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review 2017-01-24 10:13
Unter Schnee und Eis regt sich das Böse...
Weißer Schrecken - Thomas Finn

„Weißer Schrecken“ von Thomas Finn erregte vor Jahren meine Aufmerksamkeit, weil der Klappentext behauptete, das Buch sei der ultimative Thriller für alle Fans von Stephen King. Das war kurz nachdem ich begeistert meinen ersten King gelesen hatte, „ES“. Ich war sozusagen frisch angefixt. Ich erinnere mich sogar daran, dass ich meiner Schwester euphorisch von „Weißer Schrecken“ erzählte. Das Buch landete auf meiner Wunschliste, ich konnte mich aus Geiz aber wieder einmal lange nicht überwinden, es zu kaufen. Ich weiß nicht, wie lange, mehr als drei Jahre auf jeden Fall. Im März 2016 begegnete es mir dann günstig gebraucht bei Medimops. Ich zögerte nicht und nutzte die Chance, diese WuLi-Altlast endlich abzuarbeiten. 10 Monate später nahm ich mir „Weißer Schrecken“ als ideale Winterlektüre vor.

 

Andreas verbrannte alle Brücken zu seiner Vergangenheit. Er ließ seine Heimat, das verschlafene Berchtesgadener Dörfchen Perchtal, weit hinter sich. Um zu vergessen. Um zu entkommen. 26 Jahre lang täuschte er vor, die schrecklichen Ereignisse seiner Jugend überwunden zu haben. Doch nun holt das Grauen ihn ein. Kurz vor Nikolaus ruft ihn das Schicksal nach Hause. Unter Schnee und Eis regt sich erneut das Böse in Perchtal und droht, weitere Kinder als Opfer zu fordern. Andreas hat keine Wahl. Er muss sich erinnern. Er braucht seine Jugendfreunde, um sich der uralten Macht entgegenstellen zu können. Das dunkelste Kapitel seines Lebens ist noch nicht abgeschlossen.

 

„Weißer Schrecken“ ist das perfekte Buch für lange, kalte, dunkle Winternächte, wenn man sich gern ein bisschen gruselt und Nervenkitzel zu schätzen weiß. Eingekuschelt in eine Wolldecke, eine dampfende Tasse Tee in der Hand, kann ich mir keine bessere Lektüre vorstellen, während draußen ein Schneesturm tobt und der eisige Wind um die Ecken pfeift. Passenderweise ächzte Deutschland gerade unter einem jähen Wintereinbruch, als ich es las und auch die Weihnachtszeit lag nicht lange zurück. Dieser Thriller hat einen bemerkenswerten Bezug zum vorweihnachtlichen Nikolausbrauchtum, der für mich absolutes Neuland war. Offenbar ranken sich im Alpenland zahlreiche Mythen um die Zeit des 06. Dezembers, die mir alle unbekannt waren. In meiner Heimat Berlin gibt es keine Krampusläufe; wir kennen weder Schönperchten noch Schiechperchten. Bei uns wird am Nikolaus der Stiefel gefüllt und das war’s. Ich war schockiert, wie wenig ich über deutsche Volkssagen weiß und habe jede Information, die Thomas Finn mir präsentierte, gierig aufgesogen wie ein Schwamm. Es ist interessant, wie sich in Süddeutschland der christliche Glaube an den heiligen Nikolaus von Myra mit heidnischen, keltischen Überlieferungen vermischte und ein düsteres Geflecht aus Sagen und Gebräuchen entstehen ließ, in dem der negativ konnotierte Knecht Ruprecht eine zentrale Rolle spielt. Diese bedrohliche Schattenseite einer beliebten Kinderfigur bildet die Basis von „Weißer Schrecken“, für die ich sehr empfänglich war. Ich fand die Geschichte von Andreas und seinen vier Freunden, die einer uralten, bösartigen Macht trotzen, äußerst fesselnd und unheimlich. Die Handlung wechselt zwischen Gegenwart und Vergangenheit, der Großteil spielt allerdings in der Jugendzeit der Clique. Im Winter 1994 sind sie alle um die 15 Jahre alt und zu Tode gelangweilt vom Leben in Perchtal. Zumindest, bis sie herausfinden, dass das kleine Dorf ein entsetzliches Geheimnis verbirgt. Die solide, gradlinige, kontinuierliche Spannungskurve ließ die Seiten hinwegfliegen; ich wollte das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich konnte mich hervorragend in die frostige, schauerliche Atmosphäre einfühlen. Ich hörte Schnee knirschen und Eis knacken, spürte die schneidende Kälte in meinen Lungen und sorgte mich um die fünf Freunde, die auf der Suche nach Antworten ihre Leben riskieren. Obwohl die Zusammensetzung der Clique ein wenig stereotyp ist, mochte ich die unterschiedlichen Charaktere, weil ihre Freundschaft glaubwürdig ist. Ebenso wenig störte mich, dass Thomas Finn kein herausragender Schriftsteller ist, denn er versteht es durchaus, eine mitreißende Geschichte zu erzählen. Ich kann ihn mir gut an einem Lagerfeuer vorstellen. Er lässt Legenden lebendig werden und ich glaube, ihn selbst faszinierten die Ergebnisse seiner Recherchen mindestens genauso wie mich. Lediglich die vielen, betonten Anspielungen auf die 90er fand ich etwas übertrieben und nervig, weil diese Zeitspanne nun wirklich nicht so lange her ist, dass sie amüsierte Nostalgie rechtfertigen würde. Nichtsdestotrotz gefiel mir „Weißer Schrecken“ so gut, dass ich diesbezüglich ein Auge zudrücken kann.

