logo
Wrong email address or username
Wrong email address or username
Incorrect verification code
back to top
Search tags: maerchen
Load new posts () and activity
Like Reblog Comment
review 2020-02-18 11:02
Ein Märchen in Weiß, Schwarz und Rot
Red Queen - Christina Henry

„Red Queen“, die Fortsetzung der „Chronicles of Alice“ von Christina Henry, ist keine weitere Adaption von „Alice im Wunderland“. Zwar enthält der zweite Band einige Reminiszenzen an Carrolls Kinderbuchklassiker, aber für die Handlung bezog Henry ihre Inspiration hauptsächlich aus dem norwegischen Märchen „Östlich von der Sonne und westlich vom Mond“, das an „Die Schöne und das Biest“ erinnert und mir gänzlich unbekannt war. Darin geht es um einen verfluchten Prinzen, der sich tagsüber in einen weißen Bären verwandelt und von seiner Auserwählten davor bewahrt wird, eine abscheuliche Trollin heiraten zu müssen. Henry mochte die Umkehr des Rettungsmotivs und entwickelte für „Red Queen“ eine Variante, in der ihre Alice erneut zur Heldin wird.

 

Nach den furchtbaren Ereignissen in der Altstadt hegt Alice nur einen Wunsch: sie träumt von einem idyllischen Leben, das die grausamen Wunden ihrer Vergangenheit heilt. Hatcher wird jedoch erst Frieden finden wird, wenn er mit seiner Tochter vereint ist, die ihm vor langer Zeit gestohlen wurde. Auf der Suche nach ihr bereisen Alice und Hatcher eine verdorrte, tote Welt, stets geleitet von seinen zerbrochenen, unvollständigen Erinnerungen, die die beiden zum Reich der verrückten Weißen Königin führen. Seit Generationen kontrolliert sie das Land mit ihren niederträchtigen Zaubern in einem nicht endenden Krieg mit dem Schwarzen König. Will sie ihr gegenübertreten, muss Alice lernen, ihre eigenen Kräfte zu akzeptieren und zu nutzen. Doch allein wird es ihr nicht gelingen. Sie braucht Hilfe. Die Hilfe der mächtigen Roten Königin…

 

Es ist deutlich spürbar, dass „Alice im Wunderland“ und „Alice hinter den Spiegeln“ Christina Henry nicht als primäre Inspirationsquellen für „Red Queen“ dienten. Ich wusste während der Lektüre nicht, dass sie sich stark an „Östlich von der Sonne und westlich vom Mond“ orientierte, aber ich musste es auch nicht wissen, um zu erkennen, dass der zweite Band eher den Regeln eines Märchens folgt als Lewis Carrolls weltberühmten Romanen. Viele Szenen verlangen von Alice und Hatcher, Versuchungen zu widerstehen und enthalten Elemente und Motive, die eindeutig eine märchenhafte Qualität aufweisen und moralische Botschaften vermitteln. Dadurch ist „Red Queen“ weniger düster, blutig und explizit gewalttätig. Der Horroraspekt der Geschichte äußert sich durch subtilen Psychoterror und versteckte Gefahren, denn die Weiße Königin, die Christina Henry als Antagonistin positioniert, ist eine Verführerin, die gezielt mit den sündigen Sehnsüchten der Menschen spielt. Ich fand es schade, dass Henry folglich bewusst auf die verdrehte, brodelnde Atmosphäre des ersten Bandes „Alice“ verzichtete. Dennoch verstehe ich ihre Entscheidung, den Fokus der Fortsetzung zu verschieben, voll und ganz. „Red Queen“ schildert im Gegensatz zu „Alice“ nicht länger den nackten Überlebenskampf der Protagonistin Alice. Vielmehr stellt Henry sie vor die schwierige Aufgabe, herauszufinden, wer sie nach all dem Leid, das ihr angetan wurde, sein möchte und wie sie mit ihren beängstigenden Erinnerungen umgehen kann. Die erwachte Heldin muss sich neu erfinden. Hinsichtlich ihrer Entwicklung ist der zweite Band dementsprechend bemerkenswert schlüssig und plausibel; Stück für Stück baut Alice ihre Identität um den tiefliegenden Kern ihrer Persönlichkeit herum auf, den sie passenderweise „Aliceness“ tauft. Dafür benötigt sie selbstverständlich Stimuli und ihre einzigartige Beziehung zu Hatcher eignet sich hervorragend, um ihre fortschreitende Metamorphose sanft zu steuern und als aktiven Prozess darzustellen. Als Hatcher in die Fänge der Weißen Königin gerät, fällt es Alice zu, seine Rettung in die Hand zu nehmen. Sie muss sich nicht nur mit ihren Kräften, sondern auch damit auseinandersetzen, was sie für ihn empfindet und was er ihr bedeutet. Mir erschien ihre Verbindung außergewöhnlich verständnisvoll und freiheitsorientiert. Sie sind eines dieser Paare, die einander wirklich besser machen, die Kraft aus ihren zärtlichen Gefühlen schöpfen, ohne einander in ein Korsett der Erwartungen zu zwängen. Da sie beide schwer traumatisiert sind, fordern sie niemals mehr, als der/die andere zu geben bereit ist. Es war herzergreifend, sie zusammen zu erleben. Leider hatte die Konzentration auf Alice allerdings den Nachteil, dass sie den Nebencharakteren die Show stiehlt und diese beinahe ausschließlich als Motivation ihres persönlichen Wachstums fungieren. Besonders die beiden Königinnen erhielten nicht die Auftritte, die ihnen angesichts ihres gewaltigen literarischen Erbes meiner Meinung nach zugestanden hätten. Daher wirkten einige Handlungsstränge etwas verwaist und inkonsequent umgesetzt. Ich begreife natürlich, dass sich „Red Queen“ ganz um Alice drehen sollte, doch ein runderes Gesamtbild hätte mir trotzdem besser gefallen.

