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review 2019-06-04 09:46
Das wahre Abenteuer ist Vasjas Wachstum
The Winter of the Witch - Katherine Arden

Nach dem College lebte die Autorin Katherine Arden drei Jahre in Vermont und zwei Jahre in Moskau. Kein Wunder, dass sie irgendwann genug von kalten Temperaturen hatte. Sie zog nach Hawaii, arbeitete auf einer Farm und wohnte in einem Zelt am Strand. Eine Farm weiter lebte ein 5-jähriges Mädchen. Sie hieß Vasilisa und war der letzte Funken Inspiration, der Arden fehlte, um endlich das Buch zu schreiben, das ihr im Kopf herumspukte. Dort, unter Palmen, entwickelte sie die Idee für die „Winternight Trilogy“ – die Ironie blieb ihr sicher nicht verborgen. Die ersten beiden Bände „The Bear and the Nightingale“ und „The Girl in the Tower” erschienen 2017 recht kurz nacheinander. Auf das Finale „The Winter of the Witch“ mussten Leser_innen, mich eingeschlossen, länger warten. Es erschien im Januar 2019.

 

Der Bär ist frei. Alle Mühen, die Vasja auf sich nahm, um seinen Einfluss auf die Sterblichen zu schwächen, sind vergebens, solange seine Einflüsterungen die Herzen der Menschen verführen. Er muss wieder angekettet werden, bevor er seine finsteren Pläne in die Tat umsetzen kann. Allein wird es Vasja nicht gelingen. Erneut braucht sie die Hilfe des Winterkönigs. Leider zahlte Morozko einen hohen Preis dafür, dass er Vasjas Leben rettete – erst in dem Flammenmeer, das Moskau zu verschlingen drohte, dann vor dem wütenden Mob, der sie als Hexe brennen sehen wollte. Er wurde im süßen Vergessen seiner Vergangenheit eingesperrt. Vasja muss ihn erwecken. Ihre Magie öffnet ihr die Pforte zu einem Ort, an dem weder Zeit noch Raum existieren. In Mitternacht lüftet sie das Geheimnis ihrer Wurzeln und findet unerwartete Verbündete. Doch ihr größter Kampf steht ihr noch bevor. Das Schicksal ihres Volkes ruht auf ihren Schultern. Wird sie sich dieser Bürde als würdig erweisen?

 

Ich lernte Vasilisa Petrovna am Tag ihrer Geburt kennen. Ich sah sie aufwachsen; von einem frechen, ungestümen Mädchen zu einer leidenschaftlichen, mutigen jungen Frau reifen. In „The Winter of the Witch“ überschreitet diese junge Frau die Schwelle zum Erwachsensein. Diese persönliche Entwicklung der Protagonistin ist meiner Ansicht nach das wahre Abenteuer der „Winternight Trilogy“. All die Magie, all die Prüfungen, die Vasja meistern musste, dienten als Meilensteine, die sie auf die Ereignisse des finalen Bandes der Trilogie vorbereiteten und sie letztendlich dazu befähigen, sich selbst zu akzeptieren und ihrer Rolle als Heldin gerecht zu werden. Deshalb empfinde ich „The Winter of the Witch“ als würdigen Abschluss ihrer Geschichte. Es ist ein düsteres Finale, das Vasja ihrer kindlichen Unschuld beraubt, sie allerdings auch lehrt, das Wesen der Welt anzunehmen und zu verstehen, dass Dualität eine simplifizierende Illusion ist. Die Realität besteht aus Grautönen und Ambivalenz lebt in uns allen. Gut und Böse bedingen einander. Diese Wechselwirkung verkörpern der Bär und der Winterkönig. Einzeln erscheinen sie wie gegensätzliche Pole – doch zusammen ergänzen sie sich. Sie sind eins, die zwei Gesichter der Menschheit: Chaos und Zerstörung, Güte und Liebe. Darum erzeugen beide Märchengestalten eine Resonanz in Vasja. Um ihre Identität zu entwickeln und ihr Volk zu schützen, muss sie beide Facetten als Teil ihrer selbst umarmen. Erkennt ihr, wie viel philosophische Tiefe folglich in „The Winter of the Witch“ verborgen ist? Der Trilogieabschluss qualifiziert sich erneut zweifellos als Märchen. Katherine Arden überzeugte mich mit der bezaubernden, träumerischen Atmosphäre des Buches, die sich vor allem in Mitternacht entfaltet. Mitternacht ist das atemberaubende Reich der Lady Mitternacht, ein magisches, beängstigendes Land, in dem Morozko in einer Blase der Vergangenheit gefangen ist. Vasja muss ihn finden und seine Erinnerungen entzünden. Es überraschte mich, dass sie während dieser Mission beiläufig das Geheimnis ihrer Herkunft lüftet. Ich hatte angenommen, dass dies der Kern des dritten Bandes sein würde. Ich kämpfte etwas mit der daraus resultierenden enttäuschten Erwartungshaltung, bin mittlerweile jedoch der Meinung, dass ihre Wurzeln absichtlich eine kleine Rolle spielen. Vasja ist wie sie ist aufgrund ihrer Erfahrungen, nicht aufgrund ihrer Vorfahren. Ardens Entscheidung, ihre Wurzeln lediglich als Nebenhandlungslinie zu thematisieren, unterstützt den Fokus auf ihre Entwicklung. So sehr mich Vasjas Wachstum begeistert, ich muss gestehen, dass der inhaltliche Verlauf von „The Winter of the Witch“ nicht mehr dieselbe mühelose Eleganz aufweist wie die Vorgängerbände. Ich fand es unruhig getaktet; es ist ein ständiges Hin und Her, in dem die Protagonistin von A nach B und wieder zurück reist. Dennoch mochte ich den Höhepunkt, die finale Schlacht, die ein wundervolles Symbol für das zukünftig vereinte Russland darstellt – in spiritueller wie in physischer Hinsicht.

