Patrick deWitt ist eine leichte, nicht unbedingt sehr anspruchsvolle, aber extrem unterhaltsame, gute Geschichte gelungen, die mich in ihrer überspannten Darstellung der Protagonisten der Upperclass, die nur einen Wimpernschlag vom totalen Bankrott entfernt stehen, und in der intensiv zelebrierten fatalistisch betont sorglosen Stimmung frappant an Truman Capotes Frühstück bei Tiffany erinnert.
Obwohl das Ambiente an die überspannte Holly Golightly und ihre Partygesellschaft erinnert, gibt es dennoch genügend amüsante Innovationen in diesem Werk, die es trotz der angesprochenen Parallelen einzigartig und sehr witzig machen.
Da wäre zuerst eine etwas toxische, aber liebevolle Mutter-Sohn-Beziehung, in der sich die nur mehr dem Anschein nach reiche Lebemutti Frances sehr massiv in das Leben ihres bereits recht erwachsenen Nesthockersohnes Malcolm einmischt. Da in den USA nahezu das ganze Erbe des steinreichen, korrupten und nicht unbedingt sympathisch dargestellten Exmannes verprasst wurde, geht es nach der Geldverwertung der letzten Reste des ehmals enormen Immobilienvermögens nun mit dem Schiff ganz stilecht nach Frankreich, respektive Paris, um in der Wohnung einer guten und reichen Freundin mietfrei Unterschlupf zu suchen. <!--more-->Begleitet werden Frances und Malcolm von einer großen Tasche mit dem Rest des zu Bargeld verwerteten Vermögens in Form von Bündeln von Dollarnoten und von ihrem Kater, Kleiner Frank, den sie sehr kreativ und höchst vergnüglich ohne Papiere, Tierarztuntersuchung und Quarantäne ins fremde Land schmuggeln. Das Katzenviech soll bei der illegalen Einreise mit der richtigen Dosis Valium betäubt werden, ohne es zu töten und in der Tasche unter dem Haufen Bargeld an den Behörden vorbeigeschmuggelt werden. Leider konterkariert die Katz fast die gesamte Aktion, weil sie im Drogenrausch so laut schnarcht.
Wie sollte es auch anders sein mit Capote als Vorbild: Das Katzenvieh spielt in dem Setting und in der gesamten Geschichte die Rolle eines wichtigen Protagonisten. Als Kleiner Frank in Paris nach einem Konflikt mit Frances wegläuft, entpuppt er sich plötzlich als Reinkarnation von Frances totem Ehemann. Nach der Flucht produziert er fortan als selbständige Figur mit Bewusstsein - gleich einem Menschen - eigene Gedanken. Aus Verzweiflung über die Lage und die frustrierende Situation auf der Straße will sich der Kater in einer Anwandlung von tiefer Depression umbringen und springt vom Eifelturm. Der Suizid funktioniert aber natürlich nicht, da seine Katzenreflexe das nicht zulassen.
So geht es vergnüglich weiter. Malcolm und Frances sind verzweifelt auf der Suche nach Kleiner Frank und bevölkern die Wohnung der Freundin mit unzähligen weiteren Personen, die ihnen dabei helfen sollen, den Ausreißer zu finden, wobei sie das restliche Bargeld wie mit dem Schaufelbagger unter die Leute bringen, als gäbe es kein Morgen. Da wird ein Privatdetektiv engagiert, der die Hellseherin vom Schiff finden soll, die dann anschließend spirituell Kontakt mit dem Kater aufnehmen soll. Da wird eine neue französische Bekannte eingeladen, bei der Suche zu helfen. Auch die Exfreundin von Malcolm taucht irgendwann mit ihrer neuen Beziehung auf, um ihre Gefühle für und ihre Trennung von Malcolm nochmals zu überprüfen. Sie schließt sich der Gesellschaft an, wie auch die Wohnungseigentümerin, die plötzlich aus Amerika auftaucht. Alle sind guter Dinge, schnattern und parlieren, pflegen ein paar sehr kuriose Spleens, sind mit dem Projekt Katersuche und mit der Planung einer großen Party beschäftigt.
Leider muss ich diesmal spoilern denn das Finale ist wirklich außergewöhnlich, auch Capote-mäßig (Überraschungsfanatiker mögen hier bitte abbrechen und im nächsten Absatz weiterlesen), einerseits ein bisschen herzzerreißend traurig andererseits auch sehr lapidar, konsequent logisch, selbstbestimmt und überhaupt nicht rührselig. Als der letzte Schein des Geldes ausgegeben ist, begeht Frances nach der rauschenden Party Selbstmord. Sie wollte es genau so und hat es schon lange geplant. Das gibt Malcolm auch die Chance, ohne das schmutzige Geld seines Vaters und der Einmischung der Mutter ein komplett neues Leben - eventuell sogar mit der Exfreundin - zu beginnen.
Auch sonst gibt es nahezu gar nichts am Roman zu kritisieren, die Figuren sind sehr liebevoll entwickelt, trotz ihrer Überspanntheit konsistent und glaubwürdig konzipiert, der Humor kommt feinsinnig, ein bisschen hinterfotzig und nicht vordergründig schenkelklopfend daher, was mir immer sehr gefällt, und sprachlich haben mich die Schilderungen auch sehr erfreut.
In Paris mit dem Fahrrad zu fahren, war für Malcolm anfangs ein grauenvolles, regelrecht angsteinflößendes Erlebnis. Es war nicht so, dass die Autofahrer absichtlich Radfahrer anfahren wollten, wie er es einmal gelesen hatte, aber er konnte auch nicht sagen, dass die Vermeidung solcher Unfälle für sie von zentraler Bedeutung war.
Malcolm brauchte einige Tage, bis er sich auf den Hauptstraßen einigermaßen sicher fühlte; er wurde in Phasen mutiger. Am Ende umrundete er die Bastille inmitten von dichtem, anarchischen Verkehr, den linken Arm zur Entschuldigung ausgestreckt, während die Autos und Mopeds um ihn herum wimmelten und hupten und die Taxifahrer ihn mit derben Sprüchen verfluchten, aber damit alles erreichten, nur nicht, Malcolm herunterzumachen. Es war der Glaube, der ihn dazu befähigte, der Glaube daran, dass jedes dieser rasenden Fahrzeuge kurz vor dem tödlichen Zusammenstoß mit ihm einfach anhalten würde.
Eine herrliche Beschreibung! Diese Strategie empfehle ich übrigens auch Fußgängern in Vietnam, die Straßen überqueren müssen. Nennt sich notwendige buddhistische Zuversicht bei anarchischem Verkehrsgebaren und funktionierte zumindest bei mir sehr gut, denn ich lebe noch und habe mehrmals Straßenseiten in der Hauptverkehrszeit per pedes gewechselt.
Fazit: Leseempfehlung! Hier zeigt sich wieder einmal, dass auch leichte Lektüre richtig gut und unterhaltsam sein kann, ohne seicht zu werden. Ich habe die Geschichte sehr genossen und möchte hier abschließend die mir unbekannte Lovelybooksleserin Mightynina zitieren, die den Kern und das Wesen dieses Romans für mich in einem Satz auf den Punkt gebracht hat. "Es ist schon eine Kunst, sich so nah an der Grenze zur Farce zu bewegen und dabei eine derart intelligente, wortwitzige Geschichte zu schreiben."