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review 2019-07-02 11:26
Der einzigartige Geschmack von Schießpulver, Magie und Heldenmut
Wrath of Empire - Brian McClellan

Nicht nur Leser_innen fällt es am Ende einer Reihe manchmal schwer, sich zu verabschieden, sondern auch Autor_innen. Brian McClellan gestand in einem Interview, dass ihm der Übergang von der „Powder Mage“-Trilogie zu seinem neuen Dreiteiler „Gods of Blood and Powder“ Probleme bereitete, weil er keine Ahnung hatte, wohin die Geschichte führen sollte. Er schrieb eine komplette erste Variante des Auftakts „Sins of Empire“, die überhaupt nicht funktionierte. Er begann noch einmal von vorn, kürzte diesen ersten Entwurf auf ein einziges Kapitel zusammen, überarbeitete den grundlegenden Konflikt – und plötzlich klickte es. Er hatte seinen Groove gefunden. Mich würde ja interessieren, um welches Kapitel es sich handelt und ob einige seiner ursprünglichen Ideen ihren Weg vielleicht in den zweiten Band „Wrath of Empire“ fanden.

 

Die Invasion der Dynize traf das gespaltene Fatrasta vollkommen unvorbereitet. Lady Vlora Flint und ihre Riflejacks verteidigten die Hauptstadt Landfall solange wie möglich, wurden jedoch von der überlegenen Truppenstärke der Dynize überrannt. Nun begleiten sie tausende Flüchtlinge, die alles verloren. Vlora fühlt sich für sie verantwortlich, obwohl ihrer Söldnerkompanie eine prekäre Mission bevorsteht: sie müssen die verschollenen Göttersteine aufspüren und zerstören, bevor die Dynize ihren verstorbenen Gott wiederauferstehen lassen können. Schweren Herzens überlässt Vlora die Flüchtlinge der Obhut von Fatrastas Militär und teilt ihre Truppen auf. Ben Styke wird die Kavallerie an die Westküste führen, wo sich einer der Steine befinden soll. Der andere liegt angeblich in den Bergen – diesen wird Vlora selbst suchen. Ein mörderisches Wettrennen beginnt.
Währenddessen soll Michel Brevis in Landfall einen riskanten Auftrag erfüllen: er soll eine Kontaktperson aus der Stadt schmuggeln. Umgeben von Feinden wird er tief in die komplexe Politik der Dynize hineingezogen. Kann er die Invasoren von innen sabotieren, ohne seine Tarnung zu gefährden?

 

In der Rezension zu „Sins of Empire“ schrieb ich, dass die Trilogie „Gods of Blood and Powder“ einem Topf gleicht, der kurz vorm Überkochen steht. Nun ist es passiert. Mit dem zweiten Band „Wrath of Empire“ eskaliert die Lage in der jungen Nation Fatrasta – und was bin ich froh darüber! Diese Fortsetzung ist spannend, intelligent und nervenaufreibend bis zur letzten Seite, denn der Autor Brian McClellan spitzt die Konflikte, die er im ersten Band etablierte, dramatisch zu und inszeniert ein vielschichtiges Kräftemessen zwischen Invasoren und Besetzten. Übermenschliche Attentäter_innen, unheimliche Blutmagie, Spionage, militärische Hinterhalte und klassische Schlachtszenen verbinden sich zu einem explosiven Gemisch, das mir schier den Atem raubte und mich an die Lektüre fesselte. Ich freute mich bereits in „Sins of Empire“ über McClellans kreatives Worldbuilding, aber erst jetzt weiß ich Fatrasta richtig zu schätzen. Das Land wirkt selbst beinahe wie eine Hauptfigur, denn die Geschichte ist so eng mit dessen komplexer Historie verbunden, die so essenziell für die inhaltlichen Entwicklungen ist, dass ich Fatrasta nicht nur als rahmengebendes Setting wahrnehme. Es ist ein äußerst lebendiger Schauplatz mit echter Persönlichkeit und steht den menschlichen Protagonst_innen somit in nichts nach. McClellan behält seine perspektivische Dreiteilung bei und schildert die Ereignisse abwechselnd aus der Sicht von Vlora, Styke und Michel. Letzterer konnte mich endlich für sich gewinnen. Es tut mir leid, wie gewaltig ich ihn sowohl als Individuum als auch hinsichtlich der Bedeutsamkeit seiner Rolle unterschätzte. Mittlerweile glaube ich, der Doppelagent ist die Schlüsselfigur der Trilogie. Ich bewundere, wie mutig er allein größten Gefahren trotzt. In „Wrath of Empire“ begibt er sich mitten in die Höhle des Löwen und kann sich lediglich auf die Schärfe seines Verstandes verlassen. Er hat keine Freunde, keine Kampfgefährten, niemanden, dem er vertrauen kann und muss in den riskanten Gewässern der Politik der Dynize navigieren, ohne sich einen Fehltritt erlauben zu können. Daher sind seine Erlebnisse nicht nur aufregend, sondern auch eine elegante Methode, Leser_innen die Gesellschaft und Kultur der Invasoren näherzubringen. Ich erhielt eine Ahnung davon, wie die Magie der Dynize funktioniert, erfuhr schockierende Neuigkeiten über eine wohlbekannte Figur, deren Wurzeln in der „Powder Mage“-Trilogie im Dunkeln lagen und begriff, wie gravierend die Bedrohung ist, die von den Göttersteinen ausgeht, die besonders die ehemaligen Soldat_innen Adros das Fürchten lehrt. Obwohl sie eine würdige Erbin ist, vermisste ich in Vloras Nähe Feldmarschall Tamas. Nicht, weil „Wrath of Empire“ etwas fehlen würde, einfach als Freund. Umso mehr berührt es mich, dass McClellan sein Andenken in „Gods of Blood and Powder“ bewahrt. Ich glaube, es hätte ihn stolz gemacht, wie selbstlos und aufopferungsvoll Vlora, Styke und Michel für ein unterdrücktes Volk kämpfen.

