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review 2017-09-13 11:21
Ein Fangirl ward geboren
City of Miracles (The Divine Cities) - Robert Jackson Bennett

Worum geht es in der Trilogie „The Divine Cities“? Laut Autor Robert Jackson Bennett geht es um Veränderung. Schmerzhafte, quälende Veränderungen. In einem kurzen Essay über das Finale „City of Miracles“ schreibt er, der Kern seiner Geschichte sei der Versuch seiner Figuren, ihre traumatischen Erfahrungen zu überleben und zu überwinden. Ich stimme Bennett daher zu, dass es mehr als passend ist, den letzten Band aus Sigruds Perspektive zu bestreiten, da dieser unter zahllosen unaufgearbeiteten Traumata leidet. Ich wusste allerdings auch, dass Sigrud zu folgen bedeutet, einen blutigen Pfad einzuschlagen.

 

Eine Explosion zerreißt den regnerischen Tag in Ahanashtan. In der Detonation, die ein halbes Stockwerk des noblen Golden Hotels zerstört, kommt die ehemalige saypurische Premierministerin Shara Komayd ums Leben. Sechs Tage später erreicht die Nachricht ihrer Ermordung ein Holzfällerlager nahe Bulikov. 13 lange Jahre versteckte sich Sigrud je Harkvaldsson in der Anonymität wechselnder Gelegenheitsjobs. Damit ist jetzt Schluss. Sein Herz schlägt im Takt eines einzigen Wortes: Rache. Ohne zu zögern nutzt er die tödliche Effizienz seiner außergewöhnlichen Talente, um die Mörder seiner Freundin ausfindig zu machen. Leichen pflastern seinen Weg. Je tiefer Sigrud gräbt, desto klarer wird, dass der Anschlag Teil eines größeren Schemas war. Shara war in schockierend schmutzige Geheimnisse verstrickt, verschleiert hinter der wohltätigen Fassade eines Programms für kontinentale Waisenkinder, die systematisch zu verschwinden scheinen. Was ist dran an den Gerüchten einer neuen Gottheit, die aus den Schatten heraus agiert? Welche Rolle spielt Sharas Adoptivtochter Tatyana? Rache ist Sigruds Spezialität. Doch dieser Kampf könnte selbst den hartgesottenen Dreyling an seine Grenzen bringen. Ihn – und die gesamte Welt.

 

Oh. Mein. Gott. „City of Miracles“ ist GROSSARTIG. Es ist eines dieser Bücher, für die bisher keine adäquaten Superlative erfunden wurden, um es zu beschreiben. Es landet ohne Umwege in meiner persönlichen Top 5 der besten Trilogieabschlüsse aller Zeiten. Für diesen Roman verdient Robert Jackson Bennett so viel mehr als fünf Sterne; er verdient das ganze verdammte Firmament. Mich durchläuft jetzt noch ein Schauer, denke ich an die Lektüre zurück. Seit dem Auslesen habe ich sogar eine Illustration von Sigrud der Künstlerin Chanh Quach als Hintergrund auf meinem Smartphone, so begeistert bin ich von „City of Miracles“ und so schwer fällt mir das Abschiednehmen.
Warum ist dieses Finale dermaßen atemberaubend? Es war eine Herausforderung, herauszufinden, welche Elemente „City of Miracles“ aus der Masse herausheben und ich bin nicht sicher, ob ich die Antwort gefunden habe, weil eben schlicht alles fantastisch ist. Natürlich weist es die gleiche inhaltliche, logische Konsistenz auf, die ich bereits aus den Vorgängern kenne – es baut direkt und konsequent auf den vergangenen Ereignissen auf. Selbstverständlich sind die Figuren hyperlebendig und einnehmend, obwohl ich ein winziges Bisschen enttäuscht war, dass Mulagheshs Rolle gering ausfällt. Zweifellos ist das Worldbuilding detailreich und überzeugend, da sich Bennetts Universums stets im Wandel befindet und ich angesichts des technischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fortschritts in Saypur und auf dem Kontinent aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Doch muss ich den Finger darauflegen, was es ist, das „City of Miracles“ vom durchschnittlichen High Fantasy – Roman unterscheidet, entscheide ich mich für die transformative Reise, die Sigrud erlebt. Robert Jackson Bennett liebt seinen furchteinflößenden, traumatisierten Protagonisten genug, um ihm Möglichkeiten zu schenken, sich selbst aus dem Teufelskreis seiner Seelenqual zu befreien. Er macht es ihm nicht leicht, oh nein. Sigrud leidet, er geht im Namen der Erkenntnis durchs Feuer. Aber Sigrud hätte einen einfachen Ausweg keinesfalls akzeptiert. Er hätte einer Lösung auf dem Silbertablett misstraut. Er musste hart aufschlagen, um sich endlich zu ändern. Es zeugt von ausnehmendem schriftstellerischen Geschick, dass Bennett in der Lage war, mir dieses spezielle Verhältnis zu vermitteln. Ich wusste genau, was er Sigrud anbietet: blutige, schmerzhafte Erlösung. Er offeriert ihm eine Rettung, die dieser auch annehmen kann, weil sie seiner Persönlichkeit entspricht. Er prüft ihn, schickt ihn in rasante Actionszenen, während derer ich vor lauter Nervenkitzel buchstäblich die Luft anhielt. Er konfrontiert ihn in stillen, leisen Momenten mit Verlust, Trauer und Schuld. Diese scheinbare Gegensätzlichkeit macht Sigrud aus und sie charakterisiert ebenfalls Saypur und den Kontinent, weshalb er meiner Meinung nach exakt der ambivalente Held ist, den dieses Universum braucht. Sigruds Reise zur Katharsis wühlte mich sehr auf. Ich konnte und wollte mich seiner inneren Zerrissenheit zwischen grimmiger Fatalität und zerbrechlicher Hoffnung nicht verschließen. Als der Showdown nahte, war ich daher emotional bereits völlig wund. Die letzten 20 Seiten waren für mich verheerend. Umwerfend. Ich habe Rotz und Wasser geheult. Es war… perfekt. Robert Jackson Bennett ist ein Poet. Ich wünschte, jedes Ende könnte so sein.

