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review 2017-11-29 10:20
Die Zukunft ist eine Sardinenbüchse
Future - Dmitry Glukhovsky

Dmitry Glukhovsky ist für mich kein Unbekannter. Der Lieblingsmensch ist ein enthusiastischer Fan der „Metro“-Reihe, bisher steckte mich seine Begeisterung jedoch nicht an. Ich schleiche schon lange um „Metro“ herum, konnte mich aber noch nicht zur Lektüre überreden. Als meine Mutter mir mitteilte, dass Glukhovsky einen dystopischen Einzelband veröffentlicht hatte, ergriff ich meine Chance. Ich beschloss, den russischen Autor durch „Futu.Re“ erst einmal kennenzulernen, bevor ich es mit „Metro“ versuchte. Ein sanfter Einstieg erschien mir erfolgsversprechender.

 

In der Zukunft wurde das Altern bezwungen, abgeschafft, aus der Gesellschaft getilgt. In der megalomanen Metropole Europa wird jeder Mensch mit dem Recht auf Unsterblichkeit geboren. Um die Überbevölkerung unter Kontrolle zu halten, unterliegt die Fortpflanzung strenger Richtlinien. Das Gesetz über die Wahl fordert für das Leben des Kindes das Leben eines Elternteils. Illegale Schwangerschaften und Geburten sind keine Seltenheit. Jan Nachtigalls Aufgabe besteht darin, diese Verbrecher aufzuspüren und das Gesetz zu vollstrecken. Er ist stolz auf seinen Beruf. Wenn diese Systemgefährder keine Verantwortung für ihre Zügellosigkeit übernehmen wollen, muss er es eben tun. Eines Tages wird ihm von einem einflussreichen Senator ein Spezialauftrag übertragen, der seine Karriere entscheidend vorantreiben könnte. Er soll einen bekannten Terroristen und dessen schwangere Freundin ausschalten. Doch während des Einsatzes kommt alles anders als geplant und plötzlich findet sich Jan in der Gesellschaft der jungen Frau wieder, die er umbringen sollte. Sie stürzt sein Leben ins Chaos, stellt alles infrage, wofür er steht und weckt in ihm tiefe Zweifel: ist die Menschheit für die Unsterblichkeit geschaffen?

 

Okay, das lief nicht wie erwartet. Ich möchte nicht behaupten, dass mein Versuch einer Annäherung an Dmitry Glukhovsky durch „Futu.Re“ vollkommen in die Hose ging, aber als erfolgreich kann ich dieses Experiment ebenfalls nicht bezeichnen. Ich fühle mich genauso schlau wie vorher. Meine Motivation, die „Metro“-Trilogie zu lesen, ist noch immer überschaubar. Tatsächlich verunsicherte mich „Futu.Re“ zusätzlich. Wäre das Buch einfach schlecht, hätte ich keinerlei Hemmungen, Dmitry Glukhovsky in das Nirvana der enttäuschenden Autor_innen zu verbannen. Dummerweise sind lediglich einige Aspekte fragwürdig – andere dafür jedoch hervorragend. Ich bin zwiegespalten.
Das Design der Dystopie beeindruckte mich nachhaltig. Glukhovskys beängstigend vorstellbare Zukunftsvision stützt sich auf zwei korrelative Säulen: der Sieg der Wissenschaft über das Altern und die daraus resultierende Überbevölkerung der Erde, die ihrerseits verschiedene Modelle zur Populationskontrolle (z.B. das Gesetz über die Wahl) erzwang und eine unermesslich erweiterte und verdichtete Besiedlung des Planeten zur Folge hatte. Die Weite der Welt ist passé. Die Zukunft ist eine Sardinenbüchse, die Menschen stapeln sich buchstäblich. Die klaustrophobische Atmosphäre übertrug sich intensiv auf mich. Ich fühlte mich körperlich unwohl, erdrückt, eine Empfindung, die durch die dargestellte Sinn- und Ziellosigkeit der menschlichen Existenz verstärkt wurde. Niemand wird mehr von der eigenen Sterblichkeit gejagt; es fehlt die Triebfeder, die heute fieberhafte Forschung und den Wunsch, die Welt für die nächste Generation zu verbessern, befeuert. Wer denkt an die nächste Generation, wenn man ewig leben kann? Die einzige Ausnahme in diesem Sumpf der völligen Abgestumpftheit sind die wenigen Menschen, die das Funktionieren des Systems gewährleisten, obwohl der Protagonist Jan Nachtigall belegt, dass auch diese berufliche Befriedigung oberflächlich ist und keinen wahren Lebenssinn stiftet. Für mich ist Jan der Übeltäter, der eine durchgehend positive Leseerfahrung mit „Futu.Re“ verhinderte. Dmitry Glukhovsky entschied sich für die Ich-Perspektive, ergo befand ich mich während der gesamten Lektüre in Jans Kopf – ein Ort, an dem ich keinesfalls sein wollte. Während der ersten Hälfte des Buches konnte ich mich überhaupt nicht mit ihm arrangieren, fand ihn aggressiv, hasserfüllt und gewaltbereit; ein von Komplexen gequälter Junge im Körper eines Mannes mit minimaler Frustrationsgrenze. Rückblenden in Form von unrealistisch strukturierten Träumen sollten seine Persönlichkeit erklären und rechtfertigen, doch ich konnte trotzdem nur wenig Verständnis für ihn aufbringen. In der zweiten Hälfte ertrug ich ihn besser, da Jan eine berechenbare und durch die gekünstelte Handlung unausweichliche Wandlung durchlebt, aber beste Freunde konnten wir nicht mehr werden. Glukhovsky nahm mir die Möglichkeit, mich von Jan zu distanzieren und mich an anderen Figuren zu orientieren, weil es neben ihm keine nennenswerten Handlungsträger_innen gibt. Eingesperrt in den Gedanken eines misogynen Schlägers hatte ich kaum Freude an der Lektüre und musste mich voll auf die Dystopie konzentrieren, um durchzuhalten.