 

Direkt nach der Lektüre von „The Winter of the Witch“ stellte ich widerstrebend fest, dass ich nicht denselben Zauber empfunden hatte. Ich schämte mich fast ein bisschen. Ich vermutete erst, es läge daran, dass ich Katherine Ardens Setting bereits kannte und wenig Raum für Überraschungen übriggeblieben war. Nun habe ich das Buch fröhlich seziert und entwickelte eine andere Theorie. Ich glaube, das Finale der „Winternight Trilogy“ konnte gar nicht denselben Zauber erzeugen. In diesem Buch geht es um das endgültige Erwachsenwerden der Protagonistin. Erwachsen zu sein bedeutet, kindliche Fantasien hinter sich zu lassen und die Welt so zu sehen, wie sie ist, sich Verpflichtungen zu stellen und das Richtige zu tun. Zauber hat da keinen Platz. Ich denke, das ist es, was Katherine Arden illustrieren wollte: die Verluste und Gewinne des Heranwachsens. Daher habe ich meine Bewertung von „The Winter of the Witch“ nachträglich hochgestuft. Arden mag mich nicht mehr im gleichen Maße bezaubert haben, doch dafür zeigte sie mir ihr ganzes Talent als Autorin. Sie schenkte mir ein fabelhaftes, reifes Buch voller Weisheit.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/06/04/katherine-arden-the-winter-of-the-witch
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review 2019-03-20 09:33
In Worldbuilding und Charakterkonstruktion verloren
Wheel of the Infinite - Martha Wells

Im Rahmen meiner Mission, weibliche High Fantasy – Autorinnen ausfindig zu machen, stieß ich auf den Einzelband „Wheel of the Infinite“ von Martha Wells. Die Texanerin wurde in den letzten 25 Jahren für einige prestigeträchtige Awards der spekulativen Fiktion nominiert und unter anderem mit dem Locus, Nebula und Hugo Award ausgezeichnet. Warum hatte ich noch nie von ihr gehört? Wieso musste ich aktiv nach Frauen in der High Fantasy suchen, um über sie zu stolpern? Wells ist das Problem allzu bewusst. In einer Rede auf der World Fantasy Convention 2017 forderte sie ihre Hörer_innen auf, sich an all die vergessenen Frauen in der Geschichte und ihren Einfluss auf Wissenschaft und Kunst zu erinnern. Botschaft angekommen. Martha Wells ist eine perfekte Kandidatin für die Sektion der „schreibenden Schildmaiden“ in meinem Bücherregal.

