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text 2015-12-18 11:42
Eine Geschichte, die sich schwer auf das Gewissen legt
Far North - Marcel Theroux

„Far North“ ist ein dystopischer Roman des Autors Marcel Theroux und lag lange, lange auf meinem SuB, bevor seine Zeit endlich gekommen war. Ich meine, ich habe es gekauft, kurz nachdem ich „Die Straße“ von Cormac McCarthy gelesen habe. Mein Verlangen nach düsteren Endzeitgeschichten war in dieser Phase enorm, da ich das Gefühl hatte, McCarthys Pulitzerpreis-gekröntes Meisterwerk habe mir eine ganz neue Welt der Literatur offenbart. Und auf gewisse Weise war das ja auch tatsächlich so. Mittlerweile ist meine Begeisterung für das Genre weniger euphorisch, doch hin und wieder lasse ich mich auch heute noch gern in eine dunkle, beunruhigende Zukunftsvision entführen.
„Far North“ erschien mir die ideale Winterlektüre zu sein, voller Eis, Schnee und klirrender Kälte.

 

Das Leben im hohen Norden ist kalt und hart. Die Einsamkeit ist ein ständiger Begleiter. Seit sich die Welt gegen die Menschen wandte, sind all die technischen Errungenschaften der vergangenen Jahrhunderte nur noch Erinnerungen. Das Land liegt brach und Siedlungen sind verlassen. Makepiece ist der letzte Mensch in Evangeline, bereit, das Dorf zu schützen und die Ordnung aufrecht zu erhalten. Eines Tages jedoch schleicht sich ein Schimmer Hoffnung in Makepiece‘s sorgsam gehütete Routine. Ein Flüchtling versteckt sich in Evangeline. Trotz anfänglichen Misstrauens ist die Bedeutung seiner Existenz unleugbar: es gibt noch immer Leben in der Welt. Mutig übergibt sich Makepiece der Wildnis, auf der Suche nach einer Zukunft. Doch Kälte und Härte finden sich nicht nur in der Natur, sondern auch in den Herzen der Menschen.

 

Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig Dystopien aus der erwachsenen Literatur mit dystopischen Young Adult – Abenteuern gemeinsam haben. Nicht nur verzichten sie häufig vollständig auf die Fixierung auf Hauptfiguren, die Herangehensweise ist einfach komplett anders. Erwachsene Dystopien sind mahnend, drohend und geben mir beim Lesen das Gefühl, dass das Wesen der Menschheit unausweichlich zu ihrem Untergang führen wird. Das Erstaunliche daran ist, wie viel Hoffnung sich meist trotz dessen in diesen Geschichten versteckt. „Far North“ ist in seiner Reinheit außergewöhnlich. Es ist eine ruhige, leise Endzeitgeschichte, die tief in die Seele der Menschheit blickt und die in einer wunderschönen, atemberaubenden, wilden Landschaft spielt. Marcel Theroux hat die Atmosphäre des hohen Nordens hervorragend eingefangen und transportiert sie mühelos. Wer hätte gedacht, dass ein Dokumentarfilmer Bilder auch in einem anderen Medium so spielend in Szene setzen kann. An Makepiece’s Seite konnte ich den Schnee unter meinen Stiefeln knirschen hören und sah, wie mein Atem zu kleinen Wölkchen kondensierte. Ich konnte mir die überwältigende Natur lebhaft vorstellen und empfand Ehrfurcht angesichts all der unbeschreiblichen Schönheit, die selbst in der größten Katastrophe liegen kann. Worin genau diese Katastrophe besteht, lässt Theroux offen. Obwohl ich sonst unheimlich neugierig bin und darauf bestehe, alles zu wissen, gefiel mir diese Vagheit in „Far North“ sehr gut. Die Geschichte – Makepiece’s Geschichte – thematisiert das Hier und Jetzt, die Kaltherzigkeit der Menschen in ihrem Überlebenskampf, nicht die Vergangenheit. Es ist nicht wichtig, was mit der Erde passiert ist. Wichtig ist in diesem Roman nur, wie die Menschen mit der „neuen“ Situation umgehen. Interessanterweise glaube ich, dass Theroux selbst jedoch eine ziemlich eindeutige Vorstellung davon hat, was vorgefallen ist. Die wenigen Informationen, die er preisgibt, wirkten realistisch und gut durchdacht. Ich bewundere ihn für die mutige Entscheidung, seinen Leser_innen nicht alles zu offenbaren und dadurch den Fokus strikt auf seiner Botschaft zu halten. Diese hat in meinen Augen fast etwas Darwinistisches. Nur, wer sich anpasst, überlebt. Wie allerdings nicht anders zu erwarten, gelingt das den meisten Menschen eher schlecht als recht. Ich muss ehrlich sagen, dass „Far North“ mein zuweilen reichlich zynisches Bild meiner eigenen Art voll und ganz bestätigte. Wenn ich eines aus diesem Buch mitnehme, dann die Überzeugung, dass wir verloren sind, wenn uns unser Planet im Stich lässt, aus welchen Gründen auch immer. Die Menschen in „Far North“ scheinen das Ausmaß ihrer eigenen Ignoranz überhaupt nicht zu begreifen; sie machen einfach weiter wie bisher, rücksichtslos und skrupellos. Auf mich wirkten sie wie verzweifelte, kopflose Ratten, die versuchen, ein sinkendes Schiff zu verlassen und dabei doch nur Wasser tretend im Kreis schwimmen. Es war erschreckend und tat mir im Herzen weh, zu erleben, welch bittere Enttäuschungen Makepiece auf der simplen Suche nach Kontakt erfährt. Es sind nicht die Menschen, die die Hoffnung in „Far North“ tragen. Es ist die Natur selbst. Eine Natur, die immer einen Weg findet. Eine Natur, die streng, aber gütig und großzügig zu denjenigen ist, die sie schätzen, respektieren und die verstehen, dass sie nur zu Gast sind.