 

Denkt an irgendein positives Attribut, das ein Buch besitzen kann. Irgendeins. Ich versichere euch, in der Trilogie „The Divine Cities“ findet ihr es. Diese Geschichte hat sich nicht nur in mein Herz geschlichen, sie hat sich einen Platz in meinen All-Time-Favorites erkämpft. „City of Stairs“, „City of Blades“ und „City of Miracles“ sind brillant und ehrfurchtgebietend originell. Es gibt viele Fantasy-Autor_innen, die krampfhaft versuchen, anders zu schreiben, anders zu sein. Robert Jackson Bennett gelingt dieses Kunststück mühelos. Herzlichen Glückwunsch, Mr. Bennett. Sie haben sich selbst ein Fangirl erschaffen. Und glauben Sie bloß nicht, Sie würden mich so schnell wieder los.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/09/13/robert-jackson-bennett-city-of-miracles
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review 2016-10-25 10:00
Fressen oder gefressen werden
Red Moon - Benjamin Percy

„Red Moon“ von Benjamin Percy wurde mir im Oktober 2014 von Klingenfänger empfohlen, nachdem ich in einer Rezension den Gedanken äußerte, dass ich gern eine Werwolf-Vampir-Dystopie lesen würde. Ich wollte eine Geschichte erleben, die Vampirismus und/oder Lykanthropie aus der Fantasy-Ecke heraushebt und sie in den Kontext der Science-Fiction setzt. Wissenschaftliche Ansätze statt Magie. Percy ist ein vielfältiger Autor, der nicht nur Romane und Kurzgeschichten verfasst, sondern auch für DC Comics arbeitet und sich zusätzlich als Drehbuchautor verdingt. Ein richtiger Allrounder. Ich war gespannt, welche wissenschaftliche Erklärung er mir für die Existenz von Werwölfen anbieten würde.

 

Lykaner sind ein Teil der Gesellschaft. Sie sind integriert. Sie leben unauffällig und angepasst. Sie beugen sich den Gesetzen, die die USA erließen, um nicht-infizierte Menschen zu schützen. Sie sind Taxifahrer_innen, Lehrer_innen, Handwerker_innen. Sie sind deine Nachbarn. Sie sind die schlafende Bedrohung in unserer Mitte. Die Regierung beteuert, die Situation unter Kontrolle zu haben. Eine verhängnisvolle Lüge. Im Untergrund regt sich der Widerstand: Lykaner, die nicht davor zurückschrecken, Menschenleben zu opfern, um ihre Forderungen durchzusetzen. Radikale Anschläge verbreiten Angst und Terror. Schon bald werden die Grenzen der Menschlichkeit auf die Probe gestellt. Graut der Morgen nach der Nacht des roten Mondes, wird eine neue Welt geboren, in der Menschen nicht länger die Spitze der Nahrungskette sind.

