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review 2018-03-14 11:13
Ab in den Papierkorb
Beasts Made of Night - Tochi Onyebuchi

Tochi Onyebuchis Leben ist ein Spagat zwischen seinem Beruf als Anwalt für Bürgerrecht und seinen Bemühungen als Autor. Beide Karrierezweige verfolgt der US-Amerikaner nigerianischer Herkunft mit beeindruckender Professionalität. Er verfügt über Abschlüsse aus Yale, der Columbia Law School und der NYU. Seine Kurzgeschichten und Novellen erschienen in Asimov’s Science Fiction, im Nowhere Magazine und in der Anthologie Panverse Three. „Beasts Made of Night“ ist sein Debütroman, ein Traum, den er sich nach 15 Jahren harter Arbeit erfüllte und der Gerüchten zufolge der Auftakt einer umfangreichen, gleichnamigen Saga sein wird.

 

Der 17-jährige Taj ist ein Aki, ein Sündenfresser. Sein Körper ist übersäht mit Tattoos, die beweisen, wie viele Sünden-Bestien er erschlug. Diese Manifestationen der Sünde, hervorgerufen durch einen Magier, können zwar getötet werden, erscheinen anschließend jedoch auf der Haut des Aki, während die Schuld der Tat auf den Sündenfresser übergeht. Die meisten Aki verfallen eines Tages dem Wahnsinn. Taj weiß, dass er irgendwann den Preis für sein Talent bezahlen muss, doch noch gilt er als der beste Aki in ganz Kos. Leider ist seine Reputation wertlos, da seinesgleichen als verdorben geächtet werden. Niemand möchte zugeben, die Dienste eines Sündenfressers zu benötigen, schon gar nicht die königliche Familie. Als Taj in den Palast bestellt wird, um den König selbst von einer Sünde zu befreien, ahnt er nicht, dass er in eine abscheuliche Intrige hineingezogen wird, die nicht nur die Beseitigung aller Aki zum Ziel hat, sondern auch Kos zerstören soll. Taj muss handeln. Kann er den Wahnsinn, der bereits in ihm wütet, lange genug zurückhalten, um seine Freunde und ganz Kos zu retten?

 

Ich finde Tochi Onyebuchi sehr sympathisch. Ich bewundere sein Engagement im sozialen Bereich und seinen Ehrgeiz, parallel zu seinem fordernden Beruf eine Karriere als Autor anzustreben. Ich weiß, dass er mit einer Bipolar-II-Störung lebt und seine Alkoholsucht überwand. Deshalb bedauere ich die folgenden Worte von Herzen: „Beasts Made of Night“ ist eine Katastrophe. Nach der Lektüre war ich völlig geschockt, ich fragte mich ernstlich, ob in meinem Rezensionsexemplar vielleicht Teile fehlten, denn die Geschichte dieses Reihenauftakts fühlte sich dermaßen unvollständig und fragmentarisch an, dass ich ihr nicht einmal folgen konnte. So etwas habe ich noch nie erlebt. Onyebuchi konnte sich offenbar überhaupt nicht in seine Leser_innen hineinversetzen. Er beschreibt nichts, er erklärt nichts, er schubste mich in dieses löchrige Gebilde hinein und erwartete, dass ich mich ohne seine Hilfe darin zurechtfand, während er munter riesige Gedankensprünge vollzog und keinen einzigen Aspekt verlässlich ausarbeitete. Ich stürzte im freien Fall durch die Löcher in Handlung, Chronologie, Worldbuilding und Charakterkonstruktion und konnte zuschauen, wie mir „Beasts Made of Night“ rasant egal wurde, weil ich es nicht begriff. Diese Entwicklung betrübt mich, denn ich ahne, welche Geschichte Onyebuchi eigentlich erzählen wollte und wie sie sich in seinem Kopf abspielte. Er konnte seine Fantasie wohl nicht auf Papier bannen. In einem Interview erwähnte er, dass das Setting Kos von der nigerianischen Stadt Lagos inspiriert sei. Diesen Eindruck teilte ich nicht, mir erschien die ummauerte Stadt wie eine krude Version des antiken Roms, erweitert durch einen wilden Mix östlicher Kulturen und Gebräuche. Was hinter Kos‘ Mauern liegt – keine Ahnung. Da sind Bäume. Mehr weiß ich nicht. Die Gesellschaft, die dieses inkonsistente Bild bevölkert, erschloss sich mir ebenfalls nicht. Hat die königliche Familie nun Macht oder wird Kos in Wahrheit von Magiern regiert? Ich weiß es nicht. Ebenso fehlte mir eine Begründung, wieso die Aki verabscheut werden, obwohl ihr Wert unschätzbar ist. Sie erweisen den Menschen einen unverzichtbaren Dienst, da Sünden nicht nur ideologisch abgelehnt werden, sondern auch „krank machen“. Inwiefern und wieso – ich weiß es nicht. Da sie nun schon als Bodensatz der Gesellschaft gelten, läge es nahe, ihre Tattoos, die sie offen brandmarken, zu verstecken. Tun sie nicht. Warum – ihr ahnt es – weiß ich nicht. Gern hätte ich mich in diesem verwirrenden Ansturm bruchstückhafter Informationen zumindest am Protagonisten Taj festgeklammert, ja, ich wäre bereit gewesen, ihn emotional in einem Todesgriff zu halten, um mich durch „Beasts Made of Night“ hindurchzubringen. Es ging nicht. Ich kann ihn nicht leiden. Er ist arrogant und aggressiv, kein bisschen empathisch und kurz gesagt ein Widerling, der viel zu große Stücke darauf hält, bisher nicht verrückt geworden zu sein. Tolle Leistung. Applaus. Kurz vor Schluss versucht Tochi Onyebuchi dann, die Handlung dieses Schweizer Käses durch eine überraschende Wendung aufregend und unvorhersehbar zu gestalten. Unglücklicherweise war dieser Dreh inhaltlich vollkommen unlogisch. Das fällt allerdings nur marginal ins Gewicht, weil das Vorspiel kaum glaubwürdiger ist.