 

Nach dem Lesen empfinde ich „Far North“ weniger als buchstäbliche Wintergeschichte, sondern eher als Wintergeschichte im übertragenen Sinne, obwohl das Setting selbstverständlich häufig von Schnee und Eis bedeckt ist. Es behandelt den Winter in der Seele der Menschheit. Die Kälte lebt in uns allen und zeigt sich, wann immer wir egoistisch und rücksichtslos handeln. Mich hat dieses Buch daher sehr nachdenklich gestimmt. Wie oft wird uns gesagt, wir sollen leben, als gäbe es kein Morgen? Diese Einstellung ist fatal, denn es gibt ein Morgen. Wir können uns weder aus der Verantwortung für einander noch aus der Verantwortung für unseren Planeten heraus schummeln. Ich danke Marcel Theroux dafür, dass er mich daran erinnert hat, dass wir keine zweite Chance erhalten werden.
Ich kann euch „Far North“ von Herzen empfehlen, möchte euch aber davor warnen, dass sich diese Dystopie nicht so nebenbei weg liest. Es ist eine Geschichte, die sich schwer auf das Gewissen legt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/12/18/marcel-theroux-far-north
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review 2015-07-08 09:42
Bisola - eine Welt der Extreme
Grauwacht: Roman - Robert Corvus

„Grauwacht“ von Robert Corvus war ein Spontankauf. Mein erster seit langer, langer Zeit. Ich weiß nicht mehr, wann ich davor das letzte Mal in einer Buchhandlung so begeistert von einem Cover und einem Klappentext war, dass ich das dazugehörige Buch sofort mitnehmen musste, obwohl es nicht auf meiner Wunschliste stand. Ich wusste auch nicht, dass mir dieses spezielle Gefühl der Aufregung gefehlt hat. Als Buchbloggerin bin ich sehr kontrolliert, was den Kauf neuer Bücher angeht, selbst wenn das nicht immer so aussieht. Ich kaufe in der Regel nichts abseits meiner Wunschliste. Umso mehr freute ich mich darauf, in „Grauwacht“ zu versinken und endlich mal wieder einen spontanen Kurzurlaub in eine Welt zu unternehmen, die so weit weg von der Erde ist, wie es nur geht.

 

Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht, glühende Hitze und brennende Kälte. Bisola ist eine Welt der Extreme, in der eine einzige Nacht ein gesamtes Menschenleben andauert. Um das Überleben aller ihrer BewohnerInnen zu ermöglichen, wurde vor langer Zeit ein Vertrag zwischen Menschen und Sasseks geschlossen. Den wechselwarmen Sasseks gehört der Tag, den anpassungsfähigeren Menschen die Nacht. Beide Völker wandern mit dem Stand der Sonne – wenn die Dämmerung hereinbricht, ist es die Aufgabe der Grauwacht, sicherzustellen, dass der uralte Pakt geachtet wird. Doch Bisola verändert sich. Die Monde wechseln ihre Farbe und das Licht schwindet nicht mehr. Kann die Grauwacht den Frieden zwischen den Völkern bewahren und gleichzeitig herausfinden, was die Veränderungen zu bedeuten haben?

