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review 2016-10-25 10:00
Fressen oder gefressen werden
Red Moon - Benjamin Percy

„Red Moon“ von Benjamin Percy wurde mir im Oktober 2014 von Klingenfänger empfohlen, nachdem ich in einer Rezension den Gedanken äußerte, dass ich gern eine Werwolf-Vampir-Dystopie lesen würde. Ich wollte eine Geschichte erleben, die Vampirismus und/oder Lykanthropie aus der Fantasy-Ecke heraushebt und sie in den Kontext der Science-Fiction setzt. Wissenschaftliche Ansätze statt Magie. Percy ist ein vielfältiger Autor, der nicht nur Romane und Kurzgeschichten verfasst, sondern auch für DC Comics arbeitet und sich zusätzlich als Drehbuchautor verdingt. Ein richtiger Allrounder. Ich war gespannt, welche wissenschaftliche Erklärung er mir für die Existenz von Werwölfen anbieten würde.

 

Lykaner sind ein Teil der Gesellschaft. Sie sind integriert. Sie leben unauffällig und angepasst. Sie beugen sich den Gesetzen, die die USA erließen, um nicht-infizierte Menschen zu schützen. Sie sind Taxifahrer_innen, Lehrer_innen, Handwerker_innen. Sie sind deine Nachbarn. Sie sind die schlafende Bedrohung in unserer Mitte. Die Regierung beteuert, die Situation unter Kontrolle zu haben. Eine verhängnisvolle Lüge. Im Untergrund regt sich der Widerstand: Lykaner, die nicht davor zurückschrecken, Menschenleben zu opfern, um ihre Forderungen durchzusetzen. Radikale Anschläge verbreiten Angst und Terror. Schon bald werden die Grenzen der Menschlichkeit auf die Probe gestellt. Graut der Morgen nach der Nacht des roten Mondes, wird eine neue Welt geboren, in der Menschen nicht länger die Spitze der Nahrungskette sind.

 

Benjamin Percy hat meinen Wunsch nach einem wissenschaftlichen Werwolf-Szenario voll und ganz erfüllt. „Red Moon“ ist ein spannender Mix aus Werwolf-Roman und politischem Thriller, eine faszinierende Analogie zu unserer Realität. Es weist sowohl Merkmale der Urban Fantasy als auch der Science-Fiction auf, ist aber doch ganz anders. Individuell. Überraschend. Anfangs wollte ich das Buch als Dystopie einordnen, musste allerdings einsehen, dass diese Klassifizierung unzutreffend ist, weil „Red Moon“ nicht der Duden-Definition einer „fiktionale[n], in der Zukunft spielende[n] Erzählung mit negativem Ausgang“ entspricht. „Red Moon“ spielt nicht in der Zukunft. Es spielt im Hier und Jetzt, in einer alternativen Gegenwart, in der Werwölfe ein fester Bestandteil der Weltgeschichte sind. Percy schildert nicht den Ausbruch der Lykanthropie, er beleuchtet deren Folgen anhand der Schicksale dreier Hauptcharaktere. In der Rolle des Chronisten malt er nüchtern das Bild einer Gesellschaft, die Angst vor sich selbst hat. Ich bewundere ihn für seine scharfsichtige Analyse, für die realistische Antwort auf die Frage, wie unsere Welt aussähe, gäbe es ein Virus, das Menschen in Lykaner verwandelt. Wer glaubte, Menschen und Werwölfe könnten friedlich koexistieren, hat das Wesen der Menschheit nicht begriffen. Wir sind eine aggressive Spezies, die alles zerstört, was als Bedrohung erscheint. Angriff ist die beste Verteidigung. Fressen oder gefressen werden. Ironischerweise eskalieren die Ereignisse in „Red Moon“ aufgrund dieser Einstellung, nicht aufgrund des Bedrohungspotentials der Lykaner. Die Versuche der Regierung, Kontrolle auszuüben, bringen die Lykaner in eine unmögliche, inakzeptable Lage. Im Verlauf der Handlung werden alle Lykaner unter Generalverdacht gestellt, ihre Bürgerrechte, auf die die USA so viel Wert legen, werden mit Füßen getreten. Ein Schelm, wer da Parallelen zum reellen Kampf gegen den islamistischen Terror sieht. Sie werden für ein genetisches Merkmal diskriminiert. Sie müssen sich als Lykaner markieren lassen, müssen eine Droge ein Medikament einnehmen, das sie daran hindert, sich zu verwandeln und ihren Verstand in ein Gefängnis sperrt. Wer Volpexx nicht schluckt, bricht das Gesetz – Lykaner haben nur die Wahl, hirntot oder kriminell zu sein. Erst die unwürdigen Regulierungen zwingen viele Werwölfe zu handeln, nachdem sie Großteils jahrzehntelang friedlich und angepasst lebten. Die meisten Lykaner empfinden sich als Menschen, obwohl sie theoretisch eine überlegene, weiterentwickelte Mutation sind. Sie haben kein Interesse daran, ihre Position als Spitzenprädatoren auszuleben und wollen nur in Ruhe gelassen werden. Der radikale Widerstand ist eine Minderheit innerhalb der Werwolf-Population, wird jedoch von Medien und Regierung größer gemacht, als er tatsächlich ist und provoziert auf diese Weise übertriebene, kopflose, unlogische Angstreaktionen. Die Situation putscht sich hoch bis zum Bürgerkrieg – hat da jemand „Happy End“ gesagt? Am Ende eines realistischen Szenarios wie „Red Moon“ kann es keinen Ritt in den Sonnenuntergang geben und ich bin froh, dass Benjamin Percy es gar nicht erst versuchte. Stattdessen endet das Buch so, wie es enden musste: offen, voller ungeklärter Fragen und viel Raum für Zukunftsspekulationen.

