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review 2017-02-07 10:31
Zäh und verkopft
Nights of Villjamur - Mark Charan Newton

Der britische Autor Mark Charan Newton begann mit dem Schreiben, als er in einer Buchhandlung arbeitete. Permanent von Büchern umgeben zu sein, scheint ihn stark beeinflusst zu haben. Statt nach seinem Abschluss in Umweltwissenschaften im Regenwald zu verschwinden, entschied er sich für eine Karriere im Verlagswesen. Er arbeitete mehrere Jahre als Lektor, bevor 2009 sein Debüt „Nights of Villjamur“ erschien. Der Auftakt der Reihe „Legends of the Red Sun“ wurde überwiegend positiv bewertet und sicherte Newton einen festen Platz in der erlesenen Riege britischer Fantasy-Autor_innen.
Mir wurde „Nights of Villjamur“ auf Goodreads empfohlen.

 

Ein eisiger Wind fegt durch die Straßen Villjamurs, Juwel und Herz des Imperiums Jamur. Graue Wolken verdecken das blasse Licht der sterbenden roten Sonne. Sinkende Temperaturen sind die Vorboten einer jahrzehntelangen Eiszeit, die bereits mit frostigen Fingern über das Land kriecht. Tausende Flüchtlinge sammeln sich vor den Toren der Hauptstadt. Vertrieben von der unerbittlichen Kälte, hoffen sie, in Villjamur Schutz zu finden. Doch die Tore bleiben verschlossen. Ränke um Macht und Einfluss werden auf den Rücken der Verzweifelten ausgetragen; Intrigen und Verrat, heimtückisch verborgen hinter freundlich lächelnden Gesichtern, die das Leid des Volkes nicht kümmert. Blind für die Gefahren, die dem Imperium drohen. Während Jamur langsam in den Fängen des ewigen Winters erstarrt, erheben sich in der Tundra die Untoten. Hoch im Norden zeugen unheimliche Berichte von ausgelöschten Siedlungen, entvölkert bis auf die letzte unglückliche Seele. Es scheint, als brächte die Eiszeit Schlimmeres mit sich als Frost und Schnee…

 

Auf gewisse Weise zollt „Nights of Villjamur“ Mark Charan Newtons Studium der Umweltwissenschaften Tribut. Nur jemand mit seinen spezifischen Kenntnissen konnte glaubhaft ein Universum konstruieren, das von einer jahrzehntelangen Eiszeit bedroht wird. Eben dieses Merkmal verleitete mich dazu, den Reihenauftakt zu kaufen. Das Imperium Jamur ist eine Inselgruppe, die im Norden von Newtons Universum liegt. Die Hauptstadt Villjamur erinnerte mich in ihrer Gnadenlosigkeit, Vielfalt und Gegensätzlichkeit an meine Heimat Berlin; ihr uraltes Antlitz an London zu Dickens Zeiten. Es ist ein faszinierender Ort, nicht nur aufgrund seiner besonderen Architektur, die Oberfläche ebenso wie Untergrund einschließt, sondern auch aufgrund der ungewöhnlichen Zusammensetzung der Population. Neben den Menschen bevölkern hybride, vogelähnliche Garuda und langlebige, echsenartige Rumel die Straßen Villjamurs. Banshees verkünden mit ihren unheimlichen Schreien den Tod. Die unausweichliche Eiszeit beeinflusst sie alle gleichermaßen, da diese – abgesehen von ihren offensichtlichen Auswirkungen – von der Politik instrumentalisiert wird. Der Kanzler des Reiches, der als Vorsitzender des Rates den Imperator unterstützen sollte, nutzt die instabile Lage des Imperiums aus und inszeniert kaltblütig eine abscheuliche Intrige, um sich selbst auf den Thron zu verhelfen. Ich habe in der High Fantasy bereits viele widerliche Komplotte erlebt, aber dieses gewaltige Intrigennetz ist in Punkto Bösartigkeit sehr weit fortgeschritten. Kanzler Urtica macht nicht einmal vor Kriegstreiberei und Völkermord Halt. Er ignoriert bewusst die reellen Gefahren, denen das Imperium ausgesetzt ist und ersetzt sie durch fiktive. Auf der nördlichen Insel Tineag’l zieht sich eine blutige Spur durch die Siedlungen, die auf einen neuen Feind schließen lässt – selbst das ist Urtica egal, obwohl Jamur wahrlich nicht darauf vorbereitet ist, sich zu verteidigen. Die aggressive Eroberungspolitik der vergangenen Jahrhunderte sicherte dem Imperium eine Vormachtstellung, die es fett, faul und träge werden ließ. Niemand glaubt tatsächlich daran, dass Jamur angegriffen werden könnte. Ich fand diese prekäre politische Situation extrem spannend, muss allerdings gestehen, dass ich sie nur schwer mit den Figuren in Verbindung bringen konnte. Wenngleich die Charaktere sehr realistisch und menschlich gezeichnet sind und es mir gefiel, dass „Nights of Villjamur“ ohne strahlende Held_innen auskommt, konnte ich mich einfach nicht mit ihnen identifizieren. Ich nahm an ihren verschiedenen Schicksalen kaum Anteil und beobachtete, statt mitzufiebern. Die Geschichte stimulierte mich eher intellektuell denn emotional; sie packte mich bei meinem Verstand, nicht bei meinem Herzen. Ich denke, Newtons kühler, distanzierter Schreibstil war mir im Weg. Ich empfand keine zwanghafte Neugier, weiterlesen zu müssen und habe daher recht lange für das Buch gebraucht. Natürlich hat „Nights of Villjamur“ seine Momente, aber ich klebte nicht an den Seiten, balancierte nicht auf der Stuhlkante und meine Fingernägel überstanden die Lektüre unbeschadet.

