Ich sitze schon zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit etwas fassungslos, ein bisschen überfordert und konsterniert vor einem rumänischen Roman, habe irgendwie das Gefühl, zwar etwas Gutes, sehr Lyrisches gelesen, aber nicht wirklich verstanden zu haben und frage mich, warum diese Art zu beschreiben und mir diese Welt so fremd erscheint, beziehungsweise warum sie so schwer für mich zu verstehen ist. Nachdem ich ein bisschen in den Pressestimmen der Leipziger Buchmesse, deren Gastland Rumänien ja 2018 war, recherchiert habe, fällt mir die Antwort wie Schuppen von den Augen. Diese rumänische Strömung nennt man literarischen Surrealismus und genauso surreal, unverständlich und verklausuliert stellen sich mir aus bisheriger Erfahrung rumänische Romane dar. Fast könnte man meinen, die Securitate wäre noch immer hinter allen Schriftstellern her und würde alle Romane zensieren, so indirekt und über tausend Ecken wird hier Gesellschaftskritik angebracht. Die Inhalte sind irgendwie spannend-kurios, die literarische Reise ist weit wie in die Walachei und bis ans Schwarze Meer, aber der Sinn bleibt mir doch ein böhmisches Dorf (beziehungsweise ein walachisches).
Manu Traian hat sein Heimatland bereits vor dem Krieg verlassen, ist nach Italien emigriert und lebt dort ein sehr erfolgreiches Leben als anerkannter Intellektueller. Obwohl er die Schrecken der Securitate gar nicht am eigenen Leib erlebt hat, dürfte sich dennoch im Exil ein Trauma in ihm festgesetzt haben. Die erste Szene der Geschichte ist schon sehr heftig. Manu verfolgt ein immer wiederkehrender Alptraum: Er ist in den Westen gegangen und dann hat er sich nach Jahrzehnten ohne Ticket mit dem Zug zu seiner Familie zurückgeschummelt. Alle sitzen an einem Tisch, aber erkennen ihn nicht und glauben, er ist von der Securitate geschickt worden, um alle auszuhorchen. Er soll verschwinden, keiner der Familie ist in den Westen gegangen, sagen sie.
Im Kernstrang der Erzählung kehrt Manu Traian als erfolgreicher Westler auf Einladung offizieller Stellen in seine Heimat Rumänien zurück, permanent verfolgt, bespitzelt und vernadert* von seinen eigenen Verwandten, der Familie seiner ehemaligen Geliebten und seinen beruflichen Bekanntschaften. Manu will nicht wahrhaben, dass die gesamte Reise unter der Regie des Geheimdienstes gleich einem Theaterstück aufgeführt wird und kann nicht zwischen Freund und Feind unterscheiden, im Gegenteil, in den schlimmsten Spitzeln glaubt er seine eigentlichen Freunde zu erkennen.
Alles, was in Rumänien spielt, hat was von Kafka in der Securitate-Hochburg: die exzessiv bürokratische Verwaltung und das hierarchische Human-Ressource-Management von Bespitzelung, Vernaderung*, Terror und Folter durch papiererne Aktenberge und beamtische Speichelleckerei. Wie sagt man bei uns in Österreich „Nach oben buckeln und nach unten treten“. Vor allem die ältere Generation der kommunistischen Geheimdienstschergen wird extrem primitiv und als grobschlächtige, dumme Säufer ohne Manieren dargestellt. Manus gesamte Rumänienreise ist gekennzeichnet von permanentem seichtem Geplapper seiner Verwandten, die alle etwas von ihm wollen, es aber nicht wirklich artikulieren, Aktennotizen, die an die Vorgesetzten der Securitate zwecks Bespitzelung von Taijan verfasst wurden und von Zitaten aus der Odyssee, die das Lieblingswerk von Manu darstellt und irgendwie auch das Heimkommen symbolisiert. In diesem Ballett aus nutzloser Geschwätzigkeit, Finten, Lug, Betrug, Spionage und Reminiszenzen an den Sagenstoff kann der Protagonist die einzige Person, die es gut mit ihm meint und die einfach keine Gelegenheit findet, mit Manu zu reden, einfach nicht identifizieren. Das Gespräch zwischen Daniel und Manu scheitert in vielen Anläufen an Sprachlosigkeit und Zurückhaltung des jungen Mannes und an der Fehleinschätzung von Manu.
Warum Adamesteanu mit der Figur der Christa, der deutschen Freundin des Protagonisten, auch noch eine Nazifamilienbiografie in die totalitäre Schlacht der Geschichte wirft, erschließt sich mir inhaltlich nicht so ganz, denn für eine intensive Aufarbeitung der beiden totalitären Systeme in Ost und West hat sie diesen Handlungsstrang für meine Begriffe nämlich viel zu wenig in den Fokus der Story gesetzt. So bleibt diese Verzweigung für mich nur ein kleines aufblitzendes Schlaglicht in der Gesamtkonstellation. Auf dem blauen Sofa der Leipziger Buchmesse hat die Autorin zugegeben, dass sie von Anfang an den Roman auch für den deutschen Markt schreiben wollte. Das erklärt natürlich vieles, hätte dann aber auch in der Gegenüberstellung für meine Begriffe weitaus intensiver und konfliktreicher mit dem Protagonisten betrieben werden sollen.
Fazit: Ich bin unschlüssig. Eine nicht unspannende Geschichte, die ich in ihrem Aufbau und in der Botschaft nicht ganz verstanden habe. Tonalität und Inhalt sind für mich ein bisschen ambivalent. Auf jeden Fall regte sie mich zur intensiven Recherche an. Vielleicht sollte ich noch mehr rumänische Schriftsteller lesen, um in diese literarische Kultur tiefer einzutauchen und sie in letzter Konsequenz auch wirklich zu verstehen.
*vernadern – denunzieren