 

Ich fand „Red Queen“ nicht ganz so gut wie „Alice“. Es ist eine Fortsetzung, die die Stärken des ersten Bandes absichtlich hinter sich lässt, um ein neues Kapitel aufzuschlagen. Die Entfernung von Lewis Carrolls Originalen war zu erwarten und logisch, aber für mich war es schwierig, mich damit abzufinden, dass die Protagonistin Alice Abenteuer erlebte, die eher an ein Märchen erinnerten. Ich vermisste vor allem die hypnotische Atmosphäre, die mich im ersten Band fesselte. Der grundlegende Tenor von „Red Queen“ ist wesentlich zahmer und weniger bedrohlich, wodurch ich das Gefühl hatte, dass Christina Henry auf genau den Aspekt verzichtete, der mich außerordentlich begeisterte. Obwohl mich die Entwicklung freute, die Alice erfährt, war ich deshalb etwas enttäuscht von „Red Queen“. Ich setze nun große Hoffnungen in die Novellensammlung „Looking Glass“, die im April 2020 erscheint und in der Henry einige ungeklärte Fragen zu Alices und Hatchers Geschichte beantwortet. Vielleicht erhalte ich dann doch noch die Chance auf einen zweiten Sturz durch das Kaninchenloch.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2020/02/18/christina-henry-red-queen
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2019-06-04 09:46
Das wahre Abenteuer ist Vasjas Wachstum
The Winter of the Witch - Katherine Arden

Nach dem College lebte die Autorin Katherine Arden drei Jahre in Vermont und zwei Jahre in Moskau. Kein Wunder, dass sie irgendwann genug von kalten Temperaturen hatte. Sie zog nach Hawaii, arbeitete auf einer Farm und wohnte in einem Zelt am Strand. Eine Farm weiter lebte ein 5-jähriges Mädchen. Sie hieß Vasilisa und war der letzte Funken Inspiration, der Arden fehlte, um endlich das Buch zu schreiben, das ihr im Kopf herumspukte. Dort, unter Palmen, entwickelte sie die Idee für die „Winternight Trilogy“ – die Ironie blieb ihr sicher nicht verborgen. Die ersten beiden Bände „The Bear and the Nightingale“ und „The Girl in the Tower” erschienen 2017 recht kurz nacheinander. Auf das Finale „The Winter of the Witch“ mussten Leser_innen, mich eingeschlossen, länger warten. Es erschien im Januar 2019.

 

Der Bär ist frei. Alle Mühen, die Vasja auf sich nahm, um seinen Einfluss auf die Sterblichen zu schwächen, sind vergebens, solange seine Einflüsterungen die Herzen der Menschen verführen. Er muss wieder angekettet werden, bevor er seine finsteren Pläne in die Tat umsetzen kann. Allein wird es Vasja nicht gelingen. Erneut braucht sie die Hilfe des Winterkönigs. Leider zahlte Morozko einen hohen Preis dafür, dass er Vasjas Leben rettete – erst in dem Flammenmeer, das Moskau zu verschlingen drohte, dann vor dem wütenden Mob, der sie als Hexe brennen sehen wollte. Er wurde im süßen Vergessen seiner Vergangenheit eingesperrt. Vasja muss ihn erwecken. Ihre Magie öffnet ihr die Pforte zu einem Ort, an dem weder Zeit noch Raum existieren. In Mitternacht lüftet sie das Geheimnis ihrer Wurzeln und findet unerwartete Verbündete. Doch ihr größter Kampf steht ihr noch bevor. Das Schicksal ihres Volkes ruht auf ihren Schultern. Wird sie sich dieser Bürde als würdig erweisen?