 

Ohne die logische, realitätsnahe und atmosphärische Dystopie würde „Futu.Re“ auf meinem Stapel der durchgefallenen Bücher landen. Die Handlung wirkte allzu konstruiert, der Protagonist war eine Zumutung. Hoffentlich begegnet mir nie wieder eine Figur wie Jan Nachtigall. Wie konnte Dmitry Glukhovsky ein Buch schreiben, das sich völlig auf einen permanent unsympathischen Hauptcharakter verlässt? Meiner Meinung nach war ich nicht die einzige, die sich auf die pervertierte Version einer globalisierten Welt fokussierte. Ich glaube, dass sich Glukhovskys Augenmerk ebenfalls auf seine Zukunftsvision richtete, weshalb ihm offenbar nicht auffiel, dass sich der unausstehliche Jan durch eine unnatürliche Handlung hangelt. Ich zögere daher, ihm genug Vertrauen zu schenken, um die „Metro“-Trilogie zu lesen. Angeblich soll diese frei der hier benannten Mängel sein – aber was, wenn nicht?

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/11/29/dmitry-glukhovsky-futu-re
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review 2017-10-25 09:43
Prinzessin Davy sucht heißen Bodyguard mit Zusatzleistungen
Unleashed - Sophie Jordan

„Uninvited“ von Sophie Jordan brauchte ziemlich lange, um den deutschen Markt zu erreichen. Ich habe das Buch im Juli 2015 gelesen; die deutsche Version wurde erst im Februar 2016 unter dem Titel „Infernale“ bei Loewe veröffentlicht. Auf seiner Website bietet der Verlag einen Test an, durch den Leser_innen herausfinden können, welcher Figur der Geschichte sie ähnlich sind. Ich habe den Test aus Jux und Tollerei durchgeführt: angeblich bin ich wie die Protagonistin Davy. Na danke. In meiner Rezension zu „Uninvited“ beschrieb ich Davy als hilflose Mary Sue. Ich konnte nur hoffen, dass sie in der Fortsetzung „Unleashed“ etwas mehr Feuer erhält.

 

An der Grenze zu Mexiko warten Davy, Sean, Gil und Sabine auf ihre Gelegenheit. Als Träger_innen des HTS, des Homicidal Tendency Syndrome, sind sie in den USA Freiwild, erst recht, seit sie aus Mount Haven flohen. Nun müssen sie sich auf die Hilfe des Widerstands verlassen, um als Flüchtlinge ein neues Leben zu beginnen. Doch verdient Davy überhaupt eine zweite Chance? Das Gesicht des Mannes, den sie auf Befehl im Camp erschoss, verfolgt sie. Ihre Schuld frisst sie auf und entfernt sie weiter und weiter von ihren Freunden. Trotzdem geht sie mit ihnen, als der Zeitpunkt ihrer Grenzüberquerung gekommen ist. Der Plan scheitert. Davy wird von den anderen getrennt und angeschossen, entkommt nur knapp und ist schwer verletzt auf sich allein gestellt. Zu ihrem Glück findet sie der charismatische Caden, Leiter eines unterirdischen Stützpunktes des Widerstands. Er bringt sie in Sicherheit und stellt ihre Gefühle, ihr Selbstverständnis und ihre Loyalität auf eine harte Probe. Hat sie als Trägerin ein Recht auf eine glückliche Zukunft oder sollte sie als die Mörderin behandelt werden, die sie ist?