 

Brian McClellan hat es wirklich drauf. „Wrath of Empire“ ist eine hervorragende Fortsetzung, die die Handlung der „Gods of Blood and Powder“-Trilogie beschleunigt, verschärft und dennoch ausreichend inhaltlichen Spielraum für das große Finale „Blood of Empire“ lässt, das im Dezember 2019 erscheinen soll. Ich habe es vorbestellt, denn nach der Lektüre des zweiten Bandes kann ich es kaum erwarten, dass es weitergeht. „Wrath of Empire“ fachte meinen Appetit auf weitere Abenteuer in Fatrasta gehörig an. Auf meiner Zunge liegt noch immer dieser einzigartige Geschmack von Schießpulver, Magie und Heldenmut, der so charakteristisch für das „Powder Mage“-Universum ist und niemals Langeweile aufkommen lässt. Ich möchte an Vloras Seite Musketenfeuer lauschen, mit Ben Styke im gestreckten Galopp reiten und Michel unterstützen, politische Intrigen auszuhecken. Auf geht’s meine Freunde, jagen wir die Dynize zum Teufel!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/07/02/brian-mcclellan-wrath-of-empire
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review 2017-04-05 10:58
Das Spiel spitzt sich zu
Die Feuer der Rebellion - Steven Erikson

Hinweis: Diese Rezension bespricht sowohl „Die Feuer der Rebellion“ als auch „Die Knochenjäger“. Im Original erschien der sechste Band unter dem Titel „The Bonehunters, für den deutschen Markt wurde dieser geteilt.

 

Imperatrix Laseen entsendete Mandata Tavore mit einem eindeutigen Auftrag ins Reich der Sieben Städte: sie sollte die Rebellion des Wirbelwinds samt ihren Wurzeln herausreißen und das Land erneut befrieden. Nach dem verhängnisvollen Blutbad im Sand der Raraku ist der Aufstand niedergeschlagen; Sha’ik ist tot und die Göttin wurde bezwungen. Doch eine kleine Schar ihrer Anhänger entkam. Angeführt von Sha’iks gefürchtetem Leibwächter Leoman von den Dreschflegeln fliehen die Überlebenden in die uralte Festungsstadt Y’Ghatan. Tavore hat keine andere Wahl, als sie mit der erschöpften 14. Armee zu verfolgen, obwohl sie weiß, dass Y’Ghatan für das malazanische Imperium in der Vergangenheit nichts als Kummer und Schmerz bereithielt. Hier starb Dassem Ultor, das Erste Schwert, der größte Held der Malazaner. Trotz dessen muss Tavore ihre Soldat_innen in den Kampf gegen die Feuer der Rebellion schicken. Scheitern ist keine Option, denn sie darf der Imperatrix keine Vorwände liefern. In den letzten Monaten wurden Laseens Pläne und Absichten stetig undurchschaubarer, sie selbst unberechenbarer. Würde sie sich aus Machthunger gegen ihr eigenes Volk wenden und sich im brodelnden Krieg der Götter auf ein gefährliches Spiel einlassen? Würde sie sich mit dem Verkrüppelten Gott verbünden?

