016-12-29 10:15
Wenn jemand zu einem Messerkampf eine Pistole mitbringt...
Das Buch des Todes: Roman - Anonymus

Anfang 2016 habe ich mir vorgenommen, in diesem Jahr die „Bourbon Kid“-Reihe von Anonymus zu beenden. Im Mai startete ich voller Elan mit dem dritten Band in dieses Vorhaben. Leider enttäuschte mich „Das Buch ohne Gnade“, weil es weder die Geschichte weiterführte, noch qualitativ an die beiden Vorgänger heranreichte. Ich war irritiert. Was sollte ich mit dieser losgelösten Episode anfangen? Und was sagte sie über das Finale der Reihe aus, „Das Buch des Todes“? Aufgrund meiner Zweifel hatte ich Hemmungen, weiterzulesen und verschob die Lektüre des letzten Bandes wieder und wieder. Im Dezember beschloss ich, dem Elend ein Ende zu setzen. Ich wappnete mich mit geringen Erwartungen und nahm mir endlich „Das Buch des Todes“ vor.

 

Santa Mondegas Straßen schwimmen in Blut. Nur wenige Stunden sind vergangen, seit der Bourbon Kid in einer Orgie der Gewalt Menschen und Vampire gleichermaßen massakrierte. Aber er erwischte nicht alle. Ausgerechnet die ehemalige Mumie Gaius Rameses ist noch immer quicklebendig. Na ja, oder so lebendig, wie ein Untoter eben sein kann. Nun plant der König der Vampire, mithilfe des Auge des Mondes die Weltherrschaft an sich zu reißen. Der Kid ist der einzige, der ihn aufhalten könnte, sieht sich im Moment allerdings mit einem lästigen Problem konfrontiert: das Auge des Mondes gab ihm seine Seele zurück. Mit diesem unnützen Ballast kann er sich nicht in den gnadenlosen Killer verwandeln, der er sein muss, um eine von Vampiren regierte Zukunft zu verhindern. Er muss sie loswerden. Mit qualmenden Reifen macht er sich auf den Weg zum Devil’s Graveyard, denn glücklicherweise kennt er da jemanden, der für das Ding eher Verwendung hat als er…

 

Ich habe mich grundlos selbst kirregemacht. Ich hätte meiner Intuition vertrauen sollen, die mir bereits nach der Lektüre von „Das Buch ohne Gnade“ beharrlich mitzuteilen versuchte, dass dieser dritte Band garantiert seine Berechtigung hat, die ich nur noch nicht erkennen konnte. Sie hatte Recht. Ohne „Das Buch ohne Gnade“ ist die gewohnt absurd-witzige, temporeiche, gewaltverherrlichende Handlung von „Das Buch des Todes“ nicht zu verstehen. Will man begreifen, warum die Geschichte des Bourbon Kid und seines Rachefeldzugs gegen die Untoten so endet, wie sie endet, braucht man das Vorwissen, das der Vorgänger bietet. Ich bin zutiefst erleichtert, dass all meine Befürchtungen überflüssig waren. „Das Buch des Todes“ setzt genau da ein, wo „Das Buch ohne Staben“ abriss: kurz nach Halloween, in den deutlich entvölkerten Straßen des Höllenlochs Santa Mondega. Oh wie ich diese Stadt liebe, für ihren rotzigen, gesetzlosen Charme des Wilden Westens, für die absolute Ichbezogenheit und Verderbnis ihrer Bewohner_innen und für die Selbstverständlichkeit, mit der dort das Übernatürliche behandelt wird. Vampire wollen die Weltherrschaft übernehmen? Das könnte schlecht fürs Geschäft sein, die Kundschaft könnte ausbleiben, weil die Kundschaft die bevorzugte Nahrungsquelle der Vampire ist. Das geht so nicht! Bei entsprechender Entlohnung würde sich der Großteil der Bevölkerung Santa Mondegas eher den Arm abhacken, als etwas Uneigennütziges zu tun. Offenbar sprechen sie meiner persönlichen dunklen Seite damit aus der Seele. Ich finde es reizvoll, mir ein Leben auszumalen, das völlig frei von moralischen Grundsätzen und Verantwortungsbewusstsein ist, in dem ich egoistisch und lasterhaft sein könnte. Natürlich ist das nicht mehr als ein Tagtraum, in der Realität würde mir so ein Dasein wohl kaum gefallen, aber das hinderte mich nicht daran, den Barkeeper Sanchez voller Begeisterung dabei zu beobachten, wie er die Schneemänner von Kindern über den Haufen fuhr und den Weihnachtsmann abfackelte. Ich feuerte den Bourbon Kid trotzdem aus sicherer Entfernung an und bewunderte die Kreativität seiner tödlichen Methoden. In Santa Mondega ist der Titel „Held“ eben etwas flexibler definiert und man verdient ihn sich versehentlich. Auch im Finale stolpern die Figuren durch ein schier endloses Repertoire grotesker Szenen und folgen unwissend den Plänen des unbekannten Autors, der ganz offensichtlich diebische, sadistische Freude dabei empfindet, seine Macht über sie voll und ganz auszukosten. Mir gefällt seine Kompromisslosigkeit, die Konsequenz, mit der er seine Geschichte abschließt, wie es ihm passt, ohne Rücksicht auf Verluste oder die zarten Gefühle seiner Leserschaft. Wer nicht mithalten kann, kommt unter die Räder, basta. Dadurch ist „Das Buch des Todes“ unvorhersehbar, überraschend und nervenaufreibend. Keine Zeit, ungläubig zu staunen oder um dahingeschiedene Charaktere zu trauern, die nächste Sensation, der nächste Kick warten schon! Pass auf, sonst springen sie dir ins Gesicht!