 

Lange Zeit lebte Maskelle im Exil, fern ihrer Heimat Dulvapore. Sie wagte nie, in die mystische Stadt zurückzukehren. Zu schmerzhaft waren die düsteren Erinnerungen an den Wahnsinn, der sie als Verräterin und Mörderin brandmarkte. Nun führen sie die rätselhaften Wege des Schicksals an der Seite des zurückhaltenden Schwertkämpfers Rian erneut in die Straßen ihrer Jugend. Sie wurde einberufen, weil sie gebraucht wird. Der Höhepunkt der Hundertjahreszeremonie steht kurz bevor. Doch das Rad der Unendlichkeit, das die Welt alle 100 Jahre erneuert, zeigt unerklärliche schwarze Flecken. Maskelles Macht als Stimme der Ahnen ist vielleicht das einzige, das eine Katastrophe verhindern kann, denn wird der Zerfall nicht aufgehalten, bevor der Zyklus des Rades vollendet ist, könnte die Realität selbst irreparablen Schaden nehmen. Wird es Maskelle gelingen, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und derselben Magie zu vertrauen, die sie einst betrog?

 

Ich hege den Verdacht, dass Martha Wells vielleicht ein wenig die Prioritäten verrutschten, als sie „Wheel of the Infinite“ schrieb. Das Buch begann sehr vielversprechend, entpuppte sich dann allerdings als seltsame Komposition, dessen Handlung völlig ungleichmäßig getaktet ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die Autorin tatsächlich eine Geschichte erzählen wollte oder ob sie lediglich einen Rahmen für die Entwicklung ihrer Figuren und ihres Universums brauchte, denn diese beiden Punkte dominieren. Das ist für einen Einzelband eigenartig – normalerweise sind es Reihenauftakte, die sich der Etablierung der Umstände widmen. Möglicherweise wäre „Wheel of the Infinite“ als erster Band einer Reihe überzeugender gewesen, da Wells mehr Raum zur Verfügung gestanden hätte, um allen Aspekten ihrer Geschichte gerecht zu werden. Ich glaube, sie hat sich irgendwann in Worldbuilding und Charakterkonstruktion verloren, sodass die Handlung nur noch mitlief, was ihr im letzten Drittel des Romans auf die Füße fiel. Sie war zu langsam, zu zaghaft, und musste die Ereignisse, die bisher ohnehin einen geringen Stellenwert eingenommen hatten, überhastet zu einem Abschluss bringen. Ich kam deshalb nicht mehr wirklich mit und litt unter ernsten Visualisierungsschwierigkeiten. Bedauerlich, da ich bis dahin durchaus Freude an „Wheel of the Infinite“ hatte. Das gewissenhafte, subtile und kontinuierliche Worldbuilding imponierte mir und ich mochte die starke Protagonistin Maskelle, deren Lebenserfahrung ihre reife, erwachsene Ausstrahlung prägte. Maskelle ist nicht mehr jung und blickt auf eine bewegte, schmerzvolle Vergangenheit zurück. Vor vielen Jahren wurde sie in Dulvapore Opfer ihrer eigenen Magie, beging schreckliche Verbrechen und ist seit ihrer Flucht nicht mehr zurückgekehrt. Sie gilt als Ausgestoßene, wird aufgrund ihrer Verbindung zu den Ahnen jedoch noch immer mit Respekt und Ehrfurcht behandelt. In ihrer Rolle als „Stimme des Widersachers“ soll sie nun die Welt retten und das Rad der Unendlichkeit heilen, bevor es die Realität verändern kann. Ich habe das religiöse System, das dieser Ausgangssituation zugrunde liegt, nicht völlig verstanden. Mir war nicht klar, ob die Ahnen nun Geister oder Götter sind und ob diese Unterscheidung überhaupt von Bedeutung ist. Darüber hinaus wirkte es, als würde der Glaube an die Ahnen in anderen Gebieten des Universums nicht praktiziert. Generell schien die fernöstlich anmutende Stadt, die mich oft eher an ein Gemälde als an ein reelles Setting erinnerte, einen Sonderstatus aufzuweisen. Dulvapore ist fortschrittlicher, zivilisierter, kultivierter und friedlicher als der Rest der Welt, was Wells durch Maskelles Begleiter Rian, der aus einem fernen Königreich stammt und ihr als Referenz dient, betont. Rian unterstützt Maskelle bei ihren Bemühungen, die Zerstörung des Rades aufzuhalten und die Quelle seines Verfalls zu ermitteln. Stück für Stück finden sie Antworten, die mich verblüfften und erahnen ließen, wie sich „Wheel of the Infinite“ hätte entwickeln können, hätte Martha Wells eingangs zügiger gearbeitet. Sie zieht das Tempo gegen Ende rasant an; ich raste auf den finalen Showdown zu, an dem ich nicht teilnehmen durfte, weil alle Beteiligten ohnmächtig waren und befand mich plötzlich auf der letzten Seite. Vorbei.

