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review 2017-11-15 11:04
Ein Held mit Brüsten
Bloody Bones - Laurell K. Hamilton

In Großbritannien und den USA weckt der Titel des fünften „Anita Blake“-Bandes, „Bloody Bones“, vermutlich ganz bestimmte Assoziationen. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass deutsche Leser_innen hingegen keine Ahnung haben, welche Anspielung sich darin versteckt. Im englischsprachigen Raum ist Bloody Bones als Kinderschreck bekannt, der nahe Gewässern lebt und unartige Kinder ertränkt. Die Legende variiert natürlich. Alternativ lebt das Monster in einem Schrank unter der Treppe; in neueren Versionen treibt es in Abflussrohren sein Unwesen. Obwohl ich das Buch schon einmal auf Deutsch gelesen habe, erinnerte ich mich nicht an diese Sagengestalt. Insgesamt war meine Erinnerung an Band 5 vollkommen verschwunden, sodass ich „Bloody Bones“ gänzlich unbelastet beginnen konnte.

 

Jeder andere Animator hätte den Auftrag, einen ganzen Friedhof voller 200 Jahre alten Leichen zu erwecken, um einen Streit über die Besitzverhältnisse des Landes beizulegen, ablehnen müssen. Doch Anita Blake ist nicht wie ihre Kolleg_innen. Ist das Opfer mächtig genug, könnte sie es schaffen. Sie ist neugierig; will wissen, ob sie den Auftrag meistern kann, ohne menschliches Blut zu vergießen. Sie sagt zu und kurz darauf sitzt sie, begleitet von Larry, bereits in einem Helikopter, der sie nach Branson, Missouri bringen soll. Dort angekommen, bekommt sie es allerdings nicht nur mit gierigen Anwälten und der dubiosen Familie Bouvier zu tun, sondern auch mit einer rätselhaften Mordserie. Alle Opfer sind jung und nahezu blutleer. Für Anita ist der Fall klar: der Täter ist ein Vampir. Sie ahnt nicht, dass sich in den Wäldern rund um Branson noch ein ganz anderes Wesen verbirgt. Ein Wesen, das schlimmer und gefährlicher ist als ein Nest skrupelloser Vampire…

 

Vor rund zwei Jahren habe ich einen Artikel gelesen, der die Rolle der weiblichen Heldin in der Urban Fantasy aus der Gender-Perspektive heraus analysiert. Die These lautete, dass die Entscheidungen der Heldin festlegen, ob sie sich wahrhaft als Heldin mit weiblichem Gender qualifiziert oder ob sie eher als „Held mit Brüsten“ kategorisiert werden muss. Anita Blake ist ein Held mit Brüsten, das schlussfolgerte der Artikel einwandfrei und „Bloody Bones“ belegt diesen Ansatz zweifellos. Im fünften Band benimmt sich Anita äußerst maskulin, ist unfähig, Verantwortung abzugeben, Vertrauen zu schenken und zeigt extremes, teilweise aggressives Konkurrenzverhalten. Sie ging mir auf die Nerven, weil ihre Tendenzen zum obsessiven Kontrollfreak stark zu Tage treten. Sie muss alles selbst machen, kann nichts delegieren und reagiert wütend, stößt sie an Grenzen. Den armen Larry würde sie, wenn sie könnte, sogar auf die Toilette begleiten, da sie ihm nicht zutraut, sich selbst zu schützen. Selbstverständlich verfügt Larry weder über ihr Wissen, noch über ihre Erfahrung, aber sie ist nicht seine Mutter und hat kein Recht, ihn wie ein Kind zu behandeln und ihm Vorschriften zu machen, so sehr sie sich auch um seine Sicherheit sorgen mag. Er ist ein erwachsener Mann, verflixt noch mal. Durch ihr Verhalten stellt sie seine Kompetenz, seine Fähigkeiten und seine Autorität in Frage, was insofern paradox ist, dass sie selbst es nicht erträgt, wird mit ihr ebenso umgesprungen. In Branson, Missouri ist Anita kaum mehr als eine Zivilistin. Sie möchte der Polizei bei den Ermittlungen in der Mordserie helfen, hat jedoch keinerlei Handhabe, als ihr Ablehnung entgegenschlägt. Außerhalb von St. Louis besitzt sie keinen offiziellen Status, was sie verständlicherweise als frustrierend empfindet. Auf diese Weise unterstreicht Laurell K. Hamilton elegant die Notwendigkeit eines potentiellen Gesetzes, das Vampirhenkern die Befugnisse der Bundespolizei verleihen würde. Noch wird dieses Gesetz allerdings lediglich diskutiert, weshalb Anita in „Bloody Bones“ ordentlich tricksen muss, um in die Ermittlung involviert zu werden. Ich fand den Fall verworren und unübersichtlich, da wieder einmal mehrere Antagonisten vorgestellt werden und ich nur mit Mühe auseinanderhalten konnte, wer sich jetzt welcher Missetaten schuldig machte. Das unausweichliche Vampirchaos überstrahlt sowohl die Ausgangssituation der Erweckung eines ganzen Friedhofs, als auch die Etablierung einer neuen Spezies, die dadurch beiläufig und enttäuschend unspektakulär daherkam. Es wirkte, als hätte Hamilton während des Schreibprozesses den Fokus der Geschichte verschoben, damit die Vampire und somit auch Anitas Verbindung zu Jean-Claude erneut im Mittelpunkt stehen, was meiner Ansicht nach unnötig war. Ich sehe zwar ein, dass die Veränderung der Beziehung zwischen Anita und Jean-Claude für die übergreifende Handlung bedeutsam ist, doch meiner Meinung nach hätte sie dieses Element nicht zwangsläufig in „Bloody Bones“ hineinquetschen müssen. Es hätte Zeit gehabt. Ich hätte eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Erweckungsszenario und der damit einhergehenden Eingliederung besagter neuer Spezies definitiv bevorzugt.