 

„Weißer Schrecken“ wird nicht mein letzter Thriller von Thomas Finn gewesen sein. Mittlerweile stehen drei weitere Romane aus seiner Feder auf meiner Wunschliste. Sein Ansatz, aus alten Legenden eine moderne, unheimliche Geschichte zu konzipieren, begeistert mich. Man erzählt sich die Sage des strafenden Knecht Ruprecht seit Jahrhunderten; zahllose Generationen von Kindern fürchteten sich vor ihm. Für mich besitzt dieses kulturelle Erbe eine ganz eigene Macht und Wirkung. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich während der Lektüre von „Weißer Schrecken“ mehr als einmal ordentlich gegruselt habe – nicht zuletzt am Ende des Buches, das Thomas Finn zwar unbefriedigend offen gestaltete, welches meine Fantasie aber auch zu wilden Spekulationen anregte.
Tatsächlich würde ich nicht zögern, Fans von Stephen King „Weißer Schrecken“ zu empfehlen. Obschon Thomas Finn dem Meister des Horrors schriftstellerisch nicht das Wasser reichen kann, nutzt er eine ähnliche Mischung aus Realismus und Mystik, um seine Leser_innen zu unterhalten. Er holt uralte Schrecken in die Realität und spielt mit den Grenzen der Rationalität. Ein gabengefüllter Stiefel wird für mich nie wieder unschuldig sein, denn er wird mich stets daran erinnern, dass der gute Nikolaus einen finsteren Begleiter hat…

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/01/24/thomas-finn-weisser-schrecken
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review 2015-08-12 14:43
Ein wahnwitziger Strudel der Absurdität
Stark. The Dark Half - Stephen King,Christel Wiemken

„Stark: The Dark Half“ ist der dritte Roman in Stephen Kings Castle-Rock-Zyklus. Er erschien erstmals 1989 (in meinem Geburtsjahr) und hat einen deutlich biografischen Hintergrund. Sicher wisst ihr, dass Stephen King nach den Erfolgen von „Carrie“, „Brennen muss Salem“ und „The Shining“ einige seiner älteren Manuskripte unter dem Pseudonym Richard Bachmann veröffentlichte, um herauszufinden, ob diese Werke auch ohne seinen berühmten Namen auf dem Cover für ihre Qualität von der Leserschaft geschätzt würden. Dies war tatsächlich der Fall; Richard Bachmann wurde ein kommerziell erfolgreicher Schriftsteller. Bis das Pseudonym 1985 nach der Veröffentlichung von „Der Fluch“ von dem Buchhändler Stephen Brown aufgedeckt wurde. Die Verkaufszahlen der Bachmann-Romane schossen durch die Decke und Stephen King entschied sich dazu, Richard Bachmann sterben zu lassen. In „Stark: The Dark Half“ verarbeitete King diese Episode seines Lebens.

 

George Stark ist tot. Gemeinsam mit seiner Frau Liz trug Thaddeus Beaumont ihn öffentlichkeitswirksam zu Grabe. Natürlich nur symbolisch, denn Stark war nie wirklich lebendig. Er war Thads Pseudonym, unter dem er drei sehr erfolgreiche Romane veröffentlichte. Stark war definitiv kein angenehmer Zeitgenosse und Thad ist erleichtert, dass er nun aus seinem Leben verschwunden ist. Doch kurz nach der sinnbildlichen Beerdigung gerät der gefeierte Schriftsteller in einen Strudel der Gewalt, der ihn an Realität und Einbildung zweifeln lässt. Stück für Stück werden alle Menschen ermordet, die mit dem „Tode“ George Starks in Verbindung standen. Wer steckt hinter den grausamen Morden? Ein enttäuschter Fan der Stark-Romane? Ein Verrückter, der sich einbildet, George Stark zu sein? Oder… gar Stark selbst?