 

Ich lernte Vasilisa Petrovna am Tag ihrer Geburt kennen. Ich sah sie aufwachsen; von einem frechen, ungestümen Mädchen zu einer leidenschaftlichen, mutigen jungen Frau reifen. In „The Winter of the Witch“ überschreitet diese junge Frau die Schwelle zum Erwachsensein. Diese persönliche Entwicklung der Protagonistin ist meiner Ansicht nach das wahre Abenteuer der „Winternight Trilogy“. All die Magie, all die Prüfungen, die Vasja meistern musste, dienten als Meilensteine, die sie auf die Ereignisse des finalen Bandes der Trilogie vorbereiteten und sie letztendlich dazu befähigen, sich selbst zu akzeptieren und ihrer Rolle als Heldin gerecht zu werden. Deshalb empfinde ich „The Winter of the Witch“ als würdigen Abschluss ihrer Geschichte. Es ist ein düsteres Finale, das Vasja ihrer kindlichen Unschuld beraubt, sie allerdings auch lehrt, das Wesen der Welt anzunehmen und zu verstehen, dass Dualität eine simplifizierende Illusion ist. Die Realität besteht aus Grautönen und Ambivalenz lebt in uns allen. Gut und Böse bedingen einander. Diese Wechselwirkung verkörpern der Bär und der Winterkönig. Einzeln erscheinen sie wie gegensätzliche Pole – doch zusammen ergänzen sie sich. Sie sind eins, die zwei Gesichter der Menschheit: Chaos und Zerstörung, Güte und Liebe. Darum erzeugen beide Märchengestalten eine Resonanz in Vasja. Um ihre Identität zu entwickeln und ihr Volk zu schützen, muss sie beide Facetten als Teil ihrer selbst umarmen. Erkennt ihr, wie viel philosophische Tiefe folglich in „The Winter of the Witch“ verborgen ist? Der Trilogieabschluss qualifiziert sich erneut zweifellos als Märchen. Katherine Arden überzeugte mich mit der bezaubernden, träumerischen Atmosphäre des Buches, die sich vor allem in Mitternacht entfaltet. Mitternacht ist das atemberaubende Reich der Lady Mitternacht, ein magisches, beängstigendes Land, in dem Morozko in einer Blase der Vergangenheit gefangen ist. Vasja muss ihn finden und seine Erinnerungen entzünden. Es überraschte mich, dass sie während dieser Mission beiläufig das Geheimnis ihrer Herkunft lüftet. Ich hatte angenommen, dass dies der Kern des dritten Bandes sein würde. Ich kämpfte etwas mit der daraus resultierenden enttäuschten Erwartungshaltung, bin mittlerweile jedoch der Meinung, dass ihre Wurzeln absichtlich eine kleine Rolle spielen. Vasja ist wie sie ist aufgrund ihrer Erfahrungen, nicht aufgrund ihrer Vorfahren. Ardens Entscheidung, ihre Wurzeln lediglich als Nebenhandlungslinie zu thematisieren, unterstützt den Fokus auf ihre Entwicklung. So sehr mich Vasjas Wachstum begeistert, ich muss gestehen, dass der inhaltliche Verlauf von „The Winter of the Witch“ nicht mehr dieselbe mühelose Eleganz aufweist wie die Vorgängerbände. Ich fand es unruhig getaktet; es ist ein ständiges Hin und Her, in dem die Protagonistin von A nach B und wieder zurück reist. Dennoch mochte ich den Höhepunkt, die finale Schlacht, die ein wundervolles Symbol für das zukünftig vereinte Russland darstellt – in spiritueller wie in physischer Hinsicht.