 

Ich liebe, liebe, LIEBE „Das Spiel der Götter“ von Steven Erikson! Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie großartig es ist, zu beobachten, wie sich all die Handlungsstränge Stück für Stück verdichten und langsam zuspitzen. Ich war mehr als nur ein wenig erleichtert, mich im zweigeteilten sechsten Band „Die Feuer der Rebellion“ und „Die Knochenjäger“ wieder in den gewohnten Bahnen der Geschichte zu bewegen und zu bekannten Figuren zurückzukehren. Nach dem Ausflug in das Reich der Tiste Edur und der Letherii hätte ich vor lauter Wiedersehensfreude Luftsprünge machen können. Trotz dessen verstehe ich nun, warum Erikson diesen extremen inhaltlichen Bruch wagte. Die Tiste Edur spielen eine bedeutende Rolle im Krieg der Götter und werden vom Verkrüppelten Gott skrupellos manipuliert. Ohne den tiefen Einblick in ihre Geschichte und Kultur hätte ich niemals begriffen, wieso sie für seine Einflüsterungen außergewöhnlich empfänglich sind. Sie sehnen sich so verzweifelt nach Identität und Bestimmung für ihr Volk, dass sie nicht erkennen, dass er sie hemmungslos belügt. Sie bemerken nicht, dass sie sich weiter und weiter vom Schattenreich und Kurald Emurlahn entfernen.
Vermutlich ist ihre Distanz der einzige Grund, warum Ammanas und Cotillion das Gewirr der Schatten in Besitz nehmen konnten. Anders kann ich mir nicht erklären, wie ein Mensch – selbst ein Aufgestiegener – ein nicht-menschliches Gewirr für sich beanspruchen konnte. Allerdings glaube ich, dass die Eroberung der Schattensphäre nicht spurlos an Ammanas vorbeiging. Ich habe gewaltige Schwierigkeiten, seine Persönlichkeit als Herr des Hohen Hauses Schatten und seine Persönlichkeit als Imperator Kellanved miteinander in Verbindung zu bringen. Meiner Ansicht nach passen sie nicht zusammen. Ich denke, das Aufsteigen, die Transformation in Schattenthron, veränderte Kellanved stark. Als hätte die fremde Macht des Gewirrs seinen Verstand angegriffen.
Ich bin Steven Erikson sehr dankbar, dass er endlich erklärt, wie das System des Aufsteigens funktioniert. Es gefiel mir hervorragend, dass Erikson Ganoes Paran diese zusätzlichen Fakten über das Universum erläutern lässt, denn meiner Ansicht nach ist Ganoes‘ Rolle die spannendste der gesamten Geschichte. Er ist der Herr der Drachenkarten, die, wenn sie ausgespielt werden, meinen Puls in die Höhe jagen und meinen Körper mit Gänsehaut überziehen. Als dieser steht er außerhalb des Konflikts der Götter, scheint aber nicht zu Neutralität verpflichtet zu sein. Seine oberste Priorität ist der Schutz der Sterblichen vor allzu radikalen Eingriffen der Götter. Folglich besitzt er eine gewisse Macht über sie, die er eindrucksvoll zum Einsatz bringt.
Ganoes ist jedoch nicht der einzige Charakter, der sich aktiv in den Krieg einmischt. Mittlerweile ist die Situation erstaunlich vielen Figuren bewusst. Es bildet sich eine unerwartete Allianz gegen den Verkrüppelten Gott, die die Sterblichen unablässig in günstige Positionen schiebt. Interessanterweise betrifft das auch Icarium. Icarium erfüllt nur einen einzigen Daseinszweck: er ist eine Waffe. Eine furchterregende Waffe, die während eines Kampfes in blinde Raserei verfällt. Ich war schockiert. Wie vom Donner gerührt. Ich kannte die Legenden über ihn natürlich, aber niemals hätte ich erwartet, dass dieses witzige, sanftmütige, philosophisch bewanderte Halbblut zu einem Monster mutieren könnte. Kein Wunder, dass er seit Jahrhunderten einen Aufpasser hat. Wenn die Jaghut-Tyrannen so waren wie er, kann ich gut verstehen, dass sich die T’lan Imass auflehnten und schworen, alle Jaghut auszurotten.