 

„Das Buch des Todes“ ist das hysterische, unpassende Kichern während einer Beerdigung. Es ist der Messerkampf, zu dem einer eine Pistole mitbringt. Es ist unfair, bösartig und zum Schreien komisch; eine trashige Aneinanderreihung von Absurditäten, die erneut bemerkenswert schlüssig ist. Leider war es mein letzter Ausflug nach Santa Mondega. Schnief. Ich bin definitiv traurig, dass es nun vorbei ist. Zumindest vorerst. Offiziell. Eigentlich wollte Anonymus weiterschreiben, bis alle tot sind. Ohne zu viel zu verraten: einige wenige überleben diesen Wahnsinn. Theoretisch müsste er also… Nein, lassen wir das. Es bringt nichts, darüber zu spekulieren, was dieser Autor tun wird, denn wer sich brutale Achterbahnfahrten dieser Art ausdenkt, lässt sich sowieso nicht in die Karten schauen. Den Bourbon Kid werde ich auf jeden Fall in dem Einzelband „Drei Killer für ein Halleluja“ wiedertreffen und ich hoffe, dass dieser ähnlich abgefahren ist wie die „Bourbon Kid“-Reihe. Und vielleicht, nur vielleicht, wird Anonymus sein Versprechen eines Tages einlösen und noch einmal literweise Blut in Santa Mondega fließen lassen. Ist doch okay, dass ich mir das wünsche?

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/12/29/anonymus-das-buch-des-todes
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review 2016-11-22 09:46
Pubertät als Werwolf
Hair in All The Wrong Places - Andrew Buckley

Im April 2016 passierte mir etwas Ungewöhnliches. Ich erhielt eine Rezensionsanfrage – auf Englisch. Da ich auf meinem Blog ausschließlich in Deutsch rezensiere, konnte ich es kaum fassen. Elli goes international, whoop whoop! Der kanadische Autor Andrew Buckley bat mich, sein neustes Werk „Hair in All the Wrong Places“ zu lesen und zu rezensieren. Ich schnupperte in die mitgesandte Leseprobe hinein und war sofort Feuer und Flamme. Das Buch sollte von dem kleinen Nerd Colin handeln, der sich in einen Werwolf verwandelt. Das klang nach Spaß, also sagte ich zu. Ende Oktober entschied mein Bauch endlich, dass es Zeit für die Lektüre war. Ich stürzte mich voller Vorfreude in Colins Abenteuer.

 

In einem Punkt waren sich Colin Strauss und sein Spiegelbild stets einig: er ist ein Loser. Ein großer, schlaksiger 13-jähriger Brillenträger, der bei seiner mürrischen Großmutter in Elkwood wohnt, die ihren Enkel für eine Verschwendung von Sauerstoff hält. Sein Leben war ganz und gar elend. Doch damit ist jetzt Schluss. Auf einmal sprießen Colin Haare an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Er braucht keine Brille mehr. Sein Geruchssinn ist hypersensibel. Und erst die Muskeln! Vielleicht sollte er seine Verwandlung fürchten, aber er kann nicht anders, als jede Veränderung zu genießen. Auf Wiedersehen Loser, hallo Werwolf! Wäre da nur nicht die Ungewissheit, ob er etwas mit der Ermordung eines Mitschülers zu tun hat. Hat er ihn – igitt – gefressen? Colin muss herausfinden, was in jener Nacht geschehen ist und seine Kräfte zu kontrollieren lernen, bevor weitere Menschen verletzt werden. Während er versucht, die Rätsel seiner Werwolf-Existenz zu lösen, stolpert er über Geheimnisse, die seine Heimat in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen. Offenbar ist Elkwood eine Menge, aber ganz bestimmt nicht langweilig.