 

Direkt nach der Lektüre von „The Winter of the Witch“ stellte ich widerstrebend fest, dass ich nicht denselben Zauber empfunden hatte. Ich schämte mich fast ein bisschen. Ich vermutete erst, es läge daran, dass ich Katherine Ardens Setting bereits kannte und wenig Raum für Überraschungen übriggeblieben war. Nun habe ich das Buch fröhlich seziert und entwickelte eine andere Theorie. Ich glaube, das Finale der „Winternight Trilogy“ konnte gar nicht denselben Zauber erzeugen. In diesem Buch geht es um das endgültige Erwachsenwerden der Protagonistin. Erwachsen zu sein bedeutet, kindliche Fantasien hinter sich zu lassen und die Welt so zu sehen, wie sie ist, sich Verpflichtungen zu stellen und das Richtige zu tun. Zauber hat da keinen Platz. Ich denke, das ist es, was Katherine Arden illustrieren wollte: die Verluste und Gewinne des Heranwachsens. Daher habe ich meine Bewertung von „The Winter of the Witch“ nachträglich hochgestuft. Arden mag mich nicht mehr im gleichen Maße bezaubert haben, doch dafür zeigte sie mir ihr ganzes Talent als Autorin. Sie schenkte mir ein fabelhaftes, reifes Buch voller Weisheit.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/06/04/katherine-arden-the-winter-of-the-witch
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2019-04-24 12:14
Unterhaltsam - nicht mehr, nicht weniger
We Were Liars - E. Lockhart

Die US-amerikanische Young Adult – Autorin Emily Jenkins, besser bekannt unter ihrem Pseudonym E. Lockhart, verfolgt nicht den Anspruch, ihren jugendlichen Leser_innen eine Lektion zu erteilen. Sie ist der Auffassung, dass Jugendliteratur nicht dazu verpflichtet, Rollenmodelle anzubieten. Ihrer Meinung nach enthält das Lesen von Fiktion grundsätzlich eine moralische Ebene, weil sie dazu einlädt, Empathie für andere Lebensrealitäten zu entwickeln. Ihr Job besteht darin, Geschichten zu erzählen, nicht, mit dem mahnenden Zeigefinger zu wedeln. Ich stimme ihr zu, denn ich denke, eigene Schlüsse zu ziehen, ist wesentlich lehrreicher. Diese Herangehensweise erlaubt Lockhart, ohne Gewissensbisse schwierige Hauptfiguren zu fokussieren, wie die Protagonistin Cady Sinclair im Mysterythriller „We Were Liars“.

 

Die Sinclairs sind eine respektable Familie. Sie sind schön, sie sind reich, sie sind perfekt. Nur die 17-jährige Cady passt nicht ins Bild. Seit ihrem Unfall vor zwei Jahren auf Beechwood, der kleinen Privatinsel der Familie, ist nichts mehr, wie es war. Sie ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, gepeinigt von marternden Migräneanfällen, ihrer Erinnerungen beraubt. Sie weiß nicht, was damals im Sommer geschah, wie sie sich verletzte. Als Cady in diesem Sommer nach Beechwood zurückkehrt, wünscht sie sich nur, dass alles wieder normal ist. Doch sobald sie die Insel betritt, spürt sie, dass sich in der sorgfältigen Fassade ihrer Familie Risse zeigen. Niemand will ihre Fragen zu ihrem Unfall beantworten. Cady wird von verwirrenden Erinnerungsfetzen gequält. Sie ahnt, dass sie belogen wird. Aber ist es ihre Familie, die die Wahrheit vor ihr verbirgt – oder ist sie es selbst?

 