 

Ich hatte von Anfang an niedrige Erwartungen an „Unleashed“. Ich ging nicht davon aus, dass sich die Kritikpunkte des ersten Bandes in der Fortsetzung auflösen würden. Sophie Jordan brachte trotz dessen das Kunststück fertig, meine bescheidene Erwartungshaltung noch zu untertreffen. Dieses Buch ist weit schlechter, als ich angenommen hatte. Es ist banal und beschränkt. Meiner Meinung nach hätte sie sich den zweiten Band definitiv sparen können, weil er den Leser_innen überhaupt kein neues Wissen verschafft und sich die Geschichte permanent im Kreis dreht. Es gibt darin keine Fortschritte, sondern nur ermüdende, enervierende Wiederholungen. Der theoretische Kern der Handlung, das HTS, wird vollständig von den Liebeseskapaden der Protagonistin Davy verdrängt und dient maximal als Rahmen. Es geht kaum noch um die Diskriminierung von Träger_innen in den USA, sondern nur um Davys persönliches Schicksal. Ich durfte eine zimperliche, naive Heulsuse begleiten, die ununterbrochen im Selbstmitleid badet. In Ich-Perspektive. Großartig. Hätte ich mich noch ein bisschen mehr über sie aufgeregt, hätte ich vermutlich ins Buch gegriffen, um ihr alle Zähne auszuschlagen. Ich hasse ihre psychische, mentale Schwäche und Hilflosigkeit. Ich verabscheue ihren grenzenlosen Egoismus, der sie ihre Freunde vergessen, Caden ausnutzen und sich selbst als Mittelpunkt des Universums verstehen lässt. Sie hat ihre Vorurteile über HTS-Träger_innen noch immer nicht überwunden und Sophie Jordan bemüht sich weiterhin nach Kräften, ihr verzerrtes Weltbild zu bestätigen. In einer Szene wird Davy beinahe von einem Träger vergewaltigt – ein überflüssiger und abstoßender Moment, der lediglich verdeutlichen soll, wie furchtbar die Welt ist, in der Davy lebt. Selbst im Lager des Widerstands, über dessen Organisation Jordan so gut wie nichts offenbart, nimmt Davy eine Sonderposition ein, weil sie dort als Bedrohung aufgefasst wird. Bullshit. Sie bleibt in „Unleashed“ eine hilflose Mary Sue, ein Mädchen, das sich, obwohl sie sich für ach so gefährlich hält, dem ersten hübschen Kerl an den Hals wirft, der ihr begegnet, weil sie in Wahrheit nicht in der Lage ist, irgendetwas allein zu regeln. Sie hat keinerlei Gewissensbisse, mit Caden anzubandeln, obwohl sie meinem Verständnis nach mit Sean zusammen ist. Sie haben zwar nie Schluss gemacht, aber für sie ist die Beziehung beendet. Seans Gefühle spielen keine Rolle. Davy ist weder stark, noch mutig oder ein besonders wertvoller Mensch, sie ist eine egozentrische Dramaqueen, die sich ständig selbst belügt und nicht ein einziges Mal darüber nachdenkt, wie ihr Verhalten ihre Mitmenschen beeinflusst. Ich fand es ätzend, wie hemmungslos Sophie Jordan unglaubwürdige Klischees bedient, die die emotionalen Knöpfe der Leser_innen drücken sollen und darüber die grundlegende Handlung ihrer Geschichte sträflich vernachlässigt. Jegliche Chancen, inhaltliche Wendungen für ein Mindestmaß an Bedeutsamkeit zu verwenden, blieben ungenutzt. Das Ende von „Unleashed“ war eine Zumutung, irrationales, unrealistisches Gefasel, das ich ihr nicht einmal unter Einfluss schwerer Sedativa abgekauft hätte. Es war eine Beleidigung meiner Intelligenz.

 

Ich bin so wütend auf Sophie Jordan, dass mir beinahe Rauch aus den Ohren quillt. Ich habe ja keine großen Sprünge von „Unleashed“ erwartet, aber das… Das ist einfach unverfroren. Dreist. Billig. Kitsch und Drama werden es schon richten, wen interessieren da inhaltliche Substanz und Plausibilität? Mich interessiert es, verflixt und zugenäht noch mal! Wie konnte die Autorin wagen, solchen Schund zu veröffentlichen? Was fällt ihr ein? Ich habe das Buch überhaupt nur deshalb gelesen, weil ich hoffte, dass sie sich intensiver mit dem HTS auseinandersetzen würde! Ich wollte keine Neuauflage von „Prinzessin Davy sucht heißen Bodyguard mit Zusatzleistungen“! Mir hat diese Fortsetzung nicht das Geringste gebracht. Die Dystopie ist nicht mehr als ein leeres Versprechen, die Figuren sind in Klischees gefangene, unechte, starre Schaufensterpuppen und die Geschichte… Ja, welche Geschichte eigentlich? Die Lektüre war Zeitverschwendung. Schämen Sie sich, Sophie Jordan, schämen Sie sich.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/10/25/sophie-jordan-unleashed
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