 

Wann immer ich eine Rezension zu einem Band von „Das Spiel der Götter“ schreibe, bin ich frustriert, nicht alle herausragenden Aspekte ansprechen zu können. Ich wünschte, ich könnte euch haargenau darlegen, wie tief mich die Loyalität und Kameradschaft der 14. Armee berührte, wie spannend und nervenaufreibend die Schlacht in Y’Ghatan war, wie faszinierend die philosophischen, theologischen Überlegungen Steven Eriksons sind und wie viel Misstrauen ich Imperatrix Laseen gegenüber empfinde. Ich könnte zu jedem Fragment der einzelnen Handlungsstränge ganze Abhandlungen schreiben. Die Geschichte der Reihe ist eigentlich viel zu komplex, um sich an Zeichenzahlen zu halten. Vielleicht werde ich in Zukunft alle selbstauferlegten Richtlinien in den Wind schießen und frei von der Leber weg drauf los schwärmen. Denn darum geht es hier ja schließlich: euch von der mit Abstand besten Reihe zu erzählen, die das Genre der High Fantasy zu bieten hat und die mein Herz ehrfurchtsvoll höherschlagen lässt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/04/05/steven-erikson-die-feuer-der-rebellion-die-knochenjaeger
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review 2016-12-29 10:15
Wenn jemand zu einem Messerkampf eine Pistole mitbringt...
Das Buch des Todes: Roman - Anonymus

Anfang 2016 habe ich mir vorgenommen, in diesem Jahr die „Bourbon Kid“-Reihe von Anonymus zu beenden. Im Mai startete ich voller Elan mit dem dritten Band in dieses Vorhaben. Leider enttäuschte mich „Das Buch ohne Gnade“, weil es weder die Geschichte weiterführte, noch qualitativ an die beiden Vorgänger heranreichte. Ich war irritiert. Was sollte ich mit dieser losgelösten Episode anfangen? Und was sagte sie über das Finale der Reihe aus, „Das Buch des Todes“? Aufgrund meiner Zweifel hatte ich Hemmungen, weiterzulesen und verschob die Lektüre des letzten Bandes wieder und wieder. Im Dezember beschloss ich, dem Elend ein Ende zu setzen. Ich wappnete mich mit geringen Erwartungen und nahm mir endlich „Das Buch des Todes“ vor.

 

Santa Mondegas Straßen schwimmen in Blut. Nur wenige Stunden sind vergangen, seit der Bourbon Kid in einer Orgie der Gewalt Menschen und Vampire gleichermaßen massakrierte. Aber er erwischte nicht alle. Ausgerechnet die ehemalige Mumie Gaius Rameses ist noch immer quicklebendig. Na ja, oder so lebendig, wie ein Untoter eben sein kann. Nun plant der König der Vampire, mithilfe des Auge des Mondes die Weltherrschaft an sich zu reißen. Der Kid ist der einzige, der ihn aufhalten könnte, sieht sich im Moment allerdings mit einem lästigen Problem konfrontiert: das Auge des Mondes gab ihm seine Seele zurück. Mit diesem unnützen Ballast kann er sich nicht in den gnadenlosen Killer verwandeln, der er sein muss, um eine von Vampiren regierte Zukunft zu verhindern. Er muss sie loswerden. Mit qualmenden Reifen macht er sich auf den Weg zum Devil’s Graveyard, denn glücklicherweise kennt er da jemanden, der für das Ding eher Verwendung hat als er…

 