 

„Nights of Villjamur“ von Mark Charan Newton ist ein recht verkopfter, ehrgeiziger Reihenauftakt, der in mir wenig Leidenschaft weckte. Mein Interesse für die Geschichte ist definitiv intellektueller Natur, da mich die außergewöhnliche politische Situation des Imperiums Jamur stärker ansprach als die Erlebnisse der Figuren. Die Lektüre zog sich und war zäh, doch Newtons Einfallsreichtum hinsichtlich seines Universums ist zweifellos bewundernswert. Ich bin überzeugt, bisher lediglich an dessen Oberfläche gekratzt zu haben. Daher habe ich beschlossen, dem Nachfolger „City of Ruin“ eine Chance zu geben. Ich weiß nicht, ob ich die „Legends of the Red Sun“ bis zum Finale verfolgen werde, aber ich möchte eine konkretere Vorstellung davon gewinnen, wo die Geschichte hinführt. Ich werde von Band zu Band entscheiden und mich überraschen lassen, welche Grauen die Eiszeit über das Imperium Jamur bringt und welche Schrecken es sich selbst antut.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/02/07/mark-charan-newton-nights-of-villjamur
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review 2016-07-13 08:51
Nahrung für die eigenen Tagträume
Die Seiten der Welt: Blutbuch - Kai Meyer

Nach der Veröffentlichung meiner Rezension zu „Nachtland“ erwartete mich eine kleine Überraschung. Mit jeder Publikation eines neuen Blogbeitrags wird automatisch ein Tweet gepostet, den ich vorher formuliert habe. Ich wusste, dass Kai Meyer ebenfalls auf Twitter vertreten ist, ich habe aber nicht angenommen, dass er meine Rezensionen lesen würde. Da habe ich ihn wohl unterschätzt. Meyer antwortete auf meinen Post zu „Nachtland“ und ging sogar auf meine Kritik ein. Ich habe mich wahnsinnig darüber gefreut. Es ist eine große Ehre, dass sich ein berühmter Autor wie Kai Meyer die Zeit nimmt, meine Gedankengänge zu seinem Buch zu lesen. Wer weiß, vielleicht höre ich ja erneut von ihm, sobald diese Rezension zu „Blutbuch“ online ist.

 

Als die Ideen das Sanktuarium zerstörten, wurde Furia nicht ausgelöscht, sondern strandete zwischen den Seiten der Welt. Halb bewusstlos fand sie ein Bibliomant und brachte sie in die Nachtrefugien, einen ungastlichen Ort ewiger Dunkelheit, das schmutzige Geheimnis der Adamitischen Akademie. Hier leben die Tintlinge unter der Herrschaft von Phaedra Herculanea. Furia möchte heimkehren, aber die Urmutter der Bibliomantik hat andere Pläne. Die Macht, die Siebenstern Furia verlieh, wird ihr jetzt zum Verhängnis. Währenddessen verschlingen die Ideen die Errungenschaften der Bibliomantik. Die Akademie, angeführt von Cats Vater Jonathan Marsh, wird die Refugien aufgeben und die Zugänge verschließen, um den Vormarsch der Ideen aufzuhalten. Hunderte Menschen und Exlibri werden sterben.
Die bibliomantische Welt droht, in sich zusammenzubrechen. Nun liegt es allein in Furias Händen, sie zu bewahren. Die Bücher der Schöpfung rufen nach ihr. Doch welchen Preis wird sie für die Rettung einer ganzen Welt zahlen müssen?