 

Es tut mir sehr leid, dass mir „Beasts Made of Night“ nicht gefiel. Ich glaube fest daran, dass Tochi Onyebuchi ein toller Mensch ist, freundlich und hilfsbereit. Seine Pläne, ein erfolgreicher Autor zu werden, würde ich an seiner Stelle jedoch noch ein paar Jahre auf Eis legen. Was diesen Reihenauftakt betrifft, kann ich leider nur einen möglichen Rat aussprechen: ab damit in den Papierkorb und noch einmal ganz von vorn anfangen. In ihrer aktuellen Form hat die Geschichte meiner Ansicht nach nicht einmal Potential, da sie zu viele offene Baustellen aufweist. Ich begreife nicht, wieso das Manuskript überhaupt von einem Verlag angenommen wurde. Aufgrund mehrerer Rezensionen, die ich gelesen habe, weiß ich, dass ich nicht die einzige bin, die so empfindet. Man hätte Onyebuchi vor diesen Negativmeinungen bewahren müssen. Niemand sollte erleben müssen, wie der eigene Debütroman von den Leser_innen in Stücke gerissen wird.

 

Vielen Dank an Netgalley und den Verlag Razorbill für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/03/14/tochi-onyebuchi-beasts-made-of-night
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review 2016-10-25 10:00
Fressen oder gefressen werden
Red Moon - Benjamin Percy

„Red Moon“ von Benjamin Percy wurde mir im Oktober 2014 von Klingenfänger empfohlen, nachdem ich in einer Rezension den Gedanken äußerte, dass ich gern eine Werwolf-Vampir-Dystopie lesen würde. Ich wollte eine Geschichte erleben, die Vampirismus und/oder Lykanthropie aus der Fantasy-Ecke heraushebt und sie in den Kontext der Science-Fiction setzt. Wissenschaftliche Ansätze statt Magie. Percy ist ein vielfältiger Autor, der nicht nur Romane und Kurzgeschichten verfasst, sondern auch für DC Comics arbeitet und sich zusätzlich als Drehbuchautor verdingt. Ein richtiger Allrounder. Ich war gespannt, welche wissenschaftliche Erklärung er mir für die Existenz von Werwölfen anbieten würde.

 

Lykaner sind ein Teil der Gesellschaft. Sie sind integriert. Sie leben unauffällig und angepasst. Sie beugen sich den Gesetzen, die die USA erließen, um nicht-infizierte Menschen zu schützen. Sie sind Taxifahrer_innen, Lehrer_innen, Handwerker_innen. Sie sind deine Nachbarn. Sie sind die schlafende Bedrohung in unserer Mitte. Die Regierung beteuert, die Situation unter Kontrolle zu haben. Eine verhängnisvolle Lüge. Im Untergrund regt sich der Widerstand: Lykaner, die nicht davor zurückschrecken, Menschenleben zu opfern, um ihre Forderungen durchzusetzen. Radikale Anschläge verbreiten Angst und Terror. Schon bald werden die Grenzen der Menschlichkeit auf die Probe gestellt. Graut der Morgen nach der Nacht des roten Mondes, wird eine neue Welt geboren, in der Menschen nicht länger die Spitze der Nahrungskette sind.

