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review 2017-07-19 09:07
Ist Magie ein Vorrecht der Kindheit?
The Magician's Land - Lev Grossman

Wieder einmal steht Quentin Coldwater vor dem Nichts. Aus Fillory verbannt, ist er gezwungen, zur Erde zurückzukehren. Er muss sich ein neues Leben aufbauen, noch einmal von vorn anfangen. Fast von selbst lenken ihn seine Schritte zum Brakebills College für magische Erziehung. Der verlorene Sohn geht heim. Seine alte Schule empfängt ihn mit offenen Armen und langsam beginnt Quentin, sich in der irdischen Realität zu akklimatisieren. Er arbeitet hart und bleibt meist für sich. Doch seine Vergangenheit lässt ihm keine Ruhe. Noch immer quält ihn der Gedanke an Alice, seine große Liebe. Entschlossen, herauszufinden, was mit ihr geschehen ist und unterstützt von der begabten Schülerin Plum wagt sich Quentin in die zwielichtigen, gefährlichen Gefilde der Magie, in der Hoffnung, Alice vielleicht zurückzuholen.
Währenddessen spitzt sich die Lage in Fillory zu. Das verzauberte Land stirbt. Verzweifelt begeben sich Eliot und Janet auf eine letzte, alles entscheidende Quest, um ihr Königreich zu bewahren. Allein können die beiden allerdings wenig ausrichten. Sie brauchen Hilfe. Hilfe von dem einzigen Menschen, der mehr über Fillory weiß, als irgendjemand sonst: Quentin, dessen Schicksal untrennbar mit dem magischen Land verbunden zu sein scheint. Welten und Leben stehen auf dem Spiel. Wird Quentin Fillory retten können und endlich Vergebung für seine Sünden finden?

 

Das nenne ich mal einen Abschluss! Lev Grossman versteht es wirklich, eine Geschichte emotional befriedigend zu beenden. „The Magician’s Land“ ist meiner Meinung nach mit Abstand der beste Band der Trilogie „The Magicians“. Ich bin begeistert und war am Schluss sogar zu Tränen gerührt. Während all der Zeit, die ich mit dem Protagonisten Quentin in den Vorgängern „The Magicians“ und „The Magician King“ verbrachte, war ich enttäuscht von ihm, weil er einfach nicht zu schätzen wusste, welche Privilegien ihm zuteilwurden. Seine ziellose Rastlosigkeit faszinierte mich, entsetzte mich allerdings auch, da ich nicht verstand, was er denn eigentlich noch wollte. Er wusste es ja selbst nicht. Jetzt wird Quentin endlich erwachsen und schließt mit all den losen Enden in seinem Leben ab. Zum ersten Mal habe ich ihn als echten Magier wahrgenommen, der begreift, mit welchen Kräften er arbeitet. Aus Fillory rausgeworfen zu werden, war das Beste, das ihm passieren konnte. Andernfalls wäre er auf ewig der kindliche, naive Träumer geblieben, der sich stur weigerte, sich seiner Vergangenheit zu stellen. Er konnte dort nicht leben, er musste raus aus diesem zauberhaften, magischen Land, weil er es viel zu sehr brauchte. Er war zu abhängig davon, was ihn ausgerechnet mit Martin Chatwin verbindet, der ebenfalls nicht loslassen konnte und wollte, als es Zeit war. Martins zerstörerisches Schicksal, das Grossman in „The Magician’s Land“ erfreulicherweise noch einmal ausführlich beleuchtet, hätte ebenso gut Quentins Schicksal sein können. Er klammerte sich so fest an Fillory, dass er gar nicht merkte, dass es ihm irgendwann nicht mehr um das Königreich an sich ging. Es ging um ihn selbst, um seine egoistischen Empfindungen und Unzulänglichkeiten. Ich denke, das ist der Grund, warum jedes Kind, das Fillory besucht, nicht mehr eingeladen wird, sobald es beginnt, erwachsen zu werden. Das ist keine willkürliche Grausamkeit, wie Quentin behauptet, sondern ein Schutzmechanismus. In Fillory kann man nicht erwachsen werden. Das Land ist dafür nicht geschaffen. Es ist der Unschuld der Kindheit vorbehalten. Magie dieser Art verdirbt durch die Anwesenheit irdischer Erwachsener, was der Verlauf der Regentschaft von Eliot und Janet eindrucksvoll beweist. Obwohl sie Fillory niemals direkt schadeten, kann es kaum Zufall sein, dass ihr Königreich nur wenige Jahre (in der Zeitrechnung Fillorys) nach ihrer Machtübernahme im Sterben liegt. Es war nie vorgesehen, dass Erwachsene die Throne beanspruchen. So läuft das nicht. Ich bin fest überzeugt, dass Quentin Fillory gerade noch rechtzeitig verließ, um endlich die längst überfällige persönliche Entwicklung zu durchleben, die ihn paradoxerweise als den einzigen Menschen zeichnet, der Fillory retten könnte. Grossman beschreibt seine Entfaltung brillant, zeigt all ihre schmerzhaften, desillusionierenden Facetten extrem ehrlich und realistisch. Endlich ist er der Magier, der er immer sein wollte: er gebietet über die düsteren, unberechenbaren Mächte der Zauberei, indem er sich ihnen mit einer Mischung aus kindlicher, begeisterungsfähiger Neugier und erwachsenem Verantwortungsbewusstsein nähert. Ich bin unglaublich stolz auf ihn.