Ich habe die Bewertung von „We Were Liars“ nachträglich runtergestuft. Direkt nach der Lektüre war ich von der Intensität der Geschichte begeistert und vergab vier Sterne. Als ich später versuchte, meine Gedanken zu notieren, stellte ich fest, dass es mir schwerfiel. Jetzt, weitere Monate später, muss ich einsehen, dass dieser Thriller wenig Eindruck bei mir hinterließ und ich kein richtiges Gefühl für ihn heraufbeschwören kann. Ich empfinde… gleichgültige Leere. Dieser musste ich selbstverständlich auf den Grund gehen, denn während der Lektüre erschien mir das Buch durchaus emotional, also woher der Sinneswandel? Ich grübelte und kam zu dem Schluss, dass ich „We Were Liars“ zwar fesselnd und ergreifend fand, ihm meiner Ansicht nach jedoch ein entscheidender Bestandteil fehlt. Es mangelt am Herzstück eines jeden Young Adult – Romans: der Botschaft. Mag sein, dass andere Leser_innen das anders beurteilen, aber für mich hat das Buch keinerlei tiefere Bedeutung. Es ist einfach nur eine interessante Geschichte, nicht mehr, nicht weniger. Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass ich mich kaum mit der Ich-Erzählerin Cady identifizieren konnte. Ihre Probleme sind sehr weit von meiner eigenen Lebensrealität entfernt. Cadys Familie ist Teil des US-amerikanischen Geldadels. Sie können ihren Stammbaum bis zur Mayflower zurückverfolgen. Die Sinclairs sind reich, sie sind stolz, sie sind elitär. Sie besitzen eine verdammte Privatinsel! In diesem Mikrokosmos, diesem Königreich, herrscht Cadys Großvater uneingeschränkt als Patriarch, der seine Töchter und Enkel nach Lust und Laune manipuliert. Sie alle sind von seinem Geld abhängig, weshalb er sie mit boshafter Freude gegeneinander ausspielt. Die Parallelen zu einem Märchen sind nicht von der Hand zu weisen und beabsichtigt, denn E. Lockhart involviert in unregelmäßigen Abständen Abschnitte, in denen Cady ihre Sippe aus der Märchen-Perspektive betrachtet. Ihr Schreibstil erinnert oft an Lyrik, dessen sanfte Poetik sie nutzt, um Situationen zu beschreiben, die alles andere als märchenhaft sind. Die Sinclairs sind das Paradebeispiel einer kaputten, dysfunktionalen Familie, in der Konflikte totgeschwiegen werden und Zuneigung mit Materiellem gleichgesetzt und stets an Bedingungen geknüpft ist. In diesem angespannten Verhältnis ist Cady der Faktor, der alles durcheinanderwirbelt, weil sie sich nach ihrem Unfall nicht mehr so benimmt, wie es von einer Sinclair erwartet wird. Dennoch wird sie wie ein rohes Ei behandelt, was für Cady natürlich frustrierend ist, weil sie allein mit ihren lückenhaften Erinnerungen zurechtkommen muss. Ihre partielle Amnesie beeinflusst die Atmosphäre von „We Were Liars“ maßgeblich, deren sepiagetönte, traumähnliche Qualität erst aufbricht, als Cady ihr Gedächtnis langsam wiedererlangt. Für mich war dieser milchige Schleier ein eindeutiger Hinweis darauf, dass in der Szenerie etwas nicht stimmt. Ich ahnte, dass Cady mehr als nur die Umstände ihres Unfalls vergaß. Der Reiz der Lektüre liegt demzufolge darin, herauszufinden, was ihr verschwiegen wird. Obwohl der inhaltliche Verlauf dadurch vorhersehbar war, fand ich die Enthüllung der Wahrheit überraschend und äußerst tragisch. Schade, dass sich darin für mich kein tieferer Sinn verbarg.

 

„We Were Liars“ soll den Leser_innen keine Lektion erteilen. Das ist für mich völlig in Ordnung, doch eine erkennbare Intension hätte ich mir schon gewünscht; irgendeine Botschaft, die sich auf mein eigenes Leben anwenden lässt. Offenbar erwarte ich das von Young Adult – Literatur. Es war nett, festzustellen, dass meine Familie völlig anders funktioniert als die Sinclairs und ich bin dankbar, dass wir keine Tragödie brauchen, um den Wert familiären Zusammenhalts zu begreifen, aber da Cadys Situation daher über keinerlei Verbindung zu mir als Leserin verfügt, hakte ich das Buch sehr schnell ab. Es berührte meine Seele nicht, weil es keine Resonanz mit meiner Persönlichkeit und Identität erzeugte. Ich bin keine Sinclair und werde niemals wie Cady sein. Zum Glück, möchte ich hinzufügen. Vielleicht können andere Leser_innen mehr aus der Geschichte herausziehen. Für mich war „We Were Liars“ lediglich unterhaltsam, Punkt.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2019/04/24/e-lockhart-we-were-liars
Like Reblog Comment
review 2019-01-07 16:26
Rezension | Die Sprache der Dornen von Leigh Bardugo
Die Sprache der Dornen: Mitternachtsgesc... Die Sprache der Dornen: Mitternachtsgeschichten - Leigh Bardugo,Michelle Gyo

Meine Meinung

 

In “Die Sprache der Dornen” präsentiert Bestseller-Autorin Leigh Bardugo sechs Winternachtsgeschichten aus dem Grischa-Universum. Die einzelnen Geschichten sind bestimmten Teilen der Grischa-Welt zugeordnet und mit wundervollen Illustrationen versehen, die die magische Welt der märchenhaften Erzählungen lebendig werden lassen.