 

Ich hatte leider nur mäßig Spaß an der Lektüre des fünften „Anita Blake“ – Bandes „Bloody Bones“. Einerseits fand ich das unglücklich wirre Handlungskonstrukt langatmig und gestreckt, andererseits manifestieren sich Anitas negative Eigenschaften so dominant, dass sich die Distanz zwischen uns, die sich bereits im letzten Band „The Lunatic Cafe“ aufzubauen begann, weiter vertiefte. Ich gebe es ungern zu, aber Anita ist in „Bloody Bones“ keine Sympathieträgerin – sie ist eine nervige, kontrollsüchtige, waffenschwingende Irre. Zum Glück weiß ich, dass diese Facetten lediglich einen Aspekt ihrer Persönlichkeit darstellen und bessere Zeiten nahen. Diese werden mich daran erinnern, warum ich sie trotz oder gerade aufgrund ihrer Fehler gernhabe, weshalb ich nicht einmal ansatzweise darüber nachdenke, die Reihe abzubrechen. Einfach durchhalten und diesen durchschnittlich überzeugenden Band erneut vergessen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/11/15/laurell-k-hamilton-bloody-bones
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review 2015-07-08 09:42
Bisola - eine Welt der Extreme
Grauwacht: Roman - Robert Corvus

„Grauwacht“ von Robert Corvus war ein Spontankauf. Mein erster seit langer, langer Zeit. Ich weiß nicht mehr, wann ich davor das letzte Mal in einer Buchhandlung so begeistert von einem Cover und einem Klappentext war, dass ich das dazugehörige Buch sofort mitnehmen musste, obwohl es nicht auf meiner Wunschliste stand. Ich wusste auch nicht, dass mir dieses spezielle Gefühl der Aufregung gefehlt hat. Als Buchbloggerin bin ich sehr kontrolliert, was den Kauf neuer Bücher angeht, selbst wenn das nicht immer so aussieht. Ich kaufe in der Regel nichts abseits meiner Wunschliste. Umso mehr freute ich mich darauf, in „Grauwacht“ zu versinken und endlich mal wieder einen spontanen Kurzurlaub in eine Welt zu unternehmen, die so weit weg von der Erde ist, wie es nur geht.

 

Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht, glühende Hitze und brennende Kälte. Bisola ist eine Welt der Extreme, in der eine einzige Nacht ein gesamtes Menschenleben andauert. Um das Überleben aller ihrer BewohnerInnen zu ermöglichen, wurde vor langer Zeit ein Vertrag zwischen Menschen und Sasseks geschlossen. Den wechselwarmen Sasseks gehört der Tag, den anpassungsfähigeren Menschen die Nacht. Beide Völker wandern mit dem Stand der Sonne – wenn die Dämmerung hereinbricht, ist es die Aufgabe der Grauwacht, sicherzustellen, dass der uralte Pakt geachtet wird. Doch Bisola verändert sich. Die Monde wechseln ihre Farbe und das Licht schwindet nicht mehr. Kann die Grauwacht den Frieden zwischen den Völkern bewahren und gleichzeitig herausfinden, was die Veränderungen zu bedeuten haben?