 

„Red Moon“ ist mit dem gemeinen Werwolf-Roman nicht zu vergleichen. Es ist kompromissloser. Origineller. Intelligenter. Es ist die Chronik einer gespaltenen Gesellschaft, ein Spiegelbild der unseren, in der die Lykaner symbolisch für all die Gruppen stehen, die in der Realität ausgegrenzt und diskriminiert werden. Hass erzeugt Hass. Gewalt erzeugt Gewalt. Benjamin Percy bietet keine Lösung für soziale Konflikte an, sein Buch vermittelt keine Moral. Er bildet lediglich ab und überspitzt die Situation, indem er nicht Menschen gegen Menschen, sondern Spezies gegen Spezies kämpfen lässt. Ich kann darüber hinwegsehen, dass sich sein Schreibstil etwas schwerfällig liest und ich mich während der Lektüre antreiben musste, um vorwärts zu kommen, denn der Aufwand hat sich gelohnt. „Red Moon“ faszinierte mich, in all seiner brutalen Scharfsinnigkeit. Meiner Ansicht nach ist es äußerst lesenswert. Sollte euch allerdings an einem romantisierten, idealisierten Bild von Werwölfen gelegen sein, solltet ihr einen Bogen darum machen. Kuschlig und schmusig? Nein. Bestialisch.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/10/25/benjamin-percy-red-moon
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review 2016-09-07 10:06
Pervertierte Kleinstadtidylle
In einer kleinen Stadt [Needful Things] - Stephen King,Christel Wiemken „In einer kleinen Stadt: Needful Things“ von Stephen King habe ich mir vorgenommen, weil mein Bauch so laut danach schrie, dass ich seinen Wunsch nicht ignorieren konnte. Ich weiß nicht, warum er plötzlich von heute auf morgen der Ansicht war, dass die Zeit ausgerechnet für dieses Buch gekommen sei, war aber gern bereit, mich darauf einzulassen. Meinen letzten King hatte ich im Juli 2015 gelesen; es handelte sich um „Stark: The Dark Half“. Beide Romane werden dem Castle-Rock-Zyklus zugeordnet, wobei „In einer kleinen Stadt“ passenderweise chronologisch nach „Stark“ angesiedelt ist. Ursprünglich plante King, den Zyklus mit diesem Werk abzuschließen, kehrte in den folgenden Jahren allerdings doch mehrfach nach Castle Rock, die fiktive Kleinstadt im Westen Maines, zurück. In einer kleinen Stadt wie Castle Rock ist die Eröffnung eines neuen Geschäfts eine mittlere Sensation. Natürlich würde es niemals jemand zugeben, aber als an der Main Street eine schöne grüne Markise angebracht wird, ergreift eine Atmosphäre mühsam im Zaum gehaltener Neugier die Stadt. »Needful Things« steht auf dem Schild an der Tür. Der Inhaber ist Leland Gaunt, ein Fremder von außerhalb. Er verspricht eine völlig neue Art von Laden und er hält Wort: bei »Needful Things« gibt es alles, was das Herz begehrt – zu Spottpreisen. Geld scheint Mr. Gaunt nicht besonders wichtig zu sein. Stattdessen erwartet er von seinen Kund_innen als Teil der Bezahlung, dass sie ihren Nachbar_innen kleine Streiche spielen. Was ist schon dabei? Doch der harmlose Spaß entwickelt sich unaufhaltsam zu tödlichem Ernst, die Situation gerät außer Kontrolle und Castle Rock stürzt ins Chaos. Werden einige wenige aufrechte Bürger_innen ausreichen, um die Stadt zu retten? Ich bin ein bisschen perplex. „In einer kleinen Stadt“ hat meine Erwartungen weit übertroffen. Nicht hinsichtlich des Inhalts, denn diesen schätzte ich bereits vor der Lektüre als gewohnt aufregend und unheimlich ein, sondern hinsichtlich des Schreibstils. Stephen King hat irgendetwas verändert. Anscheinend hat er an ein paar Schräubchen gedreht, denn dieses Werk ist der erste und bisher einzige Roman aus seiner Feder, der meine Aufmerksamkeit ungebrochen zu fesseln vermochte. „In einer kleinen Stadt“ weist keinerlei Längen auf. Es ist durchgehend spannend. Für mich ist das eine kleine Sensation, denn ich war fest darauf eingestellt, es