 

„The Magician’s Land“ vermittelt eine andere Atmosphäre als die vorangegangenen Bände der Trilogie. Diese ist zwar noch immer bedrohlich und verdreht, doch darunter liegt eine gewisse majestätische Ausgeglichenheit, die meiner Ansicht nach aus Quentin als Protagonist entspringt. Ich habe mich ihm so nahe gefühlt wie noch nie zuvor und mache mir keinerlei Sorgen um seine Zukunft. Er wird seinen Weg gehen. Ich bin sehr glücklich mit dem Finale dieser bizarren Geschichte, die über das Motiv des Zauberlehrlings weit hinauswächst und diesem eine Tiefe verleiht, die ich am Beginn von „The Magicians“ niemals erwartet hätte. Lev Grossman hat ein Epos erschaffen, das meinem Empfinden nach tatsächlich der würdige Nachfahre der „Chroniken von Narnia“ ist, wenn auch erwachsener, moderner und ernsthafter. Subtil stellt er sich der philosophischen Frage, ob Magie ein Vorrecht der Kindheit ist und ob der Verlust der Unschuld beim Erwachsenwerden den Verlust der Magie impliziert. Natürlich gibt es auf diese Frage keine einfache Antwort. Ihr werdet den verwirrenden Fall durchs Kaninchenloch gemeinsam mit Quentin selbst wagen müssen, um sie zu finden. Geht es nach mir, solltet ihr das unbedingt tun, denn gerade Bücherwürmer, die mit einer reichen Fantasie gesegnet sind, können durch die Trilogie viel über die Träume ihrer Kindheit lernen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/07/19/lev-grossman-the-magicians-land
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review 2017-06-03 10:04
Ein unangenehm realistisches Märchen
The Magician King. Lev Grossman - Lev Grossman

Wenn ich einen Blick auf die Liste der Menschen werfe, die Lev Grossmann interviewte, bleibt mir die Luft weg. Beispiele? Steve Jobs, Salman Rushdie, J.K. Rowling und – haltet euch fest – Johnny Cash. Ich bin sowas von neidisch. Es scheint zu stimmen, dass ein Harvard-Abschluss alle Türen öffnet. Ich finde es sympathisch, dass sich Grossman trotzdem nicht zu schade ist, Fantasy zu schreiben. „The Magician King“ ist der zweite Band seiner Trilogie „The Magicians“ und führt die Geschichte des Zauberlehrlings Quentin Coldwater weiter.

 

Fillory ist ein magisches Paradies, in dem Quentin Coldwaters Träume Realität wurden. Seit Janet, Eliot und Julia ihn aus seinem jämmerlichen Dasein auf der Erde befreiten und in das Land seiner Lieblingsromane entführten, erlebt Quentins die reinste Utopie. In Fillory ist er kein Versager, sondern ein König. Und doch… Irgendetwas fehlt. Mit den bequemen Annehmlichkeiten des Throns schlichen sich Langeweile und Monotonie in Quentins Leben. Er verzehrt sich nach einer Aufgabe, einem Abenteuer, neuen Herausforderungen. Als sich herausstellt, dass der äußerste Zipfel des Königreichs jahrelang keine Steuern zahlte, ergreift Quentin die Gelegenheit, endlich mal rauszukommen. Unterstützt von Julia stattet er ein Schiff aus und sticht in See. Auf ihrer Reise erfahren sie von einem magischen Schlüssel, der angeblich die Welt aufzieht. Quentin ist sofort Feuer und Flamme: der Schlüssel ist seine Quest! Doch dieser birgt eigene Geheimnisse und schon bald verwandelt sich Quentins heiß ersehntes Abenteuer in einen Albtraum. Sei vorsichtig mit deinen Wünschen – sie könnten wahr werden.