 

Ich verstehe Martha Wells‘ Impuls, Figuren und Universum in „Wheel of the Infinite“ ausführlich zu erkunden. Maskelle und die Stadt Dulvapore sind zweifelfrei faszinierend. Letztendlich ist die Geschichte aber dennoch der wichtigste Aspekt eines Buches, den sie darüber sträflich vernachlässigte. Worldbuilding und Charakterkonstruktion sollten die Handlung niemals überstrahlen. Sie enttäuschte mich, weil dieser Einzelband unausgeglichen ist. Nichtsdestotrotz kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass „Wheel of the Infinite“ kein typisches Beispiel für Wells‘ schriftstellerisches Schaffen ist. Überwiegend erschienen ihre Werke im Kontext von Mehrteilern. Deshalb bleibe ich optimistisch und gebe ihr eine weitere Chance. Vielleicht kann mich „The Cloud Roads“ doch noch von ihr überzeugen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/03/20/martha-wells-wheel-of-the-infinite
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review 2018-04-24 08:05
Havalds Erwachen
Der Wanderer - Richard Schwartz

„Der Wanderer“ ist der letzte Band von „Die Götterkriege“. Es ist der letzte Band einer 12-teiligen Reihe, das Ende einer Reise, die 2006 mit „Das Geheimnis von Askir“ begann. Das Finale erschien 2015. Seitdem war der Autor Richard Schwartz nicht untätig. Erst schloss er 2017 die „Lytar-Chronik“ ab, die er ursprünglich unvollständig unter dem Pseudonym Carl A. deWitt veröffentlichte und die nun neuaufgelegt bei Piper ein Zuhause fand. Sein nächstes Projekt wird im Oktober 2018 erwartet: der erste Band der „Eisraben-Chroniken“, „Fluchbrecher“, eine Mischung aus Science-Fiction und Fantasy. Ich weiß noch nicht, ob ich dieser neuen Reihe eine Chance geben werde. Nach „Der Wanderer“ wird sicher einige Zeit vergehen, bis ich wieder zu einem seiner Bücher greife. Ich denke, ein wenig Abstand wird uns beiden guttun.

 

Einst wurde Havald prophezeit, der Engel des Soltar zu sein. Es ist seine Bestimmung, das Schwert des Lichts in die Heerscharen der Feinde zu tragen, die Legion der Toten zu befehligen und den Krieg der Götter zu beenden. Jahrhundertelang weigerte er sich, die Prophezeiung anzunehmen und sein Schicksal zu akzeptieren. Er schuf seine eigene Legende, wurde der Wanderer, der die Hilfegesuche der Schwachen erhörte, Trost spendete und Hoffnung schenkte. Doch nun kann er die Vorhersehung nicht länger verleugnen. Er muss sich dem Nekromantenkaiser entgegenstellen, um all diejenigen zu retten, die er liebt. Er darf nicht zögern. Er darf nicht zweifeln. Havald muss erkennen, wer er ist, denn nur dann hat er eine Chance, Kolaron Malorbian zu besiegen und den tödlich Griff Thalaks um die sieben Königreiche zu brechen. Die Zukunft der Welt ruht auf seinen Schultern.

 