wieder einmal mit einigen zähen Passagen zu tun zu bekommen, durch die ich mich würde durchbeißen müssen. Vielleicht lag es daran, dass ich wirklich aus tiefstem Herzen Lust auf dieses Buch hatte, vielleicht hat King mehr Wert auf einen konstanten Spannungsbogen gelegt – was immer es war, „In einer kleinen Stadt“ hielt mich pausenlos in Atem, obwohl sich die Handlung recht gemütlich entfaltet. Es beginnt harmlos: »Needful Things« eröffnet in Castle Rock und Mr. Gaunt bemüht sich rührend, die sehnlichsten Wünsche aller Bewohner_innen der Stadt zu erfüllen. Dass Gaunt keineswegs ein wohltätiger Samariter und Geschäftsmann ist, lässt King erst nur anklingen. Ein bedrohlicher Blick hier, ein gemurmeltes Wort da, ein Händeschütteln, das Abscheu auslöst. Er vermittelt seinen Leser_innen subtil, dass Misstrauen angebracht ist und bringt sie dadurch in die für Horrorgeschichten typische überlegene Position. Ich konnte beobachten, wie die Bürger_innen von Castle Rock der Gier nachgaben und Mr. Gaunt auf den Leim gingen; ich wollte ihnen zurufen, sich nicht auf diesen aalglatten Händler einzulassen und spürte lebhaft, wie sich die Spirale des Terrors zuzog und sich die Ereignisse bis zur Eskalation zuspitzten. Meiner Meinung nach haben die Menschen in Castle Rock zwei bedeutende Schwachstellen, die King Gaunt perfide ausnutzen ließ: ihre Habsucht und ihre Streitigkeiten untereinander. Gaunt spielt meisterhaft auf der Klaviatur der Kleinstadt-Fehden und hetzt alle Akteure geschickt gegeneinander auf, sodass am Ende er allein als Profiteur dasteht. Er treibt jeden noch so kleinen schwelenden Zwist auf die Spitze und bedient sich dabei (zumindest anfangs) erstaunlich zurückhaltender Mittel. Es überraschte mich, wie wenig nötig ist, um die Konflikte gottesfürchtiger, anständiger und strikt bürgerlicher Leute in hässliche Gewalttätigkeiten ausufern und eine ganze Stadt in Anarchie versinken zu lassen. Natürlich kann eine derartige Situation nicht für alle Beteiligten glimpflich ausgehen. Ich fand, dass Stephen King sehr hart mit seinen Figuren ins Gericht geht und sie für ihre Fehler bitter bestraft. Besonders in einem Fall wünschte ich mir vergeblich, dass er Nachsicht und Gnade walten ließe. Trotz dessen verstehe ich, warum er streng war, niemanden davonkommen und sie alle leiden ließ. Castle Rock musste geläutert werden. Läuterung verlangt nach Schmerz. Mir gefiel „In einer kleinen Stadt“ hervorragend. Es ist eine mitreißende Geschichte von Gier, Bedürfnissen und Manipulation, die das Klischee der Kleinstadtidylle auf faszinierende Weise pervertiert. Obwohl Stephen King das eine oder andere übernatürliche Elemente einarbeitete, sind es in Wahrheit doch wieder einmal die Abgründe der menschlichen Psyche und Natur, die das Grauen dieses Buches prägen. Man stelle sich vor, alle Fehden einer kleinen Stadt würden mit einem Schlag eskalieren, aus welchem Grund auch immer – das Ergebnis ist den Geschehnissen nicht unähnlich, die King für „In einer kleinen Stadt“ so farbenfroh beschreibt. Lässt man das Übernatürliche weg, ist seine Schreckensvision unwahrscheinlich, aber dennoch vorstellbar und genau das ist der Grund, warum ich ihn als Autor unheimlicher Geschichten schätze. Er hat erkannt, dass wir Menschen selbst die furchteinflößende Quelle unseres Horrors sind. Vielleicht ist die schützende Schicht namens Zivilisation, die unsere Triebe unter Verschluss hält, um einiges dünner, als wir glauben möchten.
Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/09/07/stephen-king-in-einer-kleinen-stadt-needful-things
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review 2016-07-20 10:55
Verzaubert
Verzaubert: Geheimnisvolle Nachbarn - Anna-Sophie Caspar