Ich habe mich grundlos selbst kirregemacht. Ich hätte meiner Intuition vertrauen sollen, die mir bereits nach der Lektüre von „Das Buch ohne Gnade“ beharrlich mitzuteilen versuchte, dass dieser dritte Band garantiert seine Berechtigung hat, die ich nur noch nicht erkennen konnte. Sie hatte Recht. Ohne „Das Buch ohne Gnade“ ist die gewohnt absurd-witzige, temporeiche, gewaltverherrlichende Handlung von „Das Buch des Todes“ nicht zu verstehen. Will man begreifen, warum die Geschichte des Bourbon Kid und seines Rachefeldzugs gegen die Untoten so endet, wie sie endet, braucht man das Vorwissen, das der Vorgänger bietet. Ich bin zutiefst erleichtert, dass all meine Befürchtungen überflüssig waren. „Das Buch des Todes“ setzt genau da ein, wo „Das Buch ohne Staben“ abriss: kurz nach Halloween, in den deutlich entvölkerten Straßen des Höllenlochs Santa Mondega. Oh wie ich diese Stadt liebe, für ihren rotzigen, gesetzlosen Charme des Wilden Westens, für die absolute Ichbezogenheit und Verderbnis ihrer Bewohner_innen und für die Selbstverständlichkeit, mit der dort das Übernatürliche behandelt wird. Vampire wollen die Weltherrschaft übernehmen? Das könnte schlecht fürs Geschäft sein, die Kundschaft könnte ausbleiben, weil die Kundschaft die bevorzugte Nahrungsquelle der Vampire ist. Das geht so nicht! Bei entsprechender Entlohnung würde sich der Großteil der Bevölkerung Santa Mondegas eher den Arm abhacken, als etwas Uneigennütziges zu tun. Offenbar sprechen sie meiner persönlichen dunklen Seite damit aus der Seele. Ich finde es reizvoll, mir ein Leben auszumalen, das völlig frei von moralischen Grundsätzen und Verantwortungsbewusstsein ist, in dem ich egoistisch und lasterhaft sein könnte. Natürlich ist das nicht mehr als ein Tagtraum, in der Realität würde mir so ein Dasein wohl kaum gefallen, aber das hinderte mich nicht daran, den Barkeeper Sanchez voller Begeisterung dabei zu beobachten, wie er die Schneemänner von Kindern über den Haufen fuhr und den Weihnachtsmann abfackelte. Ich feuerte den Bourbon Kid trotzdem aus sicherer Entfernung an und bewunderte die Kreativität seiner tödlichen Methoden. In Santa Mondega ist der Titel „Held“ eben etwas flexibler definiert und man verdient ihn sich versehentlich. Auch im Finale stolpern die Figuren durch ein schier endloses Repertoire grotesker Szenen und folgen unwissend den Plänen des unbekannten Autors, der ganz offensichtlich diebische, sadistische Freude dabei empfindet, seine Macht über sie voll und ganz auszukosten. Mir gefällt seine Kompromisslosigkeit, die Konsequenz, mit der er seine Geschichte abschließt, wie es ihm passt, ohne Rücksicht auf Verluste oder die zarten Gefühle seiner Leserschaft. Wer nicht mithalten kann, kommt unter die Räder, basta. Dadurch ist „Das Buch des Todes“ unvorhersehbar, überraschend und nervenaufreibend. Keine Zeit, ungläubig zu staunen oder um dahingeschiedene Charaktere zu trauern, die nächste Sensation, der nächste Kick warten schon! Pass auf, sonst springen sie dir ins Gesicht!

 

„Das Buch des Todes“ ist das hysterische, unpassende Kichern während einer Beerdigung. Es ist der Messerkampf, zu dem einer eine Pistole mitbringt. Es ist unfair, bösartig und zum Schreien komisch; eine trashige Aneinanderreihung von Absurditäten, die erneut bemerkenswert schlüssig ist. Leider war es mein letzter Ausflug nach Santa Mondega. Schnief. Ich bin definitiv traurig, dass es nun vorbei ist. Zumindest vorerst. Offiziell. Eigentlich wollte Anonymus weiterschreiben, bis alle tot sind. Ohne zu viel zu verraten: einige wenige überleben diesen Wahnsinn. Theoretisch müsste er also… Nein, lassen wir das. Es bringt nichts, darüber zu spekulieren, was dieser Autor tun wird, denn wer sich brutale Achterbahnfahrten dieser Art ausdenkt, lässt sich sowieso nicht in die Karten schauen. Den Bourbon Kid werde ich auf jeden Fall in dem Einzelband „Drei Killer für ein Halleluja“ wiedertreffen und ich hoffe, dass dieser ähnlich abgefahren ist wie die „Bourbon Kid“-Reihe. Und vielleicht, nur vielleicht, wird Anonymus sein Versprechen eines Tages einlösen und noch einmal literweise Blut in Santa Mondega fließen lassen. Ist doch okay, dass ich mir das wünsche?

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/12/29/anonymus-das-buch-des-todes
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