Die Lektüre von „Der Wanderer“ war ein feierlicher Moment meiner Lesekarriere. Ich muss widerspruchslos anerkennen, wie schwierig es ist, eine Reihe nach 12 Bänden befriedigend abzuschließen und dabei allen inhaltlichen sowie charakterlichen Entwicklungen gerecht zu werden. Persönlich brauchte ich diese 12 Bände, um endlich zu verstehen, worum es in „Die Götterkriege“ tatsächlich geht. „Der Wanderer“ hielt überraschenderweise eine Epiphanie für mich bereit. Es geht nicht um den Krieg der Götter, obwohl dieser der Reihe ihren Namen gibt. Es geht um Havald, um seine persönliche Entwicklung, seinen Konflikt mit sich selbst und seinem Schicksal. In Wahrheit sind „Das Geheimnis von Askir“ und „Die Götterkriege“ nicht nur ein simples Heldenepos, sie sind die Konkretisierung der klassischen maskulinen Heldenreise in drei Akten, wie sie von Joseph Campbell 1949 postuliert und von Victoria Schmidt 2001 verfeinert wurde. Dieser Theorie zufolge durchläuft der Held auf seiner Reise bestimmte Stationen der Erkenntnis und der Veränderung, die ihn darauf vorbereiten, im dritten Akt vor die Wahl gestellt zu werden, zu erwachen oder zu rebellieren, was sich direkt auf den Erfolg seiner Mission auswirkt. „Erwachen“ bedeutet in diesem Kontext, sich seinen Fehlern zu stellen und den Wandel seiner Persönlichkeit zu akzeptieren, wodurch er letztendlich siegreich sein wird. Alles wird leicht, sobald der Held zu sich selbst findet. Genau diese Phase erleben wir in „Der Wanderer“: Havald nimmt sein Schicksal an, erkennt, wer er ist und ist deshalb endlich bereit, den Nekromantenkaiser herauszufordern. Durch die Verschiebung meines Blickwinkels ergeben viele Hindernisse, die ich während der Lektüre des zweiten Zyklus überwinden musste, rückblickend einen Sinn. Das heißt nicht, dass ich Richard Schwartz meine weitreichende Enttäuschung gänzlich verzeihe, weil „Die Götterkriege“ meiner Ansicht nach trotz dessen unnötig kompliziert und umständlich sind und er sich wesentlich stärker auf Havald hätte konzentrieren müssen, statt sich von ziellosen Nebenhandlungssträngen ablenken zu lassen, aber jetzt begreife ich zumindest, was all das Trara sollte, das „Der Wanderer“ in einer actiongeladenen Handlung kumuliert. Ich fand das Finale daher angemessen, wenn auch nicht völlig überzeugend. Einige inhaltliche Details fallen unter den Tisch, andere werden zu fix abgehakt, doch insgesamt schien es mir der emotional mitreißendste Band des Zyklus zu sein. Die Legende des Wanderers ist wunderschön, die Loyalität der Legion der Toten verursachte mir eine Gänsehaut und die philosophische Ebene, die hinterfragt, wie Göttlichkeit definiert ist, verleiht der Geschichte deutlich mehr Tiefgang, als ich erwartet hatte. Außerdem kann und möchte ich nicht leugnen, dass sich ab und zu ein bisschen Wehmut in mein Herz schlich. Mich von Havald und seinen Freunden nach all den Jahren verabschieden zu müssen, war traurig. Allerdings stellte sich ebenfalls ein Gefühl von Erleichterung ein. Wir haben es geschafft.

 

Zu Ehren des Abschlusses des Zyklus „Die Götterkriege“ habe ich versucht, ein Interview mit Richard Schwartz zu finden, in dem er sich dazu äußert, wie er die Erfahrung, eine 12-teilige Reihe zu beenden, erlebte. Leider konnte ich nichts Brauchbares auftreiben. Stattdessen stolperte ich über Interviews, die Schwartz zu Beginn seiner Karriere gab, mitten im Entstehungsprozess des ersten Zyklus, „Das Geheimnis von Askir“. Es war unheimlich interessant, zu lesen, wie er seine Arbeit damals einschätzte, wie er seine Geschichte und seine Figuren wahrnahm und welche Pläne er für den zweiten Zyklus hatte. Vieles kam völlig anders als gedacht. Ob das nun gut oder schlecht ist, ist reine Spekulation, aber ich gebe zu, trotz meiner zahlreichen Schwierigkeiten mit „Die Götterkriege“ empfinde ich für „Der Wanderer“ eine Menge Respekt, weshalb ich mit meiner Bewertung großzügig war. Ich kann mir vorstellen, dass Schwartz irgendwann noch einmal in dieses Universum zurückkehrt und ja, ich würde ihm folgen. Ich mag von seiner schriftstellerischen Leistung in diesem Zyklus nicht begeistert gewesen sein, aber ich betrachte seine Figuren noch immer als meine Freunde. Und Freunde verdienen immer eine zweite Chance.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/04/24/richard-schwartz-der-wanderer
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review 2017-11-29 10:36
Charakterstudie eines Antihelden
Emperor of Thorns - Mark Lawrence

Mark Lawrence ist nicht nur Autor mehrerer erfolgreicher Fantasy-Romane aus der Grimdark-Ecke, er betätigt sich darüber hinaus als Dichter. Unerwartet, oder? Ich hätte ihm eine Ader für Gedichte nicht zugetraut. Während ich seine Werke auf seiner Website las, legte sich meine Überraschung. Diese Art der Lyrik passt wie die Faust aufs Auge. Melancholische Formulierungen, die in mir Assoziationen von Trauer und Depression wecken, ein düsterer Grundtenor, Naturthemen – Lawrence bleibt seinem grundlegenden Stil treu, obwohl seine Gedichte selbstverständlich keinerlei Gewaltdarstellungen enthalten, im Gegensatz zu seinen Romanen. „Emperor of Thorns“ ist das Finale der „The Broken Empire“ – Trilogie und schließt die Geschichte rund um den ehrgeizigen, fragwürdigen Protagonisten Jorg von Ancrath ab.