Titel: Verzaubert - Geheimnisvolle Nachbarn

Autor: Anna-Sophie Caspar

 

Worum es geht:
Als in das seit Jahren leerstehende Haus gegenüber von Effies Familie wieder jemand einzieht, beginnt für Effie eine schwere Zeit. Sie sieht auf einmal Dinge, die kein anderer sieht. Es macht ihr Angst, da alle Menschen in ihrer Umgebung sie nach und nach für verrückt erklären.
Erst durch einen kleinen Zwischenfall, bei dem sie lebensgefährlich verletzt wird, erfährt sie, was es mit den neuen Nachbarn tatsächlich auf sich hat. In wieweit das ganze aber mit ihr zu tun hat, kann ihr niemand sagen.

Was ich sage:
Meine Erwartungen an dieses Buch waren, dass ich eine spannende Fantasygeschichte lesen kann, die mit einer Prise Romantik geschmückt ist. In Sachen Spannung und Fantasy wurde ich tatsächlich nicht enttäuscht. Die Geschichte startet bereits mitten in der Handlung, was es von Anfang an zu einem wahren Vergnügen gemacht hat, dieses Buch zu lesen. Die Spannung hält auch wirklich bis zum Schluss an und ist auch im Laufe des Buches gut verteilt.
Von dem romantischen Teil der Geschichte war ich im Gegenzug nicht überzeugt. Die Gefühle der Charakteren sind etwa in der Mitte des Buches auf einmal da gewesen. Ich war wirklich überrascht. Zuvor gab es nicht ein Wort, das darauf hätte hingewiesen. Darauf hätte man besser hin arbeiten können. Die Handlung kam einfach zu plötzlich. Meiner Meinung nach hätte die Geschichte auch ohne diese Romantik sehr gut funktioniert.