 

Die inneren Werte des Büchleins werden noch durch ein schickes Kleid aufgewertet, mit dem sich jedes Bücherregal schmücken sollte. Falls ihr also noch ein hübsches Geschenk benötigt ist Leigh Barudogs Buch genau das richtige für alle Liebhaber von Märchen, Sagen und phantastischen Geschichten. Für ganz junge Leserinnen und Leser dürfte die ein oder andere Geschichte jedoch zu brutal sein, denn ähnlich wie bei den Grimmschen Märchen gibt es die ein oder andere blutige Szene.

Mittlerweile bin ich zu einer regelrechten Liebhaberin von gut erzählten Kurzgeschichten geworden, besonders dann, wenn diese auch noch so eindrucksvoll wie bei “Die Sprache der Dornen” in Szene gesetzt werden. Durch die einzelnen Geschichten kann man sehr gut das Konzept der Autorin erkennen. Sie frischt alt hergebrachte Märchen von den Gebrüdern Grimm, Hans Christian Anderson und Co. so auf, dass sie sich perfekt in ihre Grischa-Welt einfügen und durch die starken weiblichen Protagonistinnen, die nicht auf den tapferen Prinzen auf einem weißen Pferd warten, erscheinen Leigh Bardugos Mitternachtsgeschichten um einiges moderner.

 

"Dunkle Dinge haben eine Art, durch schmale Ritzen zu gelangen." (Die Sprache der Dornen, Seite 119)

 

Die erste Geschichte »Ayma und der Dornenwald« stammt aus Semeni und erzählt von einem mutigen Mädchen, dass neben der Schönheit ihrer Schwestern nicht bestehen kann und schließlich losgeschickt wird um mit dem monströßen Sohn des Königs zu verhandeln. Woran die tapfersten Männer des Reiches scheiterten, kann Ayma durch ihre Klugheit glänzen. Die Moral dieser Geschichte hat mir wirklich gut gefallen, denn man sollte tatsächlich die inneren Werte eines Menschen höher bewerten als dessen Äußeres.

 

Die Erzählungen »Der zu kluge Fuchs«, »Die Hexe von Duwa« und »Kleines Messer« kommen aus der Region Rawka und haben mir mit Abstand am besten gefallen. Vor allem die Geschichte über den Fuchs hielt spannende Wendungen parat und überzeugt mit wundervoll ausgearbeiteten Figuren.

 

»Der Soldatenprinz« wird Krech zugeordnet und lässt ein paar Einflüsse aus der Geschichte über den Nußknacker und den Mäusekönig erkennen, jedoch in einem erfrischend neuem Gewand.

 

"Denn das ist das Problem sogar mit unbedeutenderen Dämonen. Sie kommen mit samtenen Mänteln und polierten Schuhen an die Tür. Sie ziehen den Hut und lächeln und weisen gute Tischmanieren vor. Sie zeigen einem niemals ihren Schwanz." (Die Sprache der Dornen, Seite 149)

 

Die längste der sechs Erzählungen, »Als das Wasser das Feuer ersang«, stammt aus Fjerda. Hier steht erneut eine starke weibliche Protagonistin und das Thema Selbstbestimmung im strahlenden Mittelpunkt. Umrahmt wird das Ganze von wundervollen Zeichnungen die Wasser, Feuer und Meerjungfrauen zeigen und einer leicht düsteren Spannung. Da ist es doch klar, dass diese Geschichten ihre Wurzeln aus Hans Christian Andersens Feder zieht. Ich persönlich bin ein großer Fan von der Originalfassung “Der kleinen Meerjungfrau” – denn ich finde das melancholisch stimmende Ende passt einfach viel besser zur Geschichte als die Disney-Happy-End-Version.

 

"Doch Hoffnung steigt wie Wasser, das von einem Damm gefangen gehalten wird, höher und höher, in Stufen, die nichts bedeuten, bis man sich endlich einer Flut gegenübersieht." (Die Sprache der Dornen, Seite 219)

 

Weitere tolle Kurzgeschichten gibt es auch in “Die Legenden der besonderen Kinder” von Ransom Riggs zu lesen.

 

Fazit

 

Märchen und Mythen die das Herz berühren und mit einem angenehm modernen Touch überzeugen.

