logo
Wrong email address or username
Wrong email address or username
Incorrect verification code
back to top
Search tags: krankhaft
Load new posts () and activity
Like Reblog Comment
review 2016-11-11 10:09
Was ist schon normal?
Normal - Graeme Cameron

Ich lese selten Kriminalthriller. Meine Beziehung zu diesem Subgenre ist schwierig, weshalb ich dieses Jahr auch erst zwei Romane dieser Kategorie von meinem SuB befreit habe. Die immer gleichen Grundstrukturen öden mich an. Der/Die Ermittler_in wird mit einem Fall konfrontiert, der eine Verbindung zu seiner/ihrer düsteren Vergangenheit aufweist. Er/Sie stellt sich den Dämonen, schnappt den Täter und rettet den Tag. Gähn. Ich kann es nicht mehr sehen. Deshalb bin ich permanent auf der Suche nach Thrillern, die anders sind. „Normal“ von Graeme Cameron versprach, genau die Art Thriller zu sein, denn der Protagonist ist niemand geringerer als der Killer selbst.

 

Sein Leben folgt einer komfortablen Routine. Er schläft. Er isst. Er kauft ein. Er jagt. Er spielt. Er mordet. Alles ganz normal. Er hat sich seinen Bedürfnissen entsprechend eingerichtet; besitzt einen versteckten schallisolierten Keller, in dem sich ein gut gesicherter Käfig befindet. Er verfeinerte Anonymität zu einer Kunstform. Niemand würde seine wahre Natur erkennen – bis es zu spät ist. Er ist der Wolf in unserer Mitte. Er ist zufrieden. Doch dann begegnet er über Miesmuscheln der Liebe seines Lebens. Ein Blick in ihre Augen und all die sorgfältig aufgebauten Strukturen seiner Existenz sind plötzlich unwichtig. Seine Triebe rücken in den Hintergrund. Ihretwegen möchte er sich ändern. Es gibt da nur ein Problem: der Käfig in seinem Keller ist zurzeit bewohnt…

 

„Normal“ ist tatsächlich völlig anders als jeder Thriller, den ich bisher gelesen habe. Ich habe noch nie so starke Sympathie für einen Serienmörder empfunden. Graeme Cameron stellt die eingestaubten Funktionsweisen des Genres, die mich so fürchterlich langweilen, komplett auf den Kopf. Statt einem Ermittler bzw. einer Ermittlerin zu folgen, begleiten die Leser_innen den Täter, erleben ihn aus seiner Ich-Perspektive. Ich war in seinem Kopf, lauschte seinen Gedanken, sah ihn, wie er sich selbst sieht. Man sollte meinen, die Psyche eines Serienkillers ist ein dunkler, chaotischer, krankhafter Ort, aber in diesem speziellen Fall trifft das nicht zu. Dieser Mann ist nicht verrückt. Er ist rational, kultiviert und eloquent, sodass ich immer wieder vergaß, dass sich hinter seiner Fassade eine Bestie verbirgt, die andere Menschen zum Spaß quält und tötet. Ich bewundere Graeme Cameron zutiefst für diese schriftstellerische Leistung und für seinen Mut, mit den Grenzen des Akzeptablen zu spielen. Er konstruierte einen charismatischen Charakter, der sich meine Zuneigung durch Humor und Bodenständigkeit sicherte, obwohl dies angesichts seines blutigen Hobbys eigentlich nicht möglich sein sollte. Ich sollte ihn nicht mögen können und konnte es doch nicht verhindern. Eine seltsame Erfahrung, besonders, wenn man bedenkt, dass ich im Grunde kaum etwas über ihn weiß. Ich weiß weder, wie er heißt, noch, wie er aussieht, noch, wo er lebt. Ich weiß nicht einmal, in welchem Beruf er arbeitet oder ob er vielleicht arbeitslos ist. Ich vermute, dass seine Geschichte in England angesiedelt ist, habe jedoch nie genaueres erfahren. Cameron möchte auf diese Weise die oberflächliche Durchschnittlichkeit seines Protagonisten betonen und es seinen Leser_innen überlassen, die Lücken mit ihrer Fantasie zu füllen. Der Mangel an Fakten zeichnet den Killer als unauffällig, als einen Mann, dem man auf der Straße begegnen könnte, ohne es zu bemerken. Er ist ein Jedermann. Wie dieser hochorganisierte, angepasste Mensch zu einem Serienmörder werden konnte, ist mir ein Rätsel. Er weist gewisse Symptome einer dissozialen Persönlichkeitsstörung auf, diese sind allerdings eher latent und meist auf seine Interaktionen mit seinen Opfern begrenzt. Er ist sehr wohl in der Lage, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und sich seinen Gefühlen zu stellen, was die Tatsache, dass er sich verliebt, ja auch eindrucksvoll beweist. Rachel verkompliziert sein gesamtes Leben maßgeblich und bringt sein gefrorenes Herz zum Schmelzen. Hach, was war das süß. Sie schubst ihn unerwartet aus seiner Komfortzone und lehrt diesen Mann, der aus einem schier übermächtigen Kontrollbedürfnis heraus mordet, dass es sich durchaus gut anfühlen kann, die Kontrolle abzugeben. Ich habe ihm von Herzen gewünscht, dass er es schafft, sich zu ändern. Leider schleicht sich dadurch eine gewisse Nachlässigkeit in seinem Verhalten ein, weshalb die Polizei auf ihn aufmerksam wird. Er wird in ein gefährliches Katz und Maus-Spiel hineingezogen, als er es am wenigsten gebrauchen kann. Diese Entwicklung war vermutlich der Gipfel meiner sonderbaren Beziehung zu ihm: ich hoffte, dass er, der Mörder zahlloser Frauen, entkommt.