 

Man könnte behaupten, der Thron des Zersplitterten Reiches sei verwaist. Jorg von Ancrath bevorzugt es, ihn als „frei“ zu betrachten – der Thron wartet nur darauf, von ihm in Besitz genommen zu werden. Leider kann die Würde des Imperators nicht erobert werden. Es handelt sich um ein gewähltes Amt. Wie unwillkommen. Um Imperator zu werden, muss Jorg genügend Stimmen für sich unter den Königen und Königinnen während des Kongresses in Vyene sammeln. Bereits Jahre zuvor schloss er unwahrscheinliche Allianzen, die seinen Sieg garantieren sollen. Als König von sieben Nationen stehen seine Chancen überraschend gut. Vorausgesetzt, er erreicht Vyene gesund und munter. Die lebenden Toten bedrängen die Ländereien des Reiches. Nekromantie breitet ihre giftigen Klauen aus. Der Einfluss des Toten Königs erstarkt. Niemand kennt seine Identität oder Ziele. Doch eines ist deutlich: sein rätselhaftes persönliches Interesse an Jorg…

 

Die Lektüre des Finales eines Mehrteilers ist für mich normalerweise mit einer latenten Anspannung verbunden. Gelingt es dem Autor bzw. der Autorin, einen würdigen Abschluss zu konstruieren? Im Fall von „Emperor of Thorns“ empfand ich diese Anspannung nicht. Ich zweifelte nicht daran, dass Mark Lawrence diese Aufgabe zufriedenstellend meistern würde, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, in welche Richtung er Jorg schicken wollte. Ich behielt Recht. „Emperor of Thorns“ ist ein voll und ganz rundes, befriedigendes und überraschendes Finale, das in mir die Gier nach mehr schürte, wie von Lawrence beabsichtigt. Erstaunlicherweise erlitt ich trotz dessen keinerlei Abschiedsschmerz. Es fiel mir nicht schwer, Jorg gehen zu lassen, weil ich mich niemals mit ihm identifizieren konnte und – wenn überhaupt – lediglich eine sehr vorsichtige, komplizierte Form von Sympathie für ihn empfand, die sich hauptsächlich aus seiner brutalen Ehrlichkeit sich selbst gegenüber speiste. Meiner Meinung nach kann man Jorg nicht einfach mögen. Auch im letzten Band der „The Broken Empire“ – Trilogie erwischte mich seine grenzenlose Skrupellosigkeit kalt. Ich hätte nicht mehr verblüfft sein sollen, hätte wissen müssen, dass er niemals zögert, harte, bedenkliche Entscheidungen zu treffen, um seine Ziele zu erreichen – und doch war ich es. Vielleicht hegte ich noch immer einen Funken Hoffnung für ihn, den Lawrence durch die beeindruckende Entwicklung unterstützte, die er seinen Protagonisten durchleben ließ. Die Handlung ist erneut in Gegenwart und Vergangenheit unterteilt: in der Gegenwart beobachten die Leser_innen Jorgs Reise nach Vyene, in der Vergangenheit begleiten sie ihn auf einer erschöpfenden Solo-Expedition über die Grenzen des Zersplitterten Reiches hinaus, das als erschreckendes Spiegelbild und beklemmende Zukunftsvision unserer Realität fungiert. Diese Expedition veränderte ihn. Er reifte deutlich, fand zu einer gewissen inneren Balance und kann der gewalttätigen Abwärtsspirale seines Lebens doch nicht entfliehen. Jorg ist ein anschauliches, überzeugendes Beispiel dafür, dass Menschen dieselben Muster stetig zwanghaft wiederholen. Er wird vom Schlüsselmoment seiner persönlichen Vergangenheit, dem Mord an seinem kleinen Bruder, gnadenlos eingeholt. Paradoxerweise sind sein kaltblütiger Charakter und seine verkrüppelte Seele allerdings genau die Eigenschaften, die ihn als beste Chance der Welt im Kampf gegen den Toten König kennzeichnen. Sein einzigartiges Talent, ausweglose Situationen zu seinen Gunsten zu drehen, seine Bereitschaft, genau das zu tun, was diese Situationen seiner Ansicht nach von ihm verlangen, egal wie verrückt oder abstoßend die Anforderungen sein mögen, versetzen ihn in „Emperor of Thorns“ in die Position des Helden. Diese Verschiebung seines Status in der übergreifenden Geschichte ist Mark Lawrences brillanter Geniestreich. Natürlich ist Jorg die Verkörperung des ultimativen Antihelden, der eher versehentlich selbstlos und niemals ehrenhaft handelt – aber er rettet die Welt, daran gibt es nichts zu rütteln.