 

Benjamin Percy hat meinen Wunsch nach einem wissenschaftlichen Werwolf-Szenario voll und ganz erfüllt. „Red Moon“ ist ein spannender Mix aus Werwolf-Roman und politischem Thriller, eine faszinierende Analogie zu unserer Realität. Es weist sowohl Merkmale der Urban Fantasy als auch der Science-Fiction auf, ist aber doch ganz anders. Individuell. Überraschend. Anfangs wollte ich das Buch als Dystopie einordnen, musste allerdings einsehen, dass diese Klassifizierung unzutreffend ist, weil „Red Moon“ nicht der Duden-Definition einer „fiktionale[n], in der Zukunft spielende[n] Erzählung mit negativem Ausgang“ entspricht. „Red Moon“ spielt nicht in der Zukunft. Es spielt im Hier und Jetzt, in einer alternativen Gegenwart, in der Werwölfe ein fester Bestandteil der Weltgeschichte sind. Percy schildert nicht den Ausbruch der Lykanthropie, er beleuchtet deren Folgen anhand der Schicksale dreier Hauptcharaktere. In der Rolle des Chronisten malt er nüchtern das Bild einer Gesellschaft, die Angst vor sich selbst hat. Ich bewundere ihn für seine scharfsichtige Analyse, für die realistische Antwort auf die Frage, wie unsere Welt aussähe, gäbe es ein Virus, das Menschen in Lykaner verwandelt. Wer glaubte, Menschen und Werwölfe könnten friedlich koexistieren, hat das Wesen der Menschheit nicht begriffen. Wir sind eine aggressive Spezies, die alles zerstört, was als Bedrohung erscheint. Angriff ist die beste Verteidigung. Fressen oder gefressen werden. Ironischerweise eskalieren die Ereignisse in „Red Moon“ aufgrund dieser Einstellung, nicht aufgrund des Bedrohungspotentials der Lykaner. Die Versuche der Regierung, Kontrolle auszuüben, bringen die Lykaner in eine unmögliche, inakzeptable Lage. Im Verlauf der Handlung werden alle Lykaner unter Generalverdacht gestellt, ihre Bürgerrechte, auf die die USA so viel Wert legen, werden mit Füßen getreten. Ein Schelm, wer da Parallelen zum reellen Kampf gegen den islamistischen Terror sieht. Sie werden für ein genetisches Merkmal diskriminiert. Sie müssen sich als Lykaner markieren lassen, müssen eine Droge ein Medikament einnehmen, das sie daran hindert, sich zu verwandeln und ihren Verstand in ein Gefängnis sperrt. Wer Volpexx nicht schluckt, bricht das Gesetz – Lykaner haben nur die Wahl, hirntot oder kriminell zu sein. Erst die unwürdigen Regulierungen zwingen viele Werwölfe zu handeln, nachdem sie Großteils jahrzehntelang friedlich und angepasst lebten. Die meisten Lykaner empfinden sich als Menschen, obwohl sie theoretisch eine überlegene, weiterentwickelte Mutation sind. Sie haben kein Interesse daran, ihre Position als Spitzenprädatoren auszuleben und wollen nur in Ruhe gelassen werden. Der radikale Widerstand ist eine Minderheit innerhalb der Werwolf-Population, wird jedoch von Medien und Regierung größer gemacht, als er tatsächlich ist und provoziert auf diese Weise übertriebene, kopflose, unlogische Angstreaktionen. Die Situation putscht sich hoch bis zum Bürgerkrieg – hat da jemand „Happy End“ gesagt? Am Ende eines realistischen Szenarios wie „Red Moon“ kann es keinen Ritt in den Sonnenuntergang geben und ich bin froh, dass Benjamin Percy es gar nicht erst versuchte. Stattdessen endet das Buch so, wie es enden musste: offen, voller ungeklärter Fragen und viel Raum für Zukunftsspekulationen.