Source: www.bellaswonderworld.de/rezensionen/rezension-die-sprache-der-dornen-von-leigh-bardugo
Like Reblog Comment
show activity (+)
review 2018-10-31 21:06
Es war wie verhext
Der Märchenerzähler - Antonia Michaelis,Kathrin Schüler

Recherchiere ich Autor_innen für meine Rezensionen, freue ich mich immer, wenn ich in ihren Biografien und Interviews etwas finde, das mich mit ihnen verbindet. Bei Antonia Michaelis ist der Kitt zwischen uns allerdings so unwahrscheinlich, dass ich mir ungläubig die Augen rieb. In einem Interview wurde sie gefragt, ob sie sich noch an das erste Buch erinnere, das sie je gelesen habe. Sie antwortete, das wäre mit 5 Jahren ein Buch über drei kitschige kleine Katzen gewesen, die mit einem Wollknäuel spielten. Ich kenne das Buch! Es war auch eins meiner Kinderbücher! Zugegeben, ich weiß nicht, ob wir dasselbe Buch meinen, aber mir gefällt die Vorstellung. Glücklicherweise ist „Drei Kätzchen“ kein Hinweis auf die Qualität von Michaelis‘ eigenen Büchern. Sie überzeugte mich mit „Die Worte der Weißen Königin“ – nun wollte ich sie mit „Der Märchenerzähler“ erneut auf die Probe stellen.

 

Auf dem Schulhof kursieren über den polnischen Kurzwarenhändler die wildesten Gerüchte. Er schwänzt die Schule. Er lebt in einem Plattenbau. Er verkauft Drogen. Für Anna war ihr schweigsamer Mitschüler kaum mehr als ein verschwommener Schemen am Rande ihrer Wahrnehmung. Bis zu dem Tag, an dem sie die Puppe findet. Plötzlich erhält der polnische Kurzwarenhändler einen Namen. Er heißt Abel Tannatek und verfügt über eine magische Stimme. Er ist ein Märchenerzähler, der sich rührend um seine kleine Schwester Micha kümmert, für die er wundervolle Geschichten erfindet. Schon bald ist Anna von ihm verzaubert und entdeckt Gefühle, die sie niemals für möglich gehalten hätte. Doch sie spürt auch, dass irgendetwas nicht stimmt. Das Märchen nimmt eine beängstigende Wendung. Welche finsteren Geheimnisse verbirgt Abel? Tiefer und tiefer versinkt Anna in einem undurchsichtigen Strudel von Fantasie und Realität und erkennt, dass das Märchen vielleicht kein Happy End haben kann…

 