 

„The Broken Empire“ ist eine ungemein figurenzentrierte Trilogie. Oh, selbstverständlich sind Worldbuilding und Handlungskonstruktion bemerkenswert, feinsinnig und intelligent. Doch all diese Elemente verblassen neben dem einnehmenden Protagonisten. Meiner Meinung nach ist Jorg von Ancrath mehr als die Hauptfigur der Romane, er ist ihr (schwarzes) Herz und Anker. Ich glaube, Mark Lawrence wollte Jorgs Geschichte erzählen, um gezielt dessen Entwicklung zu untersuchen. Er wollte sein Potential gemeinsam mit den Leser_innen erforschen, experimentieren und herausfinden, wie er auf die Herausforderungen seiner Welt reagiert. Betrachtet man die Trilogie aus dieser Perspektive, erschließt sich, dass es sich dabei um eine umfangreiche Charakterstudie handelt. Deshalb ist es kein Hindernis, dass Jorg kein Sympathieträger ist. Erst seine seelischen Abgründe eröffnen zahllose Möglichkeiten. Er faszinierte mich und brannte sich in mein Gedächtnis. So schnell werde ich Jorg nicht vergessen: Prinz, König, abschreckendes Beispiel und Held wider Willen.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/11/28/mark-lawrence-emperor-of-thorns
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review 2017-08-01 10:33
Einen Hauch zu abenteuerlich und inszeniert
Fire & Ash - Jonathan Maberry

„Fire & Ash“ ist der letzte Band der postapokalyptischen Geschichte rund um den Teenager Benny Imura. Gerüchten zufolge ist die Reihe „Rot & Ruin“ jedoch nicht abgeschlossen. Angeblich kündigte der Verlag Simon & Schuster für 2018 und 2019 jeweils einen neuen Band an. Diese beiden zusammenhängenden Bände sollen im gleichen Setting neue Charaktere und eine komplett neue Handlung vorstellen. Ich fand keine Belege für diese Behauptung, weder beim Verlag, noch auf Jonathan Maberrys Website. Der einzige Hinweis sind Einträge für die Bücher auf Goodreads und ich habe keine Ahnung, woher diese Informationen stammen. Ich werde wohl einfach abwarten müssen, ob sich die Gerüchte bewahrheiten.

 

Louis Chong ist tot. Alle in Sanctuary wissen, dass Benny Imuras bester Freund starb, als er sich infizierte. Nur Benny weigert sich, ihn aufzugeben. Würde nur endlich jemand versuchen, Dr. McReadys Unterlagen oder am besten die Wissenschaftlerin selbst zu finden, könnte das Heilmittel entwickelt werden, das nicht nur Chong, sondern die ganze Welt retten würde. Leider wird Sanctuary von verstockten Soldaten geleitet, denen die Wünsche eines Teenagers nicht das Geringste bedeuten. Benny hält es nicht mehr aus. Begleitet von Nix, Lilah und Riot macht er sich auf eigene Faust auf die Suche nach der letzten Chance, die Chong hat. Draußen im Rot and Ruin müssen sie jedoch feststellen, dass sie nicht die einzigen sind, die sich für McReadys Forschungsergebnisse interessieren. Der psychopathische Saint John und die Mitglieder der Night Church suchen ebenfalls nach dem Heilmittel, das in den falschen Händen zu einer gefährlichen Massenvernichtungswaffe werden könnte. Der Wettlauf um das Schicksal der Menschheit hat begonnen.