Die Charakteren haben mir sehr gut gefallen. Sie sind alle sehr gut ausgearbeitet und haben eine Vergangenheit, was gerade für diese Geschichte in meinen Augen sehr wichtig ist. Da man bei dieser Geschichte Effie folgt, kann man Motive und Hintergründe von anderen Charakteren nur sehr schwer feststellen, was aber durchaus sehr gut passt.

Die Idee zu der Geschichte ist neu und hat mir wirklich gut gefallen. Auf diese völlig neue Weise mit seinem Seelentier in Verbindung zu treten, ist etwas wirklich spannendes.
Der Schreibstil ist sehr gut und hat eine gute Mischung aus Dialog und Erzählung.

Fazit:
Ein absolut tolles Buch, welches ich wirklich wärmstens empfehlen kann. 5 von 5 Punkten.

Source: coverworlds.de/geheimnisvolle-nachbarn
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review 2016-07-05 10:47
Ein Klassiker, der diese Bezeichnung wirklich verdient
To Kill a Mockingbird - Harper Lee

„To Kill a Mockingbird“ von Harper Lee ist vermutlich eines der Bücher, die am häufigsten in anderen Büchern erwähnt und zitiert werden. Besonders in der Young Adult – Literatur stolperte ich immer wieder über diesen Titel. Es kam, wie es kommen musste: ich wurde neugierig. Ich wusste, dass es sich dabei um einen modernen amerikanischen Klassiker handelt, der oft in Schulen besprochen wird. Ich wusste jedoch nicht, worum es darin überhaupt geht. Ich kaufte das Buch blind. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete und das gefiel mir. Ich fand es spannend, mich kopfüber in einen Klassiker zu stürzen, ohne durch äußere Einflüsse vorbelastet zu sein. Ich wagte das Abenteuer und nahm einfach an, dass ein Buch, das 1961 den Pulitzer-Preis gewann und niemals aus dem Druck verschwand, nicht allzu enttäuschend sein konnte.

 

Fragte man Scout Finch heute, wie es dazu kam, dass sich ihr vier Jahre älterer Bruder Jem kurz vor seinem 13. Geburtstag den Arm brach, würde sie ohne zu zögern antworten, dass die Ewells dafür verantwortlich waren. Jem hingegen ist überzeugt, dass es viel eher begann. Es begann mit ihrem Freund Dill und der fixen Idee, ihren zurückgezogen lebenden Nachbarn Boo Radley aus seinem Haus zu locken. Es begann mit den Stunden bei der sterbenden Mrs. Dubose, den Schlägereien auf dem Schulhof und dem tollwütigen Hund. Es begann mit den an ihren Vater Atticus gerichteten Beleidigungen, weil er Tom Robinson vor Gericht vertrat. Es begann, als die Einwohner_innen der Südstaatenkleinstadt Maycomb die Unschuld der Geschwister auf dem Altar der Tradition opferten. Es begann harmlos – und doch zwangen die Ereignisse Scout und Jem, erwachsen zu werden. Manchmal treffen auch gute Menschen schlechte Entscheidungen.