Wie soll ich euch nur erklären, was ich für „Der Märchenerzähler“ empfinde? Als ich diese Rezension begann, dachte ich, sie würde ein Klacks. Einleitung und Inhaltsangabe schrieben sich flüssig und ich war optimistisch, auch den Hauptteil zügig fertig zu bekommen. Jetzt sitze ich vor der gefühlt hundertsten Version und möchte am liebsten laut schreien. Es ist wie verhext. Meine Gedanken stecken fest. Ich komme nicht voran. Dieses Buch macht mich fertig. Meine Emotionen sind so widersprüchlich, dass ich nicht weiß, wie ich sie in einen kohärenten Text verwandeln soll. Ich schreibe jetzt einfach drauf los und schaue, was dabei herauskommt. Also verzeiht, wenn diese Rezension etwas anders ist als meine üblichen Ergüsse.
Einerseits sehe ich in Antonia Michaelis eine der sozialkritischsten Autor_innen, die Deutschland zu bieten hat. Ich schätze ihren Mut, auf das Leid hinter verschlossenen Türen zu blicken. Ihr Talent, ernste, traurige und unangenehme Tabuthemen in poetische Geschichten mit einer traumähnlichen Atmosphäre zu kleiden, ist beeindruckend und ihr Schreibstil ist irrsinnig schön. Ich erkenne, wie besonders „Der Märchenerzähler“ ist und würde lügen, würde ich behaupten, die melancholische, tragische Geschichte von Abel und Anna habe mich nicht berührt. Die begleitende Binnenerzählung des Märchens, das Abel für seine kleine Schwester Micha erfindet, ist bezaubernd und erzeugt auf einzigartige Art und Weise Spannung, weil sie Realität und Fantasie verschwimmen lässt. Ich wollte herausfinden, welche Ereignisse der Wirklichkeit Abel darin spiegelt und bangte um ihn und die entzückende Micha, die er mit bedingungsloser Aufopferung liebt. Ich fieberte mit, das möchte ich nicht leugnen.
Andererseits empfand ich jedoch nicht so intensiv, wie ich es mir gewünscht hätte. Meine Tränenkanäle blieben fest verschlossen, obwohl „Der Märchenerzähler“ prädestiniert dafür ist, wahre Sturzbäche auszulösen. Ich konnte das Buch nicht richtig spüren. Ich kam nicht an meine Emotionen heran, weil die surreale, ätherische Atmosphäre sie bedeckte und dämpfte. Ich fühlte mich in Watte gepackt. Für mich ist es zu rücksichtsvoll, zu sanftmütig. Oftmals erreicht mich die harte Realität besser als jede lyrische Metapher. Ich verstehe, dass kalte Fakten nicht in diese Geschichte passen, weil das Märchen für Abel, Micha und Anna eine Realitätsflucht darstellt, durch die sie die schreckliche, mitleidlose Welt vergessen können. Aber für mich gestaltete sich meine Leseerfahrung dadurch als zu entrückt. Deshalb erlebte ich während der gesamten Lektüre eine unüberwindbare Distanz, die ich gern abgeschüttelt hätte.
Und dann war da noch die Vergewaltigung. Ich möchte nicht zu viel verraten, doch ich finde es wichtig, diesen Punkt anzusprechen. Ich begreife nicht, was sich Antonia Michaelis dabei dachte, wieso sie glaubte, diese Szene sei notwendig. Meiner Ansicht nach war sie es nicht, weil sie deren Effekt auch anders hätte erreichen können. Der Autor Robert Jackson Bennett schrieb einmal in einem Essay, dass Vergewaltigungsszenen nur dann eingesetzt werden sollten, wenn sie absolut unvermeidlich sind. Das ist sehr, sehr selten der Fall. Eine Vergewaltigung als inhaltliches Stilmittel zu missbrauchen, ist inakzeptabel. In „Der Märchenerzähler“ konnte ich nicht erkennen, inwiefern diese Szene die Geschichte entscheidend beeinflusste. Ich mutmaße, dass Michaelis eine Aussage über die Beziehung der beteiligten Figuren treffen wollte, was meiner Meinung nach keine überzeugende Rechtfertigung ist. Zusätzlich schürt der nachfolgende Umgang des Opfers mit diesem Erlebnis Vergewaltigungsmythen. Mir stieß diese Szene daher sehr sauer auf. Sie beschäftigte mich so, dass ich das Buch kaum noch von ihr trennen und für sich selbst betrachten kann. Mag sein, dass ich überempfindlich bin. Vermutlich wollte Antonia Michaelis vermitteln, dass Liebe eigenen Regeln folgt. Eine Vergewaltigung sollte jedoch niemals im Rahmen dieser Regeln liegen.

 

Meine Güte, bin ich erleichtert. Endlich habe ich diese blöde Rezension fertig und einen halbwegs brauchbaren Text zustande gebracht. Ich erlebe immer mal wieder Buchbesprechungen, die sich schwerfällig schreiben, besonders dann, wenn meine Notizen nutzloser Murks sind. Doch ich glaube, eine Situation, in der meine Gedanken zu einem Buch so fest ineinander verdreht sind, dass ich ernsthafte Schwierigkeiten habe, sie zu entwirren und auszuformulieren, habe ich noch nie erlebt. Der Knoten ist auch immer noch nicht geplatzt. „Der Märchenerzähler“ wird für mich wohl auf ewig mit widersprüchlichen Gefühlen und einem generellen Eindruck von mentalem Chaos verbunden sein. Ich hätte niemals angenommen, dass dieses unschuldig daherkommende Buch solche Komplikationen auslösen könnte. Ich hoffe, dass diese Rezension trotzdem hilfreich für euch war, denn eine faire Empfehlung erscheint mir unmöglich. Wie „Der Märchenerzähler“ auf mich wirkte, ist eine Ausnahmeerscheinung, die weder Rückschluss darauf gibt, wie ich eine Lektüre normalerweise erfahre, noch, wie sie euch beeinflussen würde. Es ist ein Sonderfall. Deshalb kann und möchte ich euch nur eines raten: falls ihr sensibel auf das Thema Vergewaltigung reagiert, solltet ihr Abstand von „Der Märchenerzähler“ nehmen. Das ist der einzige Kritikpunkt, den ich faktisch (statt emotional) begründen kann. Diese Szene war unnötig und enttäuschte mich sehr. Von einer Autorin, die mutig gesellschaftliche Missstände anprangert, habe ich definitiv mehr erwartet.

Source: wortmagieblog.wordpress.com/2018/10/31/antonia-michaelis-der-maerchenerzaehler
More posts
Your Dashboard view:
Need help?