 

„Red Moon“ ist mit dem gemeinen Werwolf-Roman nicht zu vergleichen. Es ist kompromissloser. Origineller. Intelligenter. Es ist die Chronik einer gespaltenen Gesellschaft, ein Spiegelbild der unseren, in der die Lykaner symbolisch für all die Gruppen stehen, die in der Realität ausgegrenzt und diskriminiert werden. Hass erzeugt Hass. Gewalt erzeugt Gewalt. Benjamin Percy bietet keine Lösung für soziale Konflikte an, sein Buch vermittelt keine Moral. Er bildet lediglich ab und überspitzt die Situation, indem er nicht Menschen gegen Menschen, sondern Spezies gegen Spezies kämpfen lässt. Ich kann darüber hinwegsehen, dass sich sein Schreibstil etwas schwerfällig liest und ich mich während der Lektüre antreiben musste, um vorwärts zu kommen, denn der Aufwand hat sich gelohnt. „Red Moon“ faszinierte mich, in all seiner brutalen Scharfsinnigkeit. Meiner Ansicht nach ist es äußerst lesenswert. Sollte euch allerdings an einem romantisierten, idealisierten Bild von Werwölfen gelegen sein, solltet ihr einen Bogen darum machen. Kuschlig und schmusig? Nein. Bestialisch.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/10/25/benjamin-percy-red-moon
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review 2015-12-31 00:00
Der Anschlag
Der Anschlag - Stephen King,Wulf Bergner HAPPY NEW YEAR! mit diesem Buch.
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review 2015-08-16 07:48
22. November 1963
Der Anschlag - Stephen King,Wulf Bergner

Es war der 22. November 1963 als der amerikanische Präsident John F. Kennedy durch 3 Schüsse in Dallas starb. Seither mussten die USA und damit auch die Welt weitere Schicksalsschläge einstecken: Vietnam, das Attentat auf Martin Luther King, 9/11 und vieles mehr. Natürlich hat sich einiges auch zum Guten gewandt: die Gleichberechtigung der Geschlechter, medizinische Fortschritte und Handys für jedermann. Aber könnte eine Welt mit JFK nicht noch besser sein?

Das denkt zumindest Jake, als er sich durch den „Kaninchenbau“ zurück ins Jahr 1958 begibt und es für Lee Harvey Oswald, Kennedys Todesschützen, anscheinend kein Entrinnen gibt.

Wieder einmal ein sehr interessanter Ansatz, den Stephen King hier präsentiert. Gerade das Thema Zeitreise finde ich persönlich immer wieder spannend, obwohl es aufgrund der vielen Stolpersteine wie vermaledeiter Logikfehler für Autoren sicherlich schwer zu bearbeiten ist.

Das Zeitreisethema hat Stephen King mit Bravour gemeistert! Wer, wenn nicht er, der seine Leser ans Ende der 50er-Jahre bugsiert, mitten rein in die Rauchergeneration, als Frauen am liebsten Kuchen buken und Schwarze statt in Pissoirs auf Holzbrettern stehend urinieren mussten.

In genau diese Zeit begleiten wir Jake, der nun die Jahre bis zum Attentat in Dallas, in dieser Dekade verbringt. Anders als vom Autor gewohnt, nimmt die Handlung gleich zu Beginn richtig an Fahrt auf, allerdings verläuft sie sich in den 60ern, um zum Ende hin erneut spannend zu werden.

Der Anfang hat mir daher sehr gut gefallen, es war aufregend, gemeinsam mit Jake - der sich hier George nennt - das Ende der 50er zu entdecken, einen Sunliner (Auto) zu kaufen und zu bemerken, dass einem die Vergangenheit gar nicht wohlgesinnt ist. Denn sie lässt sich nicht gern verändern, und schmeißt dem Zeitreisenden alle erdenklichen Steine in den Weg.

Mittendrin war es dann auf einmal richtig zäh. Zwar liebe ich es, wenn mich Stephen King mit ausführlichen Beschreibungen in seine Romanwelt lockt, allerdings war es mir bei „Der Anschlag“ zu langatmig und damit etwas zu viel. Manches hätte man hier kürzer fassen können, was meiner Meinung nach der Geschichte nicht geschadet hätte.

So habe ich mich mit Jake in den 60ern sesshaft gemacht, einen Job angenommen und ein Kleinstadtleben geführt, nur um nebenher Mr. Oswald im Auge zu behalten, der der Welt noch gefährlich werden wird.

Das Ende war dann schon ein ganz anderes Kaliber. Verworren, brenzlig, unbegreiflich und furchteinflössend ist es geworden, mit einem süßen Nachgeschmack auf der letzten Seite, der mich das Buch nachdenklich zuklappen ließ.

Meiner Ansicht nach ist „Der Anschlag“ ein guter King, ein solider King, ein King, den man lesen soll, wenn man sich für Zeitreisen interessiert, aber auch ein King, bei dem man streckenweise durchhalten muss, und sich von der Seitenzahl nicht abhalten lassen darf.