 

Wusstet ihr, dass „To Kill a Mockingbird“ erstaunlich selten Gegenstand literarischer Analysen seitens der Fachwelt ist? Wenn ich ehrlich bin, überrascht mich das nicht. Diesem Buch ist einfach nichts hinzuzufügen. Es ist alles gesagt. Die Geschichte steht für sich selbst, sie bedarf keiner Erklärungen. Ich verstehe voll und ganz, warum dieser Klassiker, der diese Bezeichnung übrigens wirklich verdient, regelmäßig als Schullektüre ausgewählt wird. Harper Lee verarbeitet anspruchsvolle Themen behutsam und nachvollziehbar, sodass sie auch von Kindern und Jugendlichen verstanden werden können. Sie schlüpft in Scouts Perspektive, schildert die Ereignisse als erwachsene Frau, die sich an ihre Kindheit in einem verschlafenen Südstaatennest Mitte der 1930er Jahre erinnert. Die Erzählweise ist durch eine großartige Mischung kindlicher Emotionalität und erwachsener, reflektierter Distanz geprägt. Diese Herangehensweise nimmt den dargestellten Rassen-, Klassen- und Geschlechterkonflikten die beklemmende Schwere.  Es ist leicht, sich in die 8-jährige Scout hineinzuversetzen und nachzuempfinden, wie sich der Horror einer Gerichtsverhandlung, die sie kaum versteht, langsam in ihr Leben schleicht, wächst, mutiert und alles vereinnahmt. Sie hat eine unnachahmliche Sicht auf die Dinge, die zwar kindlich, aber überraschend scharfsinnig ist und viel Raum für zwanglosen Witz und Ironie zulässt. Ihr Vater Atticus verleiht ihren Beobachtungen und Erkenntnissen über das Wesen der Menschen in Maycomb Gewicht und positioniert sie. Er ist der unumstrittene moralische Anker der Geschichte, der das rassistische, engstirnige Verhalten seiner Nachbarn ins richtige Verhältnis setzt. Als Humanist ist er stets bemüht, das Gesamtbild zu betrachten und sich nicht von der aufgepeitschten Stimmung in der Stadt beeinflussen zu lassen. Indem er seine Kinder auffordert, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und ein paar Schritte in ihren metaphorischen Schuhen zu gehen, bevor sie urteilen, erzieht er sie zu Toleranz, Verständnis und Mitgefühl. Er setzt keine unrealistischen Erwartungen in sie; er stört sich nicht daran, dass Scout nicht dem Frauenideal der Südstaaten entspricht und begleitet Jem aktiv auf seiner Reise vom Jungen zum Teenager. Ihm ist wichtig, dass sie zu anständigen Menschen heranreifen. Es ist unmöglich, keinen Respekt für Atticus zu empfinden, denn er beweist, dass man immer eine Wahl hat, sich nicht von einschnürenden Traditionen definieren lassen muss und primär dem eigenen Gewissen verpflichtet ist. Ich bewundere den selbstverständlichen Mut, mit dem er für seine Überzeugungen eintritt, obwohl er weiß, dass er nicht gewinnen kann und auf diese Weise (fast) die ganze Stadt gegen sich aufbringt. Er ist ein beeindruckendes Vorbild, weil er nicht den einfachen, sondern den richtigen Weg geht. Auf diesem Weg nimmt er Tochter und Sohn an die Hand, führt sie, leitet sie und versucht, so gut er kann, sie vor Schaden zu bewahren. Unglücklicherweise kann jedoch auch Atticus nicht verhindern, dass Tom Robinsons Fall Spuren auf ihren Seelen hinterlässt. Der Titel des Buches „To Kill a Mockingbird“ ist meiner Ansicht nach eine Metapher: sie steht für den Tod der Unschuld.

 

„To Kill a Mockingbird“ ist ein gut verständlicher Klassiker, der sich leicht liest und trotzdem eine deutliche Botschaft vermittelt. Mir gefiel das Buch sehr gut, weil es unaufdringlich und nicht zu bedeutungsschwer ernsthafte Themen anspricht, die bedauerlicherweise bis heute aktuell sind. Ich glaube nicht, dass man es unbedingt gelesen haben muss, doch ich finde durchaus, dass es sich um eine lohnens- und empfehlenswerte Leseerfahrung handelt und Harper Lee den Pulitzer-Preis zurecht gewann. Als Schullektüre ist es sicherlich hervorragend geeignet, denn es enthält einige außerordentlich starke Szenen und bringt Kindern bzw. Jugendlichen gesellschaftliche Problematiken wie Rassismus und Diskriminierung sorgsam näher. Ich bedauere ein wenig, dass es nicht auf dem Lehrplan meiner Schule stand. Der Mut der Finchs ist wahrhaft inspirierend und hätte mich bereits in jungen Jahren tief berührt.