 

Ach ja, Stephen King. Mit jedem seiner Romane ist es das Selbe für mich. Seine unheimliche Fantasie lockt mich immer wieder aufs Neue hinter dem Ofen hervor, doch beim Lesen kann er meine Aufmerksamkeit nicht uneingeschränkt fesseln. Leider war das auch bei „Stark: The Dark Half“ der Fall. Ich weiß nicht, ob ich dieses Buch jemals gelesen hätte, wenn ich es nicht auf der Straße gefunden hätte, denn die Geschichte eines mordenden Pseudonyms ist wohl nicht ganz das Richtige für mich. Wenn ich zu einem King greife, möchte ich mich gruseln. Ich will diesen eiskalten Schauer spüren, für den er so berühmt ist. Dazu muss mir beim Lesen bewusst sein, wie haarsträubend seine Ideen sind. Ich habe lange darüber nachgedacht, warum ich mich vor „Stark“ nicht gruseln konnte, obwohl es bizarr, verdreht, absurd und unglaublich ist. Ich konnte den Zwang, die unheimliche, düstere Spirale des Buches spüren, doch ich habe mich nicht darin verloren. Ich denke, das hatte zwei Gründe. Einerseits ließ mich die Idee hinter diesem Roman ziemlich kalt, weil ich überhaupt keine Probleme mit der Vorstellung hatte, dass George Stark lebendig ist. Es fiel mir nicht schwer, seine Existenz zu akzeptieren. Andererseits ist Starks Entstehungsgeschichte meiner Meinung nach sehr abstrakt, sodass sie mich nicht richtig erreichte. Stark ist widerlich, verrückt und extrem gefährlich, aber für meine Begriffe war er zu… real. Es fiel mir schwer, in ihm etwas Unheimliches, Übernatürliches zu sehen, obwohl er das selbstverständlich ist. Er ist ein Scheusal, eine blutgierige Bestie, doch das sind die meisten Serienmörder in der Literatur ebenfalls. Ich kann ihn nicht als den Widerspruch der Natur empfinden, der er ist. Dementsprechend fand ich auch seine Geschichte nicht so außergewöhnlich, wie sie eigentlich ist. Die Verbindung zwischen George und Thad ist beidseitig parasitär; wenngleich klar ist, dass Thad der „Gute“ ist, ist er an Georges Dasein nicht unschuldig. Zwar konnte er nicht wissen, dass er sein Pseudonym zum Leben erwecken würde, nichtsdestotrotz behandelte er sein Alter Ego wie eine Milchkuh, die er molk, wann immer es ihm passte. Er nutzte Stark aus, ohne ihm auch nur einen Funken Respekt zu zollen und als er der Meinung war, ihn nicht mehr zu brauchen, beseitigte er ihn kurzerhand. Natürlich rechtfertigt das keinesfalls Starks Verhalten, aber ich kann seine unbändige Wut durchaus nachvollziehen. Vielleicht hing meine Unfähigkeit, mich zu gruseln, auch mit diesem Verständnis für Stark zusammen. Ich denke, es hätte mir geholfen, hätte ich mehr über die Zeit erfahren, in der Thad als George Stark geschrieben hat. King beließ es bei Andeutungen, die darauf hinweisen, dass sich die Persönlichkeit des sonst so liebevollen, zurückhaltenden, tollpatschigen Ehemannes und Familienvaters grundlegend veränderte. Möglicherweise hätte ich das Abstoßende, Unnatürliche an George Stark besser begreifen und verarbeiten können, hätte ich erleben dürfen, inwiefern er Thads Wesen manipulierte.

 

Vergleiche ich „Stark: The Dark Half“ mit den anderen Romanen aus Stephen Kings Feder, die ich bisher gelesen habe, muss ich feststellen, dass dieses Werk mich bisher am wenigsten berührt hat. Die Geschichte des Schriftstellers Thaddeus Beaumont und seines Alter Egos George Stark ist zwar faszinierend, doch als schriftgewordenen Horror empfand ich sie nicht. Horror entsteht, wenn wir mit Szenarien konfrontiert werden, vor denen wir uns bewusst oder unbewusst fürchten. Offenbar kommt ein Pseudonym, das in Fleisch und Blut existiert und grausame Morde begeht, in meinem persönlichen Angst-Repertoire nicht vor.
Ich kann „Stark: The Dark Half“ nicht empfehlen, weil eine generelle Einschätzung hier unmöglich ist. Angst ist stets sehr persönlich und individuell; ob dieser Stephen King euren Nerv trifft, kann ich nicht beurteilen. Solltet ihr euch dafür entscheiden diesen Roman zu lesen, verspreche ich euch ein Buch voll mysteriöser Zeichen, Symbole und Zusammenhänge, die sich in Kings typischen Schreibstil zu einem wahnwitzigen Strudel der Absurdität verdichten.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/08/12/stephen-king-stark-the-dark-half
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