 

„Normal“ ist ein großartiger Thriller, der meinen Wunsch, aus den altbekannten Mustern des Genres auszubrechen, spielend erfüllte. Die Idee, ein ganzes Buch aus der Perspektive eines Serienkillers zu schreiben und diesen dann auch noch als sympathische Figur zu charakterisieren, verdient meiner Meinung nach donnernden Applaus. Ich weiß zwar nur wenig über den namen- und gesichtslosen Protagonisten, in seiner Gedankenwelt fühlte ich mich jedoch erstaunlich wohl. Ich hatte keine Probleme damit, einem Mörder so nah zu sein. Ich halte ihn für psychologisch realistisch dargestellt und bin wirklich beeindruckt von Graeme Camerons schriftstellerischem Talent. Theoretisch verdient seine Leistung eine 5-Sterne-Bewertung, ich muss allerdings bemängeln, dass „Normal“ definitiv auf Kürze ausgelegt ist. Die Geschichte zielt trotz ihrer Außergewöhnlichkeit nicht darauf ab, die Leser_innen emotional nachhaltig zu beeinflussen. Ich denke, Cameron hätte dem Ganzen noch etwas mehr Tiefe verleihen können, indem er die Frage nach dem Monster in uns allen aufgeworfen hätte. Nichtsdestotrotz ist das Buch fabelhaft und wenn ihr euch schon immer einmal gefragt habt, wie ein Serienmörder den Spagat seines Doppellebens meistert, seid ihr mit „Normal“ gut beraten.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/11/11/graeme-cameron-normal
Like Reblog Comment
review 2016-03-26 13:45
Mo Hayder hat eine kranke Fantasie
Die Sekte - Mo Hayder,Rainer Schmidt

Mo Hayder ist eine Entdeckung meiner Eltern. Sie mögen ihre Thriller sehr, sortieren die Bücher jedoch direkt nach dem Lesen aus Platzmangel wieder aus. Krimis und Thriller liest man ja eher selten mehrfach. Da ich (noch) kein Platzproblem habe, gebe ich den Romanen gern ein neues Zuhause, wenn sie bei meinen Eltern ausziehen müssen. Ich besitze demzufolge eine kleine Hayder-Sammlung, obwohl ihre Bücher nie auf meiner Wunschliste standen. Daher dauerte es allerdings recht lange, bis ich das erste Mal einen ihrer Thriller auf dem Regal zog. Ich entschied mich für „Die Sekte“, weil es sich dabei um einen Einzelband handelt und ich vermutete, dass dies eine gute Möglichkeit wäre, die Autorin kennenzulernen.

 

Schenkt man den Gerüchten Glauben, ist die kleine schottische Insel Cuagach Eilean, Pig Island, die Heimat des Teufels und seiner Jünger. Seit Jahren wird wild darüber spekuliert, was auf der Insel vor sich geht, denn die dort lebende, etwas obskure Glaubensgemeinschaft schätzt die Isolation. Umso überraschter ist der Journalist Joe Oakes, dass ausgerechnet er Pig Island besuchen soll. Ein unheimliches Amateurvideo brachte die Insel in die Medien und bescherte der ansässigen Sekte ein unerwünschtes Maß an Aufmerksamkeit. Joe verdient sein Geld damit, Mysterien aufzudecken. Für ihn zählen Fakten, nicht der Aberglaube der Massen. Hochmotiviert nimmt er die Einladung an, um den Gerüchten um Pig Island ein für alle Mal ein Ende zu setzen. Doch als er auf der Insel eintrifft, geraten seine rationalen Überzeugungen ins Wanken. Schon bald versinkt Pig Island in Blut und Joe muss sich fragen, ob nicht doch der Teufel seine Finger im Spiel hat.