 

„Grauwacht“ zu lesen war, als würde ich ein Theaterstück sehen, das in einer Sprache aufgeführt wird, die ich nicht spreche. Ich erlebe die Darsteller auf der Bühne, kann anhand ihres Spiels erschließen, welche Emotionen sie empfinden und bekomme einen groben, rohen Eindruck der Handlung. Doch die Feinheiten bleiben mir verborgen, weshalb ich keine Chance habe, den wahren Sinn des Stücks zu begreifen. Meine Reise nach Bisola fühlte sich genauso an. Bisola – diese faszinierende, fremdartige, beängstigende Welt. Dieser Planet, dessen Oberfläche gleichzeitig extreme Hitze und bittere Kälte verkraftet und daher einem ständigen Wandel der Umgebung unterworfen ist. Gefährliche Eisstürme und Beben verändern die nächtliche Landschaft der Menschen, während die Sonne die Ozeane so stark erhitzt, dass sie zu kochen beginnen. Es ist eine harte Welt, in der ich keinesfalls leben möchte, weil leben dort mit überleben gleichzusetzen ist. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, eine Bewohnerin Bisolas zu sein, besonders, da ich als Mensch an die Nacht gefesselt wäre. Diese Welt ist so anders, dass es mir sehr sehr schwer viel, einen Zugang zu ihr zu finden und sie zu verstehen. Ich glaube nicht, dass es mir vollständig gelungen ist. Ich liebe die Idee hinter Robert Corvus‘ Roman, doch seine Umsetzung ist meines Erachtens nach äußerst verwirrend. Er verlangt seinen LeserInnen unheimlich viel ab, denn neben der Komplexität Bisolas müssen sie auch noch die vielschichtige Handlung verdauen, die sehr dicht mit den Besonderheiten des Planeten verknüpft ist. Ich denke, es verhält sich so: begreift man Bisola nicht, wird auch die Handlung rätselhaft und irritierend bleiben. Die Wanderungen von Menschen und Sasseks mit dem Stand der Sonne mögen von außen recht banal wirken, doch für mich wurden sie beim Lesen unglaublich kompliziert, weil ich einfach nicht verstand, wie das System dahinter funktioniert, das der Vertrag der Völker festlegt. Das Gleiche gilt leider für die Zeit- sowie Entfernungsrechnung, die Robert Corvus für seinen Roman völlig neu erfand. Alles bezieht sich auf die Umstände in Bisola, was zwar durchaus realistisch ist, mir daher allerdings nicht den geringsten Referenzpunkt bot. Ich weiß nicht, wie lang ein Mezzalauf ist. Ich weiß auch nicht, wie weit ein Click ist, obwohl beides immer wieder erwähnt wird. Corvus schreibt für meinen Geschmack nicht explizit genug; er erklärt wenig und wenn, dann eher beiläufig, was in all den Wendungen der Handlung sehr schnell unterging. Außerdem empfand ich ihn als sprunghaft und unruhig, als würde er mit jedem neuen Einfall das aktuelle Problem einfach vom Tisch kehren, ohne es richtig aufzulösen. Ähnlich verhält es sich mit den Figuren in „Grauwacht“, die nicht nur sehr zahlreich sind (ich habe fast 40 namentlich genannte Personen gezählt), sondern mir auch fremd blieben. Zwar erhielten nicht alle Charaktere eine eigene Perspektive, doch auch mit denjenigen, aus deren Sicht ich die Ereignisse erleben durfte, konnte ich keine solide Verbindung aufbauen. Überhaupt gab nur eine einzige Figur, die ich wirklich mochte und mit der ich mich zumindest ein bisschen identifizieren konnte: den Sassek Ssarronn.

 

Ich würde „Grauwacht“ nicht unbedingt als Fehlkauf oder Totalausfall bezeichnen, doch es hielt definitiv nicht das, was ich mir davon versprochen hatte. Ich empfand es als verworren und unübersichtlich; Robert Corvus fehlt meiner Ansicht nach das Talent, um seine komplexen, spannenden Ideen seinen LeserInnen leicht und elegant zu vermitteln. Ich habe mich überfordert gefühlt, als wäre ich nicht clever genug, um seine Konstruktion zu durchschauen. Nicht gerade eine positive Empfindung.
Ich möchte „Grauwacht“ nicht empfehlen, weil ich es dafür erstens nicht gut genug fand und zweitens auch zu wenig Erfahrung mit dem reinen Science Fiction – Genre habe, um hier irgendwelche Vergleiche anzustellen. Solltet ihr euch trotz dessen dazu entscheiden, es zu lesen, fände ich es toll, wenn ihr mir kurz eure Eindrücke schildert. Vielleicht lag es nicht nur an mir, dass ich mich in dieser Geschichte so unwohl gefühlt habe.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/07/08/robert-corvus-grauwacht
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