 

Ich freue mich immer besonders, wenn mir ein Rezensionsexemplar gefällt. Es ist schön, dem Autor oder der Autorin positives Feedback geben zu können. Die Mail, die ich an Andrew Buckley schickte, nachdem ich „Hair in All the Wrong Places“ gelesen hatte, war für uns beide ein Grund zum Lächeln. Ich fand das Buch toll. Es punktete mit Witz, Charme und einer gehörigen Portion Action.
Wie erwartet genoss ich es in vollen Zügen, Colin bei seiner Transformation in einen Werwolf zu erleben. Er beobachtet jede noch so kleine körperliche Veränderung euphorisch. Seine Fähigkeit, sich über seine Verwandlung zu freuen, sicherte ihm zielstrebig meine Sympathie. Wie oft sind Gestaltwandler melancholische kleine Heulsusen, die ihrer Menschlichkeit hinterhertrauern, statt ihre neuen Kräfte zu begrüßen. Colin ist anders. Er opfert seine kümmerliche Existenz als Mensch gern für die Macht, die mit dem Dasein als Werwolf einhergeht. Er hasste sein Leben, er hasste Elkwood, er hasste die Schläger, die ihm jeden Schultag zur Hölle machten und ein bisschen hasste er wohl auch sich selbst. Für ihn ist die Infektion ein Segen, die ihn lehrt, sich so akzeptieren, wie er ist. Er mag sein neues Ich, wächst regelrecht in sein Leben hinein und erlangt sogar die Aufmerksamkeit des Mädchens seiner Träume, Becca. Kaum ein Young Adult – Roman kommt ohne Liebesgeschichte aus und „Hair in All the Wrong Places“ ist da keine Ausnahme. In diesem Fall fand ich diese allerdings reizend und überhaupt nicht aufdringlich. Becca ist reifer als die meisten Mädchen ihres Alters und hat eine angenehme, ernsthafte Ausstrahlung. Sie bestärkt Colins Selbstbewusstsein und zeigt ihm, dass es okay ist, individuell zu sein. Sie sind ein süßes Paar. Ich habe mich für Colin gefreut, trotz der Vorhersehbarkeit ihrer Beziehung. Ebenso fand ich es offensichtlich, dass Colin keinesfalls der Mörder seines Mitschülers Sam sein kann. Er ist ein lieber Junge und könnte niemals einen Menschen töten, nicht einmal als Werwolf. Dieser Erzählstrang geriet meiner Ansicht nach etwas durchschaubar, weil die Hinweise darauf, wer es tatsächlich gewesen sein könnte, ganz deutlich in eine bestimmte Richtung zeigen. Ich hatte bereits früh eine Vermutung, die letztendlich bestätigt wurde.
Von der großen Offenbarung hinsichtlich der wahren Natur Elkwoods wurde ich hingegen kalt erwischt. Das hatte ich nicht kommen sehen, obwohl mich im Verlauf der Handlung durchaus das Gefühl beschlich, dass dort irgendetwas Seltsames vor sich geht. Ich war schockiert – im positiven Sinne. Das Geheimnis, das Elkwood umgibt, ist gigantisch, fantastisch und bietet äußerst viel Potential für diverse Fortsetzungen. Diese Kleinstadt ist wirklich besonders, weshalb ich mir eine lebhaftere, greifbarere Atmosphäre gewünscht hätte. Andrew Buckleys Schreibstil ist bisher recht explizit. Meiner Meinung nach sollte er sich stärker an dem Prinzip „Show, don’t tell“ orientieren, um die Einzigartigkeit seines Settings zu unterstreichen und Elkwoods speziellen Charakter für sich selbst sprechen zu lassen. Auf diese Weise würde deutlicher, warum sich Colin keinen passenderen Ort für seine Verwandlung in einen Werwolf aussuchen konnte.

 

Manchmal ist Leichtigkeit in einem Buch mehr wert als ein ideal konstruierter Plot oder ein fehlerloser Schreibstil. „Hair in All the Wrong Places“ ist nicht perfekt, aber das muss es auch nicht sein. Colin ist es schließlich ebenfalls nicht. Es ist witzig, temporeich, kreativ und originell. Es hat Herz. Ich glaube, dass sich Andrew Buckley selbst nicht allzu ernst nimmt und seine Geschichte absichtlich mit einem Augenzwinkern erzählt. Meiner Meinung nach ist ihm am wichtigsten, dass seine Leser_innen Spaß an der Lektüre haben. Dieses Ziel hat er in meinem Fall definitiv erreicht. Ich fand „Hair in All the Wrong Places“ großartig und freue mich bereits jetzt unheimlich auf die Fortsetzung, die laut Buckley für August 2017 angesetzt ist. Ich drücke Colin ganz fest die Daumen, dass er die Pubertät als Werwolf unbeschadet übersteht.

 

Vielen Dank an Andrew Buckley für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/11/22/andrew-buckley-hair-in-all-the-wrong-places
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