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review 2013-08-15 12:07
Guter Start, später überladen
Weiß ist die Unschuld - Susanne Mischke

“Seit die neue Familie ins Nachbarhaus eingezogen ist, wird Leonie von Lotta verfolgt. Nur will das niemand so wirklich erkennen. Lotta ist eben anders, deshalb muss man besonders nett zu ihr sein. Aber Lotta klebt wie eine Klette an Leonie und macht ihr das Leben zu Hölle. Als sie dann auch noch beim Waldausflug auftaucht, beschließt Leonie, sich an ihr zu rächen, mit unerwartet schrecklichen Folgen.”

 

Dies ist mein zweiter Mini Thriller, und auf den hatte ich mich so richtig gefreut. Seitdem mich Susanne Mischkes “Röslein stach” so begeistert hatte, wollte ich unbedingt noch mehr von ihr lesen.
Es ließ sich auch gar nicht schlecht an.
Ich kann mir gut vorstellen, dass jemand der so “anders” ist wie Lotta, Unsicherheit auslöst. Vielleicht auch Angst, weil sie sich häufig seltsam und ab und zu bedrohlich benimmt. Und ich kann ebenso verstehen, dass man auf  stur stellt, wenn man obendrein noch immer gesagt bekommt, zu jemandem wie Lotta müsse man besonders nett sein. So konnte ich Leonie gut verstehen und war gespannt, in welche Richtung sich der Thriller mit diesem ungleichen Pärchen nch entwickeln würde. Und natürlich, ob Lotta tatsächlich noch Finsteres mit Leonie anstellen würde.
Doch leider verfranste sich die Story nach dem vielversprechenden Start. Auf mich wirkte die Handlung danach plötzlich schlicht überladen. Erst nur Leonies Problem mit Lotta, dann Leonies Interesse an Mikke und somit eine kleine Liebesgeschichte, das Geschehen im Camp, Leonies Freundin Finja, die ihr dabei hilft, Lotta aus dem Weg zu gehen, und schließlich die verhängnisvolle Nachtwanderung mit einer großen Rettungsaktion. Das ist für meinen Geschmack einfach zu viel für eine Geschichte auf 90 Seiten.
Dafür habe ich aber wenigstens etwas von dem bissigen und manchmal bösen Humor angetroffen, den ich an “Röslein stach” so mochte. Immerhin! Da habe ich Susanne Mischke wiedererkannt.

 

Insgesamt haben sich auch diese 90 Seiten sehr flott gelesen. Dazu hat auch wieder die recht groß wirkende Schrift beigetragen. Etwas länger als für “In den Schatten siehst du mich” habe ich trotzdem gebraucht, da es hier weniger getrennte Absätze gibt. Auf diesen 90 Seiten gibt es eindeutig mehr Text zu lesen.

 

Die weißen Schneeglöckchen passen gut zum Titel. Meine Thriller-Blumenwiese wächst erfreulich schnell ;)

 

Fazit:  “Weiß ist die Unschuld” startete vielversprechend und ich konnte Leonie gut verstehen. Später wirkte die Geschichte auf mich aber zu überladen für ihre Kürze. Dabei blieb die anfängliche Spannung auf der Strecke. Deshalb hat mir dieser Mini Thriller leider nicht wirklich gefallen. Susanne Mischke bekommt aber noch weitere Chancen. Nur halt mit den regulären Arena Thrillern.

Source: leserattz.wordpress.com/2012/12/14/rezension-weis-ist-die-unschuld-susanne-mischke
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