 

Mo Hayder hat eine kranke Fantasie. Einige der Ideen, die sie in „Die Sekte“ präsentiert, grenzen meiner Meinung nach definitiv an Perversität. Nicht, weil das Buch unangemessen blutig, brutal oder grausam wäre, nein, es waren bestimmte Aspekte der dargestellten zwischenmenschlichen Beziehungen, die mich abstießen. Bei der Lektüre eines Thrillers war das eine neue Erfahrung für mich, denn normalerweise legen Autor_innen dieses Genres viel Wert darauf, dass ihre Figuren Sympathie erzeugen. Ich konnte keinen einzigen Charakter aus „Die Sekte“ leiden – für die Geschichte war das allerdings kein Hindernis. Ich denke, dass Hayder darauf abzielte. Der Protagonist Joe ist ein widerlicher Mensch, egoistisch und skrupellos. Durch seine Rolle als Journalist bietet er zwar eine interessante Herangehensweise an die Vorgänge der Handlung, weil er kein Ermittler ist, doch meiner Ansicht nach besitzt er keinerlei Berufsethik. Seine Ehefrau Lexie, die ebenfalls ihre eigene Perspektive und Stimme erhielt, ist kein Stück besser. Sie hat das Zeug zum Stalker, verhält sich obsessiv und realitätsfern. Die beiden verdienen einander. Ich war nicht in der Lage, auch nur einen Funken Mitgefühl für Joe und Lexie zu empfinden, obwohl die Ereignisse, die Mo Hayder sie durchleben lässt, wirklich schrecklich sind. Die mysteriöse, unheimliche Aura, die die Autorin um Pig Island herumwebt, gefiel mir außerordentlich gut. Selbstverständlich habe ich nie daran geglaubt, dass es dort tatsächlich mit dem Teufel zugeht, aber dem Grauen, dass die Insel ausstrahlt, konnte auch ich mich nicht entziehen. Anfangs war ich ein wenig enttäuscht davon, dass die Sekte vollkommen normal wirkte, ja sogar freundlich und einladend. Dieser Eindruck verflüchtigte sich jedoch schnell; es zeigte sich, dass die Inselbewohner_innen durchaus das eine oder andere pikante Geheimnis verstecken. Ich fand es spannend, diese aufzudecken, weil die Geschichte der Sekte recht ungewöhnlich ist. Solange die Handlung auf der Insel spielte, machte mir die Lektüre viel Spaß. Das Buch fesselte mich und löste in mir genau die Anspannung aus, die ich beim Lesen eines Thrillers erwarte. Leider verlässt Joe Pig Island an einem gewissen Punkt – von diesem Moment an wurde die Geschichte seltsam. Ich wusste nicht, was ich mit dieser Wendung anfangen sollte, weil sie die bizarre Gefühlswelt des Protagonisten fokussiert, die so weit von meiner eigenen entfernt ist, dass es mir unmöglich war, seine Empfindungen nachzuvollziehen. Das bedeutet nicht, dass sie mir unrealistisch erschienen, ich konnte sie nur einfach nicht verstehen. Ich hatte von Anfang an Probleme, mich in Joe hineinzuversetzen, doch diese Entwicklung trieb meine Distanz zu ihm auf die Spitze. Ich wollte ihm gar nicht nahe sein. Daher fiel es mir auch schwer, während des für ihn zugegebenermaßen dramatischen Höhepunkts der Geschichte mit ihm zu fühlen. Durch diesen stellte sich heraus, dass ich erstaunlicherweise mit meinen Vermutungen hinsichtlich der wahren Natur der Ereignisse auf Pig Island gar nicht so falsch lag. Ich war auf der richtigen Spur, nahm unterwegs allerdings gedanklich eine falsche Abzweigung, die mich in die Irre führte. So hätte ich das Ende niemals voraussehen können. Es war eine positive Überraschung, die mich die Handlung nach dem Lesen noch einmal rekapitulieren ließ, um zu überprüfen, welche Hinweise ich übersehen hatte.

 

Ich bin nicht sicher, ob „Die Sekte“ nun tatsächlich exemplarisch für Mo Hayders Schaffen steht oder eher ungewöhnlich ist. Mein Gefühl sagt mir, dass dieser Thriller aus ihrem übrigen Werk heraussticht, weil er ziemlich eigenwillig ist und nicht den gängigen Normen des Genres entspricht, doch ich werde es wohl erst herausfinden, wenn ich weitere Romane aus ihrer Feder gelesen habe. Daher war „Die Sekte“ vielleicht nicht unbedingt die beste Wahl für die Annährung an Hayders Bücher. Ich fand es spannend und zeitweise sogar richtig unheimlich, hatte allerdings Schwierigkeiten mit der Wendung gegen Ende des zweiten Drittels. Ich denke, Hayder wollte ihre Leser_innen nicht nur durch grausame, blutige Morde schockieren, sondern auch durch ihre Charakterisierung krankhafter zwischenmenschlicher Beziehungen. Ich rate euch, euch darauf einzustellen, solltet ihr „Die Sekte“ lesen wollen. Thrill kann auf viele Weisen entstehen – nicht alle haben mit körperlicher Gewalt zu tun.

More posts
Your Dashboard view:
Need help?