 

Wisst ihr, wodurch ich merke, dass mir eine Rezension schwerfällt? Ich merke es, weil ich versuche, mich vor dem Schreiben zu drücken. Plötzlich fallen mir hundert Dinge ein, die ich stattdessen tun könnte. Ich mache mir selbst etwas vor, weil ich zu stur bin, um einfach zuzugeben, dass diese oder jene Rezension eine harte Nuss für mich ist. „Fire & Ash“ ist so ein Fall. Da, jetzt ist es raus, ich bekenne es. Ich kann nur leider überhaupt nicht erklären, wieso. Das (vorläufige) Finale der „Rot & Ruin“ – Reihe ist nicht schlecht. Während der Lektüre empfand ich das Buch als mitreißend wie eh und je und im Anschluss habe ich fleißig Notizen gemacht. Ich war beeindruckt von Jonathan Maberrys überzeugendem wissenschaftlichen Erklärungsansatz für die Natur der Zombieinfektion, der auf mich fundiert recherchiert wirkte. Ich mochte das Motiv der Hoffnung, personifiziert durch Bennys Generation, die Erbe und Schöpfer einer neuen Welt ist. Jetzt sind einige Wochen vergangen und in meinem Kopf herrscht gähnende Leere. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber irgendwie hat dieses Finale trotz bewegter Dramatik wenig bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Vielleicht war die Geschichte doch zu vorhersehbar, denn ich habe nie daran gezweifelt, dass Benny und seine Freunde die Zombie-Postapokalypse überleben werden. Die Frage war lediglich, wie. Vielleicht war es der Schuss des guten, alten, amerikanischen Patriotismus, der meiner Ansicht nach vollkommen überflüssig für die Geschichte war. Vielleicht war „Fire & Ash“ auch einfach etwas arg pathetisch, obwohl ich beim Lesen durchaus das Gefühl hatte, dass mich dieses Pathos berührte. Im Nachhinein hingegen kommt mir Entwicklung, die Benny durchlebt, übertrieben vor. Er erreicht einen Status kühler Klarheit, den ich für unglaubwürdig halte. Ich bezweifle nicht, dass Benny schnell und radikal erwachsen werden musste, doch seine Entfaltung zum idealen Samurai, der eine Kampfsituation und sich selbst gefasst analysieren kann, erscheint mir unrealistisch. Er ist trotz allem ein Teenager. Die positive Seite daran ist jedoch, dass seine Beziehung zu Nix eine für die Young Adult – Literatur recht ungewöhnliche Wendung nimmt, was mir sehr gut gefiel. Unsterbliche Liebe auf den ersten Blick unter extremen Bedingungen war noch nie sehr lebensnah; ich finde es toll, dass Maberry einen anderen Weg wählt, der möglicherweise eine direkte Folge seines vorbildlichen Umgangs mit den Geschlechterrollen ist. Er behandelt Männer und Frauen gleichberechtigt und besonders Bennys Freundinnen beweisen eine Stärke, die alle kruden Ideen der Prinzessin in Nöten im Keim ersticken. Gut, Lilah ging mir fürchterlich auf die Nerven, weil ihre Umgangsformen schlicht inakzeptabel sind, aber nichtsdestotrotz erkenne ich ihre Unabhängigkeit an.

 

Letztendlich weiß ich nicht genau, warum sich „Fire & Ash“ nicht in dem Ausmaß in meinem Gedächtnis festsetzte, das ich erwartet hatte. Es handelt sich definitiv um ein angemessenes Finale und hat viel Positives zu bieten. Der Kampf gegen die Zombies mutierte im Lauf der Reihe zu einem Kampf der Menschheit selbst, gegen religiösen Fanatismus und die drohende Gefahr, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Jonathan Maberry erfasst die Konflikte, die sich innerhalb seiner beängstigenden Zukunftsvision ergeben, hervorragend und verleiht der gesamten Thematik der Zombie-Postapokalypse überraschenden Tiefgang. Ich kann nicht erklären, wieso mich „Fire & Ash“ nicht nachhaltiger beeindruckte, obwohl es die vielen feinen Nuancen, die Maberry sorgfältig etablierte, zu einem explosiven, dramatischen Abschluss bringt. Ich vermute, dass es mir einen Hauch zu abenteuerlich und inszeniert war, möchte mich darauf aber nicht unumstößlich festlegen. Diese marginalen Schwierigkeiten qualifizieren sich jedoch als Jammern auf hohem Niveau, weshalb ich nicht zögere, euch die Reihe „Rot & Ruin“ trotzdem zu empfehlen. Die Young Adult – Literatur ist so überflutet von flachen, klischeebeladenen, bedeutungsarmen Geschichten, dass jeder Versuch, es anders zu machen, enthusiastisch unterstützt werden sollte. Jonathan Maberry macht es anders und dafür gehören ihm mein Respekt und meine Anerkennung.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2017/08/01/jonathan-maberry-fire-ash
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