 

© NiWa

Source: zeit-fuer-neue-genres.blogspot.co.at
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text 2015-05-30 08:47
Lieblingshörbuch
Der Anschlag - Stephen King,David Nathan

Habt Ihr Euch je gefragt, wie unsere Welt heute wohl aussähe, wenn es den 11. September 2001 nicht gegeben hätte? Und mal angenommen, es gäbe eine Möglichkeit, die Ereignisse dieses Tages zu verhindern, würdet Ihr es tun?

Der 22. November 1963 war für die Generation unserer Eltern und Großeltern ein Datum mit Ereignissen ähnlichen Ausmaßes. An diesem Tag fielen in Dallas drei Schüsse und töteten den amerikanischen Präsidenten und Hoffnungsträger John F. Kennedy. Aber wäre unsere Welt ohne diesen Anschlag tatsächlich eine bessere? Hätte es den 11. September 2001 am Ende vielleicht gar nicht gegeben?

 

In „Der Anschlag“ wagt Stephen King dieses gedankliche Experiment. Das Buch ist ein meisterhafter Genre-Mix, der Spannung, Action und großen Gefühlen gleichermaßen bietet.

 

Bewertung: ♥♥♥♥♥ Lieblingshörbuch!

 

Worum geht es?

Durch ein Zeitportal im Foodtruck seines Freundes reist der 35jährige Englischlehrer Jake Epping zurück in das Jahr 1958, um das Attentat auf John F. Kennedy zu verhindern. Die 5 Jahre bis zum Anschlag überbrückt er möglichst unauffällig als Highschool-Lehrer in einer Kleinstadt. Dann jedoch verliebt er sich in die Schulbibliothekarin Sadie Dunn. Wohlweislich, dass er damit allen Regeln der Zeit widerspricht, lässt sich Jake auf eine Beziehung ein.

Aber er hat noch ein ganz anderes Problem: die Zeit ist nämlich „halsstarrig“ und versucht mit aller Macht sein Vorhaben zu verhindern. Je näher er sich auf das Jahr 1963 zubewegt, umso häufiger und dramatischer werden die Schwierigkeiten und Unfälle, die ihm widerfahren, bis schließlich auch Sadie ernsthaft in Gefahr gerät.

 

Warum habe ich gehört?

„Der Anschlag“ von Stephen King steht schon seit ein paar Jahren auf meiner Wunschliste. Nach seinem Erscheinen konnte ich viele positive Rezensionen und Kritiken dazu lesen. Auch eine Kollegin, die es vor gut 1,5 Jahren las, war begeistert. Irgendwie schreckte mich dann aber doch immer die gewaltige Länge von mehr als 1.000 Seiten ab. Durch die häufigen und langen Bahnstreiks im Mai musste ich nun aber viel Auto fahren und nutzte die Zeit im Stau für das ungekürzte Hörbuch.

 

Wie war mein erster Eindruck?

Stephen King lässt sich in „Der Anschlag“ viel Zeit, um die Geschichte ordentlich aufzu­bauen.

So lernt der Zuhörer Ich-Erzähler Jake zunächst ausführlich kennen. Hierbei beweist Stephen King wieder einmal viel Fingerspitzengefühl und Liebe zum Detail. Jake spricht zunächst über seine gescheiterte Ehe mit einer Alkoholikerin. Für den weiteren Verlauf der Geschichte hat diese Vergangenheit zwar keine Bedeutung; man gewinnt jedoch eine klare Vorstellung davon, was für ein Typ Mensch Jake eigentlich ist. Auch machte mir dieses Eingeständnis des eigenen Scheiterns Jake gleich sympathisch.

Anschließend folgt eine lange Episode, in der Jake sich mit dem Portal und der Vergangenheit vertraut macht. In seinen ersten Reisen zurück nach 1958 sieht er sich lediglich um und ver­sucht später kleinere Unfälle und eine Tragödie in der Familie des Schulhausmeisters zu ver­hindern, bevor er sich am Weltgeschehen versucht. All das ist spannend und packend geschrieben. Trotzdem kam bei irgendwann die Frage auf, was dies denn nun mit JFK zu tun habe und wann es endlich „richtig“ losging. Im Nachhinein betrachtet muss ich aber zugeben, dass diese „Vorgeschichten“ notwendig waren, um dem Zuhörer die Regeln zu vermitteln, nach denen die Zeitreisen in „Der Anschlag“ funktionieren.