 

Insgesamt hat mir „Blutbuch“ besser gefallen als der Vorgänger „Nachtland“, obwohl ich hin und wieder das Gefühl hatte, dass die Handlung etwas schwerfällig vorankommt. Meine Verbindung zu den Charakteren war stabiler und greifbarer; ich konnte mich besser in sie hineinversetzen. Ich könnte allerdings nicht definieren, was sich verändert hat. Im Wesentlichen sind die Figuren noch immer die gleichen, sie durchleben keine großen Entwicklungssprünge. Vermutlich ist meine gesteigerte Verbundenheit tatsächlich auf die äußeren Umstände zurückzuführen, die Furia und ihre Freunde in extreme Situationen bringen, in denen ich sehr leicht mit ihnen fühlen konnte. Furia, die zum Spielball verschiedener Parteien wird, weil sie eine Macht besitzt, über die sie nie verfügen wollte; Isis, die auf ihrer verzweifelten Suche nach ihrer Freundin immer tiefer in die verheerende Absolonsucht abrutscht; Cat und Finnian, die erkennen müssen, dass der Widerstand der Adamitischen Akademie allein einfach nicht gewachsen ist – die Atmosphäre der Ausweglosigkeit im Finale von „Die Seiten der Welt“ schweißte mich näher an die Akteure. Ich wünschte mir und ihnen ein Happy End. Die Vorstellung, der bibliomantischen Welt und all ihren Wundern langsam beim Sterben zusehen zu müssen, machte mich unglücklich. Natürlich habe ich die Hoffnung nie aufgegeben, doch speziell der Kampf gegen die Ideen beunruhigte mich, weil sie eine abstrakte Bedrohung darstellen. Wie verteidigt man überhaupt irgendetwas gegen manifestierte Gedanken? Mehr sind die Ideen ja im Grunde nicht und doch gefährden sie eine gesamte Welt, ach was rede ich, ein vollständiges Universum. In dieser Zeit der Not zeigt sich die Adamitische Akademie von ihrer hässlichsten Seite. Sie sind hilflos. Es wundert mich, dass die Akademie so lange Zeit das Zepter in der Hand behalten konnte. Hat sie jemals etwas Gutes hervorgebracht? Ich frage mich, wie sie ihre Autorität etablieren und rechtfertigen konnte. Wenn nicht einmal die mächtigsten Bibliomant_innen ihre Heimat und die Bibliomantik selbst schützen können, welchen Nutzen hat diese Institution dann? Es hat mich schockiert, was für ein labiles, empfindliches Konstrukt die bibliomantische Welt offenbar ist. Dass eine Welt, die auf Literatur fußt, von Ideen, ergo purer Kreativität, aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann… Das ist fast schon lächerlich paradox. Ich glaube, Kai Meyer hat an philosophischen Gedankenspielchen dieser Art großen Spaß, was sich meines Erachtens nach auch darin offenbart, dass er in „Blutbuch“ das Schöpfungsthema erneut aufnimmt und weiterspinnt. Er wird konkret und veranschaulicht das Prinzip, nach dem die bibliomantische Welt aufgebaut ist, welches mir bereits aus der Science-Fiction und Fantasy bekannt war. Die Szene, die er dazu nutzt, erschien mir seltsam und schwer in den Kontext zu setzen, aber schließlich handelt es sich bei dieser Theorie um eine Abstraktion, die vom menschlichen Gehirn nur bis zu einem gewissen Grad erfasst werden kann – ein wenig Verwirrung ist da wohl durchaus angebracht.

 

„Blutbuch“ führt die Erzählstränge der beiden Vorgänger „Die Seiten der Welt“ und „Nachtland“ zusammen. Es ist der logische Abschluss einer aufregenden Geschichte, die sich durch Originalität und Detailverliebtheit auszeichnet. Meinem Empfinden nach wird ihr dieses Finale definitiv gerecht, trotz der etwas umständlichen Handlungskonstruktion. Nach meiner Erfahrung mit „Nachtland“ habe ich von „Blutbuch“ kein fulminantes Feuerwerk erwartet und wurde positiv überrascht. Besonders das Ende gefiel mir außerordentlich gut, weil es all die actiongeladenen vorangegangenen Ereignisse ruhig, gefasst und hoffnungsvoll ausklingen lässt.
Ich bereue nicht, mir die Trilogie „Die Seiten der Welt“ zugelegt und sie gelesen zu haben. Sie hielt zwar nicht ganz das, was ich mir durch den Hype davon versprochen hatte, war aber nichtsdestotrotz eine lohnenswerte Lektüre. Kai Meyers liebevoll ausgearbeitete bibliomantische Welt muss man einfach erlebt haben und sei es nur, um die eigenen Tagträume um die eine oder andere fantastische Idee zu bereichern.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2016/07/13/kai-meyer-blutbuch
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