 

Vor kurzem wurde unter meinen geschätzten Buchblogger-Kolleg_innen diskutiert, welche Buchwelt wir gern besuchen würden. Neben dem Potter-Universum und Mittelerde wurde Narnia wohl am häufigsten genannt. Ich kann mich diesem Wunsch nicht anschließen, weil ich vermute, dass es mir dort genauso erginge wie Quentin Coldwater in Fillory, das frappierende Ähnlichkeit zu C.S. Lewis‘ magischem Reich aufweist. Ich würde mich langweilen. Was geschieht, wenn alle Abenteuer erlebt wurden, alle Bedrohungen beseitigt sind und Frieden eingekehrt ist? Irgendwann verliert selbst ein Land, das so mit Magie vollgestopft ist wie Fillory, seinen Reiz. Wird das Außergewöhnliche zur Routine, ist es Zeit, sich neuen Aufgaben zu stellen. Auf Quentin trifft das vermutlich besonders zu, da er in „The Magician King“ zwar älter, aber kaum erwachsener ist als im Vorgänger „The Magicians“. Er ist noch immer rast- und ziellos, ein Suchender, der verzweifelt nach Erfüllung lechzt. Er dachte, Fillory könnte ihm das bieten, was er auf der Erde nicht fand: eine Bestimmung. Dummerweise hat Fillory keinen Bedarf. Das Königreich regiert sich praktisch von selbst. Quentin braucht Fillory mehr als Fillory ihn und das Abenteuer, das er herbeisehnte, ist weit mehr, als er ertragen kann. In einem Schreibstil, der Direktheit und Symbolkraft bizarr vereint, zeichnet Lev Grossman erneut eine düstere, makabre Parodie auf die magischen Kindergeschichten, die unsere Bücherregale füllen und erteilt seinen Figuren harte Lektionen, um die Botschaft seines Romans zu vermitteln. Märchen sind lediglich in ihrem eigenen Rahmen märchenhaft. In der Realität sind sie Erzählungen von Verlust und Opfern. Heldenmut hat immer einen Preis; es gibt nichts umsonst. Grossman konfrontiert Quentin mit der Frage, was er bereit ist, aufzugeben, um ein Held zu sein. Ist er bereit, Fillory aufzugeben? All die Jahre glaubte Quentin, Fillory sei sein Schicksal, der einzige Ort, an dem er Ruhe und Glück finden könnte. Die Wunder der Erde waren ihm niemals gut genug. Er war blind. Erst, als ihn sein verschlungener Weg dorthin zurückführt, öffnet er die Augen und erkennt die Schönheit der Erde. Zum ersten Mal befasst er sich mit dem Gedanken, ob er auch in seiner Heimatsphäre glücklich werden könnte. Traurigerweise glaube ich, für Quentin spielt es keine Rolle, wo er sich aufhält. Zufriedenheit bleibt ihm verwehrt, weil er niemals in der Lage ist, seine wie auch immer geartete Situation zu genießen. Er will immer mehr, ohne zu wissen, was dieses „mehr“ eigentlich ist. In diesem Punkt unterscheidet er sich maßgeblich von seiner Freundin Julia, deren unheimlich spannende, tragische Geschichte in „The Magician King“ offenbart wird. Nachdem sie den Aufnahmetest am Brakebills College vermasselte, kannte sie nur ein Ziel: sie wollte die Magie. Egal wie. Ihr Ehrgeiz trieb sie an, unkonventionelle, gefährliche Pfade zu beschreiten, die unvorstellbare Opfer forderten, weit entfernt von der geordneten Ausbildung, die Quentin erhielt. Ausgerechnet Julias verwinkelte Vergangenheit erweiterte mein Verständnis des Magiesystems der Trilogie. Grossman beleuchtet die Magie aus verschiedenen Perspektiven und erklärt, dass sie nur eine geborgte Macht ist, die Menschen eigentlich nicht zusteht. Ich hoffe, dass er dieses Thema im Finale „The Magician’s Land“ detaillierter ausführt. Die Idee, Magie als zufälliges Diebesgut zu behandeln, ist einfach aufregend.

 

„The Magician King“ ist ein unangenehm realistisches Märchen. Lev Grossman zerrt all die finsteren Facetten in den Fokus, die wir niemals kennenlernen wollten. Es ist daher schwierig, im Zusammenhang mit diesem Buch über „gefallen“ zu sprechen. Gefiel es mir, die Vorstellungen und Fantasien meiner Kindheit, die von magischen Abenteuergeschichten geprägt sind, ad absurdum geführt und ins Groteske verdreht zu sehen? Selbstverständlich nicht. Doch faszinierte es mich? Zweifellos. Ihr müsst selbst entscheiden, ob ihr bereit seid, euch der bitteren Realität der Trilogie zu stellen. Solltet ihr es wagen, verspreche ich euch ein einzigartig prickelndes Leseerlebnis, das die Dimensionen eines verzauberten Kleiderschranks oder eines sprechenden Kaninchens weit hinter sich lässt. Wobei – einen sprechenden Hasen gibt es. Immerhin.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/06/03/lev-grossman-the-magician-king
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