 

„Grauwacht“ zu lesen war, als würde ich ein Theaterstück sehen, das in einer Sprache aufgeführt wird, die ich nicht spreche. Ich erlebe die Darsteller auf der Bühne, kann anhand ihres Spiels erschließen, welche Emotionen sie empfinden und bekomme einen groben, rohen Eindruck der Handlung. Doch die Feinheiten bleiben mir verborgen, weshalb ich keine Chance habe, den wahren Sinn des Stücks zu begreifen. Meine Reise nach Bisola fühlte sich genauso an. Bisola – diese faszinierende, fremdartige, beängstigende Welt. Dieser Planet, dessen Oberfläche gleichzeitig extreme Hitze und bittere Kälte verkraftet und daher einem ständigen Wandel der Umgebung unterworfen ist. Gefährliche Eisstürme und Beben verändern die nächtliche Landschaft der Menschen, während die Sonne die Ozeane so stark erhitzt, dass sie zu kochen beginnen. Es ist eine harte Welt, in der ich keinesfalls leben möchte, weil leben dort mit überleben gleichzusetzen ist. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, eine Bewohnerin Bisolas zu sein, besonders, da ich als Mensch an die Nacht gefesselt wäre. Diese Welt ist so anders, dass es mir sehr sehr schwer viel, einen Zugang zu ihr zu finden und sie zu verstehen. Ich glaube nicht, dass es mir vollständig gelungen ist. Ich liebe die Idee hinter Robert Corvus‘ Roman, doch seine Umsetzung ist meines Erachtens nach äußerst verwirrend. Er verlangt seinen LeserInnen unheimlich viel ab, denn neben der Komplexität Bisolas müssen sie auch noch die vielschichtige Handlung verdauen, die sehr dicht mit den Besonderheiten des Planeten verknüpft ist. Ich denke, es verhält sich so: begreift man Bisola nicht, wird auch die Handlung rätselhaft und irritierend bleiben. Die Wanderungen von Menschen und Sasseks mit dem Stand der Sonne mögen von außen recht banal wirken, doch für mich wurden sie beim Lesen unglaublich kompliziert, weil ich einfach nicht verstand, wie das System dahinter funktioniert, das der Vertrag der Völker festlegt. Das Gleiche gilt leider für die Zeit- sowie Entfernungsrechnung, die Robert Corvus für seinen Roman völlig neu erfand. Alles bezieht sich auf die Umstände in Bisola, was zwar durchaus realistisch ist, mir daher allerdings nicht den geringsten Referenzpunkt bot. Ich weiß nicht, wie lang ein Mezzalauf ist. Ich weiß auch nicht, wie weit ein Click ist, obwohl beides immer wieder erwähnt wird. Corvus schreibt für meinen Geschmack nicht explizit genug; er erklärt wenig und wenn, dann eher beiläufig, was in all den Wendungen der Handlung sehr schnell unterging. Außerdem empfand ich ihn als sprunghaft und unruhig, als würde er mit jedem neuen Einfall das aktuelle Problem einfach vom Tisch kehren, ohne es richtig aufzulösen. Ähnlich verhält es sich mit den Figuren in „Grauwacht“, die nicht nur sehr zahlreich sind (ich habe fast 40 namentlich genannte Personen gezählt), sondern mir auch fremd blieben. Zwar erhielten nicht alle Charaktere eine eigene Perspektive, doch auch mit denjenigen, aus deren Sicht ich die Ereignisse erleben durfte, konnte ich keine solide Verbindung aufbauen. Überhaupt gab nur eine einzige Figur, die ich wirklich mochte und mit der ich mich zumindest ein bisschen identifizieren konnte: den Sassek Ssarronn.

 

Ich würde „Grauwacht“ nicht unbedingt als Fehlkauf oder Totalausfall bezeichnen, doch es hielt definitiv nicht das, was ich mir davon versprochen hatte. Ich empfand es als verworren und unübersichtlich; Robert Corvus fehlt meiner Ansicht nach das Talent, um seine komplexen, spannenden Ideen seinen LeserInnen leicht und elegant zu vermitteln. Ich habe mich überfordert gefühlt, als wäre ich nicht clever genug, um seine Konstruktion zu durchschauen. Nicht gerade eine positive Empfindung.
Ich möchte „Grauwacht“ nicht empfehlen, weil ich es dafür erstens nicht gut genug fand und zweitens auch zu wenig Erfahrung mit dem reinen Science Fiction – Genre habe, um hier irgendwelche Vergleiche anzustellen. Solltet ihr euch trotz dessen dazu entscheiden, es zu lesen, fände ich es toll, wenn ihr mir kurz eure Eindrücke schildert. Vielleicht lag es nicht nur an mir, dass ich mich in dieser Geschichte so unwohl gefühlt habe.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2015/07/08/robert-corvus-grauwacht
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