Auch was den geschichtlichen Hintergrund angeht, wird der Zuhörer geschickt „abgeholt“. So war es mir, die ich einige Jahrzehnte nach dem Mord an John F. Kennedy geboren wurde, möglich, die Geschehnisse nachzuvollziehen und gesicherte Fakten von bloßen Vermutungen und nahezu sicheren Annahmen zu unterscheiden.

 

Wie fand ich die Charaktere?

In „Der Anschlag“ wimmelt es von liebevoll gestalteten Charakteren. Nicht nur Haupt­protagonist Jake Epping konnte ich deutlich vor meinem geistigen Auge sehen. Auch Lee Oswald, Sadie Dunn und selbst die Nebenfiguren sind so individuell und detailreich gezeichnet, dass ich schnell das Gefühl bekam, sie alle selbst zu kennen.

Besonders beeindruckt hat mich das große Wissen über Lee Oswald, dass Stephen King für diesen Roman zusammentrug. Selten war eine seiner Geschichten so stark in der Realität verankert und damit nachprüfbar wie in „Der Anschlag“. Doch Stephen King hat gründlich recherchiert und präsentiert dem Zuhörer ein genaues Bild von Oswalds Leben sowie seinem familiären und gesellschaftlichen Umfeld. Man erlebt einen aggressiv-gewalttätigen Oswald, der sich nur allzu leicht beeinflussen lässt und sich zunehmend in immer abstrusere politische Ideen verrennt, während er im privaten Leben und seiner Ehe scheitert. So versteht man zwar nicht die Tat, aber zumindest die Triebfedern des Attentäters etwas besser.

 

Etwas schade fand ich hingegen, dass es in „Der Anschlag“ nur wenige weibliche Figuren gibt. Sadie Dunn ist die einzige weibliche Protagonistin. Sie wird als für ihre Zeit relativ emanzipiert, selbstbewusst und stark dargestellt und bietet damit den weiblichen Zuhörern gute Identifikationsmöglichkeiten.

 

Wie fand ich das Hörbuch insgesamt?

In „Der Anschlag“ verbindet Stephen King geschickt ein Stück der jüngeren amerikanischen Geschichte mit einer komplexen fiktiven Handlung. Das Ergebnis ist mehr als ein reiner Zeitreiseroman. (Über weite Strecken war ich mir beim Zuhören gar nicht mehr bewusst, dass Jake aus der Zukunft stammt.) Anders als in den Werken, mit denen Stephen King bekannt wurde, lauert das Grauen in „Der Anschlag“ nicht in Gestalt von schaurigen Clowns oder untoten Haustieren, sondern schleicht sich sehr viel subtiler in den Alltag der Menschen. Es sind die kleinen und großen Dramen des Lebens aber auch die menschlichen Abgründe, von denen „Der Anschlag“ handelt. So wird das Hörbuch zum spannenden Thriller gepaart mit einer zarten Liebesgeschichte und jeder Menge Action.

Aber „Der Anschlag“ ist auch eine Hommage an das Amerika aus Stephen Kings Kindheit und Jugend: die Zeit der großen amerikanischen Straßenkreuzer und Highschool-Bälle. Dabei wird jedoch nicht romantisiert. Auch die Kubakrise und vor allem die damit verbundenen Ängste der amerikanischen Bevölkerung vor einem Atomkrieg werden eindrücklich thematisiert. So entsteht ein sehr vollständiges Bild des Amerikas jener Jahre.

 

Einmal mehr beweist Stephen King sein erzählerisches Können, in dem er alle diese viel­fältigen Elemente und Handlungsfäden nicht ohne eine gewisse Leichtigkeit zu einer ausge­wogenen Geschichte mit stetem Spannungsverlauf verwebt und konsequent zu Ende erzählt. Die fünf Jahre, die Jake überbrücken muss, um in der Vergangenheit an den Punkt zu gelangen, an dem Oswald den Anschlag plant, sind eine lange Zeit. Stephen King gestaltet sie durch eine Menge unvorhersehbarer Ereignisse abwechslungsreich, spannend und bisweilen romantisch. Dabei ist sein Sprachstil so natürlich, seine Erzählung so detailreich und die David Nathans Lesung so lebendig, dass das Hörbuch „Der Anschlag“ tatsächlich zum Kinofilm für die Ohren wird.

 

Kerstin-Scheuer.de

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