 

Benjamin Percy hat meinen Wunsch nach einem wissenschaftlichen Werwolf-Szenario voll und ganz erfüllt. „Red Moon“ ist ein spannender Mix aus Werwolf-Roman und politischem Thriller, eine faszinierende Analogie zu unserer Realität. Es weist sowohl Merkmale der Urban Fantasy als auch der Science-Fiction auf, ist aber doch ganz anders. Individuell. Überraschend. Anfangs wollte ich das Buch als Dystopie einordnen, musste allerdings einsehen, dass diese Klassifizierung unzutreffend ist, weil „Red Moon“ nicht der Duden-Definition einer „fiktionale[n], in der Zukunft spielende[n] Erzählung mit negativem Ausgang“ entspricht. „Red Moon“ spielt nicht in der Zukunft. Es spielt im Hier und Jetzt, in einer alternativen Gegenwart, in der Werwölfe ein fester Bestandteil der Weltgeschichte sind. Percy schildert nicht den Ausbruch der Lykanthropie, er beleuchtet deren Folgen anhand der Schicksale dreier Hauptcharaktere. In der Rolle des Chronisten malt er nüchtern das Bild einer Gesellschaft, die Angst vor sich selbst hat. Ich bewundere ihn für seine scharfsichtige Analyse, für die realistische Antwort auf die Frage, wie unsere Welt aussähe, gäbe es ein Virus, das Menschen in Lykaner verwandelt. Wer glaubte, Menschen und Werwölfe könnten friedlich koexistieren, hat das Wesen der Menschheit nicht begriffen. Wir sind eine aggressive Spezies, die alles zerstört, was als Bedrohung erscheint. Angriff ist die beste Verteidigung. Fressen oder gefressen werden. Ironischerweise eskalieren die Ereignisse in „Red Moon“ aufgrund dieser Einstellung, nicht aufgrund des Bedrohungspotentials der Lykaner. Die Versuche der Regierung, Kontrolle auszuüben, bringen die Lykaner in eine unmögliche, inakzeptable Lage. Im Verlauf der Handlung werden alle Lykaner unter Generalverdacht gestellt, ihre Bürgerrechte, auf die die USA so viel Wert legen, werden mit Füßen getreten. Ein Schelm, wer da Parallelen zum reellen Kampf gegen den islamistischen Terror sieht. Sie werden für ein genetisches Merkmal diskriminiert. Sie müssen sich als Lykaner markieren lassen, müssen eine Droge ein Medikament einnehmen, das sie daran hindert, sich zu verwandeln und ihren Verstand in ein Gefängnis sperrt. Wer Volpexx nicht schluckt, bricht das Gesetz – Lykaner haben nur die Wahl, hirntot oder kriminell zu sein. Erst die unwürdigen Regulierungen zwingen viele Werwölfe zu handeln, nachdem sie Großteils jahrzehntelang friedlich und angepasst lebten. Die meisten Lykaner empfinden sich als Menschen, obwohl sie theoretisch eine überlegene, weiterentwickelte Mutation sind. Sie haben kein Interesse daran, ihre Position als Spitzenprädatoren auszuleben und wollen nur in Ruhe gelassen werden. Der radikale Widerstand ist eine Minderheit innerhalb der Werwolf-Population, wird jedoch von Medien und Regierung größer gemacht, als er tatsächlich ist und provoziert auf diese Weise übertriebene, kopflose, unlogische Angstreaktionen. Die Situation putscht sich hoch bis zum Bürgerkrieg – hat da jemand „Happy End“ gesagt? Am Ende eines realistischen Szenarios wie „Red Moon“ kann es keinen Ritt in den Sonnenuntergang geben und ich bin froh, dass Benjamin Percy es gar nicht erst versuchte. Stattdessen endet das Buch so, wie es enden musste: offen, voller ungeklärter Fragen und viel Raum für Zukunftsspekulationen.

 

„Red Moon“ ist mit dem gemeinen Werwolf-Roman nicht zu vergleichen. Es ist kompromissloser. Origineller. Intelligenter. Es ist die Chronik einer gespaltenen Gesellschaft, ein Spiegelbild der unseren, in der die Lykaner symbolisch für all die Gruppen stehen, die in der Realität ausgegrenzt und diskriminiert werden. Hass erzeugt Hass. Gewalt erzeugt Gewalt. Benjamin Percy bietet keine Lösung für soziale Konflikte an, sein Buch vermittelt keine Moral. Er bildet lediglich ab und überspitzt die Situation, indem er nicht Menschen gegen Menschen, sondern Spezies gegen Spezies kämpfen lässt. Ich kann darüber hinwegsehen, dass sich sein Schreibstil etwas schwerfällig liest und ich mich während der Lektüre antreiben musste, um vorwärts zu kommen, denn der Aufwand hat sich gelohnt. „Red Moon“ faszinierte mich, in all seiner brutalen Scharfsinnigkeit. Meiner Ansicht nach ist es äußerst lesenswert. Sollte euch allerdings an einem romantisierten, idealisierten Bild von Werwölfen gelegen sein, solltet ihr einen Bogen darum machen. Kuschlig und schmusig? Nein. Bestialisch.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/10/25